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Handlungsfelder und Funktionen der CDU

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Auf den Feldern der politischen Arbeit der CDU spielten bis in die Mitte der 1970er Jahre hinein Kirchenfragen die wichtigste Rolle. Nach den Vorstellungen der SED sollte die CDU beim „Aufbau des Sozialismus“ vor allem die christlichen Bevölkerungskreise an den sozialistischen Staat heranführen. Zur Steuerung dieses Auftrags war beim Hauptvorstand eine Abteilung „Kirchenfragen“ eingerichtet. In Veranstaltungsreihen („Tradition und Verpflichtung“; „Bürgerpflicht und Christenpflicht“), über Zeitschriften („Der Standpunkt“; „Die Begegnung“), in den Arbeitsgruppen „Christliche Kreise“ und im Rahmen der „Christlichen Friedenskonferenz“ oder der „Berliner Konferenz europäischer Katholiken“ wurde insbesondere das Gespräch mit Pfarrern und Theologen nachdrücklich gesucht. So waren alle Gliederungen der Partei verpflichtet, mindestens einmal jährlich Veranstaltungen und Aussprachen mit Geistlichen beider großen Konfessionen, Angehörigen anderer christlicher Glaubensgemeinschaften und mit kirchlichen Laien durchzuführen. Bekannt waren etwa die „Lobetaler Gespräche“, die jährlich vom Bezirksvorstand Frankfurt/Oder durchgeführt wurden. Zu den CDU-Jahreshauptversammlungen in den Ortsgruppen wurden regelmäßig auch Pfarrer und Theologen eingeladen. 1958 initiierte die CDU einen „Bund evangelischer Pfarrer in der DDR“. Er sollte den protestantischen Klerus zur Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus bewegen. Doch der Bund fand nur geringe Resonanz und wurde 1972 aufgelöst. CDU-Mitglieder wurden von ihren jeweiligen Leitungen aufgefordert, in kirchlichen Einrichtungen aller Art mitzuarbeiten, um neue „Unionsfreunde“ zu gewinnen.

Trotz all dieser Bemühungen und obwohl die offizielle Parteidoktrin betonte, dass das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus keine Gegensätze seien, war der Erfolg der CDU bei Christen und Kirchen eher gering. Von den knapp acht Millionen Christen in der DDR traten nur etwa 100.000 „ihrer“ Partei bei. Für überzeugte Christen war der atheistische Grundzug des Kommunismus eine entscheidende Hemmschwelle. Sie erwarteten von ihrer Parteileitung, dass sie die Interessen der Christen gerade in einem sozialistischen Staat kräftig vertrat. Die Parteileitung war umgekehrt von der SED beauftragt, „Transmissionsriemen“ zwischen Staat und Christen zu sein, also die christliche Bevölkerung an den kommunistischen Staat heranzuführen. Diese unterschiedlichen Interessenrichtungen und Zielvorstellungen führten zu ständigen Spannungen zwischen Parteileitung und Mitgliedschaft. SED-Politbüromitglied Albert Norden versuchte 1972 mit seiner Formel vom „sozialistischen Staatsbürger christlichen Glaubens“ eine Verbindung zwischen den gegensätzlichen Polen herzustellen, doch die Formel setzte sich nicht durch.

Mit Beginn der Ära Honecker nahm die SED das Bemühen um die christlichen Bevölkerungskreise zunehmend selbst in die Hand. Hatte die CDU bei der 1969 erfolgten Gründung des „Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ (BEK) noch eine wichtige Rolle gespielt, so waren ihre Vertreter zu dem Spitzengespräch zwischen Erich Honecker und dem Vorstand der Evangelischen Kirchenleitungen am 6. März 1978 schon gar nicht mehr eingeladen. Dieses Gespräch legte die Grundlagen des künftigen Staat/Kirche-Verhältnisses in der DDR fest und läutete eine Phase der Entspannung zwischen beiden ein. Die CDU wurde als Zwischeninstanz kaum noch gebraucht, zumal sie ihre Vermittlungsfunktion aus der Sicht der SED ohnehin nur unzulänglich erfüllt hatte. Auch ihre einst einflussreiche Rolle an den theologischen Fakultäten der DDR-Hochschulen büßte die CDU nach und nach ein. Bei Themen, die zwischen Staat und Kirche strittig waren, stand sie in aller Regel auf Seiten des Staates: Militärseelsorgevertrag 1957, Einführung der Jugendweihe 1954, Wehrkundeunterricht 1978. Beim Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch 1972 stimmten allerdings von 22 CDU-Volkskammerabgeordneten 14 gegen die SED. Von Zeit zu Zeit wies die Partei auch offiziell auf Benachteiligungen hin, denen christliche Bürger in Staat und Gesellschaft ausgesetzt waren.

