Politische Bildung in Afrika
Einzeltitel
Von Südafrika bis Tunesien – ein Abriss der Demokratieentwicklung in Afrika
Das Afrikabild in der Öffentlichkeit ist vielerorts
von Bildern von Armut, Krieg und Elend geprägt.
Afrika gilt in den Augen vieler immer noch als ein
Kontinent, der von Diktatoren regiert und von blutigen
ethnischen Auseinandersetzungen dominiert
ist. Dennoch hat sich seit den Unabhängigkeitserklärungen
der afrikanischen Staaten Anfang der
60er Jahre vieles geändert. Obwohl die meisten
afrikanischen Staaten demokratische Fortschritte gemacht haben, weist die Demokratieentwicklung
erhebliche Unterschiede zwischen den Staaten des
Kontinents auf. Während Länder wie Mauritius
und Botswana seit ihrer Unabhängigkeit als Demokratien
gelten können, hat in den meisten afrikanischen
Ländern erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs
ein Demokratisierungsprozess eingesetzt.
Parallel zu den Geschehnissen auf dem europäischen
Kontinent führten die desaströse wirtschaftliche
Lage und die Folgen der Strukturanpassungsprogramme
Ende der achtziger Jahre zu
vermehrten Protesten, die nach und nach auch mit
politischen Forderungen verbunden waren. Die
„afrikanische Perestroika“ forderte in vielen afrikanischen
Staaten ein Ende der autoritären Herrschaftsführung
und demokratische Reformen. Das
Ende der Apartheid in Südafrika 1990 wurde zum
Symbol des demokratischen Transformationsprozesses
in Afrika. Doch während in Benin Präsident
Kérékou in eine Nationalkonferenz und eine Übergangsregierung
einwilligte, waren die Zugeständnisse
in anderen Staaten geringer. Dennoch stand –
Malawi und Sudan ausgenommen – eine demokratische
Transition in allen afrikanischen Staaten
zumindest zur Debatte, nicht alle haben sie allerdings
vollzogen.
Die Demokratieentwicklung in Afrika ist noch jung
und bedarf dementsprechend in vielen Staaten
einer Konsolidierung. Viele der vermeintlichen
Demokratien sind lediglich
elektorale Demokratien,
die zwar regelmäßig
Wahlen durchführen, diese
aber nur dazu dienen,
die herrschende Partei
oder herrschende Präsidenten
im Amt zu bestätigen.
Laut dem Freiheitsindex
von Freedom House ist die Zahl der freien
Demokratien zwischen 1990 bis 2011 von vier auf
neun der 52 afrikanischen Staaten gestiegen, während
die Zahl der teilweise freien Staaten von 15
auf 23 stieg und 1990 28 Staaten im Gegensatz zu
20 Staaten im Jahr 2011 unfrei waren. Zu den Demokratien
zählen Benin, Botswana, Ghana, Kap Verde, Mali, Mauritius, Namibia, São Tomé und Príncipe
und Südafrika.2 Dennoch: vorbildhafte Demokratien
gibt es in Afrika bislang nicht. Die wenigen
Demokratien zeichnen sich vielmehr durch politischen
Elitismus und ein hohes Maß an sozialer
Ungerechtigkeit aus.
Während zur Jahrtausendwende der Optimismus
der 90er Jahre durch stagnierende Demokratisierungsprozesse
und Rückfälle in blutige Kriege, wie
in Rwanda, der Demokratischen Republik Kongo,
Liberia und Sierra Leone, nachgelassen hatte,
scheinen die Ereignisse in Nordafrika Anfang 2011
uns eines Besseren zu belehren. Die Jasmin-Revolution
in Tunesien und die Flucht des tunesischen
Staatsoberhaupts Zine el-Abidine Ben Ali haben
eine neue Welle von Demokratiebewegungen in
Nordafrika und im Nahen Osten losgetreten. Die
autoritären Regime, die vorher als undurchdringbar
und fest verankert galten, wurden entweder
wie in Tunesien und Ägypten von den Demonstranten
der Straße vertrieben, oder wie in anderen
Staaten der Region doch zumindest in ihren Fugen
schwer erschüttert. Mit der Nutzung moderner
Kommunikationsmittel
und sozialen Netzwerken
haben die Demokratiebewegungen
in
Nordafrika und dem Nahen
Osten eine neue Dimension
erreicht. Der
Ausgang dieser epochalen
Umwälzungen ist
allerdings noch nicht abzusehen,
und es wird
abzuwarten bleiben, wo sie erfolgreich sein werden,
und wo die derzeitigen Herrscher die Oberhand
behalten werden. Auch ist Vorsicht geboten,
denn wie die Erfahrung anderer afrikanischer Staaten
zeigt, kann der Demokratisierungsprozess
auch schnell ins Stocken geraten und autoritäre
oder extremistische Kräfte können erneut die
Oberhand gewinnen.
Externe Demokratieförderung – ohne Good Governance keine Entwicklung
Der Transformationsprozess der 90er Jahre führte
bei den internationalen Gebern zu einer verstärkten
Auseinandersetzung mit dem Thema Demokratieförderung
und Good Governance. War man
doch optimistisch, dass mit den eingeleiteten politischen
Transformationsprozessen Demokratie und
eine freie Marktordnung triumphieren würden.
Ohne Gute Regierungsführung keine Entwicklung,
so die These. Ohne den Aufbau rechtsstaatlicher
Strukturen und demokratisch legitimierter Institutionen,
ohne die Partizipation der Bevölkerung
und effektive Ausübung der Kontrollfunktion des
Parlaments ist eine nachhaltige Entwicklung nicht
möglich. Deren Aufbau zu unterstützen ist Aufgabe
externer Demokratieförderung.
Eines steht allerdings fest:
die Festigung der Demokratie
muss von innen
kommen. Ohne den politischen
Willen der Partnerregierungen,
Eigenverantwortung
zu übernehmen
und notwendige
Reformen durchzuführen,
wird die externe Demokratieförderung nicht von
Erfolg gekrönt sein. Der entscheidende Wandel
muss von innen kommen und kann von der internationalen
Gemeinschaft lediglich unterstützt,
aber nicht erzwungen werden.
Dennoch können internationale Geber den Demokratisierungsprozess
fördern. Im Vordergrund stehen
dabei die Unterstützung beim Aufbau demokratischer
Strukturen, unabhängiger Rechtsprechung,
bei einem funktionierenden Mehrparteiensystem
und einer aktiven Bürgergesellschaft. Hierbei gilt
es besonders die Führungseliten entsprechend
weiterzubilden, seien es Vertreter der politischen
Parteien, der Parlamente, der Regierungen oder
der Gerichte. Sie können dazu beitragen, demokratische
institutionelle Strukturen aufzubauen
und Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. Eine Demokratie
lebt aber nicht nur von ihren Institutionen und
politischen Eliten, sondern auch von einer effektiven
Partizipation und Kontrolle der Zivilgesellschaft.
Hier gilt es sowohl Nichtregierungsorganisationen
als auch die Medien zu stärken.
Zunehmend verbreitet sich auch die Erkenntnis,
dass nicht nur einzelne Institutionen und Akteure
unterstützt werden müssen, sondern besonders
der politische Dialog zwischen der politischen und
der zivilgesellschaftlichen Sphäre gefördert werden
muss. Strategien der Armutsbekämpfung können
nur nachhaltig sein, wenn von Anfang an alle
Akteure einbezogen sind und es bei ihrer Umsetzung
kontinuierliche Kontrollmechanismen durch
die Parlamente, Gerichte, die Zivilgesellschaft und
die Medien gibt.
Externe Demokratieförderung
darf dabei aber
nicht in die Versuchung
geraten, festgeschriebene
Demokratiemodelle
zu vermarkten. Vielmehr
geht es darum, universelle Werte von Freiheit,
Transparenz, Rechtssicherheit und Respekt vor
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten
zu vermitteln. Demokratieförderung sollte dabei
als Querschnittsaufgabe in der Entwicklungszusammenarbeit,
zum Beispiel bei der Unterstützung
des Aufbaus von funktionierenden Bildungsund
Gesundheitssystemen oder Infrastrukturmaßnahmen,
verstanden werden.
Die Rolle der politischen Stiftungen in der Demokratieförderung
Die deutschen politischen Stiftungen gehören zu den
ältesten und erfahrensten Akteuren im Bereich der
internationalen Demokratieförderung. Sie komplettieren
damit die offizielle Entwicklungszusammenarbeit.
Im Gegensatz zu dem erst in den 90er
Jahren wachsenden Interesse der internationalen
Geber an Demokratieförderung blicken die deutschen
Stiftungen auf nahezu 50 Jahre Erfahrung in
diesem Bereich zurück. Die beiden großen politischen
Stiftungen, die Friedrich-Ebert-Stiftung und
die Konrad-Adenauer-Stiftung, sind bereits seit den
60er Jahren neben ihren Aktivitäten in Deutschland
auch im Bereich der internationalen Demokratieförderung tätig. Die Unterstützung von politischen
Transformationsprozessen und der Konsolidierung
repräsentativer Demokratien und rechtsstaatlichen
Prinzipien konzentrierte sich in den frühen Jahren
besonders auf Lateinamerika und weitete sich dann
sukzessive auf die anderen Kontinente aus. Die
Konrad-Adenauer-Stiftung ist heute mit 80 Büros
in über 100 Ländern rund um die Welt aktiv. Neben
den deutschen Stiftungen ist eine Vielzahl anderer
internationaler politischer Stiftungen, wie zum
Beispiel das amerikanische National Democratic
Institute oder das niederländische Institute for
Multiparty Democracy, im Bereich Demokratieund
Parteienförderung aktiv.
Schwerpunkt der Stiftungsarbeit im demokratischen
Transformationsprozess ist die Fortbildung von
politischen und gesellschaftlichen
Führungseliten
und die Unterstützung
beim Aufbau
demokratischer Strukturen.
Dabei arbeiten
die Stiftungen schwerpunktmäßig
auf der
Basis einer werteorientierten
Partnerschaft mit
Parteien, aber auch mit
Parlamenten, Organisationen
der Zivilgesellschaft und den Medien
zusammen. Durch ihre relative Unabhängigkeit
von Regierungsverhandlungen mit den Partnerländern
können die politischen Stiftungen neben
den staatlichen Autoritäten
auch mit Oppositionsparteien,
zivilgesellschaftlichen
Gruppen und kritischen
Medien kooperieren. Dieses
Alleinstellungsmerkmal
ermöglicht es ihnen, prodemokratische
Strömungen
auch in autoritären und
sensiblen politischen Rahmenbedingungen
bereits
an der Wurzel zu fördern.
Durch ihre langjährige Tätigkeit
pflegen die politischen
Stiftungen in vielen
Ländern über Jahrzehnte
gewachsene enge Verbindungen
zu ihren Partnern
und können sich so auf ein
solides Netzwerk politischer
und gesellschaftlicher
Kräfte stützen. Das dadurch Aufgaentstandene
Vertrauensverhältnis ermöglicht es den
Stiftungen, auch in politisch schwierigen Situationen
den politischen Dialog aufrechtzuerhalten,
besonders wenn sich bilaterale Geber zurückziehen
müssen.
Die Umwälzungen in der arabischen Welt zeigen,
dass sich der langjährige Einsatz dort gelohnt hat.
So können sich die Stiftungen auf die jahrelang
gepflegten Kontakte zu oppositionellen Gruppen
stützen und daran nun gezielt anknüpfen. Allerdings
zeigt sich hier auch das Dilemma der klaren
Identifikation von pro-demokratischen Kräften.
Die ideologische Verortung der neuen politischen
Kräfte lässt sich noch längst nicht ausmachen. Dies
ist nicht nur eine Herausforderung für die Stiftungen
in Nordafrika, sondern in Afrika generell.
Angesichts von strukturell und programmatisch
schwachen Parteiensystemen gibt es oftmals keine
direkten ideologisch und wertegleichen Schwesterparteien
für die Stiftungen. Hier gilt es zunächst
breiter angelegt reformwillige politische und gesellschaftliche
Kräfte weiterzubilden und besonders
den politischen Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft
zu fördern.
Politische Bildung in Afrika: Ansätze der Konrad-Adenauer-Stiftung in Westafrika
Den Bürgern Wissen über Politik und Wirtschaft zu
vermitteln, sie als Mitglieder der Zivilgesellschaft
zu (politischem) Engagement zu motivieren – dies
ist der kleinste gemeinsame Nenner aller politischen
Bildungsmaßnahmen. Im afrikanischen Umfeld treten
Bedingungen und Hindernisse, Fortschritte
und Erfolge politischer
Bildung mit besonderer
Schärfe hervor. Politische
Bildung findet hier
im Kontext politischer
Zusammenarbeit statt.
Ziel ist die Kooperation
auf Augenhöhe mit den
Partnern vor Ort, die Verantwortung für ihr politisches
Handeln übernehmen und souverän über das
Schicksal ihres Landes bestimmen. Gemeinsame
Interessen und Werte bestimmen Ausmaß, Methoden
und Zielsetzungen der politischen Bildungsmaßnahmen.
Beispielhaft soll dies im Folgenden
an Hand des Regionalprojektes Politischer Dialog Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung
(KAS) gezeigt werden.
Im Jahr 2012 werden es zwanzig Jahre her sein,
dass die Konrad-Adenauer-Stiftung für die Staaten
Benin, Togo, Côte d’Ivoire, Burkina Faso, Niger und
Mali ein Programm auflegte, das sich nach mehreren
Umstrukturierungen heute drei Hauptziele
setzt: Zusammenarbeit mit Parteien und Parlamenten,
Sicherheitsdialog in der Region, Dialog über
Soziale Marktwirtschaft. Grundsätzlich hatte und
hat die Arbeit zum Ziel, mit Eliten zusammenzuarbeiten
und langfristig Strukturen zu ändern.
Stabil statt labil: Eliten fördern – Strukturen verändern
In den Jahren nach den demokratischen Revolutionen
von 1990 kam es zunächst darauf an, in einer
Region von der Größe Westeuropas die Zivilgesellschaft
aufzubauen und damit Nichtregierungsorganisationen
(NGOs) eine verstärkte Rolle im
Dialog mit der Politik zu geben. Ein Beispiel: der
dreijährige Ausbildungslehrgang Contrôle Social.
Sechs Generationen lang bildete die Konrad-Adenauer-
Stiftung junge Freiwillige zivilgesellschaftlicher
Organisationen in einer dreijährigen Ausbildung
aus. Sie kommen aus NGOs, die in den
Bereichen Demokratieförderung und Menschenrechtsschutz
arbeiten. Am Ende des Lehrgangs sind
sie Animateure der Erwachsenenbildung, das heißt,
sie werden ihr Wissen an die Bevölkerung als Multiplikatoren
weitergeben. Die langjährige Zusammenarbeit
mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zielte
langfristig auf deren selbständiges Agieren ab.
Schulungen in Projektmanagement und -förderung
machten die zivilgesellschaftlichen Gruppen wettbewerbsfähig
auf dem freien Markt. Sie sind nunmehr
fähig, Projekte in Eigeninitiative zu akquirieren,
sie definieren Zielsetzungen und entwerfen
Projekte für demokratisches Lobbying.
Zivilgesellschaft aufbauen heißt auch Wissen für
die Bevölkerung bereitstellen. Studenten aus der
Programmregion stehen zum Beispiel Studiengänge
am UNESCO-Lehrstuhl für Menschenrechte an
der Universität Cotonou offen, der 1995 gegründet
wurde, um die demokratische Entwicklung in Benin
und in der Region zu unterstützen. Daneben wendet
sich der Lehrstuhl mit Seminaren und Konferenzen
an die interessierte Öffentlichkeit.
