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Die Volkspartei vor großen Herausforderungen

Politikwissenschaftler Patzelt fordert offene Vorwahlen und plebiszitäre Instrumente

Das deutsche Parteiensystem ist im Wandel. Seit der Bundestagswahl im Jahre 2005 wird ein Trend immer sichtbarer, der sich auch in den Landtagswahlen verstärkt hat: eine Entwicklung zum Fünf-Parteien-System, dessen Folgen für unser politisches System noch nicht absehbar sind.

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Welche Zukunft haben die Volksparteien? Worin liegt ihre Zukunft? Und sind Parteien für ein funktionierendes Gemeinwesen überhaupt noch nötig? Wohl nur wenige politische Fragen werden kontroverser diskutiert als diese. Wenn auch in sehr unterschiedlichen Facetten und Akzentuierungen.

Prof. Patzelt ging zunächst auf die Entstehung der Parteien hin, die sich gemäß Konfliktlinien (Cleavages) bildeten. Die klassischen Cleavages (Kapital/Arbeit, Stadt/Land, Verhältnis zur Religion) spielen heute kaum noch eine Rolle, zumal die damit verbundenen Konflikte weitgehend gelöst sind. Dafür kamen spätestens seit der Studentenbewegung von 1968 neue Konfliktlinien hinzu: Verhältnis zum politischen System, Materialismus/Postmaterialismus, Nachhaltigkeit/Wachstum sowie vor allem das Verhältnis zur friedlichen Nutzung der Atomenergie, deren Gegner zunächst fast ausschließlich bei den Grünen eine parteipolitische Heimat fanden.

Patzelt setzte seine Ausführungen mit den Entwicklungen der Parteien in der Zeit der friedlichen Revolution und Wiedervereinigung 1989/90 fort, als sich das bislang westdeutsche Parteiensystem auf die ehemalige DDR ausbreitete. Dabei brachen viele Konflikte aus, etwa jener zwischen den einstigen Mitgliedern der Blockparteien sowie den Neumitgliedern. Die SPD musste sich zudem völlig neu aufbauen, denn nach der Zwangsvereinigung mit der KPD 1946 gab es bis 1989 keine sozialdemokratische Partei in der DDR mehr. Die PDS als Nachfolgerin der diktatorischen SED stand indes im Spannungsfeld, ob sie Fundamentalopposition betreib oder als „Kümmererpartei“ auftritt. Letzteres galt vor allem für die kommunale Ebene, so dass sich die PDS in gewisser Weise im Osten zur Volkspartei entwickelte.

Der Referent stellte dar, wie es gerade im linken Sektor des Parteiensystems während der Amtszeit von Bundeskanzler Schröder zu Wandlungen kam: Nach Schröders sozialpolitischen Reformen mit Einführung der Hartz IV-Regelungen („Agenda 2010“) spaltete sich die WASG von der SPD ab, die sich gemeinsam mit der PDS zur Partei „Die Linke“ vereinigte, dabei auch linksextreme Grüppchen einbezog. Dieser Partei gelang letztlich auch die Etablierung im Westen, wo sie in mehreren Landtagen sitzt. Für die neuen Ländern hat dies freilich zur Folge, dass die (Alt-)PDS ihren Charakter als Volkspartei allerdings verliert. Noch schlimmer war die Entwicklung bei der SPD, die in der Regierungsverantwortung ihre gesellschaftlichen Ziele nicht umsetzen konnte, sondern Realpolitik betreiben musste.

Mit Blick auf das derzeitige Parteiensystem stellte Patzelt dar, dass dieses nicht an die aktuellen Konfliktlinien angepasst sei. Links von der SPD sei es zudem sehr instabil und es herrsche große Konkurrenz. Rechtsextreme Parteien konnten keine nachhaltigen überregionalen Erfolge erringen, auch Protestparteien am rechten Rand waren nur kurzzeitig erfolgreich. Die Unionsparteien vernachlässigen ihren rechten Flügel zudem weitgehend, da es dort keine mächtige Konkurrenz gibt. Stattdessen rückte die Union weiter nach Links, ist somit noch bedrohlicher für die SPD. Aufgrund des „Brachlandes“ rechts von der Union ist für diese ein breiter Spagat nötig.

Hinsichtlich der Bereitschaft, aktiv in Parteien mitzuwirken konstatierte Patzelt, dass diese seit den 1970er Jahren generell rückläufig sei. Heute gebe es mehr projektbezogene politische Mitwirkung, etwa im vorpolitischen Raum. Dies führt freilich zu geringerem innerparteilichem Leistungsdruck und somit können viele Mitglieder schneller ein Mandat erringen – jedoch oftmals ohne vorherige Berufserfahrung. Diese Entwicklung sei eine große Herausforderung für die Volksparteien. Gleichwohl müsse berücksichtigt werden, dass die hohe Bereitschaft in den 60er Jahren, sich in Parteien zu politisch zu engagieren, als eine Ausnahmeerscheinung angesehen werden müsse.

Patzelt skizzierte neben einem Mehr an Bürgerbeteilung auf kommunaler Ebene zwei durchaus kontroverse Lösungsansätze, um die Volksparteien zu stärken:

  1. Offene Vorwahlen für alle Kandidaten öffentlicher Mandate, damit mehr Seiteneinsteiger die Chance erhalten, sich politisch zu engagieren.
  2. Einführung plebiszitärer Instrumente wie dem fakultativen Gesetzesreferendum nach Schweizer Muster. Das würde nach Patzelts Meinung nicht nur zu einer Entideologisierung der Politik führen, sondern auch die Entscheidung über einzelne Gesetzesvorhaben dem eigentlichen Souverän überlassen damit auch das Bundesverfassungsgericht entlasten.

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Wendgräben/ Magdeburg Deutschland

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