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Nachlese zur französischen Präsidentschaftswahl

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Eigentlich wäre diese Wahl für den bürgerlichen Präsidentschaftskandidaten nicht zu verlieren gewesen. Die Rahmenbedingungen für den Herausforderer von François Hollande waren im Vorfeld denkbar günstig: eine lahmende Wirtschaft, eine zerstrittene Sozialistische Partei und ein Präsident, der in den vergangenen fünf Jahren weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war.

 

Vielen Beobachtern und Analysten schien rund ein Jahr vor den Wahlen klar, dass Hollande abgewählt und ein Bürgerlicher – aller Voraussicht nach der frühere Premierminister und Bürgermeister von Bordeaux Alain Juppé – im Mai 2017 zum neuen Präsidenten gewählt werden würde. Bei einer Umfrage vom April 2016 sahen die Meinungsforscher Juppé mit über dreißig Prozent Zustimmungsrate an der Spitze. Abgefragt wurden damals neben Staatspräsident Hollande auch sein Vorgänger, der Vorsitzende der Républicains Nicolas Sarkozy, Premierminister Manuel Valls sowie die Vorsitzenden von Front National und Parti de Gauche, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon.

 

Ein Jahr später ist bis auf die beiden letztgenannten kein Politiker mehr im Rennen gewesen. Das gesamte politische Mittelfeld wurde „abgeräumt“. Erstmals in der Geschichte der Fünften Republik kam weder der Kandidat der Sozialisten noch der Kandidat der bürgerlichen Gaullisten in die Stichwahl. Gewählt wurde mit dem 39-jährigen Emmanuel Macron schließlich ein Politiker, der erst im Sommer 2014 die politische Bühne betreten hatte und im April 2016 seine eigene politische Bewegung „En Marche“ gründete, um als unabhängiger Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten.

 

Révolution hatte Macron sein im Vorfeld der Wahl erschienenes Buch genannt, in dem er seinen Werdegang nachzeichnet und seine Ideen präsentierte. Allerdings ist dem Buch wenig Revolutionäres zu entnehmen, eher ein modifiziertes „Weiter so“ der Reformpolitik der bisherigen Regierung. Dass Macrons Wahl zum Staatspräsidenten dennoch zu einem Umbruch der politischen Landschaft in Frankreich führen würde, hatte bis vor wenigen Monaten kaum jemand erwartet. Zu gering war die Wahrscheinlichkeit, dass sich der politische Seiteneinsteiger gegen die sich seit Jahrzehnten auf dem politischen Parkett bewegenden Mitbewerber durchsetzen könnte.

 

 

Viel Platz in der politischen Mitte

 

Seinen Wahlsieg hat Emmanuel Macron jedoch weniger seiner eigenen Stärke als der Schwäche seiner Gegner zu verdanken. Macron konnte sich durchsetzen, weil in den Vorwahlen von Républicains und Sozialisten nicht etwa der liberale Alain Juppé oder der gemäßigte Manuel Valls, sondern zwei Kandidaten aufgestellt wurden, die betont konservativ beziehungsweise klar links auftraten. Weder François Fillon noch Benoît Hamon gaben sich im Wahlkampf besondere Mühe, die Wähler der Mitte zu erreichen. Stattdessen blieb Fillon ein Kandidat, der strikte Wirtschaftsreformen forderte, eine traditionsgebundene Gesellschaftspolitik vertrat und aus seiner Nähe zur katholischen Kirche keinen Hehl machte – im laizistischen Frankreich stieß dies bei vielen Wählern auf Unverständnis und Ablehnung. Derweil kündigte der Sozialist Hamon an, das bedingungslose Grundeinkommen und die 32-Stunden-Woche einführen zu wollen. Beide behielten ihre Kernwählerschaft im Blick, die sie in den Vorwahlen so zahlreich unterstützt hatte und der sie sich verpflichtet fühlten. Beide wollten vermeiden, Wähler nach rechts oder links an die Populisten Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon zu verlieren, verloren dabei jedoch die gemäßigten Wähler aus den Augen. Auf diese Weise war in der politischen Mitte viel Platz für Emmanuel Macron.

 

Schon vor Ausbruch der Affäre um die mutmaßliche Scheinbeschäftigung von Fillons Ehefrau und seinen Kindern als parlamentarische Assistenten am 25. Januar 2017 sackten die Umfragewerte des konservativen Kandidaten auf unter 25 Prozent ab. Die Affäre selbst, insbesondere auch Fillons Umgang damit, trug nicht dazu bei, den Kandidaten der Républicains zu stärken. Statt schlüssige Erklärungen für sein Verhalten zu liefern, beschuldigte Fillon Staatsanwälte und Medien und vermutete eine vom Élysée organisierte Verschwörung gegen ihn. Auch wenn mitunter der Eindruck entstehen konnte, dass Staatsanwaltschaft und ausgesuchte Medien im Fall Fillon Hand in Hand arbeiteten – mehrfach wurden vertrauliche Ermittlungsergebnisse zeitnah in Online- und Printmedien veröffentlicht – blieben die Vorwürfe an Fillon haften.

 

Angesichts des Ausmaßes der Affäre ist das Ergebnis, das François Fillon bei der ersten Wahlrunde am 23. April 2017 eingefahren hat, beachtlich. Es fehlten lediglich 1,9 Prozentpunkte, um die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, zu übertreffen. Insgesamt lagen die vier Kandidaten – Macron, Le Pen, Fillon, Mélenchon – weniger als fünf Prozentpunkte auseinander. Es hätte nicht viel gefehlt und Fillon wäre in die Stichwahl gekommen – die Chance, dass er der nächste Präsident Frankreichs werden würde, war bis zur ersten Wahlrunde nicht unrealistisch.

 

 

Parteienlandschaft in Bewegung

 

Das Ergebnis vom 23. April zeigt, dass das französische Zwei-Lager-System der Fünften Republik zu Ende ist und Frankreich heute politisch in vier etwa gleich große Lager aufgeteilt ist: in die bürgerlich-konservativen Républicains, die sozialliberale Sammlungsbewegung des Präsidenten „En Marche“, die linkspopulistische Parti de Gauche und den rechtspopulistischen Front National.

 

Über die Zukunft der bislang regierenden Sozialisten werden die anstehenden Parlamentswahlen entscheiden. Ob sich „En Marche“ faktisch in eine in die Mitte gerückte und modernisierte Nachfolgerin der Parti Socialiste entwickeln wird, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden.

 

Die Bewegung des Präsidenten wird unter dem Namen „La République en marche“ an den Parlamentswahlen, die am 11. und am 18. Juni stattfinden werden, teilnehmen. Welchen Erfolg ihre Kandidaten haben werden, ist völlig unsicher. Frankreich betritt hier Neuland. Seit 2002, als die Amtszeiten von Präsident und Assemblée nationale zeitlich synchronisiert wurden und die Wahlen stets im Abstand von wenigen Wochen stattfinden, rief der neu gewählte Präsident stets dazu auf, die Kandidaten der eigenen Partei zu unterstützen und auf diese Weise eine parlamentarische Mehrheit zu sichern. Ob bei Chirac, Sarkozy oder Hollande – der Bürger gab dem frisch gewählten Präsidenten seine Parlamentsmehrheit.

 

Wie sich der Wähler bei der bevorstehenden Wahl verhalten wird, ist offen: Das französische Mehrheitswahlrecht sieht vor, dass auch in den Wahlkreisen der Kandidat im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen erhalten muss, um gewählt zu sein. Dieses Wahlsystem stärkt die gemäßigten Kräfte. So sind in der zu Ende gehenden Wahlperiode gerade einmal zwei Abgeordnete des rechtspopulistischen Front National in der Assemblée nationale vertreten, obwohl die Partei von Marine Le Pen 2012 rund dreizehn Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte. Wie stark die einzelnen Parteien in der neuen Wahlperiode sein werden, hängt davon ab, in wie vielen Wahlkreisen sie die Mehrheit erhalten werden. Frankreichs politische Landschaft ist in Bewegung. Vielleicht hat der neue Präsident dann doch eine „Révolution“ ausgelöst.

 

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Nino Galetti''no Galetti'' Galetti''aletti''etti''ti'''', geboren 1972 in Freiburg (Schweiz), Leiter des Auslandsbüros Frankreich der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Paris.

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