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Nick Webb / wikimedia / CC BY 2.0

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World Wide Web oder doch Wild Wild West?

Dieses Jahr wird nicht nur das World Wide Web 30 Jahre alt, erstmalig wird dieses Jahr das Internet Governance Forum in Deutschland stattfinden. Anlässlich dessen freuen wir uns, mit Wade Hoxtell von dem Global Public Policy Institut (GPPI) über das Internet und Herausforderungen im digitalen Raum zu sprechen, wie auch über das Internet Governance Forum und dessen Möglichkeit, Lösungen für diese Herausforderungen zu liefern.

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Bevor wir tiefer einsteigen, lassen Sie uns zunächst vielleicht kurz klären, was das Internet eigentlich ist?

Aus einer technischen Perspektive ist das Internet ein globales Netzwerk von Computern, das den Austausch digitaler Informationen ermöglicht. Wenn jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch über das Internet gesprochen wird, bezieht man sich in der Regel stärker auf die Ebene der verschiedenen Anwendungen, die auf dem Austausch von digitalen Informationen beruhen. Auf dieser Ebene ist das Internet sowohl eine Bibliothek, als auch ein Marktplatz wie etwa auch ein öffentlicher Platz, ein Ort der Kommunikation und vieles mehr.

Darüber hinaus ist das Internet aber auch ein Symbol mit unterschiedlichen Bedeutungen. Während für manch ein Akteur das Internet ein Raum für globale Zusammenarbeit, Gleichheit und eine Welt ohne Grenzen symbolisiert, ist es für andere vor allem ein Ort der Anarchie und Gesetzlosigkeit. Gerade in seiner symbolischen Bedeutung hat das Internet in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen erfahren: Galt das Internet bis in die 2000er Jahre hauptsächlich als ein Medium der Verwirklichung von Freiheit und der Selbstermächtigung, wird es heute stärker als Medium der Unterdrückung, Manipulation und gesellschaftlichen Polarisierung wahrgenommen.

Können Sie auf der ersten Frage aufbauend erklären, was mit dem Begriff Internet Governance auf sich hat und warum dieses Feld so wichtig ist?

Auch wenn das Internet gemeinhin als unregulierter Raum gilt, wird diese Sicht der Realität nicht gerecht. Das Internet wird überhaupt erst durch eine komplexe physische Infrastruktur möglich (z.B. Glasfaserkabel, Satelliten etc.), deren Funktionalität ohne ein hohes Maß an Management, Koordination und Regulierung undenkbar ist. Damit wiederum die von einem Computer gesendeten Informationen zuverlässig und korrekt am Zielort ankommen, bedarf es international verbindlicher technischer Standards. Und damit nicht nur Informationen gesendet, sondern komplexe Anwendungen, wie etwa ein digitaler Marktplatz, eine Musikbörse oder soziale Medien genutzt werden können, werden nochmals eine Vielzahl an Richtlinien, Gesetze und Verhaltensnormen nötig.

Das Internet ist das gegenwärtig wohl wichtigste gesellschaftliche Medium überhaupt. Damit es als globales Netzwerk mit den hierauf aufbauenden Anwendungen funktionieren kann, müssen also viele Dinge über viele Ebenen und auch Grenzen hinweg perfekt und konsequent aufeinander abgestimmt werden und damit auch reguliert sein. Vor diesem Hintergrund wird nicht nur deutlich, warum die Verwaltung und Regulierung des Internets so wichtig ist, es zeigt auch wie facettenreich das Feld „Internet Governance“ ist. Will man den Begriff aber pointiert zusammenfassen, kann man „Internet Governance“ als Oberbegriff für alle Prozesse verstehen, die die Verwaltung des Internets - lokal, national, regional und global - innerhalb und zwischen all seinen verschiedenen Ebenen betreffen.

Mindestens genauso wichtig ist dabei aber auch die Frage Wie das Internet verwaltet und reguliert wird. Ist doch mit der ursprünglichen Vision von einem „freien und offenen” Internet auch ein sog. Multistakeholder-Ansatz verbunden. Dieser Ansatz impliziert, dass bei der Verwaltung des Internets keinem Stakeholder eine originäre Führungsrolle zukommt. Stattdessen sollen Regierungen, internationale Organisationen, Unternehmen, die Zivilgesellschaft und die Tech-Community gemeinsam ihre jeweiligen Kompetenzen und Fähigkeiten für die Verwaltung des Internets einbringen. Dieser Aspekt des freien und offenen Internets ist auf internationaler Ebene zunehmend unter Druck. Gab es wiederkehrend Bemühungen, die staatliche Kontrolle auf Kosten anderer Interessengruppen zu stärken. Konkret gab es hierbei etwa den Versuch, die Kontrolle über die ICANN - die gemeinnützige Organisation, die für die Verwaltung des Domain Name Systems zuständig ist - auf die Internationale Fernmeldeunion bei den Vereinten Nationen zu übertragen. Diese Spannung zwischen dem Multistakeholder-Ansatz und einer stärkeren staatlichen Kontrolle stellt eines der wichtigsten Konfliktfelder im Bereich Internet-Governance dar.

