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Reportages pays

Am Vorabend des Jubliäums

de Tinko Weibezahl
Kinshasa begeht am 30. Juni den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit der DR Kongo. Vor den Feierlichkeiten spitzt sich die politische Situation zu.

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Am 02. Juni 2010 sorgte in Kinshasa eine Nachricht für Unruhe: Der bekannte und populäre Vorsitzende der Organisation "La Voix des Sans-voix" (Die Stimme der Stimmlosen), Floribert Chebeya, war in Kinshasa tot auf dem Rücksitz seines Autos aufgefunden worden. Von seinem Fahrer fehlte jede Spur. "La Voix des Sans-voix" erklärte, Chebeya habe eine Verabredung mit einem hochrangigen Polizeibeamten gehabt.

Der 47-jährige Chebeya zählte seit über zwei Jahrzehnten zu den konsequentesten Bürgerrechtlern im Kongo und hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Menschenrechtsverletzungen unter der Regierung von Präsident Joseph Kabila angeprangert. Er wurde wiederholt bedroht und mehrfach verhaftet, zuletzt im März 2009 von Angehörigen des Geheimdienstes ANR, als er zusammen mit anderen Aktivisten eine Demonstration gegen Kabilas zunehmend autoritären Politikstil ankündigte.

Der Generalsekretär der UNO, Ban Ki-Moon, zeigte sich zutiefst schockiert über den Tod Floribert Chebeyas. Er erklärte, dass dessen Arbeit als ein Zeichen für die Uverdrossenheit des kongolesischen Volkes in die Geschichte eingehen wird. Er verlangte eine unabhängige Untersuchung des Todes. Auch die Hochkommissarin für Mensenrechte der UNO, Navi Pillay, richtete einen solchen Appell an die kongolesischen Verantwortlichen. In einem Brief an den kongolesischen Staatschef, Joseph Kabila, haben weitere 55 kongolesische und internationale Nichtregierungsorganisationen ihre Empörung über den Mord an Chebeya zum Ausdruck gebracht und die sofortige Einleitung einer unabhängigen, zuverlässigen und nicht befangenen Kommission - unter Beteiligung internationaler Experten - zur Untersuchung des Mordes verlangt.

Wenige Tage später wurde der Polizeichef des Landes, John Numbi, vom Dienst suspendiert. Dies teilte Vizepremier Adolphe Lumanu Mulenda nach einer Sitzung des Sicherheitsrats der DR Kongo mit. Er sprach von einer vorsorglichen Maßnahme, um eine unabhängige Aufklärung zu ermöglichen. Numbi gilt als einer der einflussreichsten Männer des Landes. Seit Freitag sind mehrere, auch ranghohe Polizisten verhaftet worden.

In Kinshasa gibt es unterdessen heftige Spekulationen: War Chebeyas Tod ein Auftragsmord oder eine missglückte Einschüchterung? Ist General Numbis Suspendierung eine politische Intrige? War der Polizeichef dem Präsidenten zu mächtig geworden? Chebeyas Anhänger wollen seinen Leichnam am 30. Juni beisetzen, dem Tag der großen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Kongo. Diese Entscheidung birgt jede Menge Zündstoff. Bestenfalls wird die Beisetzung im großen Trubel der Paraden untergehen oder sie wird von der Polizei verboten. Schwierig wird es, wenn staatlicherseits der Versuch unternommen wird, diese als Gegendemonstration zu den offiziellen Feiern gedachte Veranstaltung mit Gewalt zu stoppen. Keine dieser Optionen wäre den eigentlichen Zielen dienlich: nämlich den Mord an einem der mutigsten Aktivisten und das Schicksal seines immer noch verschwundenen Fahrers Fidele Bazana aufzuklären und den internationalen Druck auf die kongolesische Regierung in Sachen Menschenrechtsschutz aufrecht zu erhalten.

Der Mord an Chebeya ist dabei exemplarisch für die allgemeine Stimmung in Kinshasa. Obwohl es nicht – wie 2006 oder 2007 – vordergründige Konflikte und Rivalitäten gibt, die eine Eskalation der Lage unmittelbar erwarten lassen, bleibt die Sicherheitslage im ganzen Land gespannt. Geringfügige Ereignisse können unerwartet in Gewalt umschlagen. Die Stimmung innerhalb der Bevölkerung angesichts des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit, ist so schlecht wie lange nicht. Es wird allgemein befürchtet, dass die pompösen Feierlichkeiten alles andere als friedlich ablaufen könnten und in der Folgezeit schwelende Konflikte neu ausbrechen werden.

