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Die außenpolitische Dimension der EU-Migrationspolitik

Die aktuelle Debatte zur Flüchtlingskrise in Europa wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die drängenden Fragen in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik. Sie rückt auch die außenpolitische Dimension von Migrationspolitik in den Mittelpunkt. Weltweite Migration, sei sie ausgelöst durch Kriege und Konflikte oder verursacht durch Globalisierung, soziale Transformation und Klimawandel, ist ein Thema, dem sich die Europäische Union seit vielen Jahren außenpolitisch widmet.

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Die Fakten verdeutlichen die Wichtigkeit dieses Politikfeldes: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen lebten im Jahre 2013 232 Millionen Menschen außerhalb ihres Geburtslandes, 1990 waren es noch 154 Millionen. Davon hielten sich 136 Millionen in Europa, Nordamerika, Australien, Neuseeland und Japan auf. In Deutschland waren es 9,8 Millionen. Ungefähr 50 Millionen Menschen weltweit arbeiten und leben illegal im Ausland. Die EU-Kommission ging 2014 von mehr als 276.100 Migranten aus, die die EU auf illegalem Wege erreichten, was eine Steigerungsquote von fast 150 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellte.

Globalansatz für Migration und Mobilität

Schon seit 2005 gilt der „Globale Ansatz für Migration und Mobilität“ für die weltweite EU-Migrationspolitik. Dieser Ansatz wurde 2011 überarbeitet. Der Revisionsprozess war eine Folge der politischen Umwälzungen in den arabischen Ländern. Vor allem der Krieg in Syrien, der Staatszerfall in Libyen und der internationale Terrorismus führten den Europäern vor Augen, dass eine systematische Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten in Migrationsfragen unerlässlich ist, um die Migration nach Europa aktiv zu gestalten. Die Mehrheit der illegalen Grenzübertritte wurde nach Angaben der EU-Kommission über die zentrale und östliche Mittelmeerroute verzeichnet. 2014 erreichten über 220.000 Migranten die EU auf diesem Wege. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge gelangten so bis zum 25. September 2015 bereits 505.000 Menschen nach Europa.

Allerdings wurde der Globalansatz nicht allein wegen der verschärften sicherheitspolitischen Bedingungen überarbeitet. Es ging auch darum, das Potential von Migranten für die Wirtschaft zu nutzen. Angesichts der Überalterung der europäischen Gesellschaft ist für viele EU-Mitgliedsstaaten die Erschließung neuer Arbeitskräftepotenziale eine vitale Frage. Schon in der Lissaboner Strategie und im Strategiedokument „Europa 2020“ wird empfohlen eine wirtschaftliche Migrationspolitik zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse der Arbeitsmärkte flexibel reagiert. Instrumente wie EU Blue Card können dazu beitragen. Die Blue Card richtet sich an hochqualifizierte Bewerber aus dem Ausland und ermöglicht es ihnen, für einen bestimmten Zeitraum in der EU zu arbeiten. Bislang konnte sich die Blue Card jedoch nicht durchsetzen. Ein Grund hierfür ist die unterschiedliche Auslegung der Richtlinie in den EU-Mitgliedsstaaten, die den europäischen Arbeitsmarkt wenig attraktiv erscheinen lässt. Darüber hinaus verfügen zahlreiche EU-Länder schon über eigene Verfahren und nehmen die EU Blue Card deshalb weniger in Anspruch. Lediglich in Deutschland ist das anders. Hier übersteigt die Anzahl der ausgestellten Blue Cards die der nationalen Genehmigungen. 2012 waren es 2584. Die nationale Variante wurde hingegen nur 210 Mal genehmigt. 2013 sprang die Zahl der Blue Card-Besitzer in Deutschland auf knapp 14.200. Für eine kohärentere europaweite Implementierung überarbeitet die EU zwar derzeit die entsprechende Richtlinie. Allerdings kann sie den bestehenden Rahmen höchstens verfeinern. Die Entscheidung, wer letztlich Zugang zu den nationalen Arbeitsmärkten erhält, obliegt weiterhin den Mitgliedsstaaten.

