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Reportage sui paesi

Konfliktgeplagtes Bolivien

Das Jahr 2011 war einer Studie der Fundación UNIR zufolge das konfliktreichste seit der Rückkehr Boliviens zur Demokratie im Jahr 1982. Somit hat sich die Hoffnung der Bevölkerung, die Regierung von Evo Morales könne das Land durch den großen Rückhalt der Wähler befrieden, nicht erfüllt.

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Evo Morales erlangte als erster Präsident in der jungen bolivianischen Demokratie im Jahr 2005 bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit mit 54% der Stimmen. Der Wahl war eine Zeit politischer Instabilität vorausgegangen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten Politik drückte sich immer stärker in öffentlichen Protesten und Unruhen aus, die 2003 zur Flucht des damaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada, zum Rücktritt seines verfassungsmäßigen Nachfolgers Carlos Mesa und schließlich zu vorgezogenen Neuwahlen führten.

Der Partei Movimiento al Socialismo MAS (Bewegung zum Sozialismus) von Morales war es gelungen, zum Sprachrohr des Protests gegen die politischen Verhältnisse zu werden und dies mit Forderungen nach der Einbindung der indigenen Bevölkerung in politische Prozesse, der Wahrung indigener Rechte und der Bekämpfung der Armut zu verbinden. Nicht nur die mehrheitlich indigene Bevölkerung des Landes stimmte zum Großteil für die MAS, sondern auch Intellektuelle der Mittelklasse sahen in der neuen politischen Alternative eine Chance zum Neubeginn.

Man erhoffte sich unter anderem durch die Verfassungsgebende Versammlung und den daraus entstehenden Verfassungstext einen Gesellschaftsvertrag, um das Land friedlich in die Zukunft zu führen. Die politische Polarisierung war jedoch zu groß. Durch die andauernden und teilweise gewalttätigen Konflikte zwischen Opposition und Regierung konnte in der Verfassungsgebenden Versammlung keine Einigung erlangt werden. Ein neuer Verfassungstext wurde schließlich von einer Kommission im Parlament ausgearbeitet und vom Plenum angenommen, was die damalige Verfassung so nicht vorsah.

Die Regierung betonte in dieser ersten Amtsperiode wiederholt, dass sie zwar die Wahlen gewonnen habe, jedoch aufgrund der Blockadehaltung der Opposition die Macht nicht ausüben könne. Sie strebte bei den Wahlen 2009 daher die Erlangung von Zweidrittelmehrheiten in beiden Kammern des Parlaments an und erreichte dieses Ziel. Evo Morales wurde mit 64% der Stimmen wiedergewählt.

Die Erwartungen an die zweite Periode der Regierung waren dementsprechend hoch, weil jegliche Fehlleistung zuvor immer mit der Blockade der Opposition gerechtfertigt worden war. Doch bereits im Jahr 2010 stellte sich in einigen Sektoren der Gesellschaft eine erste Ernüchterung ein, da die erhofften Erfolge in der Armutsbekämpfung und Wirtschaftspolitik ausblieben. Vielmehr wurde deutlich, dass zahlreiche Ministerien aufgrund einer kompletten personellen Neuaufstellung mit ihren Aufgaben überfordert waren. So setzten mehrere von ihnen nur einen Bruchteil ihres Jahresbudgets um.

Benzinpreise - Wendepunkt im Vertrauensverhältnis zur Regierung

Am 26. Dezember 2010 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das eine radikale Preiserhöhung von 73% für Benzin, 83% für Diesel und 99% für Kerosin festschrieb. Kraftstoff wird in Bolivien jährlich mit rund 900 Millionen USD subventioniert und daher existiert ein reger Schmuggel in die Nachbarländer, der dem Land großen wirtschaftlichen Schaden zufügt. Durch die niedrigen Preise in Bolivien und die dadurch fehlenden wirtschaftlichen Anreize, ist die Fördermenge von Erdöl im Land deutlich zurückgegangen und immer größere Mengen an Treibstoff müssen importiert werden.

Aufgrund des Dekrets kam es in der Woche vor Silvester zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen auf den Straßen Boliviens. Die Regierung fühlte sich sichtlich bedroht und zog das Dekret wenige Stunden vor Mitternacht am 31.12.2010 zurück. Der Präsident schien mit dieser starken Reaktion der Bevölkerung nicht gerechnet zu haben. Er befürchtete offenbar, gestürzt werden zu können. Die Regierung musste ihren ersten harten politischen Rückschlag einstecken. Das Vertrauen der Bevölkerung war stark angeschlagen. Die zu erwartenden Preissteigerungen für Lebensmittel und Transport hätten nämlich vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten betroffen, für die Evo Morales sich zumindest rhetorisch besonders stark machte und die seine bedeutendste Wählerbasis darstellen. Im Ergebnis büßte die Regierung an Glaubwürdigkeit ein und Evo Morales selbst, der noch 2004 den Rücktritt des Präsidenten Carlos Mesa gefordert hatte, als dieser eine Erhöhung der Benzinpreise um 10% durchzusetzen suchte, wurde zu einem Präsidenten, der die Benzinpreise beinahe verdoppeln wollte und dann kalte Füße bekam.

Der so genannte „gasolinazo“ bildete den Auftakt einer Reihe von Konflikten von denen in Folge die bedeutendsten erläutert werden sollen.

Richterwahlen – ein tiefer Rückschlag für die Regierung

Die Verfassung von 2009 sieht eine Direktwahl der Richter des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofs, des Obersten Umwelt- und Agrargerichts sowie des höchsten Verwaltungsorgans der Justiz vor. Die Richterwahlen fanden am 16. Oktober 2011 statt. Im Vorfeld betonte die Regierung immer wieder stolz, dass es sich um einen auf der Welt einzigartigen und daher historischen Prozess handele. Im Vorfeld der Wahl kam es jedoch zu zahlreichen Konflikten. Bedenklich waren einerseits die Einschränkung der Informationsfreiheit und der Arbeit der Medien durch das Wahlgesetz und andererseits die politisch motivierte Vorauswahl der Kandidaten durch die Zweidrittelmehrheiten der MAS im Parlament. Nach einer langen Krise der Justiz befürchtete man letztendlich die völlige politische Instrumentalisierung durch die Wahlen.

Aufgrund dieser Faktoren stand die Mehrzahl der Bolivianer dem Wahlprozess kritisch gegenüber. In einer Umfrage der Tageszeitung Página Siete, die am 16. Mai 2011 veröffentlicht wurde, gaben 73% der Befragten an, die Wahlen seien politisch motiviert und nicht vertrauenswürdig. Da das Misstrauen in der Zivilbevölkerung kontinuierlich zunahm, initiierten verschiedene Nichtregierungsorganisationen und Bürgerzusammenschlüsse eine Kampagne für die Abgabe eines leeren Stimmzettels. Der bekannte Verfassungsrechtler Carlos Alarcón hatte dem Obersten Wahlgericht den Vorschlag unterbreitet, auf dem Wahlzettel ein Kästchen für die „Ablehnung aller Kandidaten“ einzuführen. Ein Mehrheitsvotum für diese Option hätte zwar nicht die Gültigkeit, jedoch aber die Legitimität der Wahl in Frage gestellt. Der Vorschlag wurde abgelehnt.

Am Tag der Wahl wurden für die verschiedenen Listen lediglich ca. ein Drittel der Stimmen abgegeben. Die nichtigen und leeren Stimmzettel machten ca. 60% aus. Das Wahlgericht korrigierte diese Zahl in den darauffolgenden Tagen mehrfach nach unten, was auf einen nachträglichen Wahlbetrug schließen lässt. Die Wahl entwickelte sich somit zu einem weiteren klaren Rückschlag für die Regierung.

TIPNIS - endgültiger Bruch mit dem proindigenen Diskurs?

Der vom Volk der Aymara abstammende Evo Morales gewann die Wahlen 2005 unter anderem durch das Versprechen, Indigene in die Regierung zu integrieren und indigene Interessen im Rahmen seiner Politik zu vertreten. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen der 60% der Bolivianer an seine Regierung, die sich selbst als indigen bezeichnen. Die anfängliche Begeisterung ist inzwischen einer tiefen Ernüchterung gewichen. Die Enttäuschung vieler Indigener und großer Teile der Zivilbevölkerung ist eng mit den Vorfällen um das Indigene Territorium und den Nationalpark Isiboro Sécure (TIPNIS) verknüpft.

Der Konflikt entfachte sich um den geplanten Bau einer Schnellstraße durch das Herz des TIPNIS, die von den dort lebenden Indigenen abgelehnt wird. 1991 verabschiedete Bolivien die ILO-Konvention 169, die einen Konsultationsprozess der indigenen Völker bei allen staatlichen Maßnahmen vorsieht, die diese direkt betreffen. Das Konsultationsrecht wurde ebenfalls in der bolivianischen Verfassung von 2009 festgeschrieben. Die Regierung unterzeichnete die Bauverträge für die Straße jedoch, ohne einen Konsultationsprozesse realisiert zu haben.

In diesem Zusammenhang wird eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie erkennbar: Die indigenen Tieflandvölker, die seit Jahrhunderten in diesem Gebiet leben und sich vor allem vom Fischfang, der Jagd und einer Subsistenzlandwirtschaft ernähren, sind gegen den Bau der Straße. Die aus dem Hochland bzw. dem Mittelgebirge ins Tiefland gezogenen Siedler, die ebenfalls größtenteils indigener Abstammung (Aymara und Quechua) sind und an den Grenzen des Nationalparks Koka anbauen, befürworten den Bau. Die in Zukunft zu erwartenden Ressourcenkonflikte aufgrund unterschiedlicher Ansichten über die Nutzung der Umwelt werden sich in Bolivien daher wahrscheinlich nicht in erster Linie zwischen Indigenen und nicht Indigenen, sondern zwischen verschiedenen indigenen Völkern abspielen. Dies bedeutet wiederum, dass auch die Anwendung des Konsultationsrechts einer neuen Analyse unterzogen werden muss.

Evo Morales stammt aus der Bewegung der Kokabauern und wurde in den mächtigen Kokabauergewerkschaften politisch sozialisiert. In seinen ersten Wahlkämpfen spielte die Forderung nach der Gewährleistung indigener Rechte noch keine Rolle. Im Zusammenhang mit TIPNIS wird deutlich, dass er seinen Wurzeln treu geblieben ist und die indigene Rhetorik wohl in erster Linie Wahlkampfzwecken diente. Evo Morales ist weiterhin der oberste Gewerkschaftsführer der sechs Kokabauergewerkschaften aus dem tropischen Cochabamba, die den Bau der Straße fordern. Morales wird vorgeworfen, dem Druck dieser Interessengruppe stets nachzugeben. So verteidigte er am 12. März 2012 beim 55. Treffen der Suchtkommission der Vereinten Nationen den traditionellen Gebrauch der Kokapflanze. Allerdings fließt laut Studien der Vereinten Nationen ein Großteil des Rohstoffs in die Kokainproduktion. Das Hauptinteresse der Kokabauern liegt in der Ausweitung der Anbaufläche auf die fruchtbaren Böden des TIPNIS und im erleichterten Transport der Ware über die Straße. Der TIPNIS ist eines der Gebiete mit der größten Artenvielfalt in Bolivien. Die Umweltschützer befürchten die Zerstörung des Ökosystems und die Indigenen die ihres natürlichen Lebensraums. Die Straße soll die Departements Cochabamba und Beni verbinden, da die bestehenden Verkehrswege in der Regenzeit oft nicht befahrbar sind. Experten schlagen einen alternativen Verlauf der Straße vor, um Umweltzerstörung zu vermeiden und die indigenen Rechte zu bewahren.

Um das Bauvorhaben zu stoppen, führten die indigenen Völker des Tieflands unter der Fahne ihres Dachverbands Confederación de los Pueblos Indígenas de Bolivia (CIDOB) von August bis Oktober 2011 einen Protestmarsch nach La Paz durch. Am 26. September verfolgte ein gewaltsamer Polizeieinsatz das Ziel, den Marsch aufzulösen und die Ankunft der Indigenen im Regierungssitz zu verhindern. Nach sofortigen Protesten der Zivilgesellschaft gegen das brutale Vorgehen der Polizei gegenüber den friedlich Demonstrierenden leugnete die Regierung jegliche Verantwortung für den Polizeieinsatz, der sein Ziel eindeutig verfehlte. Der Protest konnte nicht gestoppt werden. Stattdessen solidarisierten sich breite Teile der Bevölkerung mit den Indigenen und schlossen sich ihnen bei ihrem Einzug nach La Paz an. Die Regierung gab dem Druck nach und das Parlament erließ ein Gesetz, das den sofortigen Baustopp der Straße verfügte und den TIPNIS als unberührbar klassifizierte.