Lange Zeit galt ein „freies und offenes Internet“ als das zentrale Credo für die Verwaltung und Steuerung des Internets und damit auch die Ordnung des virtuellen Raums. Können Sie dieses Credo genauer umreißen und die Bedeutung dieses Ansatzes erklären?

Im ursprünglichen Sinne bedeutete „frei und offen“, dass Informationen über verschiedene Netzwerke und Grenzen hinweg frei und ohne Einschränkungen ausgetauscht werden können, dass alle den gleichen Zugang zum Internet haben sollten und Nutzer das Internet nach eigenem Belieben nutzen können. Implizit beinhaltet die Idee eines freien und offenen Internets außerdem einen Ansatz, der allzu starken staatlichen Eingriffe in die Verwaltung, Entwicklung und Regulierung des virtuellen Raums mit starker Skepsis begegnete. Dieser libertäre Ansatz war zunächst entscheidend dafür, dass jede Person den gesamten Bereich der Möglichkeiten des Internets erkunden konnte und war damit einer der Schlüssel für die beeindruckende Erfolgsgeschichte des Internets. Gleichzeitig galt ein freies und offenes Internet primär als Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und den internationalen Handel sowie in seiner Funktion als Plattform als ermächtigendes Medium für die Ausübung von Menschenrechten - wie etwa die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Gleichzeitig bedeutet dies aber nicht, dass das Internet nicht durch Staaten reguliert werden sollte. Wie wir heute wissen, kann die freie Meinungsäußerung zu Hassrede und der freie Handel zu internationaler Cyberkriminalität werden. Solche Entwicklungen, wie auch die Gefahren im Bereich der Cybersicherheit, erfordern staatliche Regulierung. Wichtig ist hierbei aber, ein Gleichgewicht zwischen dem libertären Ideal von frei und offen einerseits und dem Bedarf nach Schutz der Menschenrechte und einem sicheren Internet andererseits herzustellen. Das ist eine diffizile Aufgabe, umso mehr als dieses Gleichgewicht aufgrund der Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen ständig neu hergestellt werden muss.

Jenseits der bereits angesprochenen diffizilen Balance, gibt es noch weitere zentrale Herausforderungen für das Credo eines freien und offenen Internets bzw. bedeutende Konfliktlinien im virtuellen Raum?

Es ist wichtig ehrlich zu sein und zu erkennen, dass das Credo eines "freien und offenen" Internets für sich allein genommen unzureichend ist. Es ist daher weder überraschend noch bedauerlich, dass das Internet mit zunehmender Bedeutung stärker reguliert wurde. Angesichts der bereits beschriebenen Herausforderungen ist es wichtig sicherzustellen, dass die Rechte, die wir in der physischen Welt genießen, auch in der virtuellen Welt geschützt werden. Problematischer als die Eingriffe selbst ist aber das digital-ordnungspolitische „Framing“ derselben. In einem kürzlich erschienenen Papier haben Kollegen von mir westliche Staaten aufgefordert, klarer zu erläutern, wie und warum regulatorische Eingriffe demokratischer und rechtsstaatlicher Regierungen mit der Idee eines „freien und offenen“ Internets zu vereinbaren sind. Es geht heute also vor allem darum, wieder darüber zu sprechen, was ein „freies und offenes“ Internet angesichts von Cyberkriminalität, Fake-News-Kampagnen, Hate-Speech usw. bedeutet und wie eine demokratisch-rechtsstaatliche Vision für das Internet aussehen kann. Nur mit einer klaren Antwort hierauf wird es dem Westen gelingen, auch andere Staaten von der Attraktivität dieses Modells zu überzeugen und das Modell gegen autoritäre Gegenentwürfe zu verteidigen.

