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Einzeltitel

Der Transformationsprozess des vietnamesischen Finanzsektors und der Staatsbank

von Stephan Hensel

Eine Bestandsaufnahme in ausgewählten Punkten

Der 1986 unter dem Schlagwort „doi moi“ (Erneuerung) von der vietnamesischen Regierung angestoßene Tranformationsprozess - von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft sozialistischer Orientierung - hat in seiner Konsequenz Auswirkungen auf alle Bereiche des wirtschaftlichen Zusammenlebens und damit auch auf die gesellschaftliche Struktur als solche. Dieses Papier versucht eine Bestandsaufnahme von heute sichtbaren Fortschritten des Transformationsprozesses anhand ausgewählter Punkte der Finanzsektor- und Zentralbankreform. Um die bereits zurückgelegte Wegstrecke des „Reformweges“ deutlicher hervorzuheben, kontrastiert der Autor die in der einschlägigen volkswirtschaftlichen Literatur diskutierten Soll-Anforderungen an die o.g. ausgewählten Punkte mit dem Ist-Erfüllungsgrad im heutigen Vietnam.

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II. Begriffsbestimmungen und volkswirtschaftliche Funktionen eines Finanzsektors

Der Finanzsektor übernimmt innerhalb der Volkswirtschaft wichtige Funktionen und hat dadurch Einfluss auf Wachstum und Entwicklung eines Landes. Um in der Diskussion möglichen Missverständnissen präventiv zu begegnen sind folgende Begrifflichkeiten zu unterscheiden:

Der Finanzsektor innerhalb einer Volkswirtschaft umfasst alle Marktakteure und Institutionen, deren hauptsächliches Handeln sich auf monetäre Aktiva bezieht. Es ist weiter zu differenzieren zwischen marktmäßigem und hoheitlichem Finanzsektor. Während ersterer sich auf die qualitative und quantitative Struktur der Marktakteure bezieht, hat letzterer die Aufgabe der Marktsteuerung (z.B. durch das Geldpolitische Instrumentarium der Zentralbank) und der Regulierung

(z.B. durch staatliche Finanzdienstleistungsaufsichtsbehörden).

Dem Finanzsektor steht die Realwirtschaft gegenüber, die den übrigen Teil der Volkswirtschaft umfasst. Verbunden werden die Teile Finanzsektor und Realwirtschaft über die Finanzierungsstrukturen, welche Auskunft über die Art der Finanzierung geben, etwa typische Merkmale der Unternehmensfinanzierung, der Zinsstruktur und der Zahlungsverkehrssysteme. Finansektor und Finanzierungsstrukturen zusammen bilden das Finanzsystem eines Landes.

Der Finanzsektor erfüllt normalerweise drei zentrale Funktionen innerhalb einer Volkswirtschaft: Zum ersten übernimmt er die Geldfunktion (Zahlungsverkehrsfunktion). Durch Verwendung des Geldes als Zahlungsmittel, Rechenmittel und Wertaufbewahrungsmittel können die wirtschaftlichen Transaktionskosten erheblich gesenkt werden.

Zum zweiten übernimmt er die Allokationsfunktion, d.h. die Zuordnung von Ressourcen (Ersparnissen) auf ihre effizientesten Verwendungsmöglichkeiten (Investitionen). Man spricht hier auch vom „Brückenschlag zwischen Sparer und Investor“. Dabei kann dieser Brückenschlag entweder direkt über den Kapitalmarkt oder indirekt durch Einschaltung eines Intermediärs (z.B. einer Bank) erfolgen. Der Intermediär leistet dabei eine sogenannte Intermediationsfunktion, welche in der Transformation von Fristen, Losgrößen und Risiken besteht. Welcher Weg gewählt wird hängt von diversen Faktoren ab, unter anderem von der Größe und dem Informationsstand der Wirtschaftssubjekte.

Zum dritten übernimmt er die Versicherungsfunktion. Durch breite Streuungsmöglichkeiten der Finanzsektoraktivitäten können Diversifikationserträge realisiert werden.

Durch die Übernahme dieser Funktionen leistet der Finanzsektor einen entscheidenden volkswirtschaftlichen Entwicklungsbeitrag.

