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Länderberichte

Abschied vom Schwarz-Weiß-Fernsehen

von Dr. Kristin Wesemann

Der multistaatliche Sender Telesur verliert einen wichtigen Verbündeten und befürchtet eine Verschwörung des Westens

Von einem CNN für das linke Lateinamerika hatten sie geträumt, von einer lauten Stimme der Regierenden gegen die privaten Medien. Doch der einst von Fidel Castro und Hugo Chávez erfundene multistaatliche Nachrichtensender Telