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Event Reports

Legalistische Islamisten in Deutschland und Europa

Bestandsaufnahme und Herausforderungen

Am 14. Oktober 2015 fand in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Politikanalyse (ÖGP) eine Fachtagung zum Thema „Legalistische Islamisten in Deutschland und Europa – Bestandsaufnahme und Herausforderungen“ in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin statt.

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Die Expertentagung widmete sich in zwei Panels konkreten Organisationen aus dem Bereich des legalistischen Islamismus in Deutschland und ausgewählten europäischen Staaten. Im Zentrum der Fachtagung lag neben dem Erfahrungsaustausch vor allem die Erarbeitung möglicher Präventionsansätze, um einem weiteren Anstieg des legalistischen islamistischen Personenpotentials entgegenwirken zu können.

In Deutschland leben über 31.000 legalistische Islamisten

Nach Angaben des im Sommer 2015 veröffentlichen Verfassungsschutzberichts des Jahres 2014 leben in Deutschland über 43.000 Personen, die zum sogenannten islamistischen Personenpotenzial zählen. Die überwiegende Zahl von über 31.000 Personen zählt dabei zur Gruppe der legalistischen Islamisten. Legalistische Islamisten verhalten sich weitestgehend gesetzeskonform, folgen jedoch einer islamistischen Ideologie. In Deutschland zählt die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş e.V.“ (IGMG) als größte Organisation mit ihren ca. 31.000 Mitgliedern zur Gruppe der legalistischen Islamisten. Die IGMG wird auf Bundesebene und in einigen Bundesländern noch immer von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet.

Dr. Helmut Pisecky, der als Research Director der Österreichischen Gesellschaft für Politikanalyse die Fachtagung gemeinsam mit dem Koordinator Islam und Religionsdialog der Konrad-Adenauer-Stiftung, Thomas Volk, eröffnete, betonte in seiner Ansprache, dass der legalistische Islamismus in Österreich bisher kein Bestandteil der Verfassungsschutzberichte sei. Weiterhin machte Dr. Pisecky deutlich, dass es sich ebenso wie beim Islamismus im Allgemeinen auch beim legalistischen Islamismus um ein gesamteuropäisches Phänomen handele und daher ein verstärkter deutsch-österreichischer Erfahrungsaustausch wünschenswert sei.

Die Muslimbruderschaft und die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş“ gelten als legalistische Islamisten

Im Rahmen des ersten Panels zum Thema „Legalistische Islamisten in Deutschland: Überblick und Präventionsansätze“ tauschten sich nach kurzen Impulsen die drei Referenten mit dem Fachpublikum aus. Dr. Stefan Meinig vom Bayerischen Rundfunk berichtete aus seinen journalistischen Recherchen über die Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Deutschland und verdeutlichte, dass vor allem die Rolle der Konvertiten bisher unterschätzt werde. Diese würden in den Reihen der Muslimbruderschaft einige einflussreiche Rolle einnehmen. Auffällig sei außerdem, dass besonders viele Frauen in der Führungsriege von Vereinen, die der Muslimbruderschaft nahestehen, aktiv seien. Meinig bemängelte vor allem eine nicht vorhandene Transparenz bei Vereinigungen der Muslimbruderschaft, die es Außenstehenden nur schwer ermöglichen würde, nachzuvollziehen, mit welchem Gesprächspartner sie es gerade zu tun hätten.

Nachdem der Islamwissenschaftler Yilmaz Kahraman über die Aktivitäten der Milli Görüş-Bewegung in Deutschland berichtete, ging der in Berlin lebende Diplom-Psychologe und Buchautor Ahmad Mansour auf Ansätze der Islamismusprävention in Deutschland ein und kritisierte vor allem, dass in weiten Teilen des legalistischen Islamismus nach wie vor ein starker Textglaube, eine ausgeprägte Angstpädagogik und die Tabuisierung der Sexualität vorherrsche.

