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Country reports

Zum Gründungsparteitag der ÜVE-Res Publica

by Jörg-Dietrich Nackmayr
Die Saku Suur Hall, also die große Mehrzweck-Halle der Saku Brauerei, ist so etwas wie ein neues Statussymbol der jungen Republik Estland. Eigentlich versammeln sich hier bis zu 5000 Menschen zu Sport- oder Kulturveranstaltungen. Am 8. Dezember dagegen erlebte die Saku Suur Hall einen Ansturm von über tausend Mitgliedern und hunderten Gästen, um die 11 Jahre alte Bürgerbewegung Res Publica als Partei neu zu gründen.

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Aus dem ganzen Land reisten die Delegierten und Interessierten nach Tallinn. Dabei ist zu bedenken, dass die Res Publica zu den ältesten politischen Organisationen der jungen, wiedergegründeten estnischen Republik gehört. Res Publica versammelte die freiheitsliebenden Esten vor erst 11 Jahren zur Überwindung ihrer sowjetischen Vergangenheit. Res Publica war ein Nukleus der wiedererlangten Unabhängigkeit. Und nun, nach langer Pause, will Res Publica erneut Verantwortung übernehmen.

Nach der Wiedererrichtung der Republik Estland und der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie, blieb Res Publica am Rande des politischen Spektrums bestehen. Res Publica Mitglieder traten vor allem in die Mitte-Rechts-Parteien ein, saßen im Parlament oder in lokalen Selbstverwaltungen und prägten so auch die junge Geschichte des Parlamentarismus mit. Einflussreich waren vielleicht einige Res Publica-Mitglieder, Res Publica als Organisationaber war es bisher nicht.

Das aktuelle politische Klima - so kalt wie der frühe strenge Winter

Die Gründung einer neuen Partei 10 Monate vor den Kommunalwahlen und 15 Monate vor den Parlamentswahlen trifft die regierende Koalition in ihrer bisher schärfsten Krise. Denn obwohl die Regierung aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen das Land in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren weiter modernisiert und entwickelt hat, stehen die Zeichen auf Sturm.

Seit der Wahl Arnold Rüütels zum Staatspräsidenten, und der damit offensichtlichen Unfähigkeit der Regierungskoalition, einen gemeinsamen Kandidaten durchzusetzen, schwelt ein nie offen ausgesprochener Streit um die politische Vormacht weiter. Kurz nach der Präsidentenwahl hatte die liberale Reformpartei die Dreierkoalition in der zweitwichtigsten estnischen Stadt Tartu verlassen und mit der populistischen Zentralpartei eine neue Stadtregierung eingesetzt. Für eigentlich alle Beobachter und Politiker überraschend, verließ die Reformpartei nun am 6.12.01 auch die Tallinner Stadtregierung und einigte sich in nur 48 Stunde mit der Zentralpartei auf eine neue Regierung in der Hauptstadt unter Führung des machtbewussten Populisten Edgar Savisaar.

Damit fiel die dritte Stadt unter eine Mehrheit aus Liberalen und Populisten. Beobachter fühlen sich an den Winter 1995 erinnert, als durch den Austritt der Reformpartei aus der damaligen Regierung Laar schon einmal eine Koalition mit Savisaar entstand, die allerdings die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte. Wenngleich eine Koalition aus liberaler Reformpartei und populistischer Zentralpartei keine eigene Mehrheit im dritten Riigikogu hätte, kann eine Wiederholung der Ereignisse aus dem Jahr 1995 nicht ausgeschlossen werden. Allerdings hört man immer wieder, dass weder die Reformpartei noch die Zentralpartei die Regierung schon heute übernehmen wollen.

Die Umfragen für die Regierung Laar sind schlecht und die politischen Entscheidungen 2002 schwierig. So spricht viel für die Theorie, Savisaar wolle die letzten Monate der Regierung Laar bewusst als Kulisse für seinen Wahlsieg nutzen. Dies wäre von der starken Bürgermeisterposition in Tallinn aus leicht möglich, da hier ein Drittel der Bevölkerung lebt und über 50% der Wirtschaftsleitung des Landes produziert werden. Nicht umsonst heißt ein Grundgesetz der politischen Arithmetik in Estland, wer in Pärnu, Tartu und Tallinn regiert, wird es auch auf dem Domberg, also den Staat.

