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Event Reports

50 Jahre Eichmann-Prozess

by Michael Mertes

Eine herausragende Geschichtslektion mit Gabriel Bach und Moshe Zimmermann

Vor mehr als 100 gebannt zuhörenden Teilnehmern sprachen und diskutierten am 4. November in einer gemeinsamen Veranstaltung der KAS Israel und der Israelisch-Deutschen Juristenvereinigung Gabriel Bach, stellvertretender Ankläger im Eichmann-Prozess, und Professor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem über einen Prozess, der vom 11. April bis zum 15. Dezember 1961 dauerte und das israelische Selbstverständnis wie auch die Wahrnehmung der Shoah nachhaltig prägte.

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In einem spannenden Vortrag berichtete Gabriel Bach (*1927), der mit seinen Eltern der NS-Gewaltherrschaft aus Berlin (1938) über die Niederlande nach Palästina (1940) entkommen konnte, lebhaft, anschaulich mit vielen erschütternden Details über seine Gespräche mit Eichmann und den Verlauf des Prozesses. Ein ganz besonderer Augenblick sei es für ihn persönlich gewesen, als die Richter am ersten Prozesstag unter dem Staatswappen Israels den Gerichtssaal betraten und Eichmann sich von der Anklagebank erheben musste. (Dieser Moment ist hier bei Minute 15.58 dokumentiert.)

Das Gericht, so Gabriel Bach, habe in jeder Phase des Prozesses darauf geachtet, dass die Grundsätze eines rechtsstaatlich geführten Strafverfahrens minutiös beachtet würden, und er selbst habe Eichmanns Verteidiger Servatius auch solche Dokumente zukommen lassen, die den Angeklagten möglicherweise entlasten konnten. Allerdings seien die Beweise für die Schuld des Angeklagten erdrückend gewesen.

Der von den Nationalsozialisten betriebenen „Endlösung der Judenfrage“ habe sich Eichmann aus innerer Überzeugung, ohne jeden Skrupel und mit nicht nachlassendem Eifer gewidmet. An den Tatorten der Shoah habe Eichmann sich selbst mehrfach ein Bild von den Verbrechen gemacht, an deren Regie er maßgeblich beteiligt war. Nachweislich habe er die Ermordung jüdischer Kinder mit besonderen Nachdruck gefordert, weil er in ihnen „wichtiges biologisches Material“ sah, aus dem die „jüdische Rasse“ später einmal wiedererstehen könne. Alle Eingaben von Unterstützern des NS-Regimes, die darum baten, einzelne Juden von der Deportation in die Vernichtungslager auszunehmen, habe er abgewiesen: „Aus prinzipiellen Erwägungen kann ich unmöglich einwilligen.“ Er habe seinen Anteil an der Shoah nie bereut, sondern in Gesprächen mit dem niederländischen Journalisten Willem Sassen noch 1957 erklärt, er bereue lediglich, dass es nicht gelungen sei, 11 oder 12 Millionen Juden in die Vernichtungslager zu schicken.

Moshe Zimmermann (*1943), Sohn deutsch-jüdischer Emigranten, die 1937/38 aus Hamburg entkamen, und seit 1986 Direktor des „Richard Koebner Center for German History“ an der Hebräischen Universität Jerusalem, analysierte die Auswirkungen des Prozesses auf das israelische Selbstverständnis und auf die Wahrnehmung der Shoah sowohl in Israel als auch in Deutschland. Am Beispiel Eichmann, so wandte er sich sarkastisch an die anwesenden Juristen, könne man übrigens den Unterschied zwischen Juristen und Historikern gut erklären: Aus juristischer Perspektive möge die Hinrichtung Eichmanns richtig gewesen sein, aus dem Blickwinkel der Geschichtswissenschaft sei aber bedauerlich, dass damit eine erstrangige Quelle versiegt sei.

