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Die Neue Seidenstraße reicht nun auch offiziell bis Lateinamerika

CHINA UND LATEINAMERIKA HABEN BEIM 2. CHINA-CELAC-MINISTERFORUM IN CHILE NEUE PRIORITÄTEN GESETZT

Das zweite Ministertreffen des China-CELAC-Forums (CCF), das am 21. und 22. Januar 2018 in Santiago de Chile stattfand, konzentrierte sich auf das Thema Nachhaltigkeit, erneuerte das Versprechen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken, und strebt eine Erweiterung der Beteiligung über die politischen Eliten hinaus an. Kritiker sagen jedoch, dass die CELAC, die erst ihre zweite hochrangige Veranstaltung mit China veranstaltet, nicht über die nötige Kohärenz und institutionelle Stärke verfügt, um ihre Versprechen halten zu können.

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von Robert Soutar*

Die Welt hat sich in den letzten drei Jahren dramatisch verändert. Als im Januar 2015 das erste dreijährliche Treffen zwischen China und dem 33-Nationen-Block der westlichen Hemisphäre in Peking stattfand, gab es noch kein Pariser Abkommen über den Klimawandel, keine Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, und eine Renaissance wirtschaftlichen Protektionismus‘ war unvorstellbar. Die scheidende chilenische Präsidentin Michelle Bachelet sagte bei dem zweiten China-CELAC-Außenministertreffen in der Hauptstadt Santiago, dass diese neuen Entwicklungen der Welt eine klare und eindeutige Richtung geben. Es sei Aufgabe der Delegierten, erinnerte sie, ihre Versprechen zu halten und niemanden zurückzulassen.

Chiles Außenminister Heraldo Muñoz sagte, das Forum habe in den vergangenen drei Jahren Fortschritte gemacht und trotz eines sich wandelnden globalen Umfelds seine Prinzipien bewahrt: „Wir sind Befürworter des Multilateralismus und der gemeinsamen Lösungen für Probleme wie dem Klimawandel oder Naturkatastrophen.“ Eine engere Zusammenarbeit zwischen China und Lateinamerika im Bereich Klima und Umwelt wird begrüßt. Dennoch bleiben Fragen offen: Hat CELAC – mit seiner vergleichsweise geringen Institutionalisierung – die Mittel, um diese Versprechen zu halten? Wer versichert – mit begrenztem Raum für nichtstaatliche Akteure innerhalb des CCF – dass diese warmen Worte in neuen, unsicheren Zeiten auch in Aktion umgesetzt werden?

Mit dem Rückzug der USA aus den VN-Klimaverhandlungen und dem Aufkündigen von Freihandelsabkommen wie der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) hat China die Gelegenheit ergriffen, eine wichtigere globale Rolle zu spielen. Die Erweiterung der Infrastrukturinitiative One Belt, One Road (OBOR) ist ein Beispiel mit großer Bedeutung für Lateinamerika. Dieses Projekt nahm in Santiago eine zentrale Rolle ein, als die Außenminister Schlüsselbereiche für die „gemeinsame Entwicklung und den gemeinsamen Nutzen“ festlegten.

Drei Abschlussdokumente stehen am Ende des Forums in Santiago: eine allgemeinere Erklärung von Santiago, die eben jene Schlüsselbereiche ausführt, ein detailliertierer Kooperationsplan 2019–2021, der dem bestehenden Plan für 2015–2019 nachfolgt sowie eine spezielle Vereinbarung zu OBOR, mit der die chinesische Seidenstraßen-Initiative, nachdem sie Asien, Afrika und Europa miteinander verknüpft hat, nun auch formell auf Lateinamerika ausgeweitet wird.

Neue Richtung, gleiche Hindernisse

Wie schon in den entsprechenden Dokumenten, die 2015 in Peking entstanden, legt die Erklärung von Santiago den Schwerpunkt auf Handel, Investitionen und Finanzen, Infrastruktur und Transport, Politik und Sicherheit, Landwirtschaft, Industrie, Kulturaustausch sowie Wissenschaft und Technologie. Umwelt – ein Thema, das die Beziehungen in der Vergangenheit manches Mal belastet hat – ist eine neue Ergänzung.

Das erste China-CELAC-Ministerforum 2015 sorgte weltweit für Schlagzeilen, als der chinesische Präsident Xi Jinping zusicherte, 250 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika zu investieren und das Handelsvolumen mit der Region im nächsten Jahrzehnt auf 500 Milliarden US-Dollar zu steigern. Auch drei Jahre später noch spekulierten Beobachter in Santiago darüber, wie die Partner solch großen Verpflichtungen nachkommen würden. Der chinesische Außenminister Wang Yi übermittelte der CELAC im Namen seines Präsidenten Xi die Botschaft, dass sie (die CELAC) für die Volksrepublik zum wichtigsten Kanal für die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und zum Erreichen „großer Ergebnisse“ geworden sei.