Mit dem zunehmenden Verlust ihres Einflusses in Kirchenfragen wandte sich die CDU anderen Aufgabenfeldern wie der Friedensarbeit, dem Umweltschutz und vor allem der Kulturpolitik zu, die freilich schon seit Nuschkes Zeiten ein von der Partei intensiv gepflegter Bereich mit eigenständigem Profil war. So konnten im belletristischen Programm der CDU-eigenen Verlage „Union“ sowie „Koehler & Amelang“ westliche und christliche Autoren wie Albrecht Goes, Heinrich Böll, Marie Luise Kaschnitz oder Luise Rinser erscheinen. Das CDU-Zentralorgan „Neue Zeit“, das sich im politischen Teil kaum von den SED-Organen unterschied, bot im Feuilleton-Teil Freiräume für anspruchsvolle literarische Essays und religiöse Betrachtungen. Große regelmäßige Parteiveranstaltungen mit „Künstlern und Kulturschaffenden“, die meist in der „Zentralen Schulungsstätte Otto Nuschke“ in Burgscheidungen stattfanden, boten in ihrem Rahmenprogramm anspruchsvolle Konzerte und Kunstausstellungen.

In der musikalischen Kultur der DDR genoss die CDU Ansehen, insbesondere wegen ihrer Verdienste um die Pflege der Kirchenmusik in ihrem sakral-liturgischen und künstlerisch-ästhetischen Doppelcharakter; zahlreiche bedeutende Kirchenmusiker der DDR waren Mitglieder der CDU. Insgesamt stand die CDU für ein lebendiges „nicht-marxistisches“ Kulturleben in der DDR. Der Kulturbereich war es in erster Linie, in den die CDU christliches Gedankengut einbrachte und in dem sie den Anliegen der Kirchen näher war als denen des Staates. Im offiziellen staatlichen Kulturapparat selbst spielten CDU-Vertreter dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Außenpolitische Fragen betrachtete die SED als ihre Domäne; die kleineren Blockparteien hatten in diesem wichtigen Feld keine eigene Entfaltungsmöglichkeit. Das schloss aber zahlreiche internationale Kontakte, die auch durch Göttings langjähriges Amt als Präsident der „Liga für Völkerfreundschaft“ gefördert wurden, nicht aus. Natürlich sollten die Auslandskontakte der kleineren Blockparteien im Wesentlichen dem Ziel dienen, das internationale Ansehen der DDR zu steigern, und insofern waren sie mit der SED und den staatlichen Organen abzustimmen.

Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland wünschte die Ost-CDU, wie die DDR überhaupt, die „friedliche Koexistenz“ als Normalität. Bis Ende der 1960er Jahre gab es noch zahlreiche Kontakte der Ost- zur West-CDU. Dazu gehörten Reisen nach Westdeutschland, Briefwechsel und persönliche Treffen mit christlichen Persönlichkeiten und kirchlichen Gruppen. Bei den Leipziger Messen sollten westdeutsche Gäste „angeregt werden, sich mit den anti-imperialistischen Kräften zu solidarisieren und für den demokratischen Fortschritt in der BRD einzutreten“, wie es in einem Hauptvorstandsbeschluss der Ost-CDU von 1971 hieß. Doch mit Beginn der 1970er Jahre hörten alle Ost-CDU-Kontakte zu bundesdeutschen Stellen und zur West-CDU auf. Haupthindernis war aus östlicher Sicht die von der Bundesregierung verweigerte Anerkennung der DDR als Staat. Umgekehrt hatte die West-CDU keinerlei Interesse, auf die fortdauernden Gesprächsangebote einzugehen und sich gleichzeitig permanent als „Kapitalisten“, „Imperialisten“ oder „Kriegstreiber“ propagandistisch angreifen zu lassen. Insbesondere die Exil-CDU, die in der CDU einen eigenen Landesverband bildete und die sich weiterhin als rechtmäßige Vertretung der Christdemokraten in der SBZ/DDR verstand, wurde von der Ost-CDU als eine von den Amerikanern bezahlte „Agentenzentrale“ angegriffen.

Wirtschaftspolitisch unterstützte die CDU die Kollektivierung von Landwirtschaft und Handwerk und die zunehmende Einbeziehung mittelständischer Schichten in den sozialistischen Aufbau. Bei der Einführung der halbstaatlichen Betriebe in der DDR 1956 – offiziell hießen sie „Betriebe mit staatlicher Beteiligung“ (BSB)war die CDU in enger Zusammenarbeit mit der SED beteiligt. Sie riet Unternehmern, die Mitglieder der CDU waren, Teile ihres Unternehmens an den Staat zu verkaufen. Ähnlich verhielt sich die CDU bei der vollen Verstaatlichung der Klein- und Mittelbetriebe zu „volkseigenen Betrieben“ im Jahr 1972.

Seit 1982, mit dem Auftreten der „Unabhängigen Friedensbewegung“ in der DDR, begann sich die CDU vorsichtig als Umweltpartei zu profilieren. Das Parteiorgan „Neue Zeit“ wurde zur einzigen Zeitung in der DDR, die pro Woche eine eigene Seite dem Thema „Umwelt“ widmete.

Manfred Agethen

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