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Länderberichte

"Cinq ans pour changer la France"

von Dr. Norbert Wagner
Am Tag nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen verfügen Präsident Jacques Chirac und Premierminister Jean-Pierre Raffarin nun über eine komfortable Mehrheit in der Nationalversammlung, um in den kommenden Jahren ihre Politik auch durchzusetzen.

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"Cinq ans pour changer la France" (fünf Jahre, um Frankreich zu verändern), so lautet die Überschrift auf der ersten Seite des Figaro am Tag nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen. In der Tat verfügen Präsident Jacques Chirac und Premierminister Jean-Pierre Raffarin nun über eine komfortable Mehrheit in der Nationalversammlung, um in den kommenden Jahren ihre Politik auch durchzusetzen. Die fünf Jahre einer das Land lähmenden Kohabitation sind vorüber.

Darüber hinaus hatten Chirac und Raffarin das überzeugendere Programmangebot gemacht. Mit den Prioritäten innere Sicherheit, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch mehr Spielraum für Eigeninitiative sowie Reform des Systems der Sozialversicherung hatten sie die Erwartungen und Hoffnungen der Wähler getroffen. Dagegen wirkte das Programm der Sozialisten und sonstigen Linken doch etwas angestaubt und vor allem eher defensiv. Die Streitigkeiten innerhalb der Führung der sozialistischen Partei dürften zusätzlich zur Niederlage beigetragen haben.

Schließlich hat der neue, von Jean-Pierre Raffarin geprägte Politik-Stil zum Sieg beigetragen. Raffarin wurde nicht müde, seine "Politik von unten" zu propagieren. Die Politik müsse auf die Bevölkerung hören, auf ihre Sorgen und Probleme eingehen, mit ihr gemeinsam Lösungswege entwickeln und diese dann auch effizient und mutig in die Tat umsetzen. In Sprache und Auftreten verkörpert Raffarin selbst diesen Politikstil überzeugend. Die Wähler halten ihn für glaubwürdig, nehmen ihm diese Botschaft auch ab. Er verkörpert einen neuen Stil in der französischen Innenpolitik, auf den offenbar viele Wähler gewartet haben. Wenn er diesem neuen Stil treu bleiben kann, könnte er zu einem äußerst erfolgreichen Regierungschef werden. Der Sieg bei den Parlamentswahlen ist deshalb vor allem auch ein Sieg des Premierministers.

Die neue NationalversammlungSitze
UMP375
UDF27
PS152
PC20
Verts3

In der neuen Nationalversammlung verfügt die UMP über eine überwältigende Mehrheit von nahezu 65% der insgesamt 577 Sitze. Zusammen mit der UDF sind es fast 70%. Noch nie zuvor in der V. Republik besaß eine einzelne Partei eine derart große Mehrheit im der Nationalversammlung. Die UDF ist (von bisher rund 70 Abgeordneten) auf den Status einer Splittergruppe herabgesunken , kann aber eine eigene Fraktion bilden (Minimum 20 Sitze). Noch ist offen, welche Rolle François Bayrou und seine UDF-Abgeordneten in der Nationalversammlung zu spielen gedenken. Er scheint darauf zu spekulieren, UMP-Abgeordnete abzuwerben, um seine Fraktion zu vergrößern.

Die Linke ist von 319 Abgeordnete in der alten Nationalversammlung auf insgesamt 175 Abgeordnete geschrumpft. Die Sozialisten haben rund 100 Abgeordnete eingebüßt, die Kommunisten 16 und die Grünen vier. Für die PC reicht es zu einer eigenen Fraktion, für die Grünen indes nicht.

Überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten ist die Bürgerbewegung von Jean-Pierre Chevènement.

Die Linke tröstet sich zunächst damit, dass der Sieg der bürgerlichen Parteien, bzw. die Niederlage der Linken nicht noch deutlicher ausgefallen sind. François Hollande sprach von einer "défaite honorable".

Die extreme Rechte (FN/MNR) und auch die extreme Linke konnten keinen Sitz in der neuen Nationalversammlung erringen.

