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Ein politischer Neubeginn?

kohta Dr. Canan Atilgan, Moritz Esken

Präsidentschaftswahlen in Georgien

Giorgi Margwelaschwili – unbekannter Schützling des Premiers Iwanischwili – wird der vierte Präsident Georgiens. Er hat nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis mit 62 Prozent die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten.

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Es war die erste Präsidentschaftswahl in der jungen Geschichte der ehemaligen Sowjetrepublik, der keine Proteste voraus gegangen waren und die eine reguläre und friedliche Machtübergabe ermöglichte. Georgien hat somit nach den Parlamentswahlen vor einem Jahr die zweite freie und faire Wahl abgehalten und damit einen weiteren Demokratie-Test bestanden. Im Wahlergebnis manifestiert sich allerdings auch der politische Scheideweg, an dem Georgien angelangt ist. Mit der Machtübergabe von Präsident Micheil Saakaschwili an Giorgi Margwelaschwili geht nicht nur die Ära der „Rosenrevolution“ zu Ende, sondern es finden auch verschiedene Machtverschiebungen im politischen System Georgiens statt.

Rund 3,5 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, am 27. Oktober einen neuen Präsidenten zu wählen. Der georgischen Wahlkommission zu Folge waren 50.000 Wähler im Ausland registriert, die in den Vertretungen Georgiens wählen konnten. Davon ausgenommen waren lediglich Georgier, die in Russland leben, da die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern seit dem Krieg im Jahre 2008 abgebrochen sind. Die Wahlbeteiligung lag mit 46,6 Prozent niedriger als bei den Parlamentswahlen (61 Prozent) vor einem Jahr.

Nach geltendem Wahlrecht wird der Präsident direkt für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Im ersten Wahlgang ist ein Kandidat gewählt, wenn er die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Erreicht dies kein Kandidat – was bisher bei keinem der Präsidentschaftswahlen seit der Unabhängigkeit der Fall war –, findet eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern statt, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben. Im Gegensatz zu den Umfragen im Vorfeld der Wahlen, die keinem der Kandidaten eine absolute Mehrheit bescheinigten, sondern von einem zweiten Wahlgang ausgingen, erhielt der Kandidat des Bündnisses Georgischer Traum (GT) Giorgi Margwelaschwili 62 Prozent der Stimmen, gefolgt vom Kandidaten der Vereinten Nationalen Bewegung (UNM) David Bakradse mit 21 Prozent und Nino Burdschanadse (Demokratische Bewegung-Vereintes Georgien) mit 10 Prozent der Stimmen.

Nach Einschätzung internationaler Beobachter sind sowohl während der Wahlkampfphase als auch am Wahltag die wesentlichen Prinzipien einer fairen, freien und demokratischen Wahl eingehalten worden. Moniert wurden vereinzelte Fälle von Missbrauch staatlicher Ressourcen. In einigen Wahlkreisen versuchten örtliche Amtsträger des GT Einfluss auf die Zusammensetzung der Bezirkswahlkommissionen zu nehmen. Druck waren vor allem UNM-Anhänger und deren Kampagnen ausgesetzt. Im Allgemeinen wurde Georgien eine freie Medienlandschaft attestiert, wobei angemerkt wurde, dass es durchaus Fälle eingeschränkter und einseitiger pro-Regierungspartei-Berichterstattung gab.

Kandidaten und Wahlkampf: Wer ist Wer?

23 Kandidaten hatten sich bei der Zentralen Wahlkommission registrieren lassen. Es war aber von Anfang an klar, dass es im Wesentlichen darum geht, ob der Nominee des Premiers Iwanischwili es bereits im ersten oder doch erst im zweiten Wahldurchgang schafft. Der Wahlkampf und die politische Debatte wurden aber nicht in erster Linie von ihm geführt, sondern es waren David Bakradse von der Nationalen Bewegung (UNM) und Nino Burdschanadse von der Partei Demokratische Bewegung-Vereintes Georgien, die mit klaren politischen Aussagen auffielen. Die restlichen 20 Kandidaten waren entweder „Hobbykandidaten“, die sich bei jeder Wahl aufstellen lassen, oder aber sie traten kaum in Erscheinung. Zweifelsohne hing der Umfang der einzelnen Wahlkampagnen vor allem von den verfügbaren finanziellen Mitteln ab. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen konnten von staatlichen Zuwendungen das Bündnis GT und UNM profitieren, nicht aber die „Demokratische Bewegung“ von Nino Burdschanadse. Erwartungsgemäß erhielt GT mit rund zwei Millionen Euro die meisten und die UNM (70.000 Euro) die geringsten Spenden. Überraschend hingegen war die Höhe der finanziellen Unterstützung für Burdschanadse (rund 400.000 Euro), die sich in ihrem besonders aktiven Wahlkampf widerspiegelte.