Parteien in Afrika erfüllen ihre Rolle, die ihnen
eigentlich in der Demokratie zugedacht ist, nur
unvollständig. Politischen Parteien kommt in einer
Demokratie die Aufgabe zu, gesellschaftliche
Interessen zu vertreten, sich selbst für diese Aufgaben zu organisieren und programmatisch aufzustellen
sowie Personal für politische Führungsaufgaben
eines Staates bereitzustellen. Alles dies
geschieht in einem ständigen Wettbewerb der
verschiedenen politischen Anbieter. Afrikanische
Parteien haben in der
Regel einen weiten Weg
vor sich, um diesem Bild
zu entsprechen. Strukturelle
Schwächen, wie
fehlende Finanzierungsquellen,
Konzentration
auf wenige Führungspersönlichkeiten
und eine
unzulängliche Innenund
Außenkommunikation,
verbinden sich mit
mangelnder Programmatik.
Junge Politiker haben
große Schwierigkeiten, angesichts des herrschenden
Anciennitätsprinzips Führungs- und Entscheidungspositionen
innerhalb der Parteien zu erhalten,
bei Frauen kommt der Kampf gegen das
Patriarchat hinzu. Entsprechend agiert politische
Bildung im Parteienbereich: Coaching von Einzelpersönlichkeiten,
Aufbauhilfe für Parteistruktur
und -organisation, Vermittlung von Inhalten und Methoden, die sich mit Leadership verbinden, sowie
Argumentations- und Programmtrainings erhöhen
die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Parteien.
Das Mandat als Mission verstehen: Zusammenarbeit mit Parlamenten
Parlamente sind Ausdruck der Volkssouveränität.
Ihre Abgeordneten sind eine der Hauptzielgruppen
der politischen Bildungsarbeit des Regionalprogramms
in Westafrika. In den (semi-)präsidentiellen
Regierungssystemen des Projektgebietes
vermittelt die KAS den Parlamentariern Kenntnisse
über Haushaltsrecht, über den Gesetzgebungsprozess
sowie über ihre Funktion, die Exekutive zu
kontrollieren. In der Praxis sieht dies zum Beispiel
im Sahelstaat Niger so aus: Nach der Parlamentswahl
Anfang 2011, die die Rückkehr von der Militärjunta
zur Demokratie einleitete, waren 80 %
der Abgeordneten neu gewählt. Weniger als ein
Viertel konnte Erfahrungen in der parlamentarischen
Arbeit vorweisen. In diesem Fall konnte das
Regionalprogramm direkt mit der Schulung der
Parlamentarier beginnen, da der Chef der Militärjunta
die Konrad-Adenauer-Stiftung nach den
Wahlen bereits um Unterstützung gebeten hatte.
Ein seltener Glücksfall – im Niger hatte das Militär
seine Verantwortung für stabile staatliche Strukturen ernst genommen. Weniger positiv waren die
Ausgangsvoraussetzungen für die Schulung: Die
Mehrzahl der neuen Abgeordneten hatte weder
ein klares Bild von ihren Aufgaben noch von der
Rolle von Fraktionen oder Ausschüssen. Was die
Tätigkeiten eines Parlamentariers ausmacht, war
unklar. Was zu seiner Rolle bei Gesetzgebung und
Regierungskontrolle gehört, ist nicht bekannt. Die
Folge für Methode und Inhalt der Schulung war
ein dichtes Informationsangebot mit genügend
Freiraum zu vertiefender Diskussion und Nachfragen,
um die politische Situation im eigenen Land
zu reflektieren. Die kognitive Ebene war aber nur
eine Seite der Medaille bei dieser Schulung. Immer
wieder wurde bei allen Diskussionen deutlich, dass
die alten Grabenkämpfe aus der Zeit des Militärputsches
im Jahr 2010 und aus den anschließend
heftig geführten Wahlkämpfen noch längst nicht
beigelegt waren. Der
endgültige Schritt zu einer
politischen Kultur,
die den Wechsel zwischen
Oppositions- und
Regierungsrolle als normal
akzeptiert, ist noch
lange nicht getan. Was
ebenfalls völlig fehlte:
das Bewusstsein für einen permanenten Dialog der
Gewählten mit ihren Wählern – auch außerhalb
von Wahlkampfzeiten. Erste Schritte in dieses
demokratische Neuland wurden getan: Die Abgeordneten
entwickelten nach dem Prinzip „Erfahrungen
teilen“ Überlegungen zu einem Parlamentarierhandbuch,
zu Besuchen der Bevölkerung im
Parlament sowie zur Einrichtung von Abgeordne tenbüros, die den Kontakt mit der Bevölkerung
verstetigen sollen.