Die „Milli-Görüş-Bewegung“ betreibt mehr als 300 Vereine in Deutschland

Kahraman betonte zuvor, dass der Gründungsvater der Bewegung, der frühere türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan mit seinen Schriften nach wie vor einen großen Einfluss auf die Ausrichtung der Milli Görüş in Deutschland habe. Erbakan habe ideologisch für eine Vereinbarung von Islamismus und türkischem Nationalismus geworben und das Bild einer „gerechten Ordnung“ (auf Türkisch: adil düzen) entworfen, welche auf einer rein islamischen Lehre aufbaue. In Deutschland zählten, so Kahraman, über 320 Vereine zur IGMG, weshalb diese Gemeinschaft als größte Organisation des legalistischen Islamismus in Deutschland angesehen werden könne.

Mansour, der außerdem Sprecher des Muslimischen Forums Deutschland ist, betonte in seinen Ausführungen wiederum, dass eine steigende Tendenz antisemitischer Haltungen innerhalb der muslimischen Jugendkultur zu beklagen sei. Auch kursierende Verschwörungstheorien seien nach wie vor sehr dominierend. Diesen Entwicklungen gelte es durch die Erstellung von Gegennarrativen – vor allem in Netz – entgegen zu wirken.

Die Muslimbruderschaft bietet den ideologischen Nährboden für die Milli-Görüş-Bewegung

Im Rahmen des zweiten Panels am Nachmittag widmete sich die Rede der europäischen Dimension des legalistischen Islamismus. Professor Ednan Aslan von der Universität Wien unterstrich in seinem Vortrag über die Muslimbruderschaft in verschiedenen europäischen Staaten, dass es zwischen Salafisten und legalistischen Islamisten keine großen theologischen Unterschiede gebe. Beide Gruppen würden einen rein islamischen Staat begründen, hätten sie die Möglichkeit dazu. Professor Aslan hob hervor, dass die Politisierung des Islams in der Türkei durch die Milli Görüş-Bewegung erfolgte und diese wiederum ihre ideologischen Grundlagen in der Muslimbruderschaft habe. Aslan plädierte dafür, den „Islam als einen Prozess“ und als nicht abgeschlossen anzusehen. Es müsse eine offene innerislamische Diskussion zugelassen und geführt werden.

Der britische Journalist, John Ware, widmete sich in seinem Vortrag einer Bestandsaufnahme der Situation legalistischer Islamisten in Großbritannien und stellte fest: „Es haben sich mehr Muslime aus Großbritannien der Terrororganisation ´Islamischer Staat´ angeschlossen, als Muslime in der britischen Armee dienen“. Dabei spiele besonders die Radikalisierung von Muslimen in Justizvollzugsanstalten eine große Rolle. Dieser Entwicklung müsse entgegengewirkt werden – auch durch eine stärkere Förderung von Deradikalisierungsprojekten.

Im Schatten der Berichterstattung über salafistische und jihadistische Islamisten dürfen legalistische Islamisten nicht außer Betracht gelassen werden

Als Fazit der Expertentagung kann schließlich festgehalten werden, dass legalistische Islamisten überall in Europa eine wachsende Gruppe darstellen. Während die öffentliche Berichterstattung vor allem das Erstarken salafistischer und jihadistischer Strömungen thematisiert, bleiben Gruppen des legalistischen Islamismus zuweilen ohne Beachtung. In Ländern wie Österreich werden legalistische Islamisten bisher noch nicht einmal von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet und in Deutschland ist ein gewisser Trend der gelockerten Überwachung in Bezug auf solche Bewegungen zu erkennen. Eine solche Entwicklung ist besorgniserregend, da legalistische Islamisten einem dezidiert islamistischen Gedankengut folgen und somit die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Kern ablehnen.

Es gilt daher auch weiterhin, die Entwicklungen innerhalb des seit Jahren konstant hoch bleibenden legalistischen islamistischen Personenpotentials in Deutschland und anderen europäischen Gesellschaften zu beobachten, damit nicht im Schatten der salafistischen Strömungen Gruppen des legalistischen Islamismus unbeobachtet erstarken können. Die Teilnehmer der Tagung waren sich darin einig, dass diese Verantwortung zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des säkularen Rechtsstaats Aufgabe in allen Ländern Europas bleibt.

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Berlin Deutschland