Für den 30. Juni sind unter anderem große Polizei- und Militärparaden geplant. Die umfangreiche Militärpräsenz in der Stadt gibt vielen Kongolesen Anlass zur Sorge. So sind etwa 11.000 bewaffnete Soldaten und Polizisten außerhalb Kinshasas in Maluku zusammengezogen worden, um laut offizieller Aussage dort für die Feierlichkeiten am 30. Juni trainieren, was von der Bevölkerung misstrauisch beobachtet wird.

Der 50. Jahrestag der Unabhängigkeit ist ein für die nationale Identität zentrales und sehr emotionales Ereignis. Auch der belgische König Albert II. nimmt an den Feierlichkeiten teil. Überhaupt versucht Präsident Kabila seit längerer Zeit, Einheit, Stärke und Souveränität zu demonstrieren. Er möchte insbesondere im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitstag beweisen, dass sich die Situation im Land unter seiner Führung verbessert hat. Dies geschieht vor allem auch im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Diese Bemühungen werden freilich erschwert durch die jüngsten politischen Ereignisse und natürlich auch durch die reale Lebenssituation der Bevölkerung, die nach wie vor unter bitterer Armut, allgegenwärtiger Korruption und der Abwesenheit einer elementaren Grundversorgung leidet. Darüber können einige wenige Prestigeprojekte – wie der neue Prachtboulevard „30. Juni“ in Kinshasa nicht hinwegtäuschen. Der Boulevard führt direkt durch die Innenstadt Kinshasas und wurde erst im letzten Jahr von chinesischen Baufirmen erweitert und komplett erneuert, die Bauarbeiten dauern noch immer an.

Mitte Mai wurde die Aufmerksamkeit der Bevölkerung Kinshasas auf das neueste Prestigeprojekt des Präsidenten gelenkt – durch Kinshasa hallte das Dröhnen großkalibriger Kanonen. Nach kurzer Panik stellte sich heraus, dass die Armee ihre 50 von der Ukraine gekauften Kampfpanzer vor der Stadt eingeschossen hat. Diese Panzer sollen bei der geplanten festlichen Militärparade den neuen Boulevard entlang rollen. Solche Aktionen lösen bei den Menschen eher frustriertes Schulterzucken aus – nicht nur, dass Panzer in den meisten Provinzen der DR Kongo aufgrund der Landschaft und Infrastruktur keinen militärischen Wert haben – es ist den Menschen auch schwer zu vermitteln, warum man Panzer kauft, wenn es für die meisten immer noch keinen Strom und kein Wasser gibt.

In den anderen Provinzen, besonders im Osten, setzen die bewaffneten Gruppen Anschläge, Entführungen und Plünderungen unterdessen fort. Während sich die humanitären Bedingungen in einer Region verbessern, verschlechtern sie sich in der anderen, sagte ein Sprecher der Vereinten Nationen in der vergangenen Woche der Presse. Hierzu einige exemplarische Beispiele aus der Tagespresse der vergangenen Wochen:

  • Während die Zivilisten in ihre Dörfer bei Gemena (Provinz Equateur) zurückgekehrt sind, dauert die Gewalt in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu an. In den Gebieten Rutshuru und Beni (Nord Kivu) etwa sind Plünderungen, Morde, Überfälle auf Privatautos und auf Dörfer an der Tagesordnung. Ursache sind Rebellen der ruandischen FDLR, die durch die Aktionen der kongolesischen Armee zerstreut wurden.

  • Die Mitarbeiter des kongolesischen Außenministeriums befinden sich im Streik. Sie verlangen die Auszahlung ihrer Gehälter der letzten sechs Monate und einer versprochenen Prämie für den Verkauf von neuen Passformularen.

  • Tausende Flüchtlinge aus 13 Dörfen des Gebietes Loya (Gebiet Bafwasende, Province Orientale), deren Dörfer im April bei Kämpfen zwischen der kongolesischen Armee und Maï-Maï-Milizen komlett zerstört wurden, leben ohne Hilfe in der Nähe des Militärpostens Opienge, wohin sie sich geflüchtet haben. Die meisten von ihnen zeigen Anzeichen von Unterernährung.

  • Die Bevölkerung des Ortes Likimi (Distrikt Sud-Ubangui, 150 km von Gemena, Equateur) erklärt, Opfer von Schikanen der Polizei zu sein. Nach Aussagen mehrerer Zeugen verhaften Polizisten der kongolesischen Nationalpolizei willkürlich Menschen, um dann Lösegeld für ihre Freilassung zu erpressen. Außerdem erpressen die Polizisten häufig unrechtmäßige Steuern.

  • Die kongolesische Armee hat am 2.6. im Gebiet Masisi (Nord Kivu) eine neue Offensive gegen die Milizionäre der FDLR gestartet. In den Orten Burungu, Kahembe, Kabale, Mukobirwe und Musumba gab es Gefechte mit schweren Waffen. Lokale Quellen sprechen von erheblichen Sachschäden.

  • Ca. 500 Mitglieder der Kifuafua-Mai-Mai-Rebellen, die seit fünf Monaten vergebens auf ihre Integration in die FARDC gewartet haben, sind am Montag in ihre früheren Lager in Musenge (ca. 70 km von Walikalee, Nord-Kivu) zurückgekehrt. Zur Begründung sprechen ihre Führer davon, dass sie durch die Regierung in Kinshasa alleingelassen fühlen und unter prekären Bedingungen leben. Der stellvertretende Verwalter dieses Bezirks sagte, dass der Abzug eine Panik bei der Zivilbevölkerung hervorgerufen hat.

Auch im Parlament ist die Situation alles andere als ruhig. Am 19. Mai wurde von der Opposition ein Misstrauensantrag gegen Premierminister Adolphe Muzito gestellt. Dem Premier werden die allgemeine Unsicherheit im Land, eine schlechte Regierungsführung sowie die Verzögerung bei der verfassungsmäßig verankerten Dezentralisierung des Landes vorgeworfen. Der Antrag wurde zurückgenommen, als während der Abstimmung Parteifreunde Muzitos den Saal stürmten. Außerdem gab es formale Probleme – so hieß es, einige Abgeordnete hatten mehrmals unterschrieben. Unklar ist jedoch, ob es sich dabei um gefälschte Unterschriften handelt. Einzelne Abgeordnete wiesen den Vorwurf des Betruges vehement zurück. Auf die erneute Abstimmung über den Antrag wird noch gewartet.

Dieser Vorfall gewann an politischer Brisanz, als sich herausstellte, dass neben der Opposition offenbar auch mehrere Minister den Misstrauensantrag befürwortet und sich somit von ihrem Regierungschef distanziert haben.

In diese politisch brisante Phase fiel ebenfalls die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates über die Zukunft der UN-Mission MONUC. Die UN haben mittlerweile den Abzug von bis zu 2000 Blauhelmsoldaten aus der Demokratischen Republik Kongo gebilligt. Die Soldaten können jetzt bis zum 30. Juni aus Bereichen abgezogen werden, in denen „die Sicherheitslage dies erlaube“, hieß es in der in New York einstimmig verabschiedeten Resolution des Gremiums. Der Beschluss betrifft zehn Prozent der momentan mehr als 20.000 in der DR Kongo stationierten Blauhelmsoldaten. Über einen von der Regierung in Kinshasa gewünschten vollständigen Abzug der UN-Truppen traf der Sicherheitsrat damit vorerst keine Entscheidung.

Die UN-Mission wurde mit der Resolution um ein weiteres Jahr bis zum 30. Juni 2011 verlängert. Zugleich wurde sie in UN-Stabilisierungsmission (MONUSCO) umbenannt. Aufgabe der Soldaten soll es künftig prioritär sein, die Zivilbevölkerung zu schützen. Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo ist die größte Blauhelmmission der Welt. Gegenwärtig umfasst sie 18.645 Soldaten, 1.216 Polizisten, 712 Militärbeobachter und rund 3.700 zivile Mitarbeiter. Eingerichtet wurde MONUC 1999 als Beobachtermission während des Kongokrieges, die ersten Blauhelmsoldaten kamen 2001. Seitdem hat MONUC vor allem Milizen im Osten des Kongo bekämpft, Kongos Regierungsarmee unterstützt sowie die Wahlen von 2006 abgesichert.

Seit Stationierungsbeginn sind 111 UN-Soldaten im Kongo ums Leben gekommen, davon 31 in Kampfhandlungen. Die Abzugspläne sorgen in Kinshasa seit ihrer Verkündung für Unruhe. "Die Blauhelme machen nicht viel, aber ohne sie ist es noch schlimmer", sagt ein lokaler Journalist. "Wir möchten, dass sie bleiben." In Gebieten, die vom ersten Teilrückzug betroffen sind, mehren sich entsprechende Appelle an die UNO.

Für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurde mittlerweile der 04. September 2011 als Termin festgelegt. Viel Zeit bleibt der Regierung also nicht mehr, um die Menschen im Land von ihrer Wiederwahl zu überzeugen. Sollte sich die politische und wirtschaftliche Situation jedoch weiterhin verschlechtern, bedeutete dies eine große Gefahr für den gesamten Prozess des staatlichen Wiederaufbaus und der Demokratisierung. Die Folgen für die Menschen wären unabsehbar – und nicht zuletzt wäre im Fall eines erneuten Gewaltausbruchs die weltgrößte UN-Mission, deren Ziel es war, die Stabilisierung von Demokratie und Rechtsstaat in der DR Kongo zu sichern, gescheitert.

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