Nach den Meinungsumfragen wird die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow GERB (Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens), die in einem Wahlbündnis mit der Union Demokratischer Kräfte (SDS) antritt, am 2. Oktober stärkste Kraft im Parlament werden. Der Allianz werden bis zu 26,2 % der Stimmen vorhergesagt, die jüngste Meinungsumfrage sieht sie allerdings nur bei 23,7 %, aber auch dies wäre ein Zugewinn gegenüber der letzten Wahl am 14. November 2021, bei der GERB/SDS nur auf 22,9 % kamen. GERB wirbt mit einem „Wiederaufbau-Plan“ für Bulgarien, will in Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Kultur, Sport und Tourismus neue Akzente setzen, ein Schwerpunkt ist auch der Ausbau erneuerbarer Energie. Borissow sagte: „Angesichts galoppierender Inflation (sie liegt in Bulgarien bei über 17 %) und steigender Benzinpreise müssen wir den Menschen wieder Hoffnung geben.“
Auf Rang 2 dürfte die Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) von Ministerpräsident Kiryl Petkow landen, die jüngste Meinungsumfrage sieht sie bei 16,9 %, in vorherigen Umfragen kam sie auf ein Ergebnis zwischen 17,1 und 19,6 %. In jedem Fall droht der Partei ein herber Verlust gegenüber der letzten Wahl, bei der die erst kurze Zeit zuvor gegründete Partei aus dem Stand mit 25,7 % stärkste Kraft wurde. Sie hatte daraufhin mit dem „Demokratischen Bulgarien“(DB), der Partei „Es gibt so ein Volk“ (ITN) und der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) eine Koalition gebildet. Ein umfangreicher Koalitionsvertrag weckte bei vielen Menschen große Hoffnungen, so wurden ein entschlossener Kampf gegen Korruption und eine Justizreform ebenso versprochen wie steigender Wohlstand. Doch der Angriff Russlands auf die Ukraine führte auch in Bulgarien zu hoher Inflation, die durch Gehaltssteigerungen nicht kompensiert wurden, die Bulgaren erleiden Wohlstandseinbrüche und bei den beiden anderen genannten Themen kam die Regierung kaum voran. Schließlich zerstritt sie sich sowohl in der Frage, ob der Ukraine auch militärische Ausrüstung geliefert werden solle, PP und DB befürworteten diese, als auch in der Haltung gegenüber Nordmazedonien im Hinblick auf Bedingungen für die Zustimmung Bulgariens zu Beitrittsverhandlungen des Nachbarlandes mit der Europäischen Union. Der Vorwurf an PP und DB, bei letzterem „zu weich“ zu sein, war einer der von ITN genannten Gründe für die Aufkündigung der Koalition durch ITN im Juni.
PP versprach im aktuellen Wahlkampf eine Verdoppelung der Renten, eine Anhebung des Lebensstandards für die gesamte Bevölkerung, die Erhöhung des Mindestlohns und die Stärkung der Funktionstüchtigkeit des Antikorruptionsausschusses.
Nicht eindeutig vorhersehbar ist, welche Partei drittstärkste Kraft wird, aber die jüngste Meinungsumfrage sieht die Partei der türkischen Minderheit „Bewegung für Recht und Freiheit“ (DPS) mit 12,3 % auf diesem Platz, andere Umfragen sahen sie zwischen 10,3 und 11,8 %. Im November 2021 hatte sie 13 % erzielt. Die Partei kann sich in erster Linie auf die Stimmen der ethnischen Türken verlassen, gilt aber als äußerst einflussreich, da sie zwar kein begehrter Koalitionspartner ist, aber als potentieller Mehrheitsbeschaffer von den anderen Parteien nicht verprellt wird.
Die Partei spricht sich für einen Dialog zwischen Regierung und Opposition aus, verspricht zudem wirtschaftliche und politische Stabilität. Die Partei gibt sich betont pro-europäisch und transatlantisch, vielen ihrer Funktionäre werden jedoch auch gute Kontakte zu Moskau nachgesagt.
Der Bulgarischen Sozialistischen Partei BSP) werden zuletzt 10,9 % vorhergesagt, zuvor zwischen 10,6 und 13,3 %, im November die 2021 war sie auf 10,2 % gekommen. Die Partei verharrt damit auf niedrigem Niveau. Die BSP hatte zwar den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt, aber Waffenlieferungen an die Ukraine strikt abgelehnt, war auf Konfrontationskurs zu PP und DB gegangen und hatte im Mai offen damit gedroht, die Koalition platzen zu lassen. Trotzdem kann sie nicht die Stimmen aller russlandfreundlichen Wähler binden, die stattdessen auf die Partei Wasraschdane (Wiedergeburt) setzen, die einen klar pro-russischen Kurz fährt. Die BSP verspricht Gaslieferungen zu erschwinglichen Preisen, eine stabile Wirtschaft und zusätzliche Sozialleistungen.
Wasraschdane ist zugleich ein Sammelbecken für nationalistische Wähler, sie kam im November 2021 auf 4,9 %, sie wird jetzt stark dazugewinnen, nach der jüngsten Umfrage auf 8,7 % kommen, bei früheren Umfragen lag sie zwischen 7,6 und 12,5 %. Manche Bulgaren geben bei Umfragen möglicherweise nicht zu, dass sie diese Partei wählen werden, deshalb könnte sie besser abschneiden als vorhergesagt. Wasraschdane will die Beziehungen zu Russland „normalisieren“, Gaslieferungen aus Russland sicherstellen, die demografische Krise bekämpfen und die Einführung des EURO verhindern.
Dem „Demokratischen Bulgarien“ wird jüngst ein Ergebnis von 7,8 % prognostiziert, zuvor zwischen 5,5 und 8,1%, im November hatte es 6,4 % erzielt. Das Bündnis besteht aus der Partei „Da, Bulgaria“, die keiner europäischen Parteienfamilie angehört, den „Demokraten für ein starkes Bulgarien (DSB, EVP-Mitglied) und den Grünen. Die DB will die Inflation bekämpfen, den Energiesektor diversifizieren, den EURO einführen, die Justiz grundlegend reformieren, die Korruption entschlossen bekämpfen.
Unklar ist, ob die neugegründete Partei „Bulgarischer Wiederaufstieg“ den Sprung über die 4 % Hürde schaffen wird, sie lag zuletzt nur bei 2,5 %, zuvor zwischen 4 und 5,5 %. Sie wird von Stefan Janew geführt, dieser war Ministerpräsident in den vom Staatspräsidenten im Jahr 2021 eingesetzten Interimsregierungen, unter Ministerpräsident Petkow wurde er Verteidigungsminister. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine aber weigerte er sich, von einem „Krieg“ zu sprechen, übernahm stattdessen Putins Begriff „Operation“. Daraufhin wurde er von Petkow am 13. März entlassen und gründete später eine neue Partei. Der „Bulgarische Wiederaufstieg“ verspricht ein „starkes Bulgarien in einem starken Europa“, die EU müsse Gasimporte sicherstellen, ein „Board“ aus angesehenen überparteilichen Persönlichkeiten solle über die Einhaltung der „Moral“ in der Politik wachen.
Ebenfalls unsicher ist, ob ITN der Einzug ins Parlament gelingen wird, ihr wurden zuletzt 3,8 % vorhergesagt, zuvor zwischen 3,8 und 6,9 %. Der vom Entertainer und Eigentümer eines TV Senders Slawi Trifonow angeführten Partei war 2021 zunächst ein kometenhafter Aufstieg gelungen, wurde bei der Wahl im Juli 2021 sogar stärkste Kraft. Doch der einstige Hoffnungsträger Trifonow enttäuschte viele Anhänger durch unklare Aussagen, zudem hatte er nach der Wahl im Juli die absurde Forderung aufgestellt allein eine Regierung zu bilden, die von den anderen Parteien unterstützt werden solle. Damit trug er nach Auffassung vieler Bulgaren die Verantwortung dafür, dass eine weitere Wahl im November stattfinden musste, bei der ITN nur noch auf 9,5 % kam. ITN hat für diese Wahl kein neues Programm. In der Vergangenheit hatte sie für eine Halbierung der Zahl der Parlamentsmandate plädiert, für eine Kürzung von Abgeordnetenentschädigungen und Wahlkampfkostenerstattungen an Parteien. Die Partei wolle „Bulgarien zu einem wirklich freien Land machen, in dem die Gesellschaft Entscheidungen trifft und die Politiker sie umsetzen.“ Trifonow hat jüngst die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems in Bulgariens gefordert.
Es wird mit einer Wahlbeteiligung von 50 % gerechnet, dies gilt in Bulgarien als normal.
Sollten GERB/SDS stärkste Kraft werden, so werden sie als erste den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Es wird dem Bündnis jedoch schwerlich gelingen, Bündnispartner zu finden. GERB/SDS werben für ein „pro-europäisches Bündnis“, aber PP und DB, die sich daran beteiligen müssten, zieren sich, weil ihre Wählerschaft äußerst kritisch gegenüber GERB ist.
Sollten GERB/SDS scheitern, so wäre die PP an der Reihe. Eine Neuauflage des Bündnisses mit DB, BSP und ITN käme selbst dann nicht auf eine Mehrheit im Parlament, wenn ITN den Sprung über die 4 % Hürde schaffen würde. Eine Zusammenarbeit mit dem „Bulgarisch Aufstieg“ hat PP nicht ausgeschlossen, aber es ist nicht sicher, dass diese Partei im Parlament vertreten sein wird.
Sollte auch PP mit der Regierung scheitern, so müsste der Staatspräsident nach freier Wahl einer der anderen Fraktionen mit der Bildung einer Regierungsbildung beauftragen, bei den vergangenen Wahlen fiel seine Wahl dabei auf die BSP. Spekuliert wird darüber, dass sich mehrere Parteien dann darauf verständigen könnten, eine überparteiliche Regierung aus Technokraten zu bilden.
Sollte auch dies scheitern, so würde der Staatspräsident das Parlament auflösen, eine Interimsregierung einsetzen und Neuwahlen ansetzen. Dann dürften auch Forderungen nach Einführung eines Präsidialsystems wieder aufflammen.Mis à disposition par
Auslandsbüro Bulgarien
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