Der Sieg der bürgerlichen Parteien über die Linke ist auch ein Sieg der besseren Organisation des bürgerlichen gegenüber dem linken Lager. Die bürgerliche Seite ging weitgehend geeint und in einer großen politischen Formation in die Wahl, während die Linke zersplittert und größtenteils auch zerstritten antrat. Die Linke steht nun vor der Aufgabe, diesen Teil des politischen Spektrums neu zu organisieren. Tendenziell dürfte sich das französische Parteienspektrum künftig in Richtung Zweiparteiensystems entwickeln.

Große Sieger - große Verlierer

Während schon seit dem ersten Wahlgang der Sieg der bürgerlichen Parteien nicht mehr in Frage stand, ging es im zweiten Wahlgang um die Höhe des Sieges und vor allem um die Ergebnisse in einigen besonders interessanten Wahlkreisen. Da hielt der zweite Wahlgang doch einige große Überraschungen bereit:

So wurde einige bekannte Politiker aus dem linken Lager nicht wieder gewählt:

  • Robert Hue, Vorsitzender der PC
  • Martine Aubry, Bürgermeisterin von Lille und ehemalige Arbeits- und Sozialministerin
  • Jean-Pierre Chevènement, Bürgermeister von Belfort und Vorsitzender der Bürgerbewegung
  • Raymond Forni, bisheriger Vorsitzender der Nationalversammlung
  • Dominique Voynet, Vorsitzende der Grünen
  • Pierre Moscovici, ehemaliger Europaminister
  • Vincent Peillon, Sprecher des PS
  • Jean-Marie Bockel, Bürgermeister von Mühlhausen
  • Catherine Trautman, ehem. Bürgermeisterin von Straßburg
  • Guy Hascoët, ehemaliger Minister der Grünen
  • Gilbert Mitterrand, Sohn von François Mitterrand

Auch einige Politiker aus dem bürgerlichen Lager fielen bei der Wahl durch:

  • José Rossi, Président de l'Assemblée de Corse
  • Dominique Versini, Staatssekretär der Regierung Raffarin
  • Charles Millon, ehem. Verteidigungsminister
  • Jacques Toubon, ehem. Justizminister

Dichter politischer Zeitplan

In den nächsten Tagen und Wochen stehen intensive politische Aktivitäten bevor.

Am 17. Juni hat Jean-Pierre Raffarin seinen und den Rücktritt seines Kabinetts erklärt. In den nächsten Tagen wird er im Auftrage von Jacques Chirac seine Regierung Raffarin II zusammenstellen. Wenige schon besetzte Posten dürften neu besetzt werden, z.B. jener des Europaministers. Für einige noch nicht besetzte Posten werden neue Regierungsmitglieder ernannt werden. Philippe Douste-Blazy wird voraussichtlich nicht in das Kabinett Raffarin II eintreten.

Chirac und Raffarin haben schon von vor dem ersten Wahlgang versprochen, dass noch vor der Sommerpause die ersten politischen Reformmaßnahmen auf den Weg gebracht werden sollen. Es ist deshalb geplant, dass die neugewählte Nationalversammlung noch weit in den Juli hinein tagen wird.

Die Fraktion der UMP wird sich in dieser Woche konstituieren. Vorsitzender der UMP-Fraktion könnte Jacques Barrot, ehemaliger Arbeits- und Sozialminister, werden. Eine seiner größten Herausforderungen wird es sein, seiner neuen Fraktion mit rund 375 Mitgliedern eine effiziente Organisation und den notwendigen politischen Zusammenhalt zu geben.

Das neue Parlament wird sich in der Woche nach dem 23. Juni konstituieren. Die Wahl zum Präsidenten der Nationalversammlung wird am 25. Juni erfolgen. Edouard Balladur hat bereits seine Kandidatur erklärt. Aber auch Jean-Louis Debré scheint hierzu bereit. Falls die Kandidatur in einer offenen Abstimmung innerhalb der UMP-Fraktion geklärt werden sollte, dürfte Debré gewinnen.

Für September oder Oktober ist der Gründungsparteitag der Partei UMP geplant. Denn die UMP-Fraktion besteht bereits, die zugehörige Partei indes noch nicht. Alain Juppé hat bereits offen erklärt, dass er die Führung dieser neuen Partei anstrebt. Allerdings regen sich hiergegen bereits erste Widerstände. Zur Vorbereitung der Gründung dieser Partei wird Juppé voraussichtlich ein Führungstrio mit Philippe Douste-Blazy und Jean-Claude Gaudin (Bürgermeister von Marseille) bilden.

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