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Das Gedächtnis der Dichter

von Prof. Dr. Michael Braun

Neue Bücher zur Leipziger Buchmesse

Vor elf Jahren wollte Sarah Kirsch nicht nach Leipzig fahren. „Und ne Buchpremiere stell ich mir anders vor als in Leipzig auf der Buchmesse zu lesen“, schreibt sie, in ihrer eigentümlichen Diktion, am „28. Jaguar 2003“ in ihr Journal.

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Auf der Frühjahrsbuchmesse vom 13. bis 16. März 2014 werden 3.000 Autoren bei ebenso vielen Veranstaltungen an 410 Leseorten in der Stadt und auf dem Messegelände erwartet. Darunter eine stattliche Reihe von Buchpremieren, so auch die Autobiografie des Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP, mit dem Titel „Wir sind zu unserem Glück vereint. Mein europäischer Weg“.

Hier die Neuerscheinungen der KAS-Literaturpreisträger (weitere neue Bücher von Tuvia Rübner erscheinen im Laufe des Jahres).

Für historisch interessierte Leser: Günter de Bruyn (KAS-Preisträger 1996) hat in den 1990er Jahren das Fach gewechselt und ist vom Romanschriftsteller zum Kulturbiographen Preußens geworden. Niemand beschreibt Landschaft und Leute um Berlin so kundig und einfühlsam wie der 1926 geborene Autor. „Kossenblatt“, sein neues Buch, entdeckt ein vergessenes Königsschloss nahe eines brandenburgischen Dorfes, das man von Berlin aus mit Auto oder Zug in knapp zwei Stunden erreicht. Spektakulär ist eigentlich nichts an diesem Erinnerungsort. Fontane beschrieb ihn „eher schaurig als schön“, andere Autoren haben gutgelaunt über Kossenblatt erzählt, ohne je dagewesen zu sein. Anders Günter de Bruyn. Als Kind hatte er die Gegend vom Paddelboot aus kennengelernt. Nun hat er Pfarrchroniken ausgewertet, entlegene Literatur erschlossen, Landschaftseindrücke beschrieben. Das Ergebnis ist ein kleines märkisches Geschichtsbuch über ein weites Feld, von der ersten urkundlichen Erwähnung vor 800 Jahren über Ersten Weltkrieg und DDR-Zeit bis zur Gegenwart. Ein heiter-gemächlich erzähltes Buch über historisches Vergessen und die Gegenwart des Geschichtlichen.

Für Romanfreunde: Martin Mosebach (KAS-Preisträger 2013) gilt als begnadeter Erzähler gutbürgerlicher Milieus. Sein Roman „Das Blutbuchenfest“, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014, spielt in der besseren Gesellschaft Frankfurts. Ein buntes Figurenkabinett tummelt sich auf der Erzählbühne. Im Mittelpunkt die bosnische Putzfrau Ivana, die auf dem Höhepunkt der Handlung, einer Champagnerparty, über ihr Handy den Ausbruch des Bosnienkrieges mitbekommt. Dass man 1991 noch nicht mit Mobiltelefonen hantierte, ist ein ironischer Anachronismus dieses auf mehreren Ebenen spannenden Romans. Es geht Mosebach um den Einbruch archaischer Gewalt in eine statusverwöhnte Welt. Und um den Testfall realistischen Erzählens in einer programmierten Welt (der erste Satz „Die Markies verließ um fünf das Haus“ ist eine Anspielung auf Valéry, der sich solche Informationssätze verbat). Ein anspruchsvolles, hochaufgeladenes Sittenbild, ein „Geniestreich“ (Ijoma Mangold).

Für poetisch Empfängliche: Sarah Kirsch (1935-2013), mit der der Literaturpreis der KAS ins Leben gerufen wurde, hat uns wunderbare Journale hinterlassen. Sie führen uns durch die Jahresrhythmik der Winter und Frühjahre in der schleswig-holsteinischen Marsch, ohne das weltpolitische Auge zu schließen. Auch „Juninovember“ über den Zeitraum 2002/2003 kommentiert so den amerikanischen „Aufmarsch im Irak“ und die Erdstöße in Mittelitalien. Zugleich lesen wir, wie die Autorin sich bei nostalgischen Fernsehkrimis amüsiert, aus TV-Kollegs des Germanisten Wolfgang Frühwald (ihres KAS-Laudators 1993) lernt, wie sie den wechselnden Wetterhimmel beschreibt, auch den des Kulturbetriebs. Dabei spart sie nicht mit Anmerkungen über ihre Kollegen, die teils süffisant sind (Handke), teils anerkennend (Gerhard Meier): Dichter sind „Genies mit schlechtem Gedächtnis“. Auf Sarah Kirschs Erinnerung ist jedenfalls Verlass. Ein sehr erzählfarbiges, poetisches Buch, das zu lesen tatsächlich keiner Reise nach Leipzig bedarf.

Und für ‚religiös musikalische‘ Leser, außerhalb der Reihe der KAS-Literatupreisträger: Die Mutter Jesu und ihr „Testament“ – der irische Autor Colm Tóibín hat sich ein erhabenes Thema für seinen Roman ausgesucht. Doch Tóibíns Marienleben ist keines, das in der der Bibel steht. Im Gegenteil. Der Autor hat Maria nach Ephesos, ins erste Jahrhundert christlicher Zeitrechnung versetzt. Dort lebt sie im Alter, allein, versorgt von zwei Jüngern (Matthäus und Johannes womöglich), von denen sie sich allerdings mehr kontrolliert fühlt. Sie wollen von ihr jene Version des Lebens Jesu bestätigt bekommen, die dann, durch die Evangelientexte überliefert, die Welt verändert hat. Doch Marias Erinnerungen lassen sich nicht so einfach in diese frühekklesialen Planungen einbinden. Gegen das Verhör durch die Jünger setzt sie deshalb ein eigenwillig neues Testament. Es ist ihr eigenes, auch im wörtlichen Sinne eine Art letztwilliger Verfügung, bibelfest und zugleich bibelkritisch, die Marias Zweifel und ihre eigene Version der Wunder- und Passionsgeschichte gegen mariologische Erlösungsgewissheit setzt.

Alle bisher vorliegenden Neuerscheinungen der Literaturpreisträger auf einen Blick:

  • Günter de Bruyn: Kossenblatt. Das vergessene Königsschloss. Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2014.
  • Sarah Kirsch: Juninovember. München: DVA, 2014.
  • Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest. Roman. München: Hanser, 2014.
  • Tuvia Rübner: Ein langes kurzes Leben: Von Preßburg nach Merchavia (2. erweiterte Auflage). Aachen: Rimbaud Verlag, 2014.
  • Tuvia Rübner: Gelber Regen. Gedichte. Aachen: Rimbaud Verlag, 2014.

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11. März 2014
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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland