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"Erdogan hat zuerst ein Stabilitätsinteresse"

Interview mit dem Nahost- und Türkeiexperten Oliver Ernst

Heute reist Bundesaußenminister Steinmeier nach Istanbul, um dort mit seinem Amtskollegen über die Situation in Syrien sowie den Konfliktherd Irak zu sprechen. Im Interview mit dem Hörfunksender SWRinfo hat der Nahost- und Türkeiexperte der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Oliver Ernst, Stellung zu den Hintergründen der Reise genommen.

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Bundesaußenminister Steinmeier will in Istanbul ausloten, welche Rolle die Türkei in der Auseinandersetzung spielt. Ihre Einschätzung: Wie sieht Erdogans Interesse hier aus?

Erdogan hat zuerst ein Stabilitätsinteresse. Die Türkei soll weder in der Syrienkrise noch im Irak negativ tangiert werden. In beiden Krisen gibt es ein Machtvakuum, das auch perspektivisch nicht von den Zentralregierungen gefüllt werden kann. Weder Assad noch Maliki scheinen noch in der Lage zu sein, das gesamte Land zu kontrollieren. Die Türkei als Nachbarstaat ist hier in der schwierigen Situation, stabilisierend zu agieren, damit die negative Dynamik und die Gewalt nicht weiter eskaliert und auf die Türkei überspringt.

Die Türkei ist ein wichtiger Player im Konflikt – ein Pufferland zwischen der brodelnden Region und Europa. Iran, Irak, Syrien: Mit wem bildet Erdogan hier strategische Allianzen?

Die türkische Außenpolitik hatte bis zum Ausbruch des Syrienkrieges auf gutnachbarliche Beziehungen gesetzt. Null Probleme mit den Nachbarn war sogar das offizielle Motto dieser Politik von Außenminister Davutoglu. Der Bruch mit Assad hat als erstes gezeigt, dass hier eine radikale Wende vollzogen wurde. Die deutliche Verschlechterung der Beziehungen zu Bagdad in den letzten Jahren und das schwierige Verhältnis zu Teheran machen für Ankara strategische Allianzen schwierig.

Viele fürchten bereits, der Irak könne komplett zerfallen. Ein weiterer „Failed State“ - ein gescheiterter Staat ohne Kontrolle, Recht und Ordnung. Wie denkt man denn über dieses Szenario in der Türkei nach?

Tatsächlich denkt man in Ankara schon über eine Art „Nachkriegsordnung“ nach: Mit der Situation im Irak seit 2003 und insbesondere mit dem andauernden und destabilisierenden Konflikt zwischen der als zu schiitenfreundlich wahrgenommenen Zentralregierung und den Sunniten ist man nicht glücklich. Erst gestern hat der Sprecher der AKP Celik daher die Teilung des Landes in einen kurdischen, einen schiitischen und einen sunnitischen Teil umrissen. Wenn dieses Szenario die Lage stabilisieren würde, dann wäre Ankara hier sicherlich ein wichtiger Akteur, der dies unterstützen könnte.

Eines ist jetzt schon klar: Die Zahl der Flüchtlinge wird zunehmen – und die Flüchtlingsproblematik sich verschärfen. Schon jetzt leben an der türkischen Grenze Hunderttausende Syrer in riesigen Lagern. Wenn nun noch hilfesuchende Iraker hinzukommen – droht hier totales Chaos?

Das Problem mit den Lagern in der Grenzregion ist für Ankara mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft noch beherrschbar. Schwieriger ist es in den Provinzen, in denen die Flüchtlinge darüber hinaus unter zumeist sehr schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen untergekommen sind. Die Bevölkerung verhält sich hier zwar unterstützend, aber mit jedem Tag den der Flüchtlingsstrom zunimmt, wachsen auch die sozialen Belastungen. Dies trifft aber auch auf die Aufnahmeländer Jordanien und Libanon zu.

Lassen Sie uns noch auf einen Akteur blicken: Die Kurden. Im Nordirak sind sie die großen Profiteure – in der Türkei jedoch weiterhin eine unbeliebte Minderheit. Wie blickt man in Istanbul auf diese Entwicklung?

Die Kurden im Irak haben eine Sondersituation, da sie sich seit Anfang der 90er Jahre unabhängig von Bagdad verwalten. Von der aktuellen Situation sind sie aber auch erst einmal negativ betroffen, da die Sicherheitslage den weiteren wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsprozess hemmt. Nachdem die Kurden in Kirkuk die militärische Kontrolle übernommen haben sind die Kurden in der Irakischen Region Kurdistan aber dennoch optimistisch, dass diese geographische Ausdehnung der Kurdenregion um ungefähr ein Drittel und der Zugriff auf die riesigen Ölvorkommen, den Kurden eine gute Ausgangsbasis für ihr weiteres politisches Agieren im Irak bieten wird.

In der Türkei ist man hierüber eher froh, da die Kurden politisch zuverlässige Partner und wirtschaftlich von großer Bedeutung sind. Die türkischen Kurden in der Südosttürkei profitieren zumindest langfristig von diesem kurdischen Frühling im Irak. Das anfängliche türkische Misstrauen in Ankara ist weitgehend verschwunden, da man die Kurdenfrage immer als soziale Frage bewertet hat und der wirtschaftliche Aufschwung die sozialen und wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den kurdischen Gebieten der Türkei und dem Westen des Landes aufhebt. Eine win-win-Situation für Kurden und Türken also, die die Einheit des Landes zu bewahren hilft.

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Berlin Deutschland