Neben der hochrangigen Veranstaltung auf Ministerebene gibt es bereits einige sektorspezifische Unterforen, darunter für Infrastruktur, für Wissenschaft und Technologie sowie für kulturellen Austausch. Nun werden neue Arbeitsgruppen folgen: „Wir haben begonnen, Räume für Reflexionen zu Themen wie Umwelt zwischen China und CELAC zu schaffen“, sagte Fernando Reyes Matta, Direktor des lateinamerikanischen Zentrums für China-Studien (CELC) und ehemaliger chilenischer Botschafter in China. Reyes Matta wies darauf hin, dass die Erklärung von Santiago auch einen Absatz darüber enthalte, wie auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hingearbeitet werden könne. „In diesem Sinne gibt es Fortschritte“, sagte er. Die Erklärung führt im Kapitel 2.12 zur Zusammenarbeit unter dem Dach der Vereinten Nationen aus (übersetzt aus dem Spanischen):

„…wir bekräftigen, dass die Aktionsagenda von Addis Abeba zur Entwicklungsfinanzierung ein wesentlicher Bestandteil der Agenda 2030 ist. Aus diesem Grund unterstreichen wir, dass internationale Zusammenarbeit eine grundlegende Rolle spielen sollte, mit dem Ziel, staatliche Politik zu stärken und Erfahrungen sowie bewährte Praktiken auszutauschen.“

Der CELAC selbst, die sich 2011 konstituierte, fehlen jedoch eindeutig die institutionellen Kapazitäten anderer etablierter multilateraler Foren, an denen China und lateinamerikanische Staaten teilnehmen, wie bspw. dem Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforum (APEC). CELAC hat noch immer keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. „CELAC ist das praktischste Forum für China“, sagte hingegen Carlos Portales, ehemaliger Direktor für Außenpolitik im chilenischen Außenministerium, und erklärte, dass es die repräsentativste regionale Organisation Lateinamerikas in Bezug auf die Zahl der Mitgliedsländer sei und es der Volksrepublik daher erlaube, zu allen gleichzeitig zu sprechen.

Dennoch war die Beteiligung in Santiago im Vergleich zum ersten Forum in Peking enttäuschend, die beiden größten Volkswirtschaften Südamerikas, Brasilien und Argentinien, gehörten zweifelsohne zu den augenscheinlichsten Abwesenden. Diese und andere Länder hatten sich entschieden, keine eigenen öffentlichen Stellungnahmen zu China-CELAC abzugeben. Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, die möglichen vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Venezuela im Rahmen der Lima-Gruppe zu verurteilen, einem 17-Länder-Block, der letztes Jahr gegründet wurde, um eine friedliche Lösung der Krise im wirtschaftlich ruinierten Venezuela zu erreichen.

Solche politischen Differenzen sowie die sehr unterschiedlichen Wirtschaftsmodelle innerhalb der CELAC erschweren die Aussichten auf eine einheitliche Position gegenüber China. „50 Prozent des BIP der Region werden von geschützten Volkswirtschaften wie Ecuador, Bolivien und Venezuela erwirtschaftet und die anderen 50 Prozent von Ländern wie Chile und Peru, welche offene Marktwirtschaften sind“, so Adrian Bonilla, Ecuadors Staatssekretär für höhere Bildung. Er schlägt den lateinamerikanischen Ländern vor, sich zunächst auf die Verbesserung ihrer Beziehungen untereinander zu konzentrieren.

Auf die Frage, welche Fortschritte bei der Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure in CCF gemacht worden seien, wies Alicia Bárcena, Generalsekretärin der Wirtschaftskommission der VN für Lateinamerika (CEPAL), die das Forum unterstützt, auf die akademischen und anderen Unterforen hin, die innerhalb dieses Rahmens betrieben werden. „Nach und nach können wir zu solchen Foren (für zivilgesellschaftliche Akteure) kommen“, sagte sie und erklärte: „Im Aktionsplan 2019–2021 geht es um Open Government und darum, der Gesellschaft Zugang zu Information zu ermöglichen und diese mit einzubeziehen, also denke ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Der Ausschlag für eine stärkere Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure wird vermutlich nicht von China kommen. In einem Dokument des chinesischen Außenministeriums aus dem Jahr 2016, das die chinesische Strategie für Lateinamerika skizzierte, wird nur an einer Stelle ein „gesellschaftlicher“ Austausch erwähnt. Die Erklärung von Santiago bekennt sich im Kapitel 5.2 zur Förderung von Begegnungen zwischen jungen Menschen, Unternehmen, Zivilgesellschaft und Denkzentren – allerdings nur im Kontext sino-karibischer Beziehungen. In China selbst war die Amtszeit von Xi Jinping durch ein hartes Durchgreifen gegen die Zi-vilgesellschaft und die Rückkehr zur Dominanz der kommunistischen Partei in allen Bereichen der Öffentlichkeit gekennzeichnet. Und Chinas große Unternehmen sind es nicht gewohnt, eine breitere Öffentlichkeit oder betroffene Interessenvertreter zu Hause oder im Ausland zu konsultieren.

One Belt, One Road erreicht Lateinamerika

Die formelle Erweiterung der OBOR nach Lateinamerika wurde auf dem China-CELAC-Treffen in Santiago angekündigt. Der erste offizielle Hinweis darauf kam jedoch schon im November 2017 in einer Absichtserklärung der Außenministerien von China und Panama über die neuen diplomatischen Beziehungen und die Entwicklung des Panamakanals unter dem OBOR-Rahmen.

Außenminister Heraldo Muñoz erklärte, die Parteien seien „sehr zufrieden“ mit diesem Ergebnis, und er wiederholte Bachelets früheren Kommentar, wonach die Konnektivität des 21. Jahrhunderts vierfach sei und neue digitale Kanäle sowie Flugrouten die alten See- und Landhandelsrouten ergänzten. Sein chinesischer Amtskollege Wang sagte dazu im Rahmen einer Plenarsitzung: „Wenn Zusammenarbeit ein Baum wäre, dann wäre OBOR die Quelle, die ihn nährt.“ (“If cooperation were a fruit, the Belt and Road Initiative would be the stream that nourishes the tree.”)

Der Soziologe Augusto Varas wies jedoch auf Kontroversen über die Nichteinhaltung von Arbeits- und Umweltvorschriften hin, die mit chinesischen Infrastrukturprojekten in Lateinamerika in Verbindung gebracht werden. Varas sagte dem Internetportal Diálogo Chino: „Es hört sich alles sehr gut an, aber Chinas Aktivitäten in der Region sind tatsächlich völlig anders. Es gibt eine große Kluft zwischen der Rhetorik und der Realität von Investitionen und Handel.“

Es wurden auch Bedenken hinsichtlich der ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Lateinamerika geäußert. China exportiert eine Reihe von Produkten nach Lateinamerika, von denen die meisten hochtechnisierte Industriegüter mit großer Wertschöpfung sind. Lateinamerikas Exporte nach China hingegen sind überwiegend Rohstoffe wie Sojabohnen, Kupfer, Eisen oder Öl. Diese sind wasser- und kohlenstoffintensiv in der Produktion und den Schwankungen der Weltmarktpreise ungleich stärker ausgesetzt. Preisrückgänge haben in der Vergangenheit die in hohem Maße von ihnen abhängigen lateinamerikanischen Volkswirtschaften in Mitleidenschaft gezogen. „Es ist nicht Chinas Schuld“, sagte Portales. „Ob die Rohstoffpreise fallen oder steigen, passiert auf dem Weltmarkt. Wichtig ist die Wirtschaftsstruktur eines Landes (, um diese Schwankungen auszugleichen oder sich davor zu schützen).“

Win-win?

CEPAL-Generalsekretärin Bárcena sagte, dass die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern dazu beitrage, bestimmte Sektoren lateinamerikanischer Volkswirtschaften zu dynamisieren, wie etwa die Landwirtschaft, die angesichts chinesischer Bedürfnisse nach Ernährungssicherheit eine wichtige Rolle spielt – und diese durch die Bereitstellung erneuerbarer Energien nachhaltiger aufgestellt werden könnten. Sie lobte auch die Rolle des chinesischen Ingenieurwesens im öffentlichen Transportsektor und Chinas Ausbau emissionsarmer Technologien sowohl zu Hause als auch weltweit, und deutete an, dass dies Ländern helfen könne, ihre Ziele in multilateralen Klimaabkommen zu erreichen, und somit für alle Vorteile biete: „China hat sich stark gegen die Umweltverschmutzung in seinen Städten eingesetzt, da diese wirtschaftliche Kosten verursacht. China hat ebenfalls zu dem Pariser Abkommen mit klaren Verpflichtungen in Bezug auf erneuerbare Energien beigetragen, und die Bedeutung, die sie diesem Thema beimisst, ist sehr wichtig für den Planeten.“

Aber ob China und die lateinamerikanischen Parteien des Forums ihre Versprechen halten können, wird sich erst in den Taten zeigen, die zwischen jetzt und 2021, wenn sich die Minister von CELAC und China erneut in Peking treffen, geschehen müssen.

 

  • Robert Soutar ist Chefredakteur der mehrsprachigen Website Diálogo Chino (dialogochino.net), die Nachrichten und Analysen über die sozialen und ökologischen Auswirkungen der wachsenden Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen China und Lateinamerika veröffentlicht. Er hat einen MSc in Comparative Politics (Latin America).

 

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Chile Chile