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Reportajes internacionales

Referendum mit Signalwirkungen in der argentinischen Provinz Misiones

de Christoph Korneli
Vordergründig ging es um die Zustimmung oder Ablehnung einer von Gouverneur Rovira vorangetriebenen Verfassungsänderung mit dem Ziel, die Beschränkung der Gouverneursamtszeiten aufzuheben und die Möglichkeit einer unbegrenzten Wiederwahl einzuführen. Aber es ging um mehr.

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Am Sonntag, dem 29.10. 2006, wurden in der im äußersten Nordosten der Republik Argentinien gelegenen Provinz Misiones die Wählerinnen und Wähler zu den Urnen gerufen. Dabei ging es vordergründig um die Zustimmung oder Ablehnung einer von Gouverneur Rovira vorangetriebenen Verfassungsänderung, die zum Zweck hatte, die Beschränkung der Gouverneursamtszeiten aufzuheben und die Möglichkeit der unbegrenzten Wiederwahl einzuführen. Das Wahlvolk von Misiones lehnte diese Pläne mit großer Mehrheit ab.

Allein diese Thematik für sich, bietet ausreichend Potenzial, um die Abstimmung in dieser Provinz Argentiniens in politische Perspektiven zu übersetzen. Zunächst geht es also darum, ob nach der am letzten Wochenende erfolgten Ablehnung der unbegrenzten Wiederwahl in Misiones ein ebenso geartetes Projekt auf nationaler Ebene zu erwarten ist. Zwar besteht die verfassungsmäßige Option der unbeschränkten Wiederwahl bereits in einigen kleineren Provinzen Argentiniens, doch wäre Misiones die erste mit mehr als einer Million Einwohnern gewesen und dadurch wurde folglich ein klares Signal übermittelt. Beim Referendum in Misiones ging es jedoch um mehr, denn die Präsenz und massive Einflußnahme der Regierung Kirchner auf die Kampagnen sowie die resultierende Nationalisierung des Provinzreferendums veranlassen darüber hinaus, die Beziehungen der Provinzen zur Regierung näher zu beleuchten Zudem stellt die Abstimmung in der an Brasilien und Paraguay grenzenden Provinz die Ouvertüre zum Wahljahr 2007 dar, das mit der Präsidentschaftswahl seinen Höhepunkt erreichen wird. Misiones dient folglich als Lackmustest für das Verhalten der involvierten Akteure und die Belastungsfähigkeit der politischen Institutionen unter „Wahlstress“. Nicht zuletzt bereitet die Konstellation in Misiones die Bühne für die offene (mediale) Austragung des schwelenden Konflikts zwischen Regierung und Klerus, da für beide Parteien viel auf dem Spiel steht.

Personalisiert wird der Konflikt auf der einen Seite durch den das politisches Geschehen dominierenden Präsidenten Kirchner und auf der Seite der Kirche durch den ehemaligen Bischof von Puerto Iguazú Joaquín Piña. Dieser steht an der Spitze der Oppositionsbewegung (Frente Unidos por la Dignidad – FUD), deren Ziel es ist, die Verfassungsänderungsbestrebungen und damit die Möglichkeit der erneuten Wiederwahl des Gouverneurs Carlos Rovira (Frente Renovador) zu verhindern. Rovira erhielt während seines Wiederwahlprojektes massive Unterstützung des Präsidenten Nestor Kirchner. Der Präsident selbst war es auch, der den Konflikt mit der Kirche weiter zuspitzte, indem er Ende September bei einer Wahlveranstaltung Roviras in Misiones den argentinischen Klerus scharf attackierte. Kirchner kritisierte neben der „Einmischung der Kirche in die Politik“ auch deren Rolle während der Militärdiktatur („Wo war damals die Kirche?“). Mit seinen Äußerungen bewirkte Kirchner nicht allein, dass in der Folge ein heftiger Disput mit einigen verbalen Entgleisungen über die Medien ausgetragen wurde, sondern auch die Nationalisierung des Provinzreferendums, welches nun neben der Abstimmung über die unbegrenzte Wiederwahl eines Gouverneurs auch den Konflikt zwischen Kirche und Politik impliziert. Es scheint als hätte sich Präsident Kirchner von den zu diesem Zeitpunkt für ihn und Rovira noch strahlenden Werten der Wahlforschung blenden lassen und die politische Kraft des argentinischen Klerus unterschätzt. Es wäre in Argentinien jedenfalls das erste Mal, dass die Politik gegen die Kirche obsiegte.

Die Prognosen wenige Tage vor der Wahl stellten sich dann auch gänzlich anders dar als noch vor gut einem Monat: Die valideren Institute sagten ein äußerst knappes Abstimmungsergebnis vorher. Auch Kirchner schient bemerkt zu haben, dass er sich auf dünnem Eis bewegt und schlug deutlich mildere Töne an. Signifikant war die Absage, der zwar nie offiziell angekündigten, aber intern vorgesehenen Reise des Präsidenten nach Misiones wenige Tage vor dem Wahltermin. Ein erneutes Auftreten Kirchners in Misiones hätte für eine noch stärkere Einbindung des Kirche-Kirchner-Konfliktes gesorgt und wäre dem Wiederwahlprojekt Roviras und Kirchners abträglich gewesen. Nicht nur geographisch, sondern auch rhetorisch, suchte Kirchner die Entfernung zu dem auch in der Vergangenheit Korruptionsverdächtigungen ausgesetzten Rovira ein wenig zu vergrößern. Zwar leistete er weiter massive Wahlhilfe in Form von Geld- und Sachzuwendungen sowie durch Entsendung hochrangiger Politiker (z.B. Alicia Kirchner, Ministerin für Soziales und Entwicklung; die Schwester des Präsidenten), doch persönlich hielt er sich mit Pro-Rovira-Äußerungen zurück.

Denn ist Misiones ist eingetreten, was bisher nahezu unmöglich schien: Die Opposition hat ihre Reihen gegen den „oficialismo“ Kirchners und seinen Schützling Rovira geschlossen. Hinter dem Geistlichen Piña und seinem Widerstand gegen eine Provinzverfassungsänderung versammeln sich nahezu alle illusteren Namen des gesamten nationalen argentinischen Politikspektrums: Roberto Lavagna, Mauricio Macri, Elisa Carrío, die Unión Cívica Radica (UCR), Teile des „socialismo“, Kirchner-Gegner innerhalb der Partido Justicialista (PJ) sowie der einflussreiche Führer einer rgierungskritischen, zivilgesellschaftlichen Bewegung, die mehr Innere Sicherheit fordert, Juan Carlos Blumberg. Zwar ist diese Geschlossenheit auf ein einziges Sachthema beschränkt und auf nationaler Ebene bei den Präsidentschaftswahlen sehr unwahrscheinlich (es sei denn, einem Oppositionskandidaten gelänge es einen zweiten Wahlgang zu erzwingen), dennoch bläst Kirchner der oppositionelle Wind in Misiones unerwartet heftig ins Gesicht.

Bisher konnte er sich der Präsident und Ex-Gouverneur der Provinz Santa Cruz auf sein schon dort erfolgreich angewandtes System der Vertikalität und Abhängigkeiten verlassen. Insbesondere die sogenannten „superpoderes“, ein vom Kongress gebilligtes Haushaltsgesetz, geben Kirchner ein Instrumentarium an die Hand, das ihm ermöglicht Haushaltsgelder nur an solche Gouverneure zu verteilen, die ihm wohl gesonnen sind. Das zuvor jährlich zu erneuernde Privileg des Kabinettschefs, die zuvor im Budget fixierten Verteilungen der Ausgaben ohne Konsultierung des Parlamentes zu verändern, ist nun gar in permanentes Recht gegossen worden. Damit ist die Kontroll- und Budgetfunktion des Parlamentes faktisch außer Kraft gesetzt und Kirchner kann die Provinzfürsten angesichts voller Kassen nach Gutdünken entlohnen oder bestrafen. Darüber hinaus treibt der Präsident die Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive durch „Regieren per Dekret“ weiter voran. Zwar ist das Regieren unter Umgehung des Parlamentes in Argentinien keineswegs ein neues Phänomen, doch der exzessive Gebrauch dieses für Zeiten „außergewöhnlicher Umstände“ vorgesehene Instrument ist einzigartig. Die Folgen sind evident: Abhängigkeit der Gouverneure, Machtkonzentration beim Präsidenten und Aushöhlung der gewaltenteilig organisierten Demokratie.

