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Event Reports

The Potential Role of Transitional Justice in Ongoing Conflicts

„Wir wollten Gerechtigkeit – und bekamen den Rechtsstaat“; so formulierte es die vormalige DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Damit brachte sie eine gewisse Resignation darüber zum Ausdruck, dass das in der DDR geschehene Unrecht von der Justiz nur unzureichend aufgearbeitet werden konnte.

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Wie vergangenes Unrecht, wie Konflikte und Kriege am besten aufgearbeitet werden, ist stark umstritten. Konfliktbeendigung, Gerechtigkeitserwägungen, Wahrheit und Versöhnung sind nur einige Kernaspekte der Konfliktbewältigung. Welche Relevanz diesen Gesichtspunkten zukommt und wie sie am besten miteinander in Ausgleich gebracht werden können, war Gegenstand einer Konferenz, bei der sich über 40 renommierte Hochschullehrer aus London, New York, Oslo, Budapest, Göttingen, Belfast, San Francisco und vielen weiteren Universitätsstädten vom 13. bis zum 15. November in Jerusalem trafen, um Präsentationen zum Thema „The Potential Role of Transitional Justice in Ongoing Conflicts“ zu halten und zu diskutieren.

Die innovative Konferenz wurde vom Minerva Center für Menschenrechte der Hebräischen Universität in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem organisiert und war für alle Teilnehmer eine einmalige Gelegenheit, über bisherige Erfahrungen und Zukunftsperspektiven miteinander zu sprechen.

Insgesamt 10 Expertenrunden widmeten sich diversen Problemfeldern; sie beleuchteten die Übergangsjustiz in laufenden Konflikten aus unterschiedlichen Perspektiven.

Als ein zentraler Akteur in vielen Konflikten habe der Internationale Strafgerichtshof, seitdem er im Jahr 2003 aktiv geworden ist, schon große Erfolge erzielen können. Dessen internationale Autorität habe in vielen Staaten (selbst wenn, wie im Sudan, einer Einmischung durch den Gerichtshof aus dem Weg gegangen wurde) zur nachhaltigen Verbesserung der Rechtssysteme geführt. Zum Beispiel wurden Zeugenschutzprogramme verbessert, und in Ruanda bewirkte die Kooperation zwischen internationalen und nationalen Gerichten die Abschaffung der Todesstrafe. Viele Referenten warnten allerdings vor einer Instrumentalisierung des Strafgerichtshofs durch Regierungen für eigene politische Interessen. So seien in der Darfur-Region infolge einer Instrumentalisierung des Strafgerichtshofs Nichtregierungsorganisationen ausgewiesen sein worden. Dr. Phil Clark von der University of London kritisierte eine „Justiz aus der Distanz“; so seien die Richter des Prozesses über den Völkermord in Ruanda zum Teil nie in Ruanda gewesen.

Es wurden unter anderem Konflikte in Afghanistan, Nord-Uganda, Kolumbien, Ruanda, Südafrika, Israel, Libyen, Sri Lanka, dem Irak und Nord-Irland thematisiert. Eine veränderte Struktur von Konflikten, die nicht mehr zwischenstaatlich, sondern oft regional und mit Beteiligung von paramilitärischen Gruppierungen erfolgten, stellten die internationale Gemeinschaft vor neue Herausforderungen; hierfür halte das Modell der Übergangsjustiz eine innovative Antwort bereit. Je nach Ausgestaltung und Konflikt könnten Amnestien ein hilfreiches Werkzeug darstellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern. Vor allem aber seien Mechanismen zur Rehabilitierung von Opfern und eine starke Rolle der Zivilgesellschaft von Vorteil für Übergangsprozesse; im Idealfall gingen die Initiativen von der Basis aus. Dabei sei nicht selten der Zielkonflikt zwischen Versöhnung und Vergeltung von den führenden Akteuren und Initiatoren des Übergangs zu lösen.

Dr. Iavor Rangelov von der London School of Economics gab zu bedenken, dass Regionen, in denen es bereits Konflikte gab, oft auch in der Zukunft besonders anfällig sind für gewaltsame Auseinandersetzungen, und erläuterte dies anhand von Afghanistan. Trotz Regimewechsel und Wahlen flammten Konflikte immer wieder auf, die Taliban bauten sich ein Netzwerk aus Geldgebern und Förderern auf und nutzten internationale Hilfe geschickt aus. Gerade die Tatsache, dass Hilfsmittel ausdrücklich schwachen Regionen gewährt werden sollen, führe dazu, dass Machthaber in reichen Regionen Instabilität anstreben, um internationale Finanzhilfen zu erhalten.

Ein Diskussionspanel widmete sich der Bedeutung von Untersuchungsberichten. Prof. Michael Hamilton von der Central European University vertrat die Position, dass Untersuchungskommissionen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation und der politischen Stabilität beitragen könnten. Prof. Laurie Blank von der Emory University hingegen zitierte Winston Churchill: „History will be kind, because I intend to write it“ und verwies darauf, dass Reporte oft von beiden Seiten bestritten und für die eigenen Zwecke benutzt werden – und demnach kein Beitrag zur Konfliktlösung leisteten.

Ein Beispiel aus der Praxis wurde von der Ethnologin Dr. Suhad Daher-Nashif geliefert, die am Fall eines 17-jährigen durch israelische Grenzsoldaten getöteten Palästinensers israelische Machtdemonstrationen schilderte und eine „Kolonialisierungshaltung“ seitens der Israelis kritisierte.

„An dem Ort, an dem wir Recht haben, werden niemals Blumen wachsen“ (Yehuda Amichai) – Konflikte zu beenden verlangt von allen Akteuren, über sich selbst hinaus zu wachsen, die andere Seite verstehen zu lernen; dies wurde im letzten und umstrittensten Panel zum israelisch-palästinensischen Konflikt deutlich. Dabei waren sich die Vortragenden bereits uneinig, ob Übergangsjustizmechanismen dazu geeignet seien, zur Beendigung der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen beizutragen. Die Zweistaatenlösung verglich der israelische Anwalt Ofer Shinar Levanon mit einer „höflichen Scheidung“. Für die Palästinenser sei Versöhnung gleichbedeutend mit der Verleugnung des Kampfes gegen die „Besatzungsmacht“, den sie seit 1948 führten. Jeremie Bracka präsentierte die Vision eines Wahrheits- und Versöhnungskomitees, das die Vergangenheit aufarbeitet. Ob man seine Vision als erfolgversprechend beurteile, hänge davon ab, wie man die Frage beantworte, ob die Vergangenheit eine Brücke oder ein Hindernis zum Frieden sei. Einig waren sich die Referenten, dass beide Seiten aufhören müssten, sich selbst zu bemitleiden und sich in der Opferrolle zu sehen.

Eine Verbindung zum Anfang der Konferenz zog Shinar Levanon mit dem Kommentar, dass zunächst Meinungsvielfalt multidimensionale Identitäten und soziale Stabilität in Israel und den palästinensischen Gebieten herstellen müsse, bevor der Konflikt gelöst werden könne.

Julia Remy

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