II. Struktur des vietnamesischen Finanzsektors

II.1. Überblick über die heutigen Strukturen

Bis 1988 bestand das vietnamesische Finanzsystem ausschließlich aus der vietnamesischen Zentralbank, der State Bank of Vietnam (SBV), die Zentralbank- und Geschäftsbankenfunktionen in sich vereinigte und zwei von der Staatsbank gelenkten Spezialbanken, der Außenhandelsbank (Vietcombank) und der Bank für Investitionen und Entwicklung (BIDV). Die einzige Aufgabe dieser Banken war die Finanzierung des Staatshaushaltes und der Staatsunternehmen. Die Institutionen des Bankensystems befanden sich zu Beginn der Systemtransformation auf einem äußert niedrigen Entwicklungsstand. Es gab keine transparente Rechnungslegung (Bilanzen), kein funktionierendes Zahlungssystem und kein nach internationalen Maßstäben ausgebildetes Personal. Das Vertrauen der Bevölkerung in das Bankensystem war außerordentlich niedrig und die ideologischen Vorbehalte von Teilen der Führung gegenüber einem kommerzialisierten Bankensystem sehr groß. 1988 wurde damit begonnen, das Monobankensystem in ein zweistufiges Bankensystem zu transformieren. Neben einer Zentralbank sollten mehrere Geschäftsbanken etabliert werden. Der SBV wurden typische Zentralbankfunktionen zugewiesen: Formulierung und Umsetzung der Geld- und Kreditpolitik, Kontrolle der Kreditschöpfung, Zinspolitik, Mindestreservepolitik und Management der Währungsreserven. Allerdings blieb die SBV weiterhin Teil der staatlichen Verwaltung und unterlag daher immer noch der sektoral differenzierten Zins- und Kreditsteuerung der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV). Die Geschäftsbankenfunktionen übernahmen neben den bereits bestehenden Spezialbanken (Vietcombank und BIDV) die Bank für Handel und Industrie (Incombank) und die Landwirtschaftsbank (Agribank). Beide Banken wurden aus der SBV ausgegliedert. Die sektorale Zinsdifferenzierung wurde nur langsam abgebaut und der Zugang nichtstaatlicher Unternehmen und bäuerlicher Betriebe zu Krediten erleichterte sich nur sehr langsam. Infolge dessen bildete sich ein ausgeprägter informeller Finanzsektor heraus, da nach Implementierung und Voranschreiten der Wirtschaftsreform sowohl nichtstaatliche als auch bäuerliche Betriebe eine hohe Kreditnachfrage zur Investitionsfinanzierung entwickelten. In diesem Zusammenhang entstanden die Kreditgenossenschaften.

Mit einem „Gesetz für die Geschäftsbanken und Kreditgenossenschaften“ wurden den vier staatlichen Geschäftsbanken und den privaten Banken formal gleiche Wettbewerbsbedingungen eingeräumt. Markteintrittsbarrieren für inländische und ausländische Banken wurden reduziert, wobei mit einem gesonderten „Dekret für ausländische Banken“ eine „rechtliche Hintertür“ geschaffen wurde, um die Tätigkeit ausländischer Banken auf bestimmte Geschäftsbereiche (wie Außenhandelsfinanzierung und Depositengeschäft in ausländischer Währung) zu beschränken.

Bis heute hat der Finanzsektor erheblich an Breite gewonnen und besitzt die folgende Struktur:

  • eine SBV
  • 6 staatliche Geschäftsbanken
Diese Banken haben faktisch das gesamte Kreditgeschäft von der SBV übernommen. Damit haben sie ein schweres Erbe angetreten, da sie nun die Lasten tragen müssen, die sich aus den uneinbringlichen Forderungen gegenüber den Staatsbetrieben ergeben. Nach Schätzungen der Weltbank liegt die Höhe der uneinbringlichen Kredite bei 25 % ihres Kreditvolumens und dem Doppelten ihres Eigenkapitals

  • 36 nichtstaatliche Banken (joint-stock banks)
Bei den Anteilseignern handelt es sich im Wesentlichen um staatliche Unternehmen, Ministerien, das Militär sowie halbstaatliche Einrichtungen (Genossenschaftsverband, Gewerkschaftsverband).