Regionaler Sicherheitsdialog: Militär, Politik und Zivilgesellschaft
Militär und Sicherheitskräfte halten sich in Westafrika
in der Regel nicht an die in der Verfassung
verankerten Aufgaben wie dem Schutz der Außengrenzen
und der Bevölkerung. Das Parlament bzw.
die Regierung kontrollieren das Militär nur in den
seltensten Fällen. Dabei sind die Sicherheitskräfte
zumeist der einzig stabile
und berechenbare
Faktor eines Landes. Um
diesen auch zu einem
Faktor der Demokratie
zu machen, leitete die
Konrad-Adenauer-Stiftung in Westafrika daher
frühzeitig demokratische Bildungsmaßnahmen für
Sicherheitskräfte ein. Soldatinnen und Soldaten
lernen, dass sie „Bürger in Uniform“ sind und nicht
eine privilegierte Sondergliederung der Gesellschaft,
die ermächtigt ist, Menschenrechtsverletzungen
zu begehen und sich willkürlich jenseits
des Rechtsstaates zu begeben. Demokratische
Grundwerte und Spielregeln stehen im Zentrum
der Maßnahmen. Daneben treffen sich Angehörige
des Offizierskorps mit zivilen Politikern und tauschen
sich über generelle Fragestellungen der Demokratie
wie auch über aktuelle politische Fragen aus.
Dieser Dialog sorgt für Verständnis und Vertrauen
zwischen den beiden Gruppen.5 In innenpolitisch
instabilen Situationen, in Kriegs- oder Putschszenarien,
wie 2010 im Niger oder in der Elfenbeinküste,
können solche langjährig durchgeführten Maßnahmen
einen wichtigen Beitrag dazu leisten, um die Stabilität in der Region
wieder zu etablieren.
Die Revolution in Nordafrika war zu großen Teilen
ein Produkt moderner Kommunikation und sozialer
Netzwerke. Vier Flugstunden weiter südlich, in
den Staaten der Atlantikküste, hatte die politische
Bildung bereits schon vor
den Umwälzungen im
Norden begonnen, der
rasanten Entwicklung der
Medien Rechnung zu
tragen. So ergänzen oder
ersetzen virtuelle Maßnahmen
die traditionellen
Konferenzen und Seminare. Sie geben Raum
für Diskussion und für die Erweiterung von Kenntnissen
zu ausgewählten politischen und gesellschaftlichen
Fragestellungen. Das Angebot richtet
sich sowohl an junge Nachwuchspolitiker als auch
an Vertreter der Zivilgesellschaft. Die Virtuelle
Akademie benutzt das soziale Netzwerk NING als
Plattform, auf der jeder Teilnehmer ein eigenes
Profil anlegt, auf der Dokumente, Videos und Fotos
hinterlegt werden können, und bei der eine Chatfunktion
den direkten Austausch ermöglicht. Die
beiden Zielgruppen werden bei Präsenzseminaren
im Umgang mit der Virtuellen Akademie geschult.
Um sie als aktive Mitgestalter einzubinden, konnten
sie von Anfang an eigene Ideen zur Gestaltung
des Forums einbringen. Debatten zwischen jungen
Politikern über das Thema Soziale Marktwirtschaft
finden so seit einiger Zeit nicht nur an Wochenenden
in Abomey, Kpalime oder Niamey vor Ort statt.
Der intensiven Diskussion steht allerdings die in
der Region mangelhafte Internetverbindung entgegen.
Die Lösung: Virtuelle Seminare werden
stets über einen Zeitraum von bis zu vier Wochen
angeboten, dazu wird auf Direktnachrichten verzichtet.
Was bleibt? Nachhaltige Demokratieförderung in Afrika
Wie erreicht man Nachhaltigkeit in einer Region,
in der defekte Demokratien vorherrschen, in der
politische Führung weniger durch verbale als durch
materielle Argumente erreicht wird und europäische
Kategorien von Kommunikation und Zeit
eher fehlschlagen? Der Schlüssel liegt wohl in einer
konsequenten Anwendung aller uns bekannten
Faktoren, die Nachhaltigkeit bewirken können.