Ein befremdliches Verständnis von Demokratie wurde auch im Rahmen des Rovira-Wahlkampfes in Misiones überdeutlich. Poder Ciudadano, Partner der KAS-Argentinien, hat bereits „Alarmstufe gelb“ für die Demokratie ausgerufen (La Nación vom 25.10.06). Tatsächlich kann die Kampagne des Gouverneurs als Paradebeispiel für den aktuellen Nepotismus und „clientelismo“ in Argentinien dienen. Rovira und seine Frente Renovador präsentierten dabei – mit der Unterstützung des Präsidenten – eine Fülle von Merkmalen, die ins gängige Klischee eines Wahlkampfes in Lateinamerika passen: Verteilung von Primärnahrungsmitteln inklusive Wahlzettel, chaotische Vergabe von Kleinkrediten eine Woche vor der Wahl, die Entlassung „unbequemer“ Beamter aus dem öffentlichen Dienst, Einflussnahme auf die Medien, Besetzung der Wahlkommission mit den getreuen Anhängern, Wahlverbot für etwa 700 Polizisten, die ihren Unmut über ihre Gehälter kundgetan hatten und Unklarheit über die Sicherheitsarrangements während des Urnenganges.

Es ist anzunehmen, dass derartige Manipulationen bei einer „normalen“ Provinzabstimmung eher weniger Beachtung gefunden hätten. Durch die Thematisierung auf der nationalen Agenda werden die Ereignisse in Misiones jedoch intensiver beleuchtet und dabei mehren sich die Anzeichen, die die Verwendung des Terminus „Wahlbetrug“ rechtfertigen. So wird aus dem Lager der Frente Unidos por la Dignidad kolportiert, dass die Frente Renovador die im Grenzgebiet mit Paraguay und Brasilien lebenden Personen, die über Stimmrecht in Argentinien verfügen, direkt mit Geldmitteln zur Stimmabgabe für Rovira bestochen hat. Zudem sollen bei der Registrierung zur Abstimmung gefälschte Ausweisnummern oder Ausweise von bereits Verstorbenen verwendet worden sein. Letztere Berichte bedürfen jedoch der Verifikation und sind daher zunächst als Gerüchte zu bewerten.

Zweifelsohne ist Kirchners vorsichtiger Rückzug daher – trotz leichter Vorteile bei der Demoskopie am Freitagabend – verständlich. Da das Referendum negativ für Rovira ausgegangen ist, wird auch der Präsident die Niederlage und die „Unregelmäßigkeiten“ der Kampagne zu verantworten haben. Im Kontext seiner jüngsten Popularitätsverluste (u.a. durch die Vorkommnisse in San Vicente während der Überführung der sterblichen Reste Perons in ein Mausoleum außerhalb von Buenos Aires, bei dem es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gewerkschaften kam und im Hospital Francés, wo bezahlte Schläger einen Streik niederschlugen, wird die Opposition noch einmal Morgenluft schnuppern und versuchen, eine bereits ein Jahr vor dem Wahltermin verloren geglaubte Schlacht doch noch zu ihren Gunsten zu entscheiden.

Bei einem Sieg Roviras wären Argentinien und seine Demokratie der Verlierer gewesen. Eine weitere Provinz mit der Möglichkeit der unbegrenzten Wiederwahl hätte einen weiteren Schritt in Richtung einer populistischen und autokratischen Herrschaftsform bedeutet.

Aber an diesem Wochenende kam es anders. 56,57 % der Wähler stimmten gegen das Projekt, nur 43,43 % dafür.

Präsident Kirchner ist damit eine Lektion erteilt worden, eine erste deutliche Absage aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft an die derzeitige Form der Machtakkumulation.

Ob damit wirklich ein Beispiel für die anstehenden Wahlen in weiteren Provinzen und für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr gegeben ist, muss abgewartet werden. Jedenfalls muss sich der Präsident um die Auswirkungen dieses Referendums auf sein Image, seine Zukunft und den belebenden Einfluss auf die Opposition sorgen machen. Misiones kann als Reaktion aus der gesamten Gesellschaft gewertet werden. Ob sich aber tragfähige politische Alternativen daraus ergeben werden, ist noch sehr fraglich. Zwar ist Kirchners Popularität in den letzten Umfragen gesunken, gleichzeitig verfügt er dank der anhaltenden ökonomischen Konjunktur über ein bequemes politisches Polster.

Zunehmende Reflexionen werden allerdings seinen Stil und seine Art, scheindemokratisch zu regieren, immer mehr hinterfragen.

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