  • 4 joint venture banks
  • 27 ausländische Banken plus 60 Vertetungsbüros ausländischer Banken
  • über 900 Kreditgenossenschaften
Sie wurden auf Grundlage eines Gesetzes von 1993 auf Initiative und unter Aufsicht der SBV verstärkt gefördert, um die ländliche Finanzierung auf eine neue Grundlage zu stellen.

  • Geld- und Devisenmarkt
  • Wertpapiermarkt.

II.2. Konsequnzen für den Wachstumsprozess

Trotz der zunehmenden institutionellen Differenzierung weist Vietnam bis heute einen für Entwicklungsländer typisch schwach entwickelten Finanzsektor auf, der Sparern ein nur eingeschränktes Spektrum an Anlagealternativen bereitstellt und Investoren nur eine begrenzte Auswahl an Finanzinstrumenten bietet. Der „Brückenschlag“ zwischen Sparer und Investor kann somit nur unzureichend erfolgen. Um die entwicklungsökonomisch notwendigen Investitionen dennoch zu finanzieren, gibt es entweder die Möglichkeit, ausländisches Kapital (ausländische Ersparnisse) anzuziehen und damit eine Verschuldung gegenüber dem Ausland einzugehen oder mehr Ersparnisse im Inland zu mobilisieren, sprich die inländische Spar- und Investitionsquote zu erhöhen. Darüber hinaus kommt es auf die Produktivität der finanzierten Investitionsprojekte an. Es gilt, je höher die Produktivität, desto geringer können Spar- und Investitionsquote ausfallen, um eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate zu sichern, bzw. desto höher wird die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate sein. Aus diesem Zusammenhang ergeben sich die zentralen Funktionen des Finanzsektors für den vietnamesischen Entwicklungsprozess:

  1. Die _Geldfunktion_ ist durch die Verwendung der nationalen Währung „Vietnamesischer Dong“ und die parallele Verwendung des US-Dollars erfüllt.
  2. Die _Versicherungsfunktion_ kann ebenfalls noch nicht ihre Wirkung entfalten, da die meisten Kredite immer noch von den staatlichen Geschäftsbanken (71,5 % Anteil am insgesamt vergebenen Kreditvolumen) an staatliche Unternehmen vergeben werden.
  3. Die _Allokationsfunktion_ ist nur rudimentär erfüllt. Die Monetären Finanzintermediäre (MFIs) und der Kapitalmarkt spielen eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung von Ersparnissen und der effizienten Kapitalallokation. Voraussetzung zur Erfüllung dieser Funktion sind der weitere Aufbau und die Entwicklung des Bankensystems und des Kapitalmarktes in Vietnam. Bisher waren die Allokationsentscheidungen vom Staat gelenkt worden. Mit dem 1986 von der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) unter dem Schlagwort „doi moi“ (Erneuerung) begonnenen Transformationsprozess möchte Vietnam den Übergang von einem planwirtschaftlichen Wirtschaftssystem hin zu einem „marktwirtschaftlichen System sozialistischer“, Prägung vollziehen. Die Allokationsfunktion ihrerseits lässt sich in die drei Teilfunktionen Informationssammlung und -aufbereitung, Finanzierung und Sanktionierung zerlegen. Je stärker Allokationsentscheidungen nun vom Staat auf die einzelnen Wirtschaftssubjekte übertragen werden, desto wichtiger wird im ersten Schritt die Informationsqualität (Zugang, Verfügbarkeit, Aktualität, Transparenz, Sammlungs- und Aufbereitungskosten), da sie maßgeblich die Investitionsentscheidungen beeinflusst. Wenn die Investitionsentscheidung getroffen ist, müssen im zweiten Schritt entsprechende Finanzierungsinstrumente bereitstehen, die helfen, die Investitionen durchzuführen. Um sicherzustellen, dass die Investoren das ihnen zur Verfügung gestellte Kapital effektiv und effizient einsetzen, muss im dritten Schritt ein Anreiz gegeben sein, der Möglichkeiten des moralischen Risikos unterbindet bzw. ein rechtlicher Ordnungsrahmen, in dem Recht auch durchsetzbar ist. In Vietnam sind diese drei Teilfunktionen bis jetzt wie folgt erfüllt:
  • Informationssammlung und -aufbereitung: In Zeitungen und Fachzeitschriften werden die benötigten Informationen zusammengestellt und für den Leser aufbereitet. Dieser Zustand ist unter den Aspekten Aktualität und Transparenz kritisch zu sehen.
  • Finanzierung: Die Finanzierungsfunktion wird durch Anweisungskredite erfüllt.
  • Sanktionierung: Das Hauptsanktionierungsinstrument stellt die „Nichtanweisung“ von Krediten dar. Ansonsten ist diese Teilfunktion in dem Maße normal ausgeprägt, wie sich der Brückenschlag vom Sparer zum Investor normal vollziehen kann.

Somit leisten die Finanzsektorfunktionen hauptsächlich einen Beitrag zur Wachstumsfinanzierung. Die Erfahrungen aus zahlreichen Finanzsystemreformen zeigen jedoch, dass eine alleinige Finanzsystemreform nicht zum Erfolg führt, insbesondere dann nicht, wenn sie schockartig vollzogen wird, da sie dann destabilisierende Wirkungen auslösen kann. Vielmehr müssen die Finanzsektorfunktionen in geeignete stabile Rahmenbedingungen eingebettet werden. Diese Aufgabe fällt insbesondere der Zentralbank zu, indem sie durch Setzung von Rahmenbedingungen ein funktionsfähiges Bankensystem und durch Einsatz ihrer geldpolitsichen Instrumente die Stabilität der vietnamesischen Währung gewährleistet. Somit ist eine Finanzsystemreform dann erfolgversprechend, wenn sie eine adäquate Mischung aus Maßnahmen der Liberalisierung, des Aufbaus neuer Institutionen, Regelwerke und Instrumente, sowie der Makroökonomischen Stabilisierung miteinander verbindet.

Aufgrund der wichtigen Bedeutung der Zentralbank (ZBK) in diesem Kontext, ist die „State Bank of Vietnam“ Gegenstand des folgenden Abschnitts.

III.Die State Bank of Vietnam

III.1. Der Transformationsprozess bis heute

Der 1988 begonnene Transformationsprozess des Finanzsektors, unter anderem von einem Monobankensystem hin zu einem Bankensystem mit einer Zentralbank und Geschäftsbanken, hat insbesondere Auswirkungen auf die SBV, deren Rolle neu definiert werden musste. Die Transformation zu einer typischen Zentralbank, die ihr Handeln unabhängig von der Regierung an gesamtwirtschaftlichen Zielen, wie zumeist der Preisniveaustabilität ausrichtet und die geldpolitischen Instrumente dazu unabhängig von der Regierung einsetzen kann, vollzieht sich nur sehr langsam bis gar nicht. So wurde als deutlicher Schritt 1992 die Finanzierung des Staatshaushaltes durch die SBV beendet.

III.2. Die derzeitige Organisationsstruktur

Die Organisationsstruktur der SBV wird im Kapitel 2 des Gesetzes über die Zentralbank (LSBV) beschrieben: „Die SBV hat einen einheitlichen und zentralisierten Aufbau, welcher ein Exekutivorgan und Fachabteilungen in der SBV-Zentrale, Filialen in den Provinzen und Städten (zur Zeit 61 ), Repräsentanzbüros im In- und Ausland und der SBV zugehörigen Einrichtungen, umfasst. Die Organisationsstruktur (...) wird von der Regierung festgelegt“ (Art.10, LSBV).

„Der Präsident der SBV ist ein Mitglied der Regierung und ist verantwortlich für die Leitung und Führung der SBV.

Der SBV-Präsident hat die folgenden Aufgaben und Machtbefugnisse:

  • leitet und organisiert die Umsetzung der Aufgaben und Machtbefugnisse der SBV, wie sie in Artikel 5 des LSBV ausgeführt werden (...);
  • ist dem Premier-Minister und der Nationalversammlung gegenüber in seinen Aufgabengebieten verantwortlich (Art.11, LSBV).

Die SBV-Filialen sind der SBV-Zentrale untergeordnete Einheiten, die der einheitlichen und zentralisierten Leitung und Führung des SBV-Präsidenten unterliegen. Die Filialen haben die folgenden Aufgaben und Machtbefugnisse für die sie vom SBV-Präsidenten ermächtigt werden:

  • Überwachung und Prüfung der Bankgeschäfte in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich;
  • Genehmigung oder Entzug der Lizenz zum Betreiben von Bankgeschäften gegenüber Kreditinstituten und anderen Oragnisationen; Entscheidung über die Auflösung, Abspaltung und Fusion von Kreditinstituten in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich;
  • Durchführung von Refinanzierungsoperationen und Bereitstellung von Krediten zu Zahlungszwecken;
  • Bereitstellung bankgeschäftlicher Dienstleistungen für die Kreditinstitute und die Staatskasse;
  • Ausführung anderer Rechte in Übereinstimmung mit den anzuwendenden Bestimmungen der jeweilig tangierten Gesetze.

Die Repräsentanzbüros sind der SBV-Zentrale untergeordnete Einheiten und fungieren als Vertretungen gemäß der Bevollmächtigung der SBV-Präsidenten. Einem Repräsentanzbüro ist es nicht erlaubt, sich in die professionellen Bankgeschäfte einzuscha lten.%%

Es obliegt dem Zentralbankpräsidenten entsprechende Regelungen für die spezielle Organisationsstruktur und die Aufgaben und Machtbefugnisse der Filialen und Repräsentanzbüros bereitzustellen (Art. 12; LSBV).

Die SBV besitzt eigene administrative Einheiten, um die Aufgaben der Qualifizierung, Forschung, Bereitstellung von Informationsinfrastruktur, Informations- und Pressediensten, im Bezug auf das Bankgeschäft wahrnehmen zu können.

Die Entscheidung über die Etablierung dieser der SBV zugehörigen Einheiten zum Zweck der Bereitstellung spezieller Produkte, um das Bankgeschäft zu unterstützen, obliegt dem Premier-Minister (Art.13; LSBV).

III.3. Bestimmung des Unabhängigkeitsgrades der SBV

Die Unabhängigkeit einer Zentralbank als Voraussetzung für niedrige Inflationsraten ist Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und nicht einfach und eindeutig zu beantworten. Unter anderem bilden die so genannte. „Orthodoxe Argumentation“ (Zentralbankunabhängigkeit allein ist für eine niedrige Inflationsentwicklung verantwortlich) und die „Historische Argumentation“ (Zentralbankunabhängigkeit allein ist für eine niedrige Inflationsentwicklung nicht verantwortlich, sondern vielmehr ein drittes Element, welches als Stabilitätskultur bezeichnet wird) den groben Diskussionsrahmen. Die vertiefende Erläuterung der beiden Argumentationen ist nicht Gegenstand dieses Aufsatzes. Ihre Erwähnung in diesem Kontext soll aber demonstrieren, dass die Frage der Zentralbankunabhängigkeit bei der Untersuchung von Zentralbanken und ihren Möglichkeiten der Einflussnahme eine eminent wichtige Rolle spielt. Erfahrungen haben gezeigt, dass Zentralbanken ihre eigentlichen Ziele nicht erreichen können, wenn sie unter dem Einfluss der Regierung stehen. Dieser Einfluss kann in der Praxis verschiedene Formen annehmen, wie: die Regierung gibt einen zentralen Kreditgewährungsplan aus und subventioniert willkürlich, sie verschuldet sich über die ZBK, sie ordnet die Übernahme verlustreicher Banken an, usw. Dies führt meist zu inflatorischen Tendenzen und dem Verlust an Autorität, welche die ZBK aber zur Erfüllung ihrer Aufgaben, wie der Sicherstellung von Preisniveaustabilität, unbedingt benötigt.

Die Unabhängigkeit einer Zentralbank läßt sich nur schwer operationalisieren. Dennoch erscheinen folgende Merkmale besonders geeignet, den Unabhängigkeitsgrad der SBV zu untersuchen (siehe Tabelle 1.1, Aufsatz pdf Format).

Die Kriterien, deren inhaltliche Ausgestaltung die Operationalisierung darstellt, sind für die SBV wie folgt erfüllt (siehe dritte Spalte von Tabelle 1.1, Aufsatz pdf Format).

Funktionelle Unabhängigkeit:

Funktionelle Unabhängigkeit kann unter anderem durch das Fehlen von Weisungsbefugnissen politischer Verantwortungsträger gegenüber der ZBK bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben definiert werden.

Die SBV arbeitet immer noch unter der Führung der Kommunistischen Partei Vietnams, welche die SBV als ein Instrument zur Umsetzung ihrer Politik begreift. In Artikel 1 des Gesetzes über die vietnamesische Zentralbank (LSBV) heißt es: „Die vietnamesische Staatsbank ist ein Gremium der Regierung und die Zentralbank der sozialistischen Republik Vietnams.“ Der Namen Staatsbank macht besonders deutlich, dass die SBV in funktioneller Abhängigkeit des durch die KPV vertretenen Staates steht. Dies wird vor allem darin offenbar, dass die KPV Druck auf die SBV ausübt, die Kredite der SOCB’s an die Staatsunternehmen (SOEs) zu refinanzieren. Das LSBV führt weiter aus: “Die Organisationsstruktur, Pflichten und Machtbefugnisse des Exekutiv-Gremiums der SBV werden von der Regierung vorgeschrieben (Art. 10,2.; LSBV). Weiter heißt es im LSBV: „Die nationale Geldpolitik ist ein Teil der Wirtschafts- und Finanzpolitik des Staates“(Art. 2; LSBV). „Die SBV hat mit dem Finanzministerium zusammenzuarbeiten bei der Formulierung der nationalen Fiskal- und Geldpolitik“ (Art. 6,2.; LSBV). „(...) das Finanzministerium und das Innenministerium leiten den Prozess des Gelddrucks, der Geldausgabe und der Geldvernichtung“ ( Art.28,2.; LSBV). Diese und eine Reihe weiterer Belege im LSBV unterstreichen, dass die SBV keine funktionelle Unabhängigkeit besitzt.

Personelle Unabhängigkeit:

Über die Unabhängigkeit in personeller Hinsicht einer ZBK lassen sich Aussagen treffen, wenn der Auswahlprozess der Notenbanker und deren Amtszeiten betrachtet werden. Je weniger politische Kriterien, wie z.B. Parteizugehörigkeit, eine entscheidende Rolle spielen (sondern fachliche Kriterien ausschlaggebend sind) und je länger die Amtszeiten der Notenbanker sind (damit sind sie nicht dem Einfluß des politischen Wahlzyklus unterworfen sind), desto unabhängiger ist eine ZBK tendenziell in dieser Hinsicht. Der Grad an personeller Unabhängigkeit kann zusätzlich durch die Einmaligkeit der Amtszeit erhöht werden, da damit Anreize zu opportunistischem Verhalten minimiert werden.

Zu diesem Punkt führt das LSBV nur aus: “Der Präsident der SBV ist ein Mitglied der Regierung und ist verantwortlich für die Leitung und das Management der SBV“ (Art.11,1.;LSBV). Damit ist klar, dass allein fachliche Kriterien bei der Ernennung des Zentralbankpräsidenten nicht zählen.

Finanzielle Unabhängigkeit:

Ein Kennzeichen für finanzielle Unabhängigkeit ist ein eigenes Budget der ZBK. Im Bezug auf die SBV heißt es dazu im LSBV: „Das autorisierte Grundkapital der SBV wird aus dem Staatshaushalt zugeteilt. Über die Höhe des autorisierten Kapitals der SBV entscheidet der Finanzminister“ (Art. 43; LSBV). Dieser Gesetzesartikel macht die finanzielle Abhängigkeit der SBV deutlich.

Instrumentelle Unabhängigkeit:

Instrumentelle Unabhängigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass die ZBK Instrumente zur Erfüllung und Durchsetzung ausschließlich ihrer Aufgaben unabhängig und selbstständig implementieren und einsetzen kann, auch wenn dies den Politiken der Regierung zuwiderläuft. Die SBV ist ein Gremium in der Hierarchie der Regierung (Art.1; LSBV). Insofern kollidieren die Politiken der SBV und der Regierung nicht, da sie identisch sind. Somit muss die instrumentelle Unabhängigkeit ebenfalls verneint werden.

Nach Überprüfung der Kriterien im Fall der SBV ist sehr deutlich geworden, dass eine weitgehende Unabhängigkeit für die SBV nicht gegeben ist. Umso bemerkenswerter ist vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass die vietnamesische Regierung es geschafft hat, die Inflationsrate deutlich zu senken. Dieser Sachverhalt dürfte dem eingangs dieses Abschnitts erwähnten Streit zwischen „Orthodoxer“- und „Historischer-Argumentation“ neue Nahrung geben.

IV.Organisation der Bankenaufsicht

IV.1. Volkswirtschaftliche Funktionen der Bankenaufsicht

„Eine gut funktionierende Bankenaufsicht gehört zu den Eckpfeilern der Infrastruktur eines jeden Finanzsystems. Nur ein stabiles Finanzsystem, als ein Hauptziel der staatlichen Regulierung und Aufsicht, kann seine gesamtwirtschaftliche Funktion der effizienten sowie kostengünstigen Transformation und Bereitstellung finanzieller Mittel optimal erfüllen. Das Aufsichtsrecht gibt Regeln vor, die bei der Gründung von Banken und beim Betreiben von Bankgeschäften zu beachten sind.“ Es ist zwischen präventiver und protektiver Regulierung zu unterscheiden:

Die präventive Regulierung zielt darauf ab, das Enstehen von Bankenkrisen zu antizipieren und zu verhindern. Dies findet in der Praxis unter anderem in der Unterlegung von Bankgeschäften mit Eigenkapital einen Niederschlag, die je nach Risiko bestimmte Anforderungen erfüllen müssen.

Die protektive Regulierung zielt hingegen darauf ab, die Auswirkungen von Bankenkrisen möglichst zu begrenzen, wenn sie bereits entstanden sind. In der Praxis kann dies beispielsweise in der Implementierung von diversifizierten Einlagensicherungssystemen Ausdruck finden.

Beide Arten der Regulierung zusammen beabsichtigen ’bank runs’ (panikartige Abzüge der Einlagen durch Bankkunden) zu verhindern, die aufgrund der engen Verflechtungen innerhalb des Finanzsektors „ansteckend“ wirken und somit zu einer Krise des gesamten Finanzsektors führen können. Ohne weiter in die Tiefe gehen zu wollen, wird bereits durch die zuvor gemachten Ausführungen deutlich, dass die Bankenaufsicht eine sehr komplexe und vielschichtige Aufgabe ist. Dieser Abschnitt betont jedoch in erster Linie auf die Organisationsstruktur der vietnamesischen Bankenaufsicht.

IV.2. Struktur der vietnamesischen Bankenaufsicht

Eine Bankenaufsicht existierte in Vietnam seit Gründung der SBV 1951 immer in irgendeiner Form. Nach Auflösung des Monobankensystems 1989 zugunsten eines aus SBV und Geschäftsbanken bestehenden Systems im Zuge des vietnamesischen Transformationsprozesses von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft sozialistischer Orientierung (doi moi), war ein Umdenken im Hinblick auf eine Neuausrichtung der bankenaufsichtlichen Ziele, Strukturen und den Erlass vernünftiger Gesetze erforderlich. Insbesondere sollte die Finanzsystemstabilität stärker in den Fokus der Aufsicht rücken. Fragen dieser Art werden für Vietnam in dem Maße wichtiger, wie die ökonomische Entwicklung voranschreitet und speziell das Bankgeschäft sich stärker diversifiziert und die Risiken steigen. Eine funktionelle Bankenaufsicht leistet somit hauptsächlich einen Beitrag zur präventiven Bankenregulierung. Die Bankenaufsicht im vietnamesischen Finanzsektor ist wie folgt organisiert: Auf oberster Verantwortlichkeitsebene, der SBV-Zentrale, ist eine Zergliederung der Zuständigkeitsbefugnisse auf mehrere Abteilungen zu beobachten. So ist das „Financial Institutions Department“ zuständig für die Genehmigung und Formulierung von Gesetzen im Bezug auf bankgeschäftliche Tätigkeiten, die „Abteilung Devisen“ ist zuständig für die Lizensierung der Devisengeschäfte und das „Bank Supervision Department“ ist für die Bankenaufsicht im engeren Sinne verantwortlich, insbesondere die Vor-Ort Prüfungen. Das „Bank Supervision Department“ besteht seinerseits aus fünf Divisionen. Diese sind jeweils zuständig für verschiedene Arten Monetären Finanzinstitutionen (MFIs). Daneben existieren in dieser Abteilung noch eine administrative Unterabteilung und eine Unterabteilung für die Fernaufsicht. Diese verschiedenen Abteilungen (departments) unterstehen verschiedenen Vizepräsidenten der SBV. Zurückgehend auf ihre einstigen Status als Mono-Staatsbank unterhält die SBV bis heute 61 Filialen im gesamten Land. Die Filialen werden je von einem Direktor geleitet und vereinigen ebenfalls einige Unterabteilungen in sich. So gibt es in den Filialen auch Zuständigkeiten für die Bankenaufsicht. Diese Zergliederung der Bankenaufsicht in der zuvor skizzierten Form bringt eine Reihe von Problemen mit sich:

  • Der nötige und laufende Informationsaustausch zwischen den zuständigen Verantwortungsträgern funktioniert nur sehr langsam. Auch gehen auf diesem Weg an der einen Stelle Informationen verloren, während sie dann an anderer Stelle doppelt erhoben werden. Mitverantwortlich dafür ist die große hierarchische Struktur innerhalb der SBV.
  • Die uneindeutige Zuständigkeit der Verantwortungsträger erschwert es den MFIs, ihrer Offenlegungspflicht nachzukommen.
  • Keine zuständige Abteilung hat einen Gesamtüberblick über die Aufsicht.

Die Regionalstruktur der SBV mit Filialen in allen Provinzen Vietnams, die mehr oder weniger unabhängig von der SBV-Zentrale operieren, bringt zusätzlich noch die folgenden Probleme mit sich:

  • Die Verlagerung von Zuständigkeiten und Machtbefugnissen an die Filialen verhindert eine effektive und effiziente Beaufsichtigung des gesamten Bankensektors.
  • Landesweit operierende MFIs haben es schwer, in Vietnam eine einheitliche Geschäftsstrategie zu verfolgen.
  • Die Provinzregierungen haben bedeutenden Einfluß auf die Arbeit der SBV-Filialen, weshalb diese landesweit nicht zwangsläufig mit gleicher Schwerpunktsetzung agieren.

Um die Effektivität und Effizienz der Bankenaufsicht zu erhöhen, gibt die World Bank in ihrem Banking Sector Review vom Juni 2002 die Empfehlung, die bisherige Struktur aufzubrechen und die Zahl der SBV-Filialen deutlich zu reduzieren und die Offenlegungspflichten für die MFIs eindeutiger zu regeln. Außerdem sollen die SBV-Filialen ausschließlich der SBV-Zentrale untergeordnet und der Einflussnahme der Provinzregierungen entzogen werden, so dass die Möglichkeit einer landesweit einheitlichen Aufsicht möglich wird.

V.Ausblick

Aus den in diesem Papier herausgegriffenen zentralen Punkten ist deutlich geworden, dass Vietnam hier noch nicht allzuweit auf dem Reformweg vorangeschritten ist. Dennoch sind die aufgezeigten Reformansätze und Veränderungen nicht ubedeutend. Wie beschrieben kann eine Finansektorreform nur dann erfolgreich sein, wenn sie umfassend und nicht schockartig vollzogen wird. Dieser Reformprozess ist eher in einem zeitlichen Rahmen von Jahrzehnten als Jahren zu sehen. Daher erscheint es wichtig die 1988 begonnene Auflösung des Monobankensystems im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit begleitend zu unterstützen. Dabei nimmt das 1994 von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) etablierte Banking Reform Project einen sehr wichtigen Platz ein. Dieses Projekt läuft noch bis Juni 2006 und verfolgt einen solchen umfassenden Ansatz mit drei Schwerpunkten. So wird gleichzeitig die Reform der SBV, der Geschäftsbanken und der Aufbau eines Kapitalmarktes unterstützt und gefördert. Da in diesem Papier nur einige Reformpunkte herausgegegriffen wurden, erscheint es unangebracht einen Gesamtausblick zu formulieren. In den hier angesprochenen Punkten Finanzsektor und Bankenaufsicht sind weitere Reformen unbedingt notwendig.

Der gesamte Aufsatz ist in pdf Format verfügbar

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