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Länderberichte

100 Tage nach dem Machtwechsel in der Ukraine

von Nico Lange

Autoritäre Tendenzen und Annäherung an Russland

In den ersten Wochen nach dem Sieg Wiktor Janukowytschs bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen sicherte sich eine kleine Gruppe um den Präsidenten und den neuen Regierungschef Mykola Asarow schnell umfassende Macht im Land. Das Parlament spielt nur noch eine Nebenrolle. Opposition und freie Medien stehen unter Druck. Die neue Regierung versuchte außerdem umgehend, den hochdefizitären Staatshaushalt durch Rabatte russischer Gaslieferungen im Austausch für einen neuen Flottenvertrag zu stabilisieren. Durch eine ganze Reihe neuer Abkommen bindet sich die Ukraine langfristig an Russland.

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Ob nunmehr auch die überfälligen innenpolitischen Reformen folgen werden, bleibt dabei ausgesprochen fraglich.

Die neue Administration sicherte sich schnell umfassende Macht

Nach dem Wahlsieg Wiktor Janukowytschs bei den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine Anfang Februar schienen die innen- und außenpolitischen Vorhaben seiner neuen Administration zunächst unklar. 100 Tage nach dem Amtsantritt wird jedoch deutlich, wie schnell und konsequent Janukowytsch und eine kleine Gruppe enger Vertrauter die Innen- und Außenpolitik der Ukraine in nur wenigen Wochen veränderten.

Nach der Inauguration des Präsidenten am 25. Februar konzentrierten sich Janukowytsch und die Partei der Regionen zunächst auf die Absetzung der Regierung Tymoschenko und die Formierung einer neuen Mehrheitskoalition. Mit einem erfolgreichen Misstrauensvotum stürzte am 3. März in der Werchowna Rada eine Mehrheit aus Partei der Regionen, Block Lytwyn, der Kommunistischen Partei und einigen Abgeordneten aus anderen Fraktionen Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko. Die Bildung einer neuen Koalition mit der Regierung unter der Führung von Premierminister Mykola Asarow erfolgte auf der Grundlage einer Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments, nach der neben Fraktionen auch individuelle Abgeordnete aus anderen Fraktionen zur Koalitionsbildung beitragen können. Diese Änderung zur Geschäftsordnung und damit auch die Bildung der aktuellen Regierungskoalition widersprechen nach Auffassung fast aller ukrainischen und internationalen Experten der ukrainischen Verfassung und der elementaren Logik des Verhältniswahlrechts. Im Widerspruch zu den Expertenmeinungen und zu einem früher bereits gefällten Urteil entschied das Verfassungsgericht jedoch schon am 8. April zugunsten der neuen Mehrheit und legitimierte Koalition und Regierung damit formell.

Die Legalisierung der Regierungskoalition unter Teilnahme von „Überläufern“ aus anderen Fraktionen verändert die politische Konstellation in der Ukraine entscheidend. Die zuvor lang anhaltende Pattsituation wurde damit aufgehoben. Im Rahmen der bestehenden Verfassungsordnung wäre die Partei der Regionen gezwungen gewesen, entweder mit dem Block Nascha Ukraina oder dem Block Tymoschenko eine Koalition einzugehen und sich auf politische Kompromisse einzulassen. In Koalition mit den Kommunisten, dem Block Lytwyn und einzelnen Überläufern anderer Fraktionen kann sie dagegen kompromisslos die politische Linie Janukowytschs durchsetzen.

Die Verfassungsgerichtsentscheidung zeigt gleichzeitig beispielhaft, dass sich in nur kurzer Zeit nach dem Machtwechsel Gerichte, Staatsanwaltschaft, Verwaltung und selbst Universitäten an Janukowytsch und an die Partei der Regionen als vermeintliche neue „Partei der Macht“ anlehnen. In nur wenigen Wochen vollzog sich in vielen Bereichen ein erkennbarer Rückfall in altbekannte autoritäre Handlungsmuster aus der Kutschma-Ära. Gerichte und Behörden entscheiden deutlich erkennbar opportun zur neuen politischen Konstellation. Die Staatsanwaltschaft lässt sich zur Diskreditierung der Opposition instrumentalisieren. Aus einigen Universitäten sind Berichte zu vernehmen, dass die Praxis des Ausschlusses und der schlechteren Bewertung politisch aktiver Studierender wieder Einzug hält.

Präsident, Regierung und Mehrheitskoalition beschäftigten sich in den vergangenen Wochen in erster Linie mit Personalien. Nach der Aufstellung des Kabinetts tauschten die neuen Koalitionäre praktisch alle Spitzenpositionen in Ministerien, Gebietsverwaltungen und anderen Behörden aus. Auch fast alle der von Präsident Juschtschenko geschaffenen Beratungseinrichtungen und Kommissionen, wie beispielsweise das Koordinierungsbüro für Euroatlantische Integration, wurden kurzerhand geschlossen. Die Regierung selbst beschreibt sich selbst gern als eine Mannschaft „pragmatischer Fachleute“. Das Kabinett besteht vor allem aus wichtigen Sponsoren der Partei der Regionen und ihren Vertretern, die nun offenbar einen Rückfluss der „Investitionen“ erwarten. Insgesamt sind im mit 29 Ministerposten extrem großen Kabinett vor allem konservative Vertreter der Partei Janukowytschs und ihrer Verbündeten zu finden, darunter viele Rückkehrer aus der Kutschma-Ära. Als Überraschung bei der Regierungsbildung galt vor allem die Ernennung des drittplatzierten Präsidentschaftskandidaten Serhij Tihipko zum Vizepremierminister für Wirtschaft. Tihipko ließ sich nach seinem Alleingang im Wahlkampf damit auf die Partei der Regionen ein und gilt als Anwärter auf den Premierministerposten und möglicherweise sogar den Vorsitz der Partei der Regionen in der Nachfolge von Asarow.

Zu den überraschenden Entwicklungen der Wochen seit der Amtsübernahme Janukowytschs gehört ebenfalls, dass die einst dominierende Gruppe um den Donezker Großindustriellen Rinat Achmetow innerhalb der Partei der Regionen spürbar an Einfluss verloren hat. Die Gaslobby im Umfeld des ehemaligen RosUkrEnergo-Chefs Dmitro Firtasch, Präsidialamtschef Lowutschkin und Energieminister Boiko setzte sich im internen Machtkampf durch. Insgesamt wird damit der konservative und stärker an Russland orientierte Flügel der Partei der Regionen gestärkt. Die als progressiver, reform- und europafreundlicher eingeschätzten Politiker unter Achmetow-Einfluss bleiben bei den wesentlichen Entscheidungen derzeit im Abseits.

Janukowytsch wertet das Parlament ab

Auch das ukrainische Parlament verlor in der neuen politischen Konstellation schnell an Bedeutung. Die Bilder der Tumulte in der Plenarsitzung vom 28. April mit Eierwürfen auf den Parlamentspräsidenten und wüsten Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten gingen um die Welt. Die Ausschreitungen der Opposition drückten vor allem Wut und Verzweiflung aus. Große ukrainische Flaggen auf den Sitzen im Plenarsaal sollten beispielsweise verhindern, dass mit den zuvor durch die Partei der Regionen eingesammelten Stimmkarten der zur Koalition übergelaufenen Abgeordneten an deren Plätzen abgestimmt werden würde. Lediglich acht Minuten dauerten die Ratifizierung des Flottenvertrages und die Verabschiedung des Staatshaushalts. Weder zum internationalen Vertrag mit weitreichenden Implikationen für die langfristigen geopolitischen Orientierungen der Ukraine noch zum Budget als klassischem Parlamentsvorrecht gab es Regierungserklärungen, Aussprachen, Stellungnahmen oder Debatten. Präsident Janukowytsch und Premierminister Asarow machten damit deutlich, welche Rolle sie dem Parlament künftig beimessen. Sie verschoben die Balance im politischen System der Ukraine klar zugunsten des Präsidenten und wollen sich ihre Politik durch die Werchowna Rada künftig lediglich absegnen lassen.

Bereits im Februar hob die neue Mehrheit im Parlament zudem die für den 30. Mai 2010 bevorstehenden regulären Kommunalwahlen auf, ohne bisher einen neuen Termin festzulegen. Die Regierungskoalition will den Oppositionsparteien und vor allem den zahlreichen neuen Parteien und Bewegungen keine Plattformen bieten und eigene Verluste vermeiden. In Kiew wird aktuell darüber diskutiert, dass eine Ansetzung der Kommunalwahlen für Oktober 2010 möglich sei, allerdings erst nach einer Änderung des Wahlrechts. Ein gemischtes System aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht könnte den jetzigen Zustand einer Mehrheit der Partei der Regionen in Koalition mit einzelnen Überläufern auch auf lokaler und regionaler Ebene etablieren.

Die neue Administration setzt Opposition und freie Medien unter Druck

Die ukrainische Opposition wirkt seit den Präsidentschaftswahlen weitgehend konzeptlos, zerstritten und von der Geschwindigkeit der Entwicklungen erkennbar überrascht. Die Proteste gegen den Verfassungscoup der Koalitionsbildung und auch das völlig überraschende Flottenabkommen wirkten unorganisiert, zerfasert und ziellos. Die ehemalige Regierungschefin Julija Tymoschenko hat scheinbar nicht mehr die Kraft und Ausstrahlung, die Opposition hinter sich zu vereinen. Die weiteren Oppositionsparteien um Jazenjuk, Juschtschenko, Kyrylenko, Hryzenko und andere bleiben verstritten und unkoordiniert. Die Koalitionsbildung unter Teilnahme individueller Abgeordneter höhlt die Oppositionsfraktionen zudem aus. Nach anfänglich 226 bekennen sich nunmehr 238 der 450 Abgeordneten zur regierenden Koalition.

Am 12. Mai eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft darüber hinaus ein im Jahr 2005 bereits eingestelltes Kriminalverfahren aus der Kutschma-Zeit gegen die ehemalige Premierministerin Julija Tymoschenko und beauftragte gleichzeitig eine zweifelhafte amerikanische Rechtsanwaltskanzlei mit einem „Audit“ ihrer Regierungsgeschäfte. Vizepremierminister Siwkowitsch äußerte in diesem Zusammenhang, dass die Vertreter der „sogenannten Opposition“ in Kürze eingesperrt werden würden. Auch wenn eine tatsächliche Verurteilung Tymoschenkos unwahrscheinlich ist, geht eine deutliche Signalwirkung an die Opposition von dem Verfahren und der damit verbundenen Rhetorik aus. Gerichtsverfahren gegen politische Gegner hatte es in der Ukraine seit der Orangen Revolution nicht mehr gegeben.

Gleichzeitig beklagten sich Journalisten der nationalen Fernsehsender „1+1“ und „STB“ in offenen Briefen über Zensur und Einflussnahme auf ihre Berichterstattung. Schon seit der Amtsübernahme Janukowytschs räumte das Fernsehen der Opposition kaum noch Sendezeit ein. Die freie und unabhängige Berichterstattung wird in Presse und Internet zurückgedrängt, wo sie weite Teile der durchschnittlichen ukrainischen Bevölkerung nicht erreicht. Zuletzt äußerten auch „Reporter ohne Grenzen“ und der International Freedom of Expression Exchange (IFEX) deutliche Bedenken über Veränderungen der Mediensituation in der Ukraine. Noch während der Präsidentschaftskampagnen war die Ukraine ein Musterbeispiel für medialen Pluralismus und Ausgewogenheit der Berichterstattung gewesen.

Selbst politische Protestaktionen, die seit der Orangen Revolution fast täglich zum Kiewer Stadtbild gehören, sehen sich jetzt Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Äußerungen Innenminister Mohylows, die Opposition „möge sich auf einem freien Platz außerhalb Kiews treffen und dort ungestört ihre Meetings abhalten“ sagen viel über Demokratieverständnis und Zynismus einiger Vertreter der neuen Regierung aus.

Die Regierung versuchte den Staatshaushalt durch Gasrabatte und Flottenvertrag zu stabilisieren

Neben schneller Sicherung der Macht setzten neuer Präsident und Regierung Schwerpunkte zunächst auf die Stabilisierung des Staatshaushalts und die Verbesserung der Beziehungen zur Russischen Föderation. Beide Themenfelder sind sehr eng miteinander verbunden. Letztlich sah sich die ukrainische Führung aufgrund des extrem defizitären Haushalts mit dem Rücken zur Wand und erkannte eine schnelle Entlastung nur in der Senkung der Preise für russische Gaslieferungen. Das einzig mögliche Angebot an die russische Seite war die Verlängerung der Stehzeit der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim. Für die ukrainische Seite entstehen dadurch zunächst keine Kosten und der Haushalt wird sofort entlastet. Im ostukrainischen Charkiw vereinbarten Janukowytsch und der russische Präsident Medwedew am 21. April Zusatzabkommen zu den bestehenden Gasverträgen, die einen Preisnachlass von 30 Prozent bis zu maximal 100 Dollar auf eintausend Kubikmeter vorsehen. Gleichzeitig unterzeichneten sie ein Abkommen zur Verlängerung der Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol um 25 Jahre über das Jahr 2017 hinaus mit einer Option auf weitere fünf Jahre. Der am Tag der Ratifizierung dieses Abkommens im Parlament verabschiedete Staatshaushalt bezieht die Rabatte schon ein und gibt ein Defizit von 5,3 % an. Dies lässt zumindest erahnen, wie tief das Haushaltsdefizit ohne die Senkung der Gaspreise gewesen wäre.

Eine Reihe neuer Abkommen bindet die Ukraine langfristig an Russland

Die Ergänzungen zu den Gasverträgen und der neue Flottenvertrag waren der Auftakt zu einer ganzen Reihe ukrainisch-russischer Vereinbarungen. Im Mittelpunkt der zahlreichen Gespräche zwischen Asarow und Putin sowie auch zwischen Janukowytsch und Medwedew standen in den vergangenen Wochen auch mögliche Kooperationen im Bereich der Atomenergie und des Flugzeugbaus. Die russische Seite regte außerdem überraschend eine vollständige Verschmelzung des ukrainischen Staatsunternehmens Naftohas mit Gazprom an. Während diese sehr weitgehenden Abkommen derzeit noch verhandelt werden, vereinbarte Präsident Medwedew bei seinem offiziellen Besuch in Kiew am 17. Mai die Demarkation der gemeinsamen Grenzen, Zusammenarbeit beim Satellitensystem GLONASS sowie Austausch in Bildung und Kultur. Janukowytsch und sein russischer Amtskollege gaben außerdem vage Erklärungen zu einem Europäischen Sicherheitssystem und der Rolle des Flottenstützpunktes Sewastopol sowie zur möglichen Beilegung des Transnistrien-Konflikts ab.

Auch wenn einige Vereinbarungen, wie beispielsweise die Festlegung des ukrainisch-russischen Grenzverlaufs, längst überfällig waren und endlich einige der Dauerprobleme in den bilateralen Beziehungen gelöst werden konnten, enthalten die Abkommen vor allem im Energiebereich eine kritische Asymmetrie. Die ukrainische Seite verspricht sich durch Zugeständnisse vor allem kurzfristige Gewinne zur Entlastung des Haushalts und zur Sicherung der korporativen Interessen der mit der aktuellen Administration eng verwobenen Unternehmen. Als Preis dafür geht der ukrainische Staat jedoch langfristige politische und wirtschaftliche Bindungen und Abhängigkeiten ein. Die russische Seite nutzte das Momentum, um schnell weitere Abkommen in die Diskussion einzubringen und den eigenständigen Handlungsspielraum der Ukraine im Energiesektor und anderen strategischen Bereichen weiter zu begrenzen.

Die vereinbarten langfristigen Verträge bergen ohne parlamentarische und gesellschaftliche Debatten zudem die Gefahr, dass sie zum Gegenstand künftiger Wahlkämpfe und neuer innenpolitischer Auseinandersetzungen werden könnten. Die Vereinbarungen würden aufgrund des völligen Fehlens von Kompromiss- und Konsensbildung dann von kommenden Regierungen möglicherweise schon wieder in Frage gestellt. Auch die mit der Annäherung an Russland in Zusammenhang stehende Spaltung der ukrainischen Gesellschaft wird von den aktuellen Ereignissen deutlich verstärkt.

Ob die nötigen Reformen folgen, ist sehr fraglich

Präsident Janukowytsch und die neue Regierungskoalition traten nach eigenem Bekunden für „Stabilität und Reformen“ an. Nach 100 Tagen der Amtsführung kann man konstatieren, dass sie zumindest den Kurs der Stabilisierung ihrer Macht konsequent verfolgen. Ob auf die innenpolitische Neuordnung und die außenpolitische Versöhnung mit Russland nun tatsächlich Reformen folgen werden, bleibt offen. Die Zusammensetzung der Regierung spricht eher für einen konservativen und administrativen Kurs. Das ungewöhnliche große Kabinett ist sehr he terogen zusammengesetzt. Allein drei Minister mit unterschiedlichem politischem Hintergrund sind beispielsweise für wirtschaftliche Fragen zuständig – Vizepremierminister Klujew, Vizepremierminister Tihipko und Wirtschaftsminister Sushko. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Falle konkreter Reformvorhaben Konflikte innerhalb der Regierungsmannschaft und zwischen den Lagern in der Partei der Regionen aufbrechen.

Die nunmehr die Macht in der Ukraine und innerhalb der Partei der Regionen stark kontrollierende Gaslobby ist sehr eng mit Unternehmern verbunden, die von Marktverzerrungen, staatlicher Einflussnahme, Monopolstellungen und administrativen Ressourcen leben. Die Verteilung von versteckten Subventionen und staatlichen Aufträgen wird auch unter Premierminister Asarow sehr wahrscheinlich ein Mittel zur Stärkung oder Schwächung bestimmter Interessengruppen bleiben. Die Anreize für Reformen sanken durch den neuen Gasvertrag außerdem deutlich. Insgesamt deutet nicht viel darauf hin, dass die längst überfälligen Neuordnungen des Rentensystems, der Gesundheitsversorgung und des internen Energiemarkts in naher Zukunft in Angriff genommen werden könnten. Das ist insbesondere unwahrscheinlich, wenn bereits für Ende Oktober Kommunalwahlen angesetzt werden sollten. Die Partei der Regionen hält nach wie vor die deutliche Erhöhung der Sozialausgaben, der Renten und der Mindestlöhne als zentrale Programmpunkte aufrecht.

Das Tandem Janukowytsch und Asarow steht insgesamt für eine wieder stärker autoritäre Gangart und einen typisch postsowjetischen administrativen Politikstil. Von Anbeginn wird die Regierungszeit Asarows in der Ukraine dabei vielfach als Übergangsmodell zu einer stärker reformorientierten Regierung diskutiert. Es ist jedoch sehr fraglich, ob ein Aussteigen aus dem eingeschlagenen Kurs später möglich sein wird. Die Gratwanderung zwischen Wiederherstellung von Regierbarkeit einerseits und dem gefährlichen Rückfall in autoritäre Handlungsmuster andererseits ist sehr schwierig zu bewältigen.

Wie mit der Ukraine umgehen?

Sowohl der rauere innenpolitische Ton als auch Vereinbarungen zu Gas und Flotte im Rahmen einer Annäherung an Russland waren nach den Präsidentschaftswahlen unabhängig von deren Ausgang durchaus zu erwarten. Geschwindigkeit und Ausmaß der innen- und außenpolitischen Entwicklungen sind jedoch überraschend. Es hat den Anschein, dass Janukowytsch mit einer kleinen Gruppe um Firtasch, Lowutschkin und andere schnell und entschlossen einen Plan abarbeitet, der den korporativen Interessen der Hauptsponsoren der Partei der Regionen entspricht und innenpolitisch die Macht langfristig absichern soll. Die wohlorganisierte und disziplinierte Partei der Regionen steht dabei der fragmentierten und unorganisierten Opposition gegenüber und stößt innen- wie außenpolitisch kaum auf Widerstand.

Auch die westlichen Partner der Ukraine wurden von den Verträgen mit Russland überrascht. Keines der Abkommen wurde zuvor mit den europäischen Partnern konsultiert oder zumindest angekündigt. Weder auf die innen- noch die außenpolitischen Kursänderungen der Ukraine haben Partner der Ukraine in der Europäischen Union bisher reagiert. Aus ukrainischer Sicht ist logisch, dass nach dem Besuch Medwedews in Kiew und dem Abschluss der Abkommen mit der russischen Seite nun politische und wirtschaftliche Gewinne aus der EU extrahiert werden sollen. Für die Europäische Union stellt sich die Frage, ob sie sich auf eine solche „sequenzielle“ multivektorale Außenpolitik der Ukraine einlassen wird.

Die wichtigste Einflussmöglichkeit für die westlichen Partner der Ukraine bleibt der Internationale Währungsfonds (IWF). Trotz der Gasrabatte wird die Ukraine aufgrund des Reformstaus und der ambitionierten sozialen Versprechen weiter auf Kredite angewiesen sein. Die Regierung wird dabei vermutlich wie das Vorgängerkabinett vor allem auf die Inkonsequenz des IWF spekulieren und versuchen, ohne weitreichende Reformen an die Kredite zu gelangen. Der IWF zögert bisher mit der Fortsetzung der Programme mit der Ukraine, da die Regierung echte Reformvorhaben bisher nicht habe erkennen lassen.

Einhundert Tage nach dem Machtwechsel in der Ukraine scheint für die EU und die deutsche Außenpolitik der Zeitpunkt gekommen, die Abwartehaltung gegenüber der Ukraine zugunsten einer wieder aktiveren Politik aufzugeben. Bisher hat man den schnellen innen- und außenpolitischen Entwicklungen dieser 100 Tage lediglich zugesehen. Es entstand weitgehend der Eindruck, die EU sei einerseits bereit, die noch vor wenigen Monaten so gelobten demokratischen Standards in der Ukraine zugunsten einer vermeintlichen innenpolitischen Stabilisierung aufzugeben und habe sich andererseits in ihrer östlichen Nachbarschaft das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen.

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10. Februar 2010
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