EU-Migrationspolitik als außenpolitisches Instrument

Darüber hinaus verfolgt der EU-Gesamtansatz für Migration und Mobilität das Ziel, Migrationspolitik als Hebel für Reformen in den Herkunftsländern zu nutzen und die demokratische Transformation in der EU-Nachbarschaft und in Drittstaaten durch einen verbesserten zivilgesellschaftlichen Dialog zu unterstützen. Die dafür entwickelten „Mobilitätspartnerschaften“ eröffnen Touristen, Studenten, Wissenschaftlern oder Wirtschaftsvertretern einen (vorübergehenden) Zugang zur EU. Doch die Partnerschaften sind nicht als Einbahnstraße gedacht. Migranten sollen die in der EU erworbenen Kenntnisse auch in ihrer Heimat einsetzen können, um einen „brain drain“ zu verhindern. Die externe EU-Migrationspolitik ist daher eng mit den Zielen der Europäischen Nachbarschaftspolitik verknüpft. Schließlich geht es im EU-Globalansatz für Migration und Mobilität um den Schutz von Migranten. Vor allem Frauen und Kinder unter Asylsuchenden, Flüchtlingen und Arbeitsmigranten sind gefährdet, Opfer von Misshandlung und Ausbeutung zu werden. Die EU hat den Menschenrechten deshalb einen besonderen Platz eingeräumt und sie als „Querschnittsthema“ in alle Politikbereiche integriert.

Der globale Ansatz in der Migrationspolitik veranschaulicht die Vernetzung der europäischen Asyl- und Einwanderungspolitiken mit den außenpolitischen EU-Schwerpunkten. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass kein EU-Mitgliedsland in der Lage ist migrationspolitische Fragen allein zu bearbeiten. In der Tat verdeutlicht die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa, dass eine Lösung nur in einem gesamteuropäischen Rahmen erreicht werden kann. Doch nicht immer sind es die divergierenden Interessen der Mitgliedsstaaten, die eine breite Wirkung migrationspolitischer Initiativen verhindern, sondern Entwicklungen in den Nachbar- und Drittländern. Im Bericht vom Februar 2014 zum Stand der Implementierung des Globalansatzes weist die Kommission darauf hin, dass im Rahmen der „Mobilitätspartnerschaften“ und der Vereinbarungen zur „Gemeinsamen Agenda für Migration und Mobilität“ zwar durchaus Fortschritte erzielt wurden. So gelang es der EU Partnerschaften u.a. mit Moldawien, Georgien, Armenien, Marokko und Aserbaidschan zu unterzeichnen. Mit Staaten wie etwa Ägypten gehen die Gespräche allerdings nur schleppend voran. Schuld daran ist nicht nur fehlender politischer Wille auf Seiten der Partnerländer. Transitländer sind wegen des Ansturms von Menschen mit den Herausforderungen auch überfordert. So ist Marokko für Flüchtlinge aus Sub-Sahara-Afrika eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Europa, grenzt das Land doch an die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta. Flüchtlinge, die es dorthin nicht auf Anhieb schaffen, verharren in den Grenzgebieten oft unter prekären Bedingungen und ohne Perspektive. Weiterhin können Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Schleuserkriminalität im Mittelmeerraum nur Wirkung zeigen, wenn sich die Sicherheitslage in Libyen verbessert. Doch hier erscheint der Ausblick derzeit wenig optimistisch.

Insgesamt existiert eine Vielzahl an Dialogformaten, um migrationspolitische Fragen mit den Nachbar- und Drittstaaten zu diskutieren. Neben dem „Prager Prozess“, der den Rahmen für den Dialog zwischen der EU, den Mitgliedsstaaten und weiteren Ländern (Russland, Westlicher Balkan, Türkei, Länder der östlichen Partnerschaft und Zentralasien) stellt, gibt es das „Forum der östlichen Partnerschaft zu Migration und Asyl“ (Hierzu gehören Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, Ukraine, Belarus), den „Budapester Prozess/Seidenstraße für Migrationspartnerschaft“, die „Afrika-EU Partnerschaft zu Migration, Mobilität und Beschäftigung“, den „Rabat-Prozess“ für die Länder entlang der Westafrikanischen Migrationsroute, den „EU-CELAC Dialog zu Migration“ mit Lateinamerika und der Karibik sowie der Dialog im Rahmen des „Cotonou-Abkommens“ mit der AKP-Gruppe. Darüber hinaus hat die EU vor, durch sogenannte Regional Protection Programmes (RPPs) die Kapazität der nationalen Asylsysteme in den Drittstaaten vor allem in Afrika zu stärken sowie mit ihnen im Rahmen des Visadialogs Rückführungsabkommen zu schließen. Ob die Formate und Initiativen in naher Zukunft greifbare Ergebnisse bringen werden, wird sich zeigen. Vieles hängt davon ab, inwiefern die Partnerländer in der Zusammenarbeit mit der EU einen strategischen Mehrwert sehen und die vereinbarten Beschlüsse implementieren – was angesichts der heterogenen Interessen dieser Länder keine leichte Aufgabe sein wird.

Migration und Entwicklung – Ursachenbekämpfung als Lösung

Doch es geht nicht nur um Zusammenarbeit. Angesichts anhaltender Flüchtlingsströme aus Syrien, aber auch aus anderen konfliktbetroffenen und armen Ländern Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens gilt es, den Blick verstärkt auf die Ursachen von Migration zu richten. Für nachhaltige Lösungen müssen die Bedingungen in den Ursprungsländern verbessert werden, um den Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive zu bieten. Obwohl der Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung seit den 1990er Jahren auf globalen Foren thematisiert wurde, spielte dieser bei den Millenniumszielen noch keine Rolle. Erst 2006 wurde der erste „High-Level Dialogue on International Migration and Development“ von der UN-Generalversammlung organisiert. Die Ergebnisse der Diskussion und des Treffens von 2013 flossen in die kürzlich verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele ein, die bis 2030 gelten sollen. In der dazugehörigen Erklärung nehmen die Vereinten Nationen einen positiven Standpunkt zur globalen Migration ein und unterstreichen ihren wertvollen Beitrag für nachhaltige Entwicklung und Wachstum. Auf Probleme wie die illegale Einwanderung und ähnliche Fragen geht die Organisation in diesem Dokument zwar nicht ein, räumt aber ein, dass es sich bei Migration um eine „multidimensionale Realität“ handele, die für die Entwicklung der Ursprungs-, Transit-, und Zielländer Konsequenzen habe. Die Vereinten Nationen fordern ebenso wie die EU einen weltweiten kohärenten Ansatz in der Migrationspolitik.

Obwohl die EU die Sichtweise der UN prinzipiell teilt, ist in Brüssel in jüngster Zeit eine Akzentverschiebung zu beobachten: Während in der EU-Kommunikation zur „Maximierung des Einflusses von Entwicklung auf Migration“ (2013) vor allem von der Integrierung entwicklungspolitischer Ansätze in die EU-Asyl-, Einwanderungs-, und Visapolitik gesprochen wird, steht im aktuellen Strategiepapier zur „Europäischen Migrationsagenda“ (2015) die Lösung der Probleme in der Flüchtlingskrise im Vordergrund. Um den Migrationsdruck auf den EU-Raum zu senken, plant die EU-Kommission u.a. bis zum Ende des Jahres ein Registrierungszentrum im Niger aufzubauen. Zudem soll Migrationspolitik mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) stärker vernetzt werden und als Teilkomponente von EU-Missionen gelten, die in instabilen Entwicklungsregionen zur Konfliktprävention oder Stabilisierung von Post-Konflikt-Situationen beitragen.

Auch der kommende EU-Afrika-Gipfel im November in Malta soll sich vor diesem Hintergrund mit dem Thema Migration auseinander setzen. Schon beim letzten EU-Afrika Gipfel in Brüssel 2014 vereinbarten europäische und afrikanische Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Erklärung zu Migration und Mobilität. Der gemeinsame Aktionsplan für 2014-2017 konzentriert sich dabei nicht nur auf die sicherheitspolitische Zusammenarbeit sondern auch auf die Verknüpfung mit entwicklungspolitischen Ansätzen. Hierzu gehört die Anerkennung des positiven Beitrags der Diaspora bei der finanziellen Stabilisierung vieler Entwicklungsländer. Nach Angaben der Weltbank flossen 2014 Auslandsüberweisungen in Höhe von ca. 436 Milliarden US-Dollar in die Heimatländer der Arbeitsmigranten. Auch die Nachhaltigkeitsziele nehmen diesen Beitrag der Diaspora positiv zur Kenntnis und verfolgen das Ziel, bis 2030 die Transaktionskosten für Auslandsüberweisungen erheblich zu reduzieren. Parallel dazu werden die Regierungen in den Entwicklungsländern dazu aufgefordert, die rechtlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen zu verbessern, um höhere Anreize für Beschäftigung auf den eigenen Arbeitsmärkten zu schaffen.

Migration und Klimawandel

Gleichzeitig gewinnt der Klimawandel in der Ursachenanalyse von weltweiten Migrationsbewegungen an Bedeutung. Hohe Erwartungen richten sich an die 21. Konferenz der Vertragsstaaten (COP21) der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), die im Dezember 2015 in Paris stattfinden wird. Im Mittelpunkt des Abkommens steht die verbindliche Reduktion von CO2-Emissionen (Mitigation). Doch Mitigation allein reicht nicht aus. Viele Entwicklungsländer sind von den negativen Folgen des Klimawandels bereits stark betroffen. In einigen Inselstaaten und in den am geringsten entwickelten Staaten (LDCs) in Sub-Sahara Afrika sind die Menschen wegen des steigenden Meereswasserspiegels oder der Verödung von landwirtschaftlichen Anbauflächen gezwungen, ihre Heimatorte zu verlassen. Adaption ist somit notwendig, damit sie nicht auswandern müssen. Die globalen Kosten dafür werden bis 2030 werden auf bis 150 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt, die bis 2050 auf 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr anwachsen könnten, falls die Emissionen mit den heutigen Steigerungsraten weiter zunehmen.

Obwohl klimabedingte Migration kein neues Phänomen ist, wird auch in der neuen Nachhaltigkeitsagenda der Klimawandel als „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“ angesehen, der die Anstrengungen der Staaten für eine weltweite nachhaltige Entwicklung unterminiert. Viele Entwicklungsländer sind angesichts ihrer Abhängigkeit von der Agrarwirtschaft, der vielerorts immer noch schlechten Infrastruktur, Armut und schwachen staatlichen Institutionen besonders von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen. Klimabedingte Migration kann in Abwanderung in die Nachbarländer münden, die auf solche „Klimaflüchtlinge“ nicht vorbereitet sind und in konfliktbetroffenen Ländern neue Instabilität und gesellschaftliche Spannungen erzeugen. Das Europäische Netzwerk der politischen Stiftungen (ENoP) fordert deshalb einen neuen Ansatz in der Migrationspolitik. ENoP empfiehlt unter anderem den Dialog über die Folgen des Klimawandels im Rahmen der Afrika-EU-Partnerschaft zu intensivieren sowie den UN-Klimafonds finanziell ausreichend auszustatten. Um die betroffenen Entwicklungsländer bei der Adaption zu unterstützen, sollen dezentrale Konzepte im Vordergrund stehen, die der lokalen Zivilgesellschaft Mitsprache bei der Messung der Fortschritte einräumen.

Fazit

Angesichts wachsender Flüchtlingszahlen und der vielen grausamen Todesfälle, die von skrupellosen Schleusern billigend in Kauf genommen werden, war die Verknüpfung der Migrationspolitik mit den außen- und sicherheitspolitischen EU-Strategien notwendig. Die von der EU aktuell entwickelten Pfeiler für ein besseres Management von Migration spiegeln die sicherheitspolitische Dimension wider und bilden zur entwicklungspolitischen Bewertung von Migration der UN eine wichtige Ergänzung. Ob es mit dem erweiterten Ansatz der EU gelingt, die Migrationsströme nach Europa zu steuern oder sogar zu drosseln, wie es die EU-Mitgliedsstaaten erwarten, bleibt vorerst abzuwarten. Gerade was die Reduktion von Migration durch Entwicklungspolitik angeht, bleiben viele Experten skeptisch. Aus ihrer Sicht ist dies wenig Erfolg versprechend. Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein, da die Wirkungen der Entwicklungszusammenarbeit ambivalent sein können und unter bestimmten Umständen Migration sogar verstärken. Um bessere Rückschlüsse auf die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Migration sowie Entwicklung und Klimawandel zu ziehen, gilt es die Fortschritte bei der Implementierung der Nachhaltigkeitsziele zu beobachten. Darüber hinaus muss die EU mit ihrem Konzept der Politikkohärenz für Entwicklung weiter ernst machen. Die Politikkohärenz wurde von Entwicklungskommissar Neven Mimica erneut zur Priorität erklärt. Hierbei handelt es sich um das Bestreben, Ziele in Bereichen wie Handel, Finanzen, Landwirtschaft, Klimaschutz etc. mit den EU-Entwicklungszielen in Einklang zu bringen und so die Grundlagen für eine Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zu schaffen, die bald nicht mehr von Entwicklungszusammenarbeit abhängig ist.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland