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"Das ist die Sprache der Sowjetunion"

Interview mit Hans-Gert Pöttering zum Ukraine-Konflikt

Russland müsse die Gewalttaten der Separatisten im Osten der Ukraine verurteilen, fordert der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, im Deutschlandfunk. "Wenn es das nicht tut, macht es sich weiter schuldig an einer Eskalation."

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Herr Pöttering, die Lage in der Ostukraine spitzt sich zu, obwohl es vor gut zwei Wochen ein Gentlemen's Agreement in Genf gegeben hat. War unter den Gentlemen doch einer oder gar mehr, die es nicht fair meinten, die nur Zeit gewinnen wollten?

Das muss man annehmen. Aber selbst wenn man das jetzt nicht so behaupten will, dass man in Genf schon von einer Seite schlechten Willens war, es gelten die Taten. Und das, was Sie in Ihrer Anmoderation gekennzeichnet haben mit Thukydides aus der Antike, ist ein sehr richtiges Bild. Hier Russland versucht, durch seine Politik der Stärke vollendete Tatsachen zu schaffen, und dem muss man sich entgegenstellen. Die internationale Gemeinschaft muss sich dem entgegenstellen. Und es darf nie ein Ende der Diplomatie geben. Deswegen ist es weiter wichtig, dass die Europäische Union, die ja sehr einig ist in dieser Frage, die Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und die Ukraine weiter im Gespräch bleiben. Das ist jetzt das Gebot der Stunde und Russland muss sich klar distanzieren von den Gewaltmaßnahmen der Separatisten in der Ostukraine. Wir müssen jetzt ein Signal von Russland erwarten.

"Gesprächsbereitschaft aufrechterhalten"

Wenn das Signal nicht kommt, wie kann man die Lage entschärfen, vor allem, wie kann man die Geiseln wieder frei bekommen? Ist da die Drohung mit weiteren Sanktionen nicht kontraproduktiv?

Man muss Moskau schon sagen, wenn es weiter so handelt, dann muss dieses Konsequenzen haben. Militärische Konsequenzen schließt der Westen aus und das ist auch richtig, aber es müssen dann auch wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden. Wie paradox, ja, wie Zeiten des Kalten Krieges, der Sowjetunion wieder in die Gegenwart zu kommen scheinen, bedeutet ja gerade diese Festnahme auch der Deutschen, der Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die ja nicht bewaffnet sind. Und man wirft ihnen vor, so der Separatistenführer Ponomariov, es handelte sich bei denen um eine Gruppe, die der Spionage verdächtigt sei. Das ist die Sprache der Sowjetunion, eines verbrecherischen Regimes, und man muss Moskau wirklich auffordern, auch den Präsidenten Russlands und den Außenminister, dass man sich von diesen Maßnahmen distanziert. Und wenn Russland das nicht tut, dann macht es sich weiter schuldig an einer größeren Spannung, an einer Eskalation der Situation in der Ukraine.

Sie waren bei EU-Gipfeln dabei, Herr Pöttering, kennen Krisenherde aus eigener Anschauung und Beobachtung seit Jahren. Wenn nun diese offizielle Diplomatie in einer Sackgasse steckt - immerhin wurde ja mit Putin gesprochen, Obama hat mit ihm gesprochen, die Kanzlerin hat mit ihm gesprochen -, wenn nun die Diplomatie in einer Sackgasse steckt, ist das dann die Stunde für die stille Diplomatie, der offiziösen Repräsentanten oder einfach nur der Kenner der Szene, zum Beispiel Vertreter von politischen Stiftungen oder NGOs?

Es darf niemals eine Situation eintreten, dass man sagt, die Diplomatie ist am Ende. Deswegen müssen wir auch die Gesprächsbereitschaft aufrechterhalten. Und Russland muss erkennen, dass es sich ja total isoliert. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat Russland wegen der Okkupation der Krim scharf kritisiert, der Europarat hat das getan, die Versammlung des Europarates hat gesagt, die Stimmrechte Russlands werden ausgesetzt, das Europäische Parlament hat in der vergangenen Woche am Donnerstag in einer sehr scharfen Erklärung Russland verurteilt. Gleichwohl sagen wir, die diplomatischen Bemühungen müssen weitergehen, man ist nie am Ende, denn die Alternative wäre ja furchtbar. Was Organisationen und Gemeinschaften wie die Stiftungen, die Konrad-Adenauer-Stiftung und andere angeht, so können wir natürlich keinen Frieden vermitteln. Aber was wir tun sollten - und das tun unsere Repräsentanten in Kiew, in der Ukraine -, dass wir Kontakt halten mit den Organisationen, mit denen wir verbunden sind, dass wir ihnen Solidarität erklären, dass wir sagen, wir sind moralisch an eurer Seite, wir vergessen euch nicht. Und dann kommt natürlich die wichtige Arbeit, wenn die Wahlen gewesen sind, am 25. Mai die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine, dass die Ukraine sich eine neue Verfassung gibt und die Frage der Föderalisierung. Das heißt, welche Bedeutung haben die einzelnen Regionen, da können die deutschen Stiftungen und andere internationale Organisationen einen wichtigen Beitrag leisten und das tun wir auch.

"Russland versucht, durch Macht Recht zu setzen"

Kann man auch einen Beitrag leisten für die Befreiung der Geiseln? Oder ist das nun wirklich eine Angelegenheit für die hohe Diplomatie?

Das ist eine Angelegenheit für die internationalen Organisationen, für die Europäische Union. Und in der Europäischen Union hat Deutschland ja eine große Verantwortung. Und eine Frage ist von unglaublich großer Bedeutung, Herr Liminski: Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Und in der Europäischen Union hat das Recht die Macht und nicht, wie Sie in der Anmoderation ja richtigerweise gesagt haben unter Bezugnahme auf Thukydides in der Antike, die Macht setzt das Recht. Russland ist Repräsentant der Macht und Russland versucht jetzt, durch Macht, Recht zu setzen. Und wir sollten in dieser gefahrvollen Situation den hohen Wert der Europäischen Union erkennen, dass wir, die Europäische Union, eine Wertegemeinschaft sind, das Recht hat die Macht. Wir respektieren die Menschenrechte, wir respektieren den Frieden, die Freiheit, die Demokratie, den Rechtsstaat und wir sind durch Solidarität verbunden. Und Länder wie die baltischen Staaten, Estland, Lettland und Litauen und Polen, die sind heute glücklich darüber, dass sie dieser Europäischen Union angehören, weil es ihnen Sicherheit gibt. Und diesen hohen Wert unserer Gemeinschaft in der Europäischen Union sollten wir immer wieder jetzt gerade in dieser gefährlichen Situation erkennen.

Der bulgarische Präsident spricht in einem Interview mit dem Deutschlandfunk davon, dass hier eine Großmächtepolitik wie im 19. Jahrhundert betrieben werde von Russlands Seite aus. Man könne aber nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden, die EU sei gefordert. Was kann die EU tun?

Der bulgarische Staatspräsident hat völlig recht, wenn er eine solche Formulierung gebraucht. Russland verhält sich wie im 19. Jahrhundert und die eigentliche Tragödie für Russland ist, dass Russland seine Vergangenheit der Sowjetunion, des verbrecherischen Kommunismus niemals aufgearbeitet hat. Das ist uns Deutschen ja gelungen, wir haben uns klar distanziert und verurteilt vom Nationalsozialismus, der verbrecherisch war. Aber Russland hat sich niemals von dem verbrecherischen Kommunismus wirklich distanziert. Und wenn diese Arbeit in Russland nicht geleistet wird, sich zu distanzieren von dieser verbrecherischen Vergangenheit der Sowjetunion, dann wird es immer Probleme mit Russland geben. Und wir müssen deswegen Russland auffordern, dass wir uns zu gemeinsamen Werten bekennen und dass wir nicht zurückwollen ins 19. und 20. Jahrhundert, was ja dann zu großen Tragödien geführt hat. Und hierüber müssen wir mit Russland reden. Und das ist eine schlimme Entgleisung und Formulierung gewesen, dass der Präsident Russlands zwar gesagt hat, die schlimmste Entwicklung des 20. Jahrhunderts sei der Untergang der Sowjetunion gewesen. Das zeigt, dass der Präsident Russlands eigentlich noch in den Dimensionen der Sowjetunion denkt, und das ist die eigentliche Gefahr, die von Russland ausgeht. Und wenn Außenminister Lawrow sagt, überall, wo Russen leben, bestünde die Russische Föderation, dann ist das ja geradezu eine rhetorische Angriffserklärung gegen Estland und gegen Lettland, wo Russen wohnen. Und diese Länder sind heute froh, dass sie zur Europäischen Union gehören, und das sollten wir stärker herausstellen und auch unsere Solidarität jetzt mit den neuen Mitgliedern Estland, Lettland, Litauen, mit Polen und den anderen Staaten, die der Europäischen Union seit zehn Jahren angehören, erklären.

"Die Europäische Union ist gefordert"

Kommt denn hier auf Deutschland eine besondere Rolle zu? Könnte Deutschland überhaupt allein eine besondere Rolle etwa als Vermittler spielen?

Wir, die Deutschen, sind das größte Land in der Europäischen Union. Aber alles, was wir tun - und ich finde, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel hier einen sehr besonnenen, einen sehr klugen Weg geht -, sollten wir alles abstimmen mit unseren Partnern in der Europäischen Union. Die Europäische Union ist gefordert und wir als Deutsche sind ein wichtiger Teil dieser Europäischen Union. Wir sollten gemeinsam handeln mit unseren Nachbarn, auch mit unseren polnischen Freunden, die ja gerade in dieser Situation den hohen Wert der Europäischen Union erkennen. Deutschland hat eine Verantwortung, aber immer im Bewusstsein, dass wir Teil dieser Wertegemeinschaft der Europäischen Union sind.

Mit freundlicher Unterstützung des Deutschlandfunks, ausgestrahlt am 26. April 2014.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland