Ein Herbst, 30 Jahre später
Einzeltitel
Dass es sich beim
„deutschen Herbst“ um einen belasteten Begriff handelt, wird gerne
übersehen. Er ist im Umfeld jener entstanden, die dem Linksextremismus
zumindest nicht distanziert gegenüber standen - abgeleitet aus dem Titel
einer Filmcollage („Deutschland im Herbst"), in der sich 18 Regisseure 1978
mit den Reaktionen des Staates auf den RAF-Terror kritisch
auseinandergesetzt haben.
Auch aus einem anderen Grund ist der Terminus problematisch: Es wird der
falsche Eindruck erweckt, die Republik sei durch den linksextremistischen
Terror in Gefahr, ja gleichsam bis in eine Art „Dämmerung" kurz vor einem
düsteren Winter gebracht worden - so als ob die Republik nur noch einen
Hauch davon entfernt gewesen sei, die „Maske des Gesitteten zu verlieren"
(Jacques Schuster).
Die Taten der RAF haben in unserem Gedächtnis tiefe Spuren hinterlassen:
Mehr als 30 Menschen sind ermordet, etwa 200 zum Teil schwer verletzt
worden. Und doch wird dem Terror mit dem Begriff „Deutscher Herbst" eine
Bedeutung verliehen, die er so nie hatte. Nach eigenem Bekunden war es das
Ziel der Terroristen um Ensslin, Baader und Meinhof, mit dem „bewaffneten
Kampf" das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische System der
Bundesrepublik zu zerstören und durch eine andere Ordnung zu ersetzen.
Terroristische Gewalt sollte den Staat zu Reaktionen veranlassen, die die
rechtsstaatlichen Prinzipien missachten und damit die „wahre Natur" des
Systems „demaskieren und entlarven".
In der Realität haben die RAF-Terroristen durch ihre Gewalttaten die
Bundesrepublik, ihre Freiheitlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Integrität
nicht gefährdet. Sie haben sie eher gestärkt. Nach anfänglich teilweise
hilflosen Reaktionen haben die Institutionen des Staates gerade im
Zusammenhang mit den Ereignissen im September und Oktober besonnen reagiert.
Die Parteien erlagen nicht der Verführung, sich gegenseitig für den
Terrorismus verantwortlich zu machen, sondern arbeiteten in der Zeit der
existentiellen Entscheidungen eng zusammen. Die entscheidende Niederlage der
RAF war, dass es ihr nicht gelungen ist, den Rechtsstaat im Herbst 1977
nachhaltig zu verletzen.
Die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien angesichts neuer Gefahren bleibt
die entscheidende Herausforderung. Zweifelsohne geht heute die größte
Bedrohung von islamistisch motiviertem Terror aus. Können wir deswegen die
Gefahr, die von linksextremen Gewalttätern ausgeht, ignorieren? Ist mit der
Selbstauflösung der RAF jede Gefahr linksextremen Terrors in Deutschland für
ewig gebannt?
Jede Form von Terrorismus benötigt ein Mindestmaß an Sympathie. Auf diesem
geistigen Klima gründete bis in den Herbst 1977 das krude Selbstbewußtsein
der „Stammheimer". Man denke an die „klammheimliche Freude" des Göttinger
„Mescalero" über den „Buback-Mord" und die Rückendeckung der 44
Hochschullehrer für den Autor des Pamphlets ebenso wie an die unsägliche
Metapher Bölls vom Krieg der „6 gegen 60 Millionen". Erst als dieser fatale
„Humus" nicht mehr ausgebracht wurde und das öffentliche Interesse an Worten
und Taten der RAF verblasste, erfolgte in den 90er Jahren die
Selbstauflösung „mit pathetischem Eigenlob und großer Geste" (Horst Herold).
Eine direkte Linie zwischen dem Linksterrorismus der Nach-68er Zeit und den
radikalen Teilen der Antiglobalisierungsbewegung ziehen zu wollen, wäre
übertrieben. Aber neue Sympathien und ein neues Selbstbewusstsein
linksradikaler Gruppen und die Tendenz zur Romantisierung dieser Zeit sind
nicht zu verkennen. Die Neugründung des SDS als Hochschulverband der
„Linken" ist nur ein Beispiel dafür. Ein zweites Beispiel - in diesem Fall
für die Verharmlosung von Gewalt und die Verklärung von Personen - ist die
Umbenennung von Abschnitten der Berliner Kochstraße in
„Rudi-Dutschke-Straße". Dieser bizarre Akt ist nicht etwa ein romantisches
Geplänkel. Nein, es geht um die Ächtung jeglicher Gewalt in der politischen
Auseinandersetzung. Rudi Dutschke war alles andere als eine Art „Ghandi der
Linken", der seine Vorstellungen von Gerechtigkeit und Sozialismus mit
friedlichen Mitteln erreichen wollte. Die Forschungen von Wolfgang Kraushaar
und Zitate Dutschkes belegen mehr als deutlich, dass er Gewalt von Anfang an
befürwortete, ja sogar predigte. „Wir dürfen nicht von vornherein auf eigene
Gewalt verzichten", propagierte Dutschke.
Aus seinen Einlassungen wird deutlich, dass der Gedanke der „Stadtguerilla",
der zum ideologischen „Masterplan" der RAF-Terroristen wurde, maßgeblich auf
ihn zurückgeht. Die Konfrontation mit der Staatsgewalt sei zu suchen und
unbedingt erforderlich, betont Dutschke und spricht von „konspirativen
Aktionsformen" gegen Nervenpunkte des Systems. Dies zeigt: Gewalt war kein
„Verfalls- und Verzweiflungsprodukt" des radikalen Teils der 68er Bewegung,
sie war keine „verständliche" Reaktion auf das vermeintlich eskalierende
Handeln des Staates, sondern eine immanente Begründung ihrer Aktionen.
Umso mehr muss es beunruhigen, wenn heute Mitbegründer von Attac Gewalttaten
im Vorfeld des G 8-Gipfels als Reaktion auf Gewalt der G 8 bezeichnen. So
grundfalsch und gefährlich diese Argumentation ist: Das Thema
„Globalisierung" muss uns als ein Wurzelgrund für neue Radikalisierungen
dazu herausfordern, Sorgen um Gerechtigkeit im nationalen und
internationalen Rahmen ernst zu nehmen und den Dialog mit all jenen zu
suchen, die ihren Bedenken ohne Gewalt Ausdruck verleihen.
Auf den Terror der RAF waren Staat und Gesellschaft trotz vieler Anzeichen
nicht wirklich vorbereitet. Vielleicht hat uns auch deshalb der Herbst 1977
mit einer bis heute nachhallenden Wucht getroffen. Gerade deshalb gilt es,
den Feinden der Freiheit frühzeitig wachsam entgegenzutreten - mit einer
gewissen Gelassenheit, aber auch mit der notwendigen Aufmerksamkeit. Wenn
die Diskussion um die Ereignisse vor dreißig Jahren geschärfte Sinne für die
Notwendigkeit der Bewahrung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der
Zukunft hinterlassen würde, hätte sie ihren Zweck erfüllt.
Mit freundlicher Unterstützung des Bayernkuriers