Asset Publisher

Country Reports

Auswertung der brasilianischen Presseberichterstattung anlässlich der Bundestagswahlen

by Dr. Peter Fischer-Bollin, Jasper Eitze
Die wichtigsten brasilianischen Tageszeitungen, der Estado de São Paulo, die Folha de São Paulo und der Globo aus Rio de Janeiro, berichten am Montag ausführlich über das Ergebnis der Bundestagswahlen in Deutschland. Alle Zeitungen griffen auf Berichterstatter zurück, die im Rahmen eines Besuchsprogramms der Bundesregierung in Deutschland waren. Am Dienstag folgten wertende Kommentare, die das Wahlergebnis tiefer gehend analysierten.

Asset Publisher

Im Mittelpunkt der Berichterstattung über den Ausgang der Wahlen stehen vor allem die numerischen Ergebnisse und der Hinweis auf das außergewöhnlich schlechte Abschneiden der SPD und das unerwartet positive Ergebnis der FDP. Sämtliche Überschriften sprechen von der Wiederwahl Angela Merkels, wobei sich die jeweiligen Untertitel auf die Bildung einer „Mitte-rechts Koalition“ aus CDU und FDP beziehen.

Allein die Korrespondentin des Globo erwähnt, dass Merkel ihre Wiederwahl trotz eines der schlechtesten Wahlergebnisse in der Geschichte der CDU erreichen konnte.

Zusätzlich zum Wahlbericht veröffentlicht der Globo ein Kurzinterview mit Ingrid Sehrbrock, Mitglied im CDU-Bundesvorstand und stellvertretende DGB-Vorsitzende. In diesem Interview hebt Sehrbrock die Bedeutung der Arbeitsmarktfrage für die zukünftige schwarz-gelbe Koalition hervor, da mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit nach dem Auslaufen des staatlich subventionierten Kurzarbeitsprogramms zu rechnen sei. Sie unterstreicht unter dem Aspekt der geschlechtlichen Gleichberechtigung die Bedeutung von Merkels Wiederwahl als Kanzlerin der christlich-konservativ geprägten CDU. In diesem Zusammenhang verweist sie auf Merkels Führungsqualitäten und ihr gutes Image im Ausland.

Schwieriger und langweiliger Wahlkampf

Im Falle der Folha de São Paulo stellt die Korrespondentin in ihrem Wahlbericht den Ausgang der Wahlen als Sieg Merkels dar. Das gute Abschneiden der FDP erklärt sie vor allem mit der Absicht vieler Wähler, durch ihr Kreuz bei den Liberalen die Große Koalition zu beenden. Aufgrund der knapperen schwarz-gelben Mehrheit gegenüber einer starken linken Opposition seien größere Veränderungen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hingegen nicht zu erwarten. In diesem Zusammenhang wird Prof. Dr. Dietmar Herz von der Universität in Erfurt zitiert. Er prognostiziert, dass das Regieren in Deutschland tendenziell eher schwieriger würde. Nach ihrer herben Wahlniederlage müsse sich die SPD reorganisieren und programmatisch nach links orientieren. Zitiert wird weiterhin SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier, der für seine Partei in der Opposition die Aufgabe sieht, einen Rückfall in die neunziger Jahre unter schwarz-gelb zu verhindern. Diese Aussage wird mit dem Hinweis erläutert, dass das genannte Jahrzehnt der „Höhepunkt neoliberaler Reformen unter dem liberal-konservativen Helmut Kohl“ gewesen sei.

Zusätzlich analysiert der Kolumnist Marcos Nobre die Bundestagswahl bzw. nimmt eine Auswertung des Wahlkampfes vor. Die schwache inhaltliche Ausrichtung des Wahlkampfes begründet er vor allem mit der Besonderheit, dass die traditionellen Gegner CDU und SPD den Wahlkampf als Koalitionspartner führen mussten. Nobre hält es trotz dieses Umstandes für unverständlich, dass so wichtige Themen wie der anstehende Umweltgipfel in Kopenhagen selbst bei den GRÜNEN keine Erwähnung fand. Wenn die Erklärung hierfür möglicherweise in den geringen Erwartungen an den Gipfel liegt, sei das Ausblenden anderer wichtiger Themen wie die zu erwartende Arbeitslosigkeit, der Afghanistaneinsatz (erster Kampfeinsatz zu Boden seit der Gründung der Bundeswehr) und das zwanzigjährige Jubiläum der Wiedervereinigung, nicht nachzuvollziehen. In diesem Zusammenhang zitiert der Autor wiederholt die aus der Süddeutschen Zeitung stammende Bezeichnung des Wahlkampfes als „Kartell des Schweigens“. Den Ausgang der Wahl interpretiert Nobre als fortschreitenden Rückgang der während der letzten zwei Jahrzehnte aufgeblähten politischen Mitte. Die historisch niedrigste Wahlbeteiligung sei Ausdruck des politischen Desinteresses der Bürger angesichts der trägen lagerübergreifenden Konsenspolitik, die ihren Höhepunkt in der Großen Koalition gefunden habe. Die Ursache für das Streben der deutschen Politik hin zur Mitte während der vergangenen Jahre sieht der Autor im Gipfeln der neoliberalen Politik während der neunziger Jahre (fragwürdige Einordnung, die evtl. dem Blick durch die brasilianische Brille geschuldet ist). Die Mehrheit der Bevölkerung habe zwar die wirtschaftliche Liberalisierung als unvermeidlich betrachtet, wollte aber gleichzeitig ihre zu schnelle Umsetzung vermeiden. Trotz des Wahlsieges der Mitte-rechts Parteien sei die politische Mitte jedoch noch vorhanden. Jedoch werde die Logik, die das politische System der „letzten 30 Jahre des Neoliberalismus“ geprägt habe, durch ein sich neu formierendes Parteiensystem ersetzt, in dem den kleineren Parteien ein deutlich größeres Gewicht zukomme.

Der Niedergang der SPD

Der Kommentator Clovis Rossi setzte sich insbesondere mit der Lage der SPD auseinander: Er meint, nicht der Enthusiasmus für die Merkel-CDU, sondern die Unfähigkeit der SPD, „aus dem Schatten der Mauer“ zu treten, sei der Hauptgrund für das Wahlergebnis. Die SPD habe –so wie andere linke Parteien auch- es nicht geschafft, sich nach dem Ende des Kommunismus ein neues Profil zu geben, das nicht auf eine Kopie bürgerlicher („neoliberaler“) Politik hinauslaufe, sondern als Alternative dazu die Unterstützung der Wähler finde.

Schwarz-gelbe Zukunft

Der Estado de São Paulo spricht ebenfalls vom einem „Sieg“ der CDU. Eine Erwähnung wert aus Sicht der Tageszeitung war der Umstand, dass der Jubel im Konrad-Adenauer-Haus bei der Bekanntgabe des FDP-Ergebnisses größer war als beim eigenen. Die dafür auf der Hand liegende Erklärung bleibt die Autorin hingegen schuldig. Das Wahlergebnis ermögliche erstmals seit der Regierungszeit Helmut Kohls wieder ein konservativ-liberales Regierungsbündnis. Im Hinblick auf die zu erwartende inhaltliche Ausrichtung einer schwarz-gelben Koalition werden Steuersenkungen und die Verlängerung der AKW-Laufzeiten genannt. Beschrieben wurden zudem die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen während der Wahlen aufgrund angekündigter Terroranschläge durch Al-Quaida und die Taliban.

Im Leitartikel stehen die Folgen des Wahlergebnis für die deutsche Regierungspolitik der nächsten Jahre im Mittelpunkt: Man erwartet keinen radikalen Bruch im Vergleich zur ersten Merkel-Regierung. Es wird von einer Dominanz der „extremen Mitte“ Angela Merkels im Regierungsalltag mit den marktradikalen Liberalen unter Guido Westerwelle ausgegangen. Da beide Parteien die Steuern senken wollen, sei abzuwarten, wie sich das angesichts der tatsächlichen Finanzlage verwirklichen lassen und wie die Experimenten eher abgeneigten Wähler darauf reagieren würden. Außerdem werden wie Konsequenzen für das deutsche Parteiensystem beleuchtet: Hervorgehoben werden neben dem weiteren Abschmelzen der Volksparteien, besonders auch das schwache Ergebnis der CSU in Bayern, die erstmals keine absolute Mehrheit der Stimmen geholt habe. Der Sieg für Schwarz-Gelb sei jedoch auch eine Rückkehr zur Normalität, die den Bürgern klare politische Alternativen erkennbar werden lassen.

Die bilateralen Beziehungen

Offizielle Stellungnahmen zum deutschen Wahlergebnis seitens der brasilianischen Regierung sind nicht bekannt. Im Vorfeld war ohne hin tendenziell eher mit diesem Ergebnis gerechnet worden. Dort überwogen die Fragen nach den Folgen einer Regierung Schwarz-Gelb für die Beziehungen zu Brasilien in den Bereichen, Klima- und Umweltschutz, Energie (Atomkraft, Bioethanol) und internationale Beziehungen. Es wurde registriert, dass CDU/CSU und FDP möglicherweise beim Atomausstieg einen langsameren Kurs fahren könnten. Dies ist für Brasilien deshalb bedeutsam, weil die Regierung beschlossen hat, in den nächsten Jahren zahlreiche neue AKW zu bauen. Bisher gibt es nur zwei, die in den 1970er Jahren von Deutschland erbaut wurden. Konkrete Konsequenzen für deutsch-brasilianischen Beziehungen sind derzeit jedoch nicht zu erkennen.

Asset Publisher

comment-portlet

Asset Publisher