Neue Partei ohne neue Politik? Was ist anders an der ÜVE-Res Publica

Vor diesem Hintergrund kann die Gründung einer neuen Mitte-Rechts Partei nur als weitere Bedrohung für die regierende Mitte-Rechts Koalition aufgefasst werden. So kritisieren die zum Teil erst 20 jährigen Res Publica Macher auch weniger die Reformen oder konkrete politische Entscheidungen als den Stil, die Art und Weise des Regierens. Politik, so hört man immer wieder, sei nicht transparent, die Bevölkerung sei nicht wirklich in die Entscheidungen eingebunden.

Auch von fehlenden Karrierechancen in den etablierten Parteien ist immer wieder die Rede, sagen die 20-jährigen und werfen das einer im Schnitt gerade 40 Jahre alten Regierungsmannschaft ernsthaft vor. Nun haben Res Publica Vordenker herausgefunden, dass 40% der Esten von der bestehenden Art der Politik abgestoßen sind und deshalb nicht zur Wahl gehen. Dies ist die Zielgruppe, die mit den enttäuschten Wählern der bisherigen Politik den Aufstieg der ÜVE-Res Publica als Partei ermöglichen soll. In der Rede des Parteivorsitzenden wurde schon einmal mit 10-15% der Parlamentsitze eine Hausnummer vorgegeben, die man hinter vorgehaltener Hand für erreichbar hält.

Was bewegt nun aber überwiegend sehr junge Menschen, Familien und ältere Bürger, unter denen der ehemalige Präsident Lennart Meri sicher der populärste Vertreter ist, an der eintägigen Gründungsveranstaltung einer politischen Partei in der Hauptstadt teilzunehmen? Politische Erfahrung allein kann es nicht gewesen sein, sind 60% der Mitglieder der 1500 Köpfe starken Partei doch erst in diesem Jahr beigetreten. Genaue politische Vorstellungen, eine Vision des künftigen Estland waren weder Thema noch irgendwo formuliert, von der immer wieder zu hörenden Kritik einmal abgesehen, die neue Politik würde alles besser machen als die bisherige.

Mit den Zielfragen "Wer braucht Politik?", ""ie soll Politik sein", "Wie soll der Politiker sein?" wurde eine achtstündige Sympathiewerbung für den neuen Stil in der Politik eingeleitet. Stehen normalerweise politische Aussagen oder Visionen im Vordergrund von Parteitagen, hörte man hier über Inhalte nur wenig - dafür über den Wunsch, etwas zum Besseren zu verändern, sehr viel.

Schon vor dem Gründungskongress hatten die estnischen Medien herausgefunden, dass drei der reichsten und somit einflussreichsten Unternehmer Estlands zu den Sponsoren der ÜVE-Res Publica gehören. Tiina Mõis, Aadu Luukas und Olari Taal, die Mitbegründerin und Aktienmillionärin der Hansa Bank, der Ölhändler und Besitzer des Ölterminals "Pakterminal" in Estland und der ehemalige Bankier und ehemalige Minister gelten als finanzkräftige Entscheider im Hintergrund der neuen Partei. Da es keinen Mangel an Parteien in Estland gibt, wäre natürlich spannend zu erfahren, weshalb es jetzt einer neuen Partei bedarf. Darauf, dies sei gleich verraten, haben wir keine Antwort erhalten.

ÜVE-Res Publica will nach eigenem Anspruch eine Partei der Mitte, keine Partei extremer Positionen sein. Diese Überzeugung geht so weit, dass sich der auf eigenen Wunsch für 6 Monate gewählte Vorsitzende Rein Taagepera in seiner Einführungsrede z.B. bei der für Estlands Zukunft entscheidenden Frage zur EU-Mitgliedschaft nicht festlegen wollte.

