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"An Orban können sich die Geister scheiden"

von Hans Kaiser

Was Ungarns umstrittenen Regierungschef antreibt

Interview mit Hans Kaiser, Leiter des KAS-Auslandsbüros in Budapest, über die zu Ende gegangene EU-Ratspräsidentschaft Ungarns und die Politik Victor Orbans.

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NZZ Online: Nachdem Ungarn Anfang Juli in der EU-Ratspräsidentschaft von Polen abgelöst wurde, ist der Pulverdampf etwas verflogen: Die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Victor Orban stand in Brüssel heftig in der Kritik. Wie hat man das Unbehagen innerhalb der EU in Ungarn wahrgenommen?

Hans Kaiser: Die aufmerksamen Zeitgenossen hierzulande haben die Kritik schlichtweg als unfair empfunden. Zumal man wohl nicht zu Unrecht Züge einer Kampagne wahrnahm.

Es gab in Ungarn auch Proteste gegen diese Politik. Am 15. März, dem Nationalfeiertag, versammelten sich in Budapest immerhin rund 70'000 Menschen, um nach der Lancierung des umstrittenen Mediengesetzes für mehr Bürgerrechte zu demonstrieren.

So denkt allerdings beileibe nicht die Mehrheit hier. Orbans Politik wird unverändert von einer enorm großen Mehrheit der Ungarn unterstützt und getragen. Aber vor allem in der sozialistischen Fraktion in Strassburg - es ist nicht allgemein die EU - hatte man sich schon auf Orban, den konservativen Wahlsieger Ungarns, eingeschossen, als das Mediengesetz in seinem realen Inhalt noch gar nicht bekannt war.

Ich will aber nicht verschweigen, dass sich die neue ungarische Regierung damit nicht besonders geschickt verhalten hat. Auch ich fand es nicht sehr glücklich, dass das neue Mediengesetz ausgerechnet zeitgleich mit dem Start der EU-Ratspräsidentschaft auf den Weg gebracht wurde.

Besonders Regierungschef Orban stand sehr in der Schusslinie. Wie würden sie ihn aus eigener Anschauung beschreiben? Warum polarisiert Orban so?

Orban ist ein charismatischer Politikertyp, ein Homo politicus, an dem sich die Geister auch scheiden können. Er kann mit grossem rhetorischen Geschick seine Thesen sehr zuzuspitzen - speziell wenn er merkt, dass sie ankommen. Das gibt auch einen gewissen Anreiz für seine Gegner.

Der frühere deutsche Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (1926-2009), ein Liberaler, hat mir ein halbes Jahr vor seinem Tod gesagt, Orban gehöre für ihn zu den herausragend talentierten jungen Politkern in Europa. Lambsdorff hatte ihn lange, wenn auch ohne Erfolg, für die Mitgliedschaft im Zusammenschluss der Liberalen im europäischen Parlament umworben.

Was treibt Orban an? Den Wahlsieg Ende April mit der Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Fidesz-Partei bezeichnete er als «Revolution».

Victor Orban gehört zu den Politikern, die den Ehrgeiz haben, Gruppierungen am politischen Rand jenseits der eigenen Partei nicht aufkommen zu lassen. Früher war dafür in Deutschland Franz Josef Strauss bekannt. Dieses Bestreben, verbunden mit einer mitunter auch sehr pointierten Rhetorik, macht Orban gelegentlich in der öffentlichen Wahrnehmung im Ausland Probleme. Vor allem, wenn dies dort von seinen Gegnern interpretiert wird.

Ausserdem hat er durchaus eine Art von Sendungsbewusstsein: Orban arbeitet nicht nur dafür, dass Ungarn wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Er zielt vor allem darauf, was man in Deutschland in den achtziger Jahren die «geistig-moralische Wende» nannte. Orban will mit dem von ihm so genannten «Umbau», der Umgestaltung des Staates erreichen, dass Ungarn nach dem Niedergang durch den Kommunismus als Land wieder zu sich selbst findet und ganz vorne in Europa mitspielt.

Um noch einmal auf das international sehr kritisierte ungarische Mediengesetz zurückzukommen: Was sagen Sie den Kritikern des Gesetzes?

Wer Zweifel daran haben sollte, dass es eine Medienregulierung geben muss, sollte sich allein den jüngsten und ganz ungeheuerlichen Abhörskandal in Grossbritannien vor Augen führen. Ausserdem habe ich es noch nie erlebt, dass Medien ein Medien- oder Pressegesetz positiv beurteilt haben. Denn hier beurteilen fast ausschließlich vom Gesetz Betroffene ein Gesetz, das sie einschränken oder unter Umständen auch sanktionieren soll! Es lohnt zu vergleichen: Im ungarischen Gesetz finden sich Regularien, die es europaweit in sämtlichen Mediengesetzen, auch dem der Schweiz, gibt - bis hin zu teilweise schärferen Sanktionen.

Ausser anderen politisch strittigen Punkten gab auch die neue ungarische Verfassung auf EU-Ebene viel zu reden.

Wenn ich als Deutscher erleben würde, dass die übrigen Mitgliedsländer im EU-Parlament teils sehr aggressiv angeblich nötige Änderungen im deutschen Grundgesetz diskutieren, ohne tatsächlich europa- oder völkerrechtsrechtswidrige Sachverhalte zu nennen, dann würde ich mich auch aufregen. Das gehört sich nicht, ist unanständig, und ich verstehe nicht, dass man im EU-Parlament diesen Weg beschreitet. In der neuen Verfassung Ungarns ist der gesamte europäische Wertekanon aus dem EU-Verfassungsvertrag enthalten.

Warum nehmen Sie Orban derart in Schutz?

Er braucht meine «Inschutznahme» nicht. Aber: Er hat eine fairere Beobachtung verdient, und nicht eine so grosse Voreingenommenheit. Man darf nicht vergessen, in welch einer katastrophalen Situation die vorausgegangenen sozialistischen Regierungen das Land hintergelassen haben.

Mir tut es auch Leid, dass die Erfolge, die Ungarn während der EU-Ratspräsidentschaft erreicht hat, kaum wahrgenommen werden. Man denke etwa nur an die Roma-Strategie oder an die Öffnung der EU für Kroatien, auch an die energiepolitischen oder wirtschaftspolitischen Vorstöße. Das ist schon eine achtbare Leistung dieses Landes, die Anerkennung verdient. Ausserdem: Man kann die ost- und mittelosteuropäischen Länder nicht so einfach mit dem Westen vergleichen. Nach gut 20 Jahren Zusammenbruch des Kommunismus kann doch dort nicht alles so sein, wie es in Westeuropa ist. Und es muss auch nicht alles so sein.

Interview: Stefan Reis Schweizer (NZZ)

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