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Reportajes internacionales

Rechtsbruch im Namen der Revolution

de Andrea Friederike Staudhammer, Dr. Georg Eickhoff

Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Venezuela

„Auch wir haben Projekte und Vorschläge, Präsident Chávez, deshalb erlauben Sie uns bitte, dass wir unsere Arbeit machen“. Mit diesen Worten wandte sich Henrique Capriles Radonski, Gouverneur des Staates Miranda, an den venezolanischen Präsidenten, um die systematischen Sabotageakte anzuklagen, mit welchen die Regierung die in den Regionalwahlen vom 23. November 2008 gewählten oppositionellen Gouverneure und Bürgermeister an der Ausübung ihrer Ämter zu hindern versucht.

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Die Beschwerden über Irregularitäten und Rechtsbrüche haben mit dem Referendum vom 15. Februar einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: vom „unfairsten Wahlprozess in der Geschichte des Landes“ spricht María Corina Machado von der Nichtregierungsorganisation Súmate.

2.409 Beschwerden – mehr als dreimal so viele wie bei den Regionalwahlen im vergangenen November – registrierte Súmate während des Referendums zur Verfassungsänderung am 15. Februar, welche Präsident Chávez die unbegrenzte Wiederwahl ermöglichen sollte. Den Wahlausgang hat der Comandante zwar unbestritten für sich entscheiden können. Die Zahl der Unregelmäßigkeiten vor, während und nach den Wahlen zeichnet aber ein beunruhigendes Bild von einer Regierung, die bereit ist, im Namen der Revolution zahllose Rechtsverstöße zu begehen.

„Chávez spricht zu dir, Genosse! An dir liegt es die Revolution zu retten!“ – Mit Anrufen und Kurznachrichten dieser Art soll die Regierung ihre Wählerschaft persönlich zum Wahlgang aufgerufen haben. Die Einschüchterungskampagne des chavistischen Wahlkommandos richtete sich insbesondere an die etwa drei Millionen Staatsbeamten und die über 900.000 in den Missionen der Regierung eingeschriebenen Bürger. „Wie viele Personen wählten in der Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren?“, fragt Ricardo Estévez, Sprecher von Súmate. María Corina Machado erzählt, dass eine ihrer Mitarbeiterinnen, die früher im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen sei, einen Anruf bekommen habe: „Ihr wurde gedroht, bei dem Referendum besser mit Ja zu wählen, wenn sie ihre Rente haben wolle.“

Doch hiermit nicht genug bediente sich das chavistische Wahlkommando sämtlicher Kommunikationskanäle des Staatsapparats, um für die Option des „Ja“ zu werben. 82 Interventionen wurden während der Zeit der Wahlkampagne gezählt - im Durchschnitt ergibt dies eine Werbezeit von drei Stunden täglich. Insbesondere der staatliche Fernsehsender TVES tat sich durch seine Parteilichkeit hervor: Aus der Studie einer Gruppe von Medienbeobachtern geht hervor, dass das Propagandamaterial dieses Senders in 100 Prozent aller Fälle die unbegrenzte Wiederwahl Chávez’ unterstützte. Trotz ausdrücklichen Verbots des für den geregelten Ablauf der Wahlen zuständigen Nationalen Wahlrats (Consejo Nacional Electoral, CNE) spielten die Metrostationen der Hauptstadt Propagandalieder der Regierung. In den Ministerien prangte das „Sí“ leuchtend rot von den Wänden und am Tag des Referendums hingen die Wahlplakate sogar teilweise an den Pforten der Wahlzentren - all dies klare Verstöße gegen die vom CNE festgelegten Regeln.

Der Satellit Simón Bolívar sieht alles

Laut María Corina Machado hat die Regierung eine Strategie entwickelt, mit der Wahlprozesse kontrolliert werden können - die Automatisierung der Wahl und der Stimmenzählung, die Identifizierung des Wählers anhand von elektronischen Fingerabdrücken und die Erweiterung und Kontrolle des Wahlregisters lassen den Wähler glauben machen, dass seine Wahlentscheidung nicht geheim bleibt. Geschürt wurde diese Angst in den Wochen vor dem Referendum zusätzlich durch die häufigen Erwähnungen des Satelliten Simón Bolívar, da in der Bevölkerung die Sorge herrscht, die Regierung könnte mit dieser technischen Neuerung sämtliche Aktionen ihrer Bürger überwachen.

Repressive Maßnahmen bekamen vor allem die Studenten zu spüren, die als erste auf die Ankündigung des Referendums durch Chávez mit Straßenprotesten reagiert hatten. Eine Demonstration gegen die Verfassungsänderung am 14. Januar endete in Konfrontationen mit den Sicherheitskräften, welche mit Tränengas gegen die Jugendlichen vorgingen. Ein von den Studenten organisierter Protestmarsch zum Sitz des Nationalen Wahlrats im Zentrum der Hauptstadt wurde von dem dortigen Bürgermeister und Chef des Wahlkommandos der Regierung, Jorge Rodríguez, verboten. Dieser verhinderte schließlich sogar die für den Freitag vor dem Referendum vorgesehene Abschlussveranstaltung des oppositionellen Wahlkommandos. „Die Regierung hat versucht, die studentische Bewegung zu kriminalisieren“, analysiert der Politologe Ricardo Sucre, „aber das ist ihr nicht gelungen. Die Studenten haben dieses Spiel nicht mitgespielt.“

Mit dem Chávez-Kleinbus zum Wahlzentrum

Berichte internationaler Wahlbeobachter zeugen von den versteckten Unregelmäßigkeiten an den Wahltagen selbst. Registriert wurde sowohl während der Regionalwahlen im November, als auch anlässlich des Referendums im Februar eine überwältigende Präsenz von chavistischen Aktivisten in der Nähe der Wahlzentren, welche aus ihren roten Kleinbussen Propagandalieder ertönen ließen, obwohl die öffentliche Stellungnahme für eine politische Richtung am Tag der Wahl verboten ist. Vor allem bei der Austeilung von Mittagessensboxen und Wasserflaschen an die Helfer in den Wahlzentren wurden vermehrt die roten T-Shirts der Regierungspartei PSUV gesichtet. Motorisierte Gruppen umkreisten die Wahlzentren und schüchterten die dort wartende Wählerschaft ein. Um die Anreise zu den Wahlzentren zu erleichtern, wurden Kleinbusse des Ministeriums für Infrastruktur zum Transport der Wahlbevölkerung eingesetzt. Kontroversen löste auch das Angebot der „Wahlunterstützung“ aus, bei welchem älteren oder behinderten Menschen bei der Wahl „geholfen“ werden soll. Laut Beobachtungen handelt es sich bei dieser Hilfe um zwei bis drei Wahltischmitglieder, die sich so um den Wahlapparat positionieren, dass sich der Wähler in seiner geheimen Wahlentscheidung eingeschränkt fühlen könnte. Einige Bürger klagten auch über eine ungleich freundliche Behandlung offensichtlicher Anhänger der Regierung durch die Wahltischmitglieder.

Tücken der Technik

Die 2.409 Beschwerden, welche bei der von Súmate für das Referendum eingerichteten Operation „Null Straflosigkeit“ eingingen, wurden zu 62% der Verantwortlichkeit des Nationalen Wahlrats zugeschrieben. Mit einem 28-prozentigen Anteil richtete sich die Mehrzahl der Proteste gegen die Ineffektivität der Tinte, in die jeder Wähler nach vollbrachtem Wahlgang seinen kleinen Finger tauchen muss, um so die Möglichkeit einer mehrfachen Wahl zu verhindern. Laut Aussagen mehrerer Wähler ließ sich diese eigentlich unabwaschbare Tinte jedoch in einigen Fällen leicht mit Chlor entfernen. Einen ebenfalls hohen Prozentsatz nahmen technische Beschwerden über die Wahlapparate ein. In 442 Fällen spuckte die Maschine ein anderes Wahlergebnis aus als dasjenige, welches der Wähler eingegeben zu haben glaubte. Weitere 150 Beschwerden richteten sich auf andere technische Probleme. So wurden im gesamten Land etwa 200.000 Nullstimmen gezählt – auch eine Konsequenz der Automatisierung der Wahl, da ein leicht verrutschter Fingerdruck auf dem Wahlbildschirm so in vielen Fällen zur Ungültigkeitserklärung durch die Maschine führte.

Wie schon bei den Regionalwahlen im November kamen jedoch die meisten Beschwerden aus dem Staat Miranda und dem Hauptstadtbezirk – den Regionen also, in denen die Opposition am stärksten vertreten ist. Aus den ländlichen, meist regierungsfreundlichen Gebieten kamen hingegen kaum Klagen. Dabei sind es gerade diese Regionen des Landes, in denen der Einschüchterung und dem Wahlbetrug durch die mangelnde Kontrolle die Türen offen stehen.

