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Event Reports

Auslandskonferenz in Belgrad: Schlüsselstaat des Balkans?

by Dr. Patrick Keller

Arbeitskreis Junge Außenpolitiker

Im Oktober 2017 tagte der Arbeitskreis Junge Außenpolitiker der Konrad-Adenauer-Stiftung (AK) auf Einladung des Auslandsbüros Serbien-Montenegro in Belgrad, um sich über die aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen auf dem Westbalkan auszutauschen.

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Mit Gesprächspartnern aus der Region, wie der serbischen Verhandlungsführerin für den Beitritt zur EU, einem ehemaligen serbischen Minister für Außenwirtschaft, Abgeordneten, dem Präsidenten der serbischen Handelskammer und dem deutschen Botschafter in Serbien, diskutieren die Mitglieder des Arbeitskreises über die Zukunftsperspektiven einzelner Balkan-Staaten, insbesondere im Hinblick auf den Beitritt zur Europäischen Union. Vor diesem Hintergrund konzentrierten sich die Gespräche außerdem auf die Rolle externer Akteure auf dem Balkan, einschließlich der Einflussnahme Russlands, sowie auf innenpolitische Entwicklungen.

Zwar lag der Fokus auf Serbien, aber der Blick wurde immer wieder auf den Balkan als Region gelenkt, da die Länder dieses geographischen Raums in vielerlei Hinsicht vor ähnlichen Herausforderungen stehen, etwa mit Blick auf die euro-atlantische Integration.

Die Politik der Türkei auf dem westlichen Balkan und insbesondere das Verhältnis zwischen Serbien und der Türkei wurden in großen Teilen als pragmatisch und zunehmend unideologisch beschrieben. Ein serbischer Teilnehmer hob hervor, dass die Türkei einen ökonomischen Expansionskurs gegenüber Serbien verfolge. Gleichzeitig suche Serbien nach einem Weg, aus der wirtschaftlichen Krise zu kommen. Das türkische Engagement in Serbien äußere sich in erster Linie durch Infrastrukturprojekte. Es wurde mehrfach betont, dass von der EU ein stärkeres Engagement in der Region erwartet wird, beispielsweise in Form von Infrastrukturprojekten. In diesem Zusammenhang wurden ausdrücklich Erwartungen an Deutschland und die deutsche Bundeskanzlerin gerichtet. Neben der Türkei sind auch arabische Staaten an Serbien interessiert – während arabische Staaten versuchen, Einfluss auf religiöse Strukturen zu nehmen, ist die Türkei sehr aktiv im kulturellen Bereich. So sind beispielsweise türkische Seifenopern in Serbien sehr populär.

Außerdem diskutierte die Gruppe den Einfluss Russlands auf Serbien. Gemäß der Einschätzung eines Gesprächspartners sei die russisch-serbische Verbindung nur oberflächlich. Zwar ist Russland in der serbischen Bevölkerung stark präsent, vor allem weil es in der Lage ist, die Instrumente der public diplomacy zu nutzen – etwa materielle Bedarfe in serbischen Kommunen zu erkennen und schnell zu helfen. Die mediale Rezeption des russischen Engagements stehe dabei jedoch in keinem Verhältnis zum häufig begrenzten finanziellen Umfang russischer Hilfsleistungen. Handlungsfelder der russisch-serbischen Zusammenarbeit sind heute die Sicherheitspolitik und militärische Ausrüstung; Kultur und Religion sowie wirtschaftliche Beziehungen. Auf der internationalen Bühne gehe es Serbien darum, vor allem in der Kosovo-Frage das Veto Russlands im Sicherheitsrat zu erhalten, um eine dauerhafte völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo zu verhindern. Dafür sei Belgrad bereit, sich in eine langfristige Abhängigkeit von Russland zu begeben – eine Entwicklung, die schon heute im Energiebereich erkennbar ist, wo die russische Gazprom Neft die staatliche Energiewirtschaft übernehmen durfte.

Vor dem Hintergrund der Einflussnahme anderer Staaten wurde das übergreifende Thema der Konferenz, das Verhältnis zwischen der EU und dem Westbalkan, erörtert. Ausführlich tauschten sich die Teilnehmer über den gegenwärtigen Stand der EU-Beitrittsverhandlungen einzelner Länder des Westbalkans aus. Im Fokus dieser Diskussionen standen Serbien und Montenegro. Der Ablauf der Beitrittsverhandlungen werde aktuell von besonderen Umständen geprägt, so zum Beispiel von den anhaltenden Spannungen zwischen den Ländern der Region und die weiterhin spürbaren Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in EU-Staaten. Auf Seiten Serbiens verfestige sich der Eindruck, dass der Verhandlungsprozess gegenüber früheren Beitrittsverfahren an Flexibilität vor allem in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung verloren habe. So reiche die Ankündigung von Reformen zum Abschluss eines Verhandlungskapitels nicht mehr aus, es bedürfe vielmehr ihrer konkreten Umsetzung. Trotz des lang andauernden Beitrittsprozesses bleibe der euroskeptische Anteil der Bevölkerung einstweilen stabil, so die serbischen Gesprächspartner. Dennoch bestehe die Gefahr von Ermüdungserscheinungen der Bevölkerung gegenüber der EU, äußerten serbische Teilnehmer. Derartige Entwicklungen würden auch beeinflusst durch das konkurrierende Verhalten anderer Länder in der Region, insbesondere Russlands. Durch eine verbesserte strategische Kommunikation der EU und gezielte wirtschaftliche Unterstützung, etwa bei der Diversifizierung von Energiequellen, lasse sich dieser Einfluss jedoch eindämmen.

Anknüpfend an die Diskussion über externe Akteure sowie die Beitrittsperspektiven der Länder des Westbalkan im Allgemeinen und Serbiens im Besonderen, wurde der Blick nach innen gerichtet. So diskutierte die Gruppe, wie Sicherheit und Stabilität in den Ländern der Region garantiert werden könnten. Ein serbischer Teilnehmer legte dar, dass die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Region aufgrund eines verstärkten Fokus auf Sicherheitsinteressen und Stabilität ins Hintertreffen gerate. In Serbien drohten die Pressefreiheit und die Freiheit der Wahlen zu erodieren, Zynismus und eine populistische „Wir-gegen-die“-Rhetorik seien allgegenwärtig und gingen mit der stagnierenden ökonomischen Entwicklung eine brisante Mischung ein. Die Teilnehmer waren sich einig, dass demokratische Rechtsstaatsprinzipien gestärkt werden müssten, um anhaltender Korruption und Vetternwirtschaft langfristig und nachhaltig begegnen zu können.

Umfassende Verfassungs- und Justizreformen seien außerdem Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung Serbiens. Das Land befindet sich seit Jahren in einer wirtschaftlichen Krise. Zwar sind die Investitionen aus dem In- und Ausland in den vergangenen fünf Jahren gestiegen. Gleichzeitig verzeichne das Land einen starken Anstieg der Staatsverschuldung seit 2009 auf über 70 Prozent und verlangsamtes Wirtschaftswachstum. Anders als den seit 2004 beigetretenen EU-Mitgliedstaaten gelingt es Serbien sowie den anderen Ländern des Westbalkans derzeit nicht, einen Trend zu einem wachsenden Bruttoinlandsprodukt pro Kopf einzuleiten. Aus dieser Situation wurde in der Diskussion die Folge gezogen, dass Serbien umfangreiche deutsche und europäische Wirtschaftsunterstützung benötige.

Zusätzlich besuchte der Arbeitskreis Novi Sad, eine knapp 100 Kilometer nordwestlich von Belgrad gelegene Stadt. Dort traf die Gruppe zwei Vertreter

des fünfzehn-köpfigen Organisationsteams des Projektes Europäische Kulturhauptstadt 2021. Das Kulturhauptstadtprojekt Novi Sad stehe unter dem Motto „Vier neue Brücken“. Dies sei sowohl ein Hinweis auf den Wiederaufbau zahlreicher tatsächlicher Brücken, die im Krieg vor zwanzig Jahren zerstört wurden, als auch eine Referenz zu vier symbolischen Brücken. Der erste Fokus liege demzufolge auf der Renovierung und Verschönerung von öffentlichen Plätzen und Räumen. Die nächste Phase sei auf das kulturelle Erbe fokussiert, die folgende auf die Jugend und dann Migration. Im Jahr 2021 sollen alle Elemente zusammengebracht und vereint werden. Die Europäisierung Novi Sads und Serbiens ist ein wichtiger Teil des Europäischen Kulturhauptstadtprojektes, da der Titel normalerweise an Städte innerhalb der europäischen Union verliehen wird. Die Organisatoren berichteten, dass ihnen wichtig sei, die europäische Kultur nicht als gegensätzlich oder in Konkurrenz mit der serbischen darzustellen. Vielmehr könne die europäische Kultur als Bindeglied zwischen den verschiedenen in Serbien und Novi Sad angesiedelten Bevölkerungsgruppen dienen.

Es lässt sich festhalten, dass sich sowohl die serbischen als auch montenegrinischen Teilnehmer vom Wert, der EU beizutreten, überzeugt zeigten – aus wirtschaftlichen, rechtsstaatlichen sowie sicherheitspolitischen Gründen. Auffallend war, dass insbesondere die serbischen Gesprächspartner Deutschland eine hervorgehobene Rolle und Verantwortung in diesem Prozess zuschrieben. Einig waren sich alle Teilnehmer, inklusive der deutschen, dass sowohl die EU als auch die Länder des westlichen Balkan von einer Aufnahme profitieren könnten. Ein Blick auf die europäische Landkarte genügt, um zu erkennen, dass die Balkan-Staaten von EU-Ländern umschlossen sind. Daraus wurde gefolgert, dass eine Erweiterung um diese Region den Westbalkan-Staaten zusätzliche Stabilität und Sicherheit verleihen würde, genauso wie der europäischen Gemeinschaft. Angesichts einer gewissen "Erweiterungs-Müdigkeit" und interner Krisen der EU sei es daher nun umso wichtiger, die einzelnen Kapitel der Beitrittsverhandlungen konsequent abzuarbeiten und Unterstützung für begonnene Reformprozesse zu leisten. Die KAS und ihr Arbeitskreis Junge Außenpolitiker wollen darauf hinwirken, noch mehr Aufmerksamkeit der deutschen Politik auf diese Region, ihre Entwicklungschancen und ihre Fragilität zu richten.

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Foreign Affairs and Security Policy

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