Jedoch war Präsident Morales anscheinend nicht bereit, sich geschlagen zu geben. Zu Beginn des Jahres brachte die Regierung im Parlament einen Gesetzesentwurf ein, der die Durchführung der Konsultation im Nachhinein vorsah. Das entsprechende Gesetz wurde im Februar verabschiedet. Die Regierung führte an, dass alle im und um den TIPNIS lebenden Indigenen konsultiert werden müssten - somit auch die siedelnden Kokabauern. In den folgenden Monaten bemühte sich die Regierung, möglichst viele Anwohner auf ihre Seite zu ziehen, sie zu einer Befürwortung der Straße zu überreden und außerdem die indigenen Organisationen im TIPNIS zu spalten. So tauchte plötzlich eine bis dahin völlig unbekannte neue indigene Organisation mit dem Namen Consejo de Indígenas del Sur (CONISUR) auf, die behauptete, die indigenen Interessen im TIPNIS zu vertreten, den Bau der Straße forderte und ebenfalls nach La Paz marschierte, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Allerdings veröffentlichten die bolivianischen Medien kurz darauf Fotos von den Führungskräften des CONISUR, auf denen diese mit Präsident Morales bei Wahlkampfveranstaltungen in der Vergangenheit zu sehen waren. Die politische Nähe zur Regierung war somit nachgewiesen und die Legitimität des CONISUR wurde öffentlich in Frage gestellt.

Die CIDOB lehnt den nachträglichen Konsultationsprozess wegen Manipulationsmöglichkeiten strikt ab. Außerdem sehen die bolivianische Verfassung und die ILO-Konvention 169 eine Konsultation im Vorfeld der Maßnahmen vor. Eine Konsultation zur Absegnung eines bestimmten Projekts in Nachhinein besäße keine Gültigkeit. Der Konflikt ist somit noch lange nicht ausgestanden und gelöst. Am 27. April starteten die Indigenen des Tieflands einen erneuten Protestmarsch in Richtung La Paz. Ihre Ankunft wird in den nächsten Wochen erwartet.

Die Regierung legte eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zum sofortigen Baustopp der Schnellstraße ein und ein Abgeordneter der Opposition gegen das Gesetz zur Durchführung einer nachträglichen Konsultation. Das Verfassungsgericht veröffentlichte am 19. Juni 2012 seine Entscheidung. Es entzog sich einem Urteil im Falle der Verfassungsbeschwerde der Regierung. Als Grund gaben die Richter einen Verfahrensfehler an, der jedoch nicht näher erläutert wurde. Das Gesetz zur Durchführung einer nachträglichen Konsultation wurde hingegen für verfassungskonform erklärt. Zahlreiche renommierte Verfassungsrechtler haben sich bereits gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts ausgesprochen. Somit erhärtet sich der Verdacht, dass die neu gewählten Richter politisch und regierungstreu handeln.

Die politischen Folgen der TIPNIS-Frage für die Regierung sind noch nicht abzusehen. Klar ist, dass Evo Morales und der MAS wiederholt deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. So wird die Regierung in Zukunft weder bei der Formulierung indigener noch ökologischer Interessen ernst genommen werden. Die beiden großen Dachverbände indigener Organisationen CONAMAQ und CIDOB haben mit der Regierung gebrochen. TIPNIS wurde zum Symbol des Protestes aller, die mit der aktuellen Politik unzufrieden sind und eine plurale Gesellschaft sowie die Wahrung der Gesetze und der Verfassung fordern.

Konflikt zwischen Regierung und Gesundheitssektor – vorübergehend befriedet

Im März 2012 erließ die Regierung ein Dekret, welches die Ausweitung des Arbeitstages für alle Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitssystem von sechs auf acht Stunden vorsah. Die bisherige sechs Stunden Regelung war vor allem getroffen worden, um einen Ausgleich für die Schichtarbeit zu schaffen. Allerdings muss ebenfalls hinzugefügt werden, dass die Gehälter in öffent lichen Gesundheitseinrichtungen sehr niedrig sind und viele Ärzte und Krankenschwestern daher einer zweiten Tätigkeit in privaten Einrichtungen nachgehen.

Die Proteste begannen in La Paz und weiteten sich dann auf das ganze Land aus. Der ausgerufene Generalstreik dauerte 52 Tage und legte das Gesundheitssystem im Land völlig lahm. Die Angestellten forderten die Rücknahme des Dekrets. Der Konflikt eskalierte unter anderem, weil die Regierung nicht zu Kompromissen und Gesprächen bereit war.