Zwar sei, so Zimmermann, Eichmann kein „kleines Rädchen im Getriebe“, sondern einer der Haupttäter der Shoah gewesen. Aber dadurch, dass der Strafprozess in Jerusalem das Scheinwerferlicht allein auf ihn gerichtet habe, seien andere Haupttäter, ja das mörderische System als Ganzes, zu sehr in den Hintergrund geraten. In Israel werde Auschwitz heute gelegentlich als „polnisches Konzentrationslager“ bezeichnet, obwohl es von Deutschen errichtet, betrieben und geleitet worden sei. Unter Nicht-Historikern in Israel wie in Deutschland sei heute ein Geschichtsbild verbreitet, das die Täterseite auf Hitler, Himmler, Eichmann, die SS-Mannschaften in den Konzentrationslagern sowie polnische und ukrainische Kollaborateure reduziere. Die Shoah sei jedoch nur wegen eines gewaltigen Vernichtungsapparats mit Abertausenden von deutschen Haupttätern, Mittätern, Helfern und Helfershelfern möglich gewesen.

Zimmermann verglich die Bedeutung der Nürnberger Prozesse für die Deutschen mit der Bedeutung des Eichmann-Prozesses für die Israelis. Beide Verfahren hätten die Wahrnehmung des NS-Systems und die Eigenwahrnehmung maßgeblich geprägt. Millionen Israelis hätten 1961 die jeweils aktuellsten Filmaufzeichnungen vom Eichmann-Prozess mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Für die hiesige Gesellschaft sei es besonders wichtig gewesen, dass im Eichmann-Prozess auch eine symbolische Konfrontation zwischen dem jüdischen und demokratischen Rechtsstaat Israel und der nationalsozialistischen deutschen Gewaltherrschaft stattfand. Damit habe Israel sein Selbstverständnis als legitimer Erbe der sechs Millionen ermordeten Juden und als Heimat der Shoah-Überlebenden nachhaltig gefestigt. Aufs Ganze gesehen, so Zimmermann, sei die Gründung der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ (Zentralstelle Ludwigsburg) im Jahr 1958 für die justizielle Aufarbeitung der Shoah wichtiger gewesen als der Eichmann-Prozess.

In der anschließenden, von Michael Mertes, dem Leiter der KAS Israel, moderierten Diskussion entwickelte sich eine lebhafte Debatte zwischen Gabriel Bach und Moshe Zimmermann. Beide Referenten vertieften die in ihren Vorträgen behandelten Themen. Unter anderem wurde die Bedeutung von Hanna Arendts Prozessbericht „Eichmann in Jerusalem“ erörtert, der mit Stichworten wie „Banalität des Bösen“, „Ideologie der Sachlichkeit“ oder „Schreibtischtäter“ die Interpretation Eichmanns und des gegen ihn geführten Prozesses bis heute prägt. Bach lehnte es entschieden ab, Eichmann als bloßen Schreibtischtäter zu betrachten. Zimmermann dagegen deutete Hanna Arendts Ansatz nicht als Versuch, die Taten Eichmanns zu relativieren; vielmehr habe der Eichmann-Prozess bedauerlicherweise zu einer partiellen Verharmlosung anderer führender Nationalsozialisten geführt.

Die ganze Veranstaltung – Vorträge und Panel-Diskussion, zuletzt unter Einbeziehung des Publikums – dauerte ohne Unterbrechung dreieinhalb Stunden. Auf Wunsch einer Mehrheit im Saale wurde auf die vorgesehene Kaffeepause verzichtet, weil das durchgehend aufmerksame Publikum offensichtlich den Eindruck hatte, einer Sternstunde beiwohnen zu dürfen. Lang anhaltender Applaus am Ende der Veranstaltung machte deutlich, dass die Besetzung des Panels mit Gabriel Bach und Moshe Zimmermann ein Glücksgriff gewesen war. Den beiden Referenten dankten die Anwesenden für eine ganz außergewöhnliche Geschichtslektion.

Michael Mertes / Julia Remy

Hinweis:

Das Fernsehportrait „Der Ankläger – Gabriel Bach und der Eichmann-Prozess“ finden Sie hier. Große Teile des Eichmann-Prozesses sind im Internet dokumentiert, siehe Eichmann trial - Session No. 1 bis Eichmann trial - Session No. 114. Gabriel Bach tritt unter anderem in Eichmann trial - Session No. 21 , 61 , 59 in Erscheinung (ab Minute 2.28).

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