Allein Estlands ehemaliger Präsident Lennart Meri brachte in die von Harmonie und Themenlosigkeit konzipierte Veranstaltung etwas kritische, politische Kultur. Schon sein Auftritt kommt einer kleinen Sensation gleich, galt Meri bisher doch immer als Mann der Isamaa. Und so verwundert es vielleicht auch nicht, als er in seinem Grußwort die Regierung Mart Laar indirekt scharf angriff. Er erläuterte am Beispiel des kürzlich durch das Parlament gepeitschten Privatisierungsvertrages des estnischen Energieversorgers Eesti Energia, was er sich nicht unter einer neuen politischen Kultur vorstelle.

So sei der Energieprivatisierungsvertrag nur in Englisch abgefasst worden, was der Geschäftsordnung des Parlaments widerspricht, er sei so kompliziert verfasst, dass er - Meri - daran zweifle, ob die Mehrheit der Parlamentarier verstanden habe, worüber sie abgestimmt haben. Auch führe dieser Vertrag in der Konsequenz zu den höchsten Strompreisen in Europa. Estland brauche mehr Demokratie, Transparenz und Kooperation, so Meri.

Hoffnungsvoll und ein Unterschied zu bisherigen Parteigründungen ist die arbeitsaufwendige, einjährige Vorarbeit bei der Erstellung des Parteiprogramms. Es ist allein schon aufgrund seiner 90 Seiten und seiner Genese eine Ausnahme unter den bestehenden Parteien in den früheren kommunistischen Staaten. Leider liegt noch keine übersetzte Fassung vor, so dass eine gründliche Analyse noch nicht vorgenommen werden konnte.

Die Steuerung des Parteitages - Führungsmittel verhindern politischen Diskurs

Wirklich neu für Estland dagegen sind die technischen Mittel, die zur Steuerung des Parteitages eingesetzt werden. So ist der Parteitag in den ersten zwei Stunden in ein an Theateraufführungen erinnerndes Dunkel getaucht, während eine Gruppe von drei jungen Männern auf einer Art Bühne abwechselnd am Tisch sitzend oder vor dem Mikrophon durch das Programm steuern.

Diese Dunkelheit und die Scheinwerferkegel auf der Bühne stehen in einem merkwürdigen Kontrast zu der von allen Rednern angepriesenen Transparenz und Offenheit der Partei. Der entfremdende Eindruck wird gesteigert durch zwei große Bildschirme über der Bühne auf der der jeweilige Redner und die Stichworte seiner Rede überdimensional eingeblendet werden. Auch als nach über zwei Stunden endlich irgendjemand das Licht einschaltet, bleibt der Parteitag merkwürdig unfrei und geführt. Eine eigene Dynamik entwickelt sich in den langen 8 Stunden nicht.

Interessant sind auch die kleinen Filme, die jeden neuen Redner dem Publikum ganz menschlich nah bringen sollen. Vor Abstimmungen nehmen kleine Lehrfilme mögliche Debatten oder Fragen so perfekt vorweg und präsentieren die richtigen Antworten zu Fragen wie: Was soll ein Politiker machen?, Was soll Politik?, Wie soll das Parteiprogramm sein? etc., dass es immer zu fast einstimmigen Abstimmungsergebnissen kommt. Eine Diskussion bleibt genau so wie Fragen aus dem Publikum völlig aus.

Die ÜVE-Res Publica wird von einem für lediglich sechs Monate gewählten 68-jährigen Parteivorsitzenden aus den USA geführt. Der Generalsekretär und der politische Sekretär sind hoffnungsvolle 27-jährige Jungstars, die sehr genau zu wissen scheinen, wie sie ihre Partei erfolgreich positionieren können. So scheint entschieden zu sein, dass die ÜVE-Res Publica in Europa die Mitgliedschaft in der EVP beantragen möchte. Europa sollte diese Partei und ihre Entwicklung interessiert, aber nicht enthusiastisch begleiten.

  • Name der Partei: Ühendus Vabariigi Eest- Res Publica (Abkürzung: ÜVE-Res Publica) (Vereinigung für die Republik - Res Publica)

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Elisabeth Bauer

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