Vor diesem Hintergrund ist eine der wohl kritischsten Herausforderungen für das Modell „frei und offen“, die wachsende Gefahr, dass das Internet entlang der Konfliktlinie zwischen einem demokratischen und einem autoritären Ordnungsmodells für den virtuellen Raum fragmentiert wird. Damit meine ich, dass die Erfahrung des Internets je nachdem, in welchem Rechtsraum Sie darauf zugreifen, sehr unterschiedlich sein wird. Wir sehen etwa in China und Russland, dass hier nicht nur der Informationsfluss in und aus dem Land massiv kontrolliert wird, sondern das Internet zunehmend auch als Instrument zur Überwachung und Unterdrückung jeglicher Form von Opposition genutzt wird. Noch beunruhigender ist dabei die Tatsache, dass Länder wie China und Russland diesen autoritären Ansatz im Ausland fördern und damit das freie und offene Modell demokratischer Länder direkt herausfordern. Dieses Aufeinanderprallen der Internetphilosophien ist eine der bedeutendsten aktuellen Konfliktlinien im Bereich Internet-Governance und sollte demokratisch regierten Staaten als Anstoß dienen, ihre Vorstellung eines freien und offenen Internets wirksamer zu fördern und zu verteidigen.

Bisher ist es vor allem zu einer Fragmentierung im Internet gekommen - in Form einer Regulierung von Inhalten durch Maßnahmen wie Zensur, Verbreitung von Fehlinformationen oder, im Falle des Aushebelns der Netzneutralität, durch Erosion des Grundsatzes des gleichen Zugangs. Diese Entwicklungen sind für sich genommen schon in vielerlei Hinsicht problematisch. Allerdings besteht eine vielleicht noch größere Herausforderung in der drohenden Fragmentierung des Internets selbst. Es besteht die Gefahr, dass beispielsweise die physische Infrastruktur und grundlegende Datenaustauschprotokolle so verändert werden, dass die Interoperabilität der Netze in verschiedenen Ländern behindert oder gar vollständig ausgehebelt wird. Das würde das Ende des globalen "Netzwerkes der Netzwerke" bedeuten, welches durch eine Art Multiversum aus lokalen, nationalen oder regionalen Netzwerken ohne Informationsfluss zwischen einander ersetzt würde. Das wäre aus meiner Sicht eine Katastrophe.

Ende des Jahres wird Deutschland das Internet Governance Forum veranstalten. Können Sie abschließend noch kurz erläutern, warum dieses Forum gerade mit Blick auf die Ordnung des virtuellen Raums wichtig ist?

Das Internet Governance Forum (IGF) ist eine jährliche Veranstaltung zum Austausch von Informationen und zur Erörterung wichtiger Internet-Themen. Es ist insofern wichtig, weil es für alle Stakeholder einen globalen und offenen Raum bietet. In dem Rahmen des IGF können Fragen diskutiert werden, die für die Zukunft des Internets wichtig sind, seien es wirtschaftliche, soziale, politische oder technische Belange. Beschlüsse des Internet Governance Forums sind zwar nicht rechtsverbindlich, dienen Entscheidungsträgern und Nutzern auf der ganzen Welt aber als Informationsbasis und bieten die Anregungen, die sie benötigen, um ihren Teil zur Funktionalität, Stabilität und Entwicklung des Internets beizutragen. Damit erfüllt das IGF eine wichtige Funktion des Informationsaustauschs in einem ansonsten schwer zu durchschauenden Internet-Ökosystem.

Da es einen freien Gedankenaustausch zwischen allen Stakeholdern ermöglicht, ist es auch ein wichtiges Forum, um Spannungen zwischen denen zu thematisieren, die die freien und offenen Prinzipien und das Multi-Stakeholder-Governance-Modell beibehalten wollen, und denen, die auf eine stärkere staatliche Kontrolle des Internets drängen. Um seine Rolle als Plattform wirksamer zu gestalten, muss das Forum noch integrativer werden, insbesondere durch die Beteiligung von Akteuren aus Entwicklungsländern oder von Stakeholdern, die andersweitig nicht über die Mittel verfügen, um ihre Stimmen und Anliegen in den Vordergrund zu rücken. Schließlich verstärken ein gerechterer Zugang und eine breitere Beteiligung die Vorteile des Multi-Stakeholder-Modells. Für Deutschland bietet sich damit als Gastgeber die Chance gezielt die Weiterentwicklung des offenen und freien Internets zu unterstützen und damit einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung des Internets zu leisten.

Lieber Herr Hoxtell abschließend möchte ich mich bei Ihnen noch für Ihre Zeit und die Einblicke bedanken, die Sie uns präsentiert haben.


Wade Hoxtell ist Projektleiter am Global Public Policy Institute und fokussiert sich in seiner Forschung u.a. auf Daten- und Technologiepolitik sowie Multistakeholder-Partnerschaften. Wade Hoxtell arbeitet darüber hinaus gegenwärtig an einer Studie zur Zukunft des digitalen Raums.

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