Nino Burdschanadse gelingt möglicherweise ein Comeback auf die politische Bühne Georgiens. Die Vorsitzende der Partei „Demokratische Bewegung“ ist in Georgien eine bekannte politische Figur. Sie amtierte bereits zweimal als Übergangspräsidentin sowie Parlamentspräsidentin zwischen 2001 und 2008. Sie gehörte bis zu den Parlamentswahlen im Jahre 2008, die zu einem Zerwürfnis mit Saakaschwili führten, zu seinen engsten Vertrauten. Sie gründete später eine eigene politische Bewegung und versuchte, die Opposition gegen Saakaschwili zu vereinen, blieb aber erfolglos. Nino Burdschanadse fiel in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit in Ungnade vor allem aufgrund ihrer engen Beziehungen zu Putin und zu Russland. Der Zuspruch für Burdschanadse ist im letzten Jahr gewachsen, nicht unbedingt weil sie eine russlandfreundliche Politik vertritt, sondern vor allem eine radikale Abrechnung mit Saakaschwili und seinen Mitstreitern propagiert. Es sind offenbar ehemalige Unterstützer aus dem Umfeld des GT, die einen härteren Umgang mit der Vorgängerregierung befürworten oder dem GT-Kandidaten Margwelaschwili politisch nicht viel zutrauen. Damit füllt sie ein politisches Vakuum, das sich in der georgischen politischen Landschaft auftut.

Die UNM war sich im Klaren darüber, dass sie mit einem Wahlsieg ihres Kandidaten nicht rechnen konnte und versuchte sich als demokratische und konsolidierte Partei zu präsentieren. Hierzu diente vor allem die Bestimmung des Präsidentschaftskandidaten durch Vorwahlen in den verschiedenen Regionen des Landes, die die Transparenz und die innerparteiliche Demokratie festigen sollten. David Bakradse konnte sich bei den Vorwahlen gegen drei Kandidaten aus der eigenen Partei durchsetzen. Er ist der georgischen Öffentlichkeit als besonnener und pragmatischer Politiker bekannt. Er diente als Außenminister und anschließend bis 2012 als Parlamentspräsident. Den Wahlkampf führte er mit dem Slogan „Lasst uns gemeinsam die Regierung kontrollieren“. Mit dem Experiment der Vorwahl grenzte sich die UNM öffentlichkeitswirksam vom GT ab, dessen Kandidat vom Premierminister persönlich und ohne weitere Konsultationen ausgewählt wurde.

Die Frage, die sich seit der Nominierung stellt, ist: Wer ist Giorgi Margwelaschwili und wofür steht er? Der studierte Philosoph war nie Mitglied einer politischen Partei und bekleidete im Gegensatz zu vielen anderen Kandidaten keine politischen Ämter. Der bekannteste Posten, den er innehatte, war als Rektor des „Georgian Institute of Public Affairs“. Nach den Parlamentswahlen wurde er von Premier Iwanischwili als Bildungsminister ins Kabinett geholt. Entsprechend ist er in der georgischen Öffentlichkeit wenig bekannt und verfügt auch über keine besondere politische Ausstrahlungskraft. Somit ist er vollkommen abhängig von der Popularität seines Schutzherren Iwanischwili. Diese Verbindung stellte Iwanischwili im Vorfeld der Wahlen klar: „Eine Stimme für Giorgi Margwelaschwili bedeutet ein Vertrauensvotum für mich“. In diesem Kontext fügte er hinzu, dass die Möglichkeit eines zweiten Wahlgangs zwar ausgeschlossen sei, er in diesem Fall aber erwarten würde, dass Margwelaschwili nicht daran teilnehmen werde. Dieser Schachzug wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu Recht als Druck auf die Wähler interpretiert.

Das Ende der Saakaschwili-Ära und der „Kohabitation“

Micheil Saakaschwili, der Anführer der Rosenrevolution von 2003 und seit 2004 Präsident, beendet mit dieser Wahl seine zweite Amtsperiode. Nach georgischer Verfassung durfte er nicht mehr kandidieren. Er hatte die Präsidentschaftswahlen 2004 mit 97 Prozent der Stimmen gewonnen. Bei den Wahlen im Jahre 2008 wurde deutlich, dass er und seine Partei, die UNM, nicht mehr auf eine bedingungslose Unterstützung der Wählerschaft zählen konnten. Die Zustimmung für Saakaschwili sank bei den letzten Präsidentschaftswahlen auf 53 Prozent. Der Stimmungswandel in der Bevölkerung ging in den Folgejahren teilweise einher mit Protesten und fand seinen Höhepunkt in den Parlamentswahlen im Oktober 2012, bei denen die Koalition des GT um Iwanischwili mit einem Erdrutschsieg die UNM-Regierung ablöste. Die Saakaschwili-Partei konnte nur noch 40 Prozent der Stimmen und 65 Sitze auf sich vereinen.

Präsident Saakaschwili und Premier Iwanischwili waren seitdem zu einer Kohabitation gezwungen, eine Situation, die auch in bewährten Demokratien eine Herausforderung darstellt und eine ganz neue Erfahrung für die georgische Politik war. Die Saakaschwili-Partei versuchte im Parlament der Regierungskoalition zuzusetzen, in den Regionen haben UNM-Vertreter das Sagen. Auch der Bürgermeister von Tiflis gehört zum Saakaschwili-Umfeld. Schließlich musste der Präsident jeglichen Gesetzen der Regierung zustimmen, machte dabei aber des Öfteren auch Gebrauch von seinem Vetorecht. Es steht außer Frage, dass das Zusammenspiel hier nicht gut funktioniert hat. In Georgien muss sich eine Kultur politischer Toleranz noch festigen. Allerdings ist es nicht zu der befürchteten politischen Blockade gekommen und die georgische Politik hatte Gelegenheit, das Schließen von Kompromissen zu üben. Inwiefern dies auch erlernt worden ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Präsidentschaftswahl hat diese Übergangsphase beendet. Damit ist auch die Ära der Rosenrevolution endgültig zu Ende gegangen. Die Konsequenzen – seien es positive oder negative – sind noch nicht absehbar.

Georgien hat innerhalb eines Jahres zwei freie und faire Wahlen unter zwei unterschiedlichen Regierungen abgehalten und damit unter Beweis gestellt, dass es sich zu demokratischen Regeln bekennt. Allerdings werfen verschiedene Entwicklungen Fragen mit Blick auf die Nachhaltigkeit in der demokratischen Entwicklung auf. Die UNM und ihre Vertreter stehen vor großen Herausforderungen. So verließen inzwischen 13 Abgeordnete, teilweise auf Druck des GT, teilweise freiwillig, die Reihen der UNM, so dass die Partei heute im Parlament mit 52 Abgeordneten vertreten ist. Eine selektive Justiz, die sich in politisch motivierten Verhaftungen von Personen aus dem Umfeld der UNM manifestieren, gab Anlass zur internationalen Kritik. Der prominenteste Fall ist Iwane Merabischwili, Generalsekretär der UNM. Weitere 50 Funktionäre befinden sich nach Angaben der UNM in Untersuchungshaft. Die Zahl der vorgeladenen Personen gibt die Partei mit 2.500 an. Vor allem gibt es düstere Andeutungen u. a. des Premiers Iwanischwili, was mit Saakaschwili nach dem Ende seiner Amtszeit passieren könnte. Ebenfalls als problematisch zu sehen ist der Druck auf die nicht von der jetzigen Regierungskoalition kontrollierten lokalen Verwaltungen. UNM-Vertreter wurden in den letzten Monaten aus den Gremien auf lokaler Ebene gedrängt. So hat beispielsweise die UNM allein in Tiflis zwölf ihrer Stadtratsmitglieder an GT verloren, der bereits 25 Sitze im 47-köpfigen Stadtrat innehat. Graduell erfolgt somit ein vorgezogener Machtwechsel auf kommunaler Ebene noch vor den für 2014 angesetzten Kommunalwahlen. Unter diesen Umständen ist es eine große Herausforderung für die UNM, sich als führende Oppositionspartei zu etablieren und auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr vorzubereiten. Die UNM verzeichnet vor diesem Hintergrund zwar personelle Verluste an den Rändern. Dennoch kann behauptet werden, dass sich die UNM als Oppositionspartei mit einer stabilen Anhängerschaft etabliert hat. Es ist das erste Mal in der Geschichte der jungen Republik, dass eine Regierungspartei nach Abwahl nicht sofort in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Ausblick: Politisches Machtvakuum oder Neubeginn für Georgien?

Die Präsidentschaftswahl stellt für Georgien in mehrfacher Hinsicht einen Scheideweg dar. Erstens handelte es sich nicht um einen einfachen Machtwechsel, sondern die Ära der Rosenrevolution geht zu Ende, die die georgische Innen- und Außenpolitik strategisch in Richtung Europa ausgerichtet hat. Die neuen Machthaber bekennen sich zwar auch zu diesem Kurs, lassen allerdings auch andere Visionen über die künftige Orientierung des Landes erkennen. Zumindest werden sie eine Spagatleistung vollbringen müssen zwischen Aussöhnung mit Russland und Festigung der Beziehungen zur EU/NATO sowie zwischen Gewährleistung der inneren Stabilität, des wirtschaftlichen Wohlstands und der angestrebten Normalisierung der Beziehungen zu Russland.

Zweitens fanden mit der Präsidentschaftswahl Machtverschiebungen im politischen System des Landes statt. Die Verfassungsänderungen, die 2010 von der Saakaschwili-Regierung initiiert wurden, treten nun in Kraft. Dabei geht es um eine Transformation der politischen Ordnung von einer präsidentiellen zu einer stärker durch den Premierminister geprägten Demokratie. Das georgische Parlament und die Regierung werden gestärkt. Der neue Präsident wird weiterhin Kernkompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik behalten, aber sonst eher symbolische und repräsentative Funktionen erfüllen. Der mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Premier wird formal der mächtigste Akteur im georgischen Regierungssystem sein und wird dann auch nicht mehr vom Staatspräsidenten ernannt, sondern vom Parlament gewählt. Damit spielen Mehrheitsverhältnisse im Parlament eine bedeutendere Rolle als bisher. Auch die nötigen Stimmenverhältnisse für Verfassungsänderungen werden angehoben, so dass für zukünftige Beschlüsse die Zustimmung von 113 Parlamentariern nötig sein wird. Der GT besetzt zwar mehr als die Hälfte der Parlamentssitze, doch größere Vorhaben wie Verfassungsänderungen wird er nur mit einer parteienübergreifenden Kooperation erzielen können.

Drittens verlassen gerade in einer Zeit der Umwälzungen mit Saakaschwili und Iwanischwili zwei charismatische Politiker die politische Bühne. Saakaschwili wird möglicherweise nur noch als Parteivorsitzender der UNM im politischen Geschehen eine Rolle spielen und dies nur, wenn die GT-Regierung ihm den Freiraum dafür lässt. Iwanischwili hat nun endgültig bestätigt, dass er Ende November – nach gerade einmal einem Jahr im Amt – den Posten des Premiers verlassen und sich zivilgesellschaftlich engagieren wird, ohne diese neue Rolle genau zu spezifizieren. Er sieht seine vor zwei Jahren verkündete Mission, Saakaschwili zu stürzen, als erfüllt an. Seinen Nachfolger will er persönlich auswählen, einen Namen nannte er bislang jedoch nicht. Ein Machtvakuum im politischen System wird dadurch unvermeidbar mit der Konsequenz, dass eine Fragmentierung des Bündnisses GT und Frustration in der Bevölkerung droht. Bidsina Iwanischwili kündigte zwar auch an, dass das Bündnis GT nach 2016 ohnehin in einem neuen Mehrparteiensystem aufgehen sollte. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dieser „Businessplan“ für Georgien, das mit Blick auf innen- und außenpolitische Stabilität vor großen Herausforderungen steht, funktionieren kann.

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Tbilisi Georgien