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Event Reports

„Als die alte Welt in Flammen aufging“

Gedenken an die Pogrome 1938

Im Rahmen des Gedenkens an den 70. Jahrestag der Novemberpogrome, bei denen 1938 tausende Synagogen in Deutschland und Österreich zerstört wurden, fand am Mittwoch, dem 12. November 2008 im Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum in Jerusalem gemeinsam mit Mishkenot Sha’anim eine internationale Konferenz zum Thema „Als die alte Welt in Flammen aufging“ statt.

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Die Konferenz wurde eingeleitet von der Gedenkfeier zum 9. November, an der auch der deutsche und österreichische Botschafter Dr. Harald Kindermann und Michael Rendi sowie die israelischen Minister Isaac Herzog und Izchak Cohen und der Bürgermeister Jerusalems Uri Lupolianski teilnahmen.

Zahlreiche renommierte Historiker, Journalisten und Zeitzeugen konnten für die Konferenz als Referenten gewonnen werden. Unter den Teilnehmern befanden sich unter anderem auch eine Schulklasse, junge Soldaten und Studenten.

Shlomo Mayer, Direktor des Leo Baeck Instituts, machte bereits zum Anfang der Veranstaltung darauf aufmerksam, den Begriff „Kristallnacht“ als das zu sehen, was er gewesen ist: Eine verherrlichende Wortschöpfung der Nationalsozialisten, um die jüdische Bevölkerung noch stärker zu diskriminieren und zur Auswanderung zu zwingen. Nichtsdestotrotz plädierte er dafür, diesen Begriff im Diskurs nicht völlig zu meiden, da er die Verlogenheit und Tragweite der nationalsozialistischen Politik deutlich zeigt.

Denn spätestens nach dem Pogrom hatte die jüdische Bevölkerung in Deutschland und Österreich keine Alternative als ins Ausland zu fliehen.

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Gemeinsam erinnern: Zeitzeugen und junge Israelis auf der gut besuchten Veranstaltung

So berichteten Zeitzeugen, damals noch Kinder, von ihren Erlebnissen als sie ihre Familien verlassen mussten und mit dem Kindertransport nach Großbritannien oder Palästina flohen. Viele von ihnen haben ihre Familie nie wieder gesehen. Unter den zahlreichen Gästen gab es viele Juden, die damals in Deutschland gelebt haben und sich an die Geschehnisse und Folgen des Novemberpogroms erinnerten.

Besonders bewegend war der Zeitzeugenbericht von Ester Golan. Sie erzählte vom Schicksal ihrer Familie, die größtenteils im Holocaust umgekommen ist. Noch kurz vor dem Tod ihrer Mutter im Konzentrationslager Auschwitz erhielt Ester einen Brief von ihr, in dem sie schrieb „Vergiss deine Eltern nicht“, was Ester Golan heute immer noch tief bewegt. Durch den Kindertransport nach Großbritannien konnte Ester gerettet werden und der Vernichtung entgehen.

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Kindertransport nach Großbritannien: Ester Golan berichtet in bewegenden Worten von ihrem eigenen Schicksal

Professor Miriam Gillis-Carlebach, Tochter des letzten Rabbiners Hamburgs, erzählte, wie sie unter anderem versuchte, wertvolle Gegenstände und Heiligtümer der Synagoge zu retten und es später schaffte, mit ihrer Familie auszuwandern.

Auch in Wiesbaden, der hessischen Landeshauptstadt, wurde in der Pogromnacht eine Synagoge zerstört und im Laufe der Nachkriegsjahre vergessen. Eine Gruppe der Fachhochschule Wiesbaden machte es sich daher zur Aufgabe, den geschichtsträchtigen Standort des Gotteshauses wieder in Erinnerung zu rufen. Das Projekt „Memo 38“ unter Leitung des Architekten Edgar Brück schuf eine virtuelle Rekonstruktion der Wiesbadener Synagoge und fügte sie in einer Präsentation in ihren alten Standort ein, an dem heute eine Autobahnbrücke entlangführt. Nun soll die Brücke einem Denkmal für die Zerstörung der Synagoge weichen.

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Der Wiesbadener Architekt Edgar Brück im Gespräch mit israelischen Teilnehmern

Doch trotz der verheerenden Ereignisse des 9. November 1938 betonte Professor Moshe Zimmermann, Direktor des Richard Koebner Center for German History der Hebrew University of Jerusalem, dass nicht jenes Datum das wichtigste in der Geschichte der Shoa sei, sondern der 12. November, an dem das Nazi-Regime die Entscheidung zur so genannten „Endlösung der Judenfrage“ traf. Damit wurde das Leben für Juden in Deutschland endgültig unmöglich gemacht.

Ein weiterer Teil der Veranstaltung war, in Gedenken an Robert Weltsch, dem jüdischen Journalismus vor und nach der „Kristallnacht“ gewidmet. Professor Christian Wiese von der Universität Sussex analysierte verschiedene Artikel und Aussagen des jüdischen Journalisten, der von 1919 bis 1938 Chefredakteur und Mitherausgeber der Jüdischen Rundschau in Berlin war. Berühmt wurde Weltsch vor allem durch eine ab 1933 erschienene Artikelserie mit dem Namen „Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!“. Ein Appell zur Solidarität unter der deutsch-jüdischen Bevölkerung nachdem das Nazi-Regime dazu aufgerufen hatte, jüdische Läden und Dienstleistungen zu boykottieren. Weltsch gehörte der zionistischen Bewegung Brit Shalom an und setzte sich, auch nach seiner Immigration nach Palästina 1938, für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern in einem gemeinsamen Staat ein.

Mit einer anschaulichen Retrospektive zur Kunst in der Zeit des Nationalsozialismus schloss die Konferenz. Professor Siona Shimshi erläuterte mit zahlreichen Beispielen die Symbolik, mit der die Nationalsozialisten arbeiteten, um ihre Ziele und Weltanschauungen in der Bevölkerung zu verankern. Durch inszenierte Massenveranstaltungen, größenwahnsinnige, tempelartige Architektur und bedeutungsschwere Symbolik habe das Böse etwas Spektakuläres und Faszinierendes erhalten und viele Kunstschaffende angezogen. Leni Riefenstahl beispielsweise war noch nach Ende des Zweiten Weltkrieges der Ansicht, sie habe der Kunst und nicht dem 3. Reich gedient.

Anliegen der Konrad-Adenauer-Stiftung war es mit dieser Veranstaltung zu erinnern, aber auch Konsequenzen für die heutige Zeit und zukünftige Generationen zu ziehen: Nicht zu schweigen und wegzuschauen bei Rassismus, Fremdenhass und Antisemitismus, in welcher Form er auch immer auftritt.

Die Veranstaltung, über die auch im israelischen Fernsehen berichtet wurde, war besonders deshalb so erfolgreich, weil Zeitzeugen und Vertreter jüngerer Generationen zusammen kamen, um gemeinsam dem Novemberpogrom von 1938 zu gedenken und Lehren für heute zu diskutieren. Auch 70 Jahre nach der Pogromnacht ist eine solche gemeinsame Veranstaltung von Deutschen und Israelis nicht selbstverständlich, betonte Dr. Lars Hänsel in seinem Beitrag.

Hanna Stompe

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