Asset Publisher

Event Reports

Virtuelle Demokratie - Belem

Wie das Internet und soziale Medien als Katalysator wirken, die Gesellschaft und Politik verändern

In der heutigen Zeit ist das Internet das oberste Transformationsmedium, das auf radikale Weise die Art, wie die Welt und verschiedene Gesellschaften arbeiten und interagieren verändert. Ein zentraler Punkt in diesen epochalen Ereignissen ist die Ermächtigung des Individuums. Die Art und Weise wie dies geschehen ist und wie die Regierungen darauf reagieren, wurde während unseres Events diskutiert. Unsere Veranstaltungsserie „Virtuelle Demokratie“ besteht aus verschiedenen Seminaren in mehreren Orten des Landes, deswegen trafen wir uns diesmal in Belém do Pará, im Norden Brasiliens.

Asset Publisher

Die Debatte begann mit dem Beitrag von Vinicius Braz, Aktivist der P2P Brasil Global Initiative, der die Veränderungen die auf einem strukturellen globalen Niveau geschehen analysiert. Dank der neuen Vernetzungsmöglichkeiten, ein Phänomen das in den letzten 20 Jahren vom Internet ermöglicht wurde, wird das Lokale global und das Globale lokal. Die Perspektive des Redners ist „bottom to top“ um beginnt mit einer historischen Herleitung, in der er zum Ursprung des menschlichen Lebens zurückging und erklärte, dass der Mensch vor 15.000 Jahren sesshaft wurde, vor 800 Jahren der Globalisierungsprozess begann und dass er dank Post, Fernsehen, Radio und Internet seit 50-60 Jahren „global“ ist.

Laut Herrn Braz lag im Sesshaftwerden der Ursprung, der zur Entstehung der Städte führte. Die Menschen begannen sich von der Natur zu isolieren und sie auszubeuten, anstatt im Einklang mit ihr zu leben, wie es die anderen Arten im Tierreich tun. Somit begannen sich gesellschaftliche Bereiche herauszubilden, in denen Knappheit herrscht und mittels des Privatbesitzes und Vertrags verwaltet werden. Diese gesellschaftlichen Bereiche der Knappheit sind weniger komplex als der Überfluss der Natur und haben klare Strukturen, die wir ebenso verinnerlicht haben wie die Zentralisierung und Repräsentation durch Hierarchien. Dies wird als menschliches Zusammenleben bezeichnet, anstatt dass man in Netzwerken organisiert und den Überfluss der Natur teilt.

Die Demokratie erschaffen, so Herr Braz, um die Hierarchien abzubauen, aber in ihrer klassischen Form ist sie nicht in der Lage unsere Wahrnehmung der Realität, die auf Repräsentation und Vermittlung beruht, zu verändern. Deswegen beginnen wir laut ihm eine soziale Überstruktur zu entwerfen, während wir uns emphatisch fortentwickeln.

Der letzte Teil des Vortrags drehte sich um soziale Netzwerke und die zunehmende Konvergenz der digitalen und analogen Welt. Er betonte, dass Facebook und Twitter keine sozialen Netzwerke sind, sondern Plattformen, Soziale Medien. Das soziale Netzwerk wird von Individuen gebildet, die interagieren und sich durch soziale Medien, Briefe oder eben auch Radios miteinander in Verbindung setzen. Während die Menschen immer mehr Besitz des Raumes ergreifen, verwandeln sie sich in „smart citizens“. Das Ergebnis ist ein globalisiertes soziales Gewirr, wo man ohne zu reisen miteinander reden kann, also ohne die Erlaubnis von Regierungen und Behörden zu brauchen, um an Pässe und Visa zu kommen. Außerdem bilden sich außen liegende Realitäten (Exo-Realitäten), wie zum Beispiel durch Google-Glass, wo die Trennung von online und offline aufgehoben wird.

Die nicht abschließende Schlussfolgerung des Redners ist, dass sie Gesellschaft sich empathisch fortentwickelt, während sie Jahrhunderte der Hierarchien und Zentralisierung abbaut und anfängt in horizontalen Vernetzungen zu leben.

Nach dem Beitrag von Herrn Braz, der von einer Makroperspektive aus untersuchte, folgte der von Fabro Steibel, Dozent an der ESPM, der seinen Standpunkt von einer Microperspektive aus präsentierte (er analysiert, was auf den Strassen und in der Regierung vor sich geht). Er bezeichnet sich als Architekt virtueller öffentlicher Bereiche und sagt, dass dank dieser Bereiche die Gesellschaft mehr Möglichkeiten erhält, um am sozialen und politischen Leben teilzunehmen. Laut ihm ist das Problem, dass die Regierung nicht darauf vorbereitet ist darauf zu hören, was die Leute auf der Strasse zu sagen haben. Mit dem Mangel an Kommunikationswegen zwischen Regierung und Bevölkerung, also mit dem Fehlen von Mechanismen um die Forderungen in Gesetze zu verwandeln, erreiche man nur, was er als „Gemurmel und Mimimi“ bezeichnet.