Aber davor stehen Faktoren, die nicht auf der rationalen
Sachebene liegen, nämlich der langfristige
Aufbau von Vertrauen, die Bereitschaft, Erfahrungen
zu teilen und die klare Vereinbarung von Wertegrundlagen.
Politische Bildung soll das Vertrauen in die Demokratie
stärken. Dazu gehört zunächst das Vertrauen der
Partner in die Institutionen der Politischen Bildung,
der Glaube daran, dass unsere Maßnahmen (im
Gegensatz zu in Afrika vielfach erlebtem staatlichen
oder parteilichen Handeln) uneigennützig sind. Vertrauen
im Verlauf der Politischen Bildung entsteht
aber nur durch den Dialog der unterschiedlichen Gesprächspartner,
welche die Programme in Beziehung
setzen, seien es nun Parlamentarier eines Verteidigungsausschusses
und Generalstabsoffiziere oder Unternehmer
und Regionalräte. Nachhaltigkeit kann
weiterhin erreicht werden, wenn im Rahmen der Veranstaltungen
Diskussionen zugelassen und Gleichberechtigung
erlebt werden. Nachhaltig werden die
Maßnahmen, wenn sie vor Ort stattfinden. Denn ernst
nehme ich meine Partnerorganisation nur, wenn ich
als Veranstalter/-in bereit bin, mich in dezentralen
Maßnahmen an ihren Wohnort oder den ihrer politischen
Tätigkeit zu begeben und zu sehen, in welchem
Umfeld ihr Denken gewachsen ist. Um wie viel
mehr trifft dies zu, wenn es sich z. B. um so unterschiedliche
Regionen wie Benin an der Atlantikküste
oder Niger in der Sahel-Sahara-Zone handelt, das die
Auswirkungen der nordafrikanischen Verwerfungen
unmittelbar zu spüren bekommt.
Soziale Marktwirtschaft: Ein Thema – viele Wege
Am Beispiel der Sozialen Marktwirtschaft lässt sich
aufzeigen, wie ein Querschnittsthema mit methodischer
Vielfalt und multiperspektivisch über mehrere
Zielgruppen und Partner langfristig in die gesellschaftliche
und politische Diskussion in den afrikanischen
Kontext implementiert werden kann. Es
gibt nicht das Modell für die afrikanische Soziale
Marktwirtschaft, es gibt
auch keine internationale
Soziale Marktwirtschaft.
Europäer/-innen
können lediglich in Afrika
ihre Erfahrungen mitteilen,
mit Afrika in den
Dialog eintreten und die
Verantwortlichen in Afrika
aus vielen internationalen Quellen letztendlich
selbst das adäquate Modell für afrikanische Verhältnisse
finden lassen. Die Folge für die Arbeit politischer Stiftungen vor Ort: Diskussion über
Soziale Marktwirtschaft findet zum einen im universitären
Kontext statt, zum anderen ist die ordnungspolitische
Variante auch Top-Thema, wenn
junge Politiker/-innen über Programme für die
nächsten Wahlen diskutieren oder Unternehmerinnen
eine verbandliche Agenda neu formulieren.
Das Institut des Artisans de la Paix et de la Justice in
Cotonou wiederum fügt mit seinen monatlichen
Beiträgen den unerlässlichen Aspekt der christlichen
Soziallehre hinzu. Vorträge und Diskussionen
auf Expertenniveau allein haben aber noch
nicht die angestrebte Breitenwirkung. Diese wird
seit Jahren durch TV-Sendungen in vier westafrikanischen
Staaten erreicht.
Anstoß von außen, Wandel von innen kann die
grundsätzliche Methode politischer Bildung in
Afrika zusammenfassen. Was jedoch ihre Nachhaltigkeit
ausmacht, ist die Verankerung demokratischer
Grundsätze in der Bevölkerung: Es gibt keine
Demokratie ohne Demokraten – das gilt auch zwischen
Tunis und Cotonou.
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