Um eine temporale Lösung zu finden, unterzeichnete die Regierung am 20. Mai ein Abkommen mit den Beschäftigten, das die Durchführung eines nationalen Gesundheitsgipfels vorsieht, auf dem man nach einer gemeinsamen Lösung suchen will.

Analyse

Alle zurzeit in Bolivien schwelenden Konflikte aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Es vergeht in La Paz kaum ein Tag, an dem nicht der Protest einer Interessengruppe auf den Straßen der Stadt durchgeführt wird, der das öffentliche Leben durch das beliebte Mittel der Straßenblockaden behindert und lähmt. Dies ist zwar kein neues Phänomen, hat sich in den letzten Jahren jedoch deutlich verstärkt.

Klar wird, dass die Regierung nicht versucht, die Konflikte durch Dialog und Achtung bzw. Anwendung der Gesetze zu lösen. Vielmehr reagiert sie auf den Druck der Straße. So werden teilweise Entscheidungen getroffen, die sachlich nicht gegeben sind, wie z.B. im Fall der wirtschaftlich dringend notwendigen Benzinpreiserhöhungen. Aufgrund der faktischen Macht der Interessengruppen kann somit keine gezielte Politik betrieben werden, die ein klares Entwicklungsmodell verfolgt. Wie konnte es zu dieser ausweglos erscheinenden Situation kommen?

Da die MAS sich 2005 als klares Gegenmodell zur traditionellen Politik präsentierte und eine Neugründung Boliviens mithilfe der einfachen Menschen versprach, erlangte die Partei in der Bevölkerung einen Zuspruch in vorher nicht gekanntem Ausmaß. Einerseits wurden nun vor allem Menschen in die Prozesse miteinbezogen, die vorher aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder sozioökonomischen Situation kaum Zugang zur Politik hatten. Unstrittig ist dies sicherlich ein anerkennenswerter Erfolg dieser Regierung. Andererseits wurden jedoch auch Erwartungen geweckt, die in kurzer Zeit kaum zu erfüllen sind. Die neue Verfassung garantiert breite Rechte, die so vom Staat nicht eingelöst werden können und im täglichen Leben zu handfesten Konflikten führen.

Weiterhin verfolgte die MAS vor der Regierungsübernahme eine klare Strategie der Druckausübung in öffentlichen Räumen z.B. durch Straßenblockaden. Dieses Druckmittel wurde zwar bereits seit Jahrzehnten in Bolivien angewandt, jedoch durch die MAS stark intensiviert. Die Partei führte an, dass das Volk in den Institutionen der repräsentativen Politik nicht vertreten sei und sich daher auf der Straße Gehör verschaffen müsse. Die so genannten sozialen Bewegungen wurden als wahre Volksvertretungen bezeichnet. Dass es sich bei vielen dieser Bewegungen (z.B. den Kokabauern) vielmehr um hierarchisch strukturierte und somit nicht unbedingt repräsentative wirtschaftliche Interessengruppen handelt, wurde in der Öffentlichkeit nicht thematisiert oder hinterfragt.

Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben die politische Kultur des Landes geprägt. Eine Straße zu blockieren ist erfolgsversprechend und wird daher anderen Ausdrucksformen des politischen Willens bevorzugt. Es gibt jedoch auch Bewegungen, wie z.B. die indigenen Dachorganisationen im Fall TIPNIS, die demokratische und friedliche Formen des Protests suchen und somit anderen Bürgern keinen Schaden zufügen. Dies stößt auf Unterstützung der Zivilgesellschaft, da sich dieser Protest direkt gegen eine Problematik richtet, die auch in vielen anderen Bereichen deutlich wird: die Missachtung der Verfassung und der Gesetze durch die Regierung und andere staatliche Instanzen.

Bei allen beschriebenen Konflikten fällt die Ablehnung jeglichen Dialogs durch die Regierung auf. Um den Frieden zu garantieren und Ausbrüchen der Gewalt vorzubeugen, müssen in Bolivien formelle Konfliktlösungsmechanismen geschaffen werden, die auf Verständigung basieren. Die Achtung des Rechtsstaats muss in Zukunft zum Minimalkonsens aller Akteure werden.

Es macht Mut für die Zukunft, dass bedeutende Teile der Zivilgesellschaft nicht mehr bereit sind, die Missachtung der Gesetze und der Verfassung hinzunehmen. Dies hat die erfolgreiche Mobilisierung gegen die Richterwahlen und für den TIPNIS bewiesen.

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