Die Erschaffung eines Raumes, in dem sich alle miteinander kommunizieren können ist schwierig, weil alle institutionellen Prozesse auf der Repräsentation und Vermittlung basieren. Ein anderes Problem sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Teilnehmer, beispielsweise hat der Twitterkanal der Regierung, wo man konkrete Verbesserungen der Infrastruktur fordern konnte nicht funktioniert, weil der Prozess eine Strasse auszubessern deutlich länger braucht als die sofortige Wirkung einer Handlung im Internet. Zusammengefasst kann man sagen, die Regierung sei eine komplett formelle Institution, mit ihren vorgegebenen Prozessen, die nur schwer und langsam geändert werden können. Die Gesellschaft hingegen sei ein sehr flexibles Netzwerk, welches in konstanter Bewegung und Veränderung sei. Deshalb ist das Netzwerk daran gewöhnt, dass ihre Handlungen schnell seien, während jeglicher bürokratischer oder legislativer Prozess langwierig ist, womit eine zufriedenstellende Kooperation beider Akteure sehr schwierig ist. Deswegen kann diese große soziale Mobilisierung, die sich im Juni gebildet hat, in großen Frust für beide Seiten umschlagen.

Als möglichen Ausweg schlug Herr Steibel vor, neue Portale für die Mitarbeit zu kreieren. Als Beispiel könnte das Portal für Menschenrechte des Mercosul dienen. Das Vorbild wäre das Konzept des „Büroportals“, wo es einen virtuellen Besprechungsraum, ein Archiv, etc. gibt. Mit dieser Replizierungstechnologie würde man eine virtuelle Demokratie erschaffen, die nicht notwendigerweise direkt oder partizipativ sein müsste, aber doch öffentlich zugänglich.

Unter Berücksichtigung des Seminars bis zu diesem Punkt, kam Herr Steibel zum Schluss, dass wir weit entfernt von einer Lösung der Partizipationsprozesse bei der Politikbildung sind. Jedoch erwähnte er auch den „Marco Civil da Internet“, ein brasilianisches Gesetzesprojekt, das eine erstmalige Onlinebefragung darstellt.

Der dritte Beitrag stammte von Filipe Peçanha der MidiaNinja Rio de Janeiro. Er begann seinen Beitrag mit der Geschichte der MidiaNinja, welche aus dem Netzwerk, „Fora do Eixo“ (Außerhalb der Achse) hervorkam. Das Netzwerk MidiaNinja existiert seit 2011 und ist ein Forum wo verschiedene Kollektive sich in Verbindung setzen, um Projekte zu realisieren. Anstatt von Vermittlern ab hängig zu sein, nutzt man die Verbindung „peer to peer“ um Projekte wie unabhängige Musikfestivals zu realisieren. Es gibt mehr als 200 auf diese Weise organisierte Kollektive in ganz Brasilien, die eine neue Art der kollektiven Wirtschaft praktizieren, wo die Ressourcen zentralisiert und je nach Bedarf verteilt werden, was dazu führt, dass sie viel mehr abwerfen.

Vor allem seit 2011 hat sich das Netzwerk verbreitet und mit dem Haus „Fora do Eixo“ in São Paulo ein erstes großes Projekt gehabt, wo sich drei Kollektive zusammengetan haben. Die Grundpfeiler dieses Netzes, das sich als unabhängige Kulturbewegung und offene Plattform versteht, sind die Produktion von Inhalten, ihre Verbreitung und Zirkulation.

Herr Peçanha schloss seine Präsentation mit den Worten ab, dass viele Kritiken am Kollektiv der Versuch sind, die Bewegungen zu kriminalisieren. Als Beispiel für die mediatische Manipulation zeigte er die Titelseite der großen Tageszeitung „O Globo“ vom 7. Oktober 2013.

Der letzte Beitrag stammte von Gustavo Diniz, Forscher am Institut Igarapé. Seine zentralen Themen waren die Dichotomie zwischen Sicherheit und Freiheit und die Auswirkungen der virtuellen Welt auf die reale. In diesem Zusammenhang zeigte er, wie die neuen Technologien sowohl unsere Privatleben, als auch das Zusammenleben der Gesellschaft verändern, weil sie eine wichtige Auswirkung auf die Demokratie haben. Beispielsweise ist politischer Aktivismus heutzutage so gut wie immer auch digitaler Aktivismus.

Das erste Thema war die Digitalisierung des Lebens und der Gesellschaft. Um an der digitalen Ökonomie teil zu haben, sind die Menschen bereit einen Teil ihrer Privatsphäre aufzugeben. Auf diese Weise werden Daten zu unserem Konsum, unserer Ernährung und Gesundheit, aber auch über unseren sozio -ökonomischen Status gespeichert und verarbeitet. Dieser Prozess verwandelt Aktionen der realen Welt und persönliche Eigenschaften in digitale „Big Data“.

Das zweite Thema drehte sich um innovative Methoden, um die Proteste auf den Straßen Brasiliens zu verstehen, die ein sehr starkes digitales Element hatten. Das bedeutet, dass um die Proteste zu verstehen es nicht ausreicht die Geschehnisse auf den Straßen zu analysieren, so wie es früher immer der Fall war. Der einzige Weg um ein tiefes Verständnis zu haben war, die digitalen Kanäle zu erforschen und die Verteilungswege der Information in den sozialen Medien zu analysieren. Diese Schnittstelle kann man laut dem Redner als „Straße-Sofa“ bezeichnen.

Das dritte Thema beschäftigte sich mit den Gefahren für die Freiheiten der Demokratie. So wie die Proteste auf der Strasse der polizeilichen Kontrolle unterlagen, hat man auch im Cyberspace Kontrollmechanismen installiert. Dies kann für Grundrechte wie die freie Meinungsäußerung weitreichende Folgen haben.

Der Seminarbeitrag von Hern Diniz ging damit zu Ende, dass er darauf hinwies, dass alle Werkzeuge die die digitale Welt für Kommunikation, Organisation, Speicherung und Datenverarbeitung liefert, dabei behilflich sind die Welt in der wir Leben zu verstehen, aber dass sie gleichzeitig ein großes Kontroll- und Zensurpotential haben. Dies sieht man auch an ihrer Eigenschaft für alle frei zugänglich zu sein, unabhängig von der Absicht die jemand hat. Eine wichtige Auswirkung hiervon ist, dass Handlungen in der digitalen Welt gravierende Folgen in der analogen Welt haben können.

Die Fragerunde zählte mit der regen Beteiligung des Publikums und zeigte ihr großes Interesse für die vorgestellten Themen. Ein Teil des Diskussion drehte sich um die Themen Kontrolle der Kommunikation und Zensur. Zu dem Thema Zensur sagte Filipe Peçanha, es sei sehr wichtig, dass der „Marco Civil“ mit dem aktuellen Text verabschiedet wird um die Netzneutralität sicher zu stellen, denn dies sei ein Werkzeug gegen die Kontrolle und in der Folge gegen Zensur. Allerdings fügte Gustavo Diniz hinzu, dass Netzneutralität nur zum Teil der großen Kontrolle der Medien etwas entgegensetzen könne, denn nur 45% des Landes hat überhaupt Zugang zum Internet und nicht alle diese Nutzer seien wirklich alphabetisiert. Zusammengefasst kam man zu dem Schluss, dass die traditionellen Kommunikationsmedien auch in Zukunft viel Sichtbarkeit und Einfluss haben werden. Ein anderer Aspekt, auf den von den Rednern hingewiesen wurde war, dass die Realität multikausal sei und dass man, um sich ihr nähern zu können, viele Informationen verschiedener Quellen brauche.

Ein anderes Thema, das auf Initiative des Publikums diskutiert wurde, war die Rolle von NGOs und ihr Transformationspotential. Vinicius Braz antwortete, dass obwohl NGOs gegründet wurden, um Bereiche abzudecken um die sich die Regierungen nur unzureichend kümmerten, sie in Wirklichkeit oftmals als Arm von Regierungen oder Unternehmen agieren. Fabro Steibel entgegnete, dass es dennoch einige Beispiele gäbe, die deren Transformationspotential bewiesen, vor allem aufgrund ihrer Möglichkeiten zu informieren. Als Beispiel in diesem Kontext nannte er „Fora do Eixo“, obwohl es sich dabei nicht um eine NGO handelt.

Die Schlussfolgerung der Debatte war, dass angesichts der Tatsache, dass alle zwischenmenschlichen Interaktionen auf einer Mikroebene geschehen, weshalb auch die Problemlösung auf dieser Ebene geschehen müsse. Dafür müsse man Netze entwickeln, die in der Lage wären diese Probleme zu lösen, oder die wenigstens den entfernten Staatsregierungen dabei behilflich sind, durch Informationen adäquatere Lösungen zu finden

Asset Publisher

Contact

Gregory Ryan

comment-portlet

Asset Publisher

Asset Publisher