Chávez enteignet die Opposition

Ein Lied von den Einschüchterungsmaßnahmen durch die Regierung können auch die oppositionellen Gouverneure und Bürgermeister singen, die seit den Regionalwahlen im November unter den kontinuierlichen Angriffen von Seiten des Chavismus zu leiden haben. „Präsident Chávez kennt das Urteil des 23. November nicht an“, beschwert sich Antonio Ledezma, Oberbürgermeister von Caracas. Die Sabotage und die Hindernisse, die der Opposition bei ihrer Regierungsausübung in den Weg gelegt werden, seien auch eine Form der Enteignung. Der Oberbürgermeister arbeitet in einem kleinen Büro im Zentrum von Caracas, seit der Sitz des hauptstädtischen Oberbürgermeisteramtes unmittelbar nach seinem Amtsantritt von bewaffneten Aktivisten regierungsfreundlicher Gruppen gewaltsam eingenommen wurde. Die Fassade des Gebäudes war mit Graffiti bedeckt, welche den Tod Ledezmas forderten.

Auch der Gouverneur von Táchira, César Pérez Vivas, blieb ohne Büroräume zurück, nachdem das Regionalparlament per Dekret Namen und Funktion des Regierungssitzes änderten. Den ehemaligen Regierungspalast besetzen nun Abgeordnete des Staatlichen Legislativrates (Consejo Legislativo Estadal, CLE). César Pérez Vivas musste als einziger der in den Regionalwahlen vom November gewählten Gouverneure bis zum 7. Januar mit der offiziellen Amtsübergabe warten. Und selbst diese verlief nicht im gewohnt feierlichen Rahmen, sondern wurde von Anhängern der Regierungspartei in ein großes Chaos verwandelt. Im Februar stand schließlich die Oppositionspartei Demokratische Aktion in den Schlagzeilen, da Attentäter eine Granate gegen die Außenwand des Parteisitzes geworfen hatten, welche dort bedeutende Materialschäden anrichtete.

Doch nicht nur Regierungsgebäude, sondern auch Befugnisse fielen der „Enteignung“ der Opposition durch die Zentralregierung zu Opfer. So wurde den in den Regionalwahlen im November erfolgreichen oppositionellen Gouverneuren und Bürgermeistern die Leitung über Krankenhäuser, Schulen und die lokale Polizei entzogen. Diese wurden noch vor offiziellem Amtsantritt der neu gewählten Amtsinhaber kurzerhand Ministerien der Zentralregierung unterstellt – mit der Begründung, die Errungenschaften der Revolution so vor einer sicheren Zerstörung durch die Opposition retten zu wollen.

Präsident Chávez reagiert auf die Klagen der Opposition mit Gegenangriffen. Die Opposition bestehe aus Putschisten, die von ihrer „Wolke des Faschismus“ herabzusteigen und sich „mit Demut“ zu kleiden hätten. Vor allem Henrique Capriles Radonski, Gouverneur von Miranda, ist aufgrund seiner jüdischen Wurzeln oftmals Opfer feindseliger Meinungsäußerungen durch Anhänger des Chavismus. „Capriles Radonski, genetisch faschistisch“, schreibt eine Leserin auf dem regierungsnahen Online-Portal Aporrea.

Gegen Manuel Rosales, den ehemaligen Gouverneur von Zulia und neu gewählten Bürgermeister von Maracaibo, läuft bereits das zweite juristische Verfahren innerhalb weniger Wochen. Der venezolanische Staatschef beschuldigt Rosales, Landhäuser, Wohnungen und Konten im Ausland zu besitzen. Außerdem leite er mafiöse Strukturen, die mit internationalen Verbrechen in Verbindung stünden, und habe sich im Zusammenhang mit der Lotterie von Zulia illegal bereichert. „Die Regierung hat eine Serie von Verdachtsmomenten konstruiert, mit denen sie mich aus dem Weg räumen und von der politischen Landkarte fegen will“, weist Rosales diese Vorwürfe zurück.

Das Ledezma-Gesetz

Auch Oberbürgermeister Antonio Ledezma sieht keinen leichteren Zeiten entgegen. Das venezolanische Parlament hat bekannt gegeben, in den kommenden Tagen über ein neues Gesetz nachzudenken, welches die Einführung eines Vizepräsidenten vorsähe. „Momentan denken wir, dass es eine Autorität sein könnte, die vom Präsidenten ernannt wird und welche die gleichen Kompetenzen besäße wie der jetzige Oberbürgermeister“, äußerte sich Cilia Flores, die Parlamentsvorsitzende. „Ein Ledezma-Gesetz will die Regierung“, hält Antonio Ledezma dagegen. Er zweifelt nicht daran, dass der Präsident ihn mit diesem Gesetzesvorschlag politisch handlungsunfähig machen möchte. „Was hier vorangetrieben wird, verstößt gegen Gesetze, die aus derselben Verfassung hervorgehen, die von diesem Parlament im Jahr 1999 ausgearbeitet wurde.“ Der erste Rechtsbruch im Namen der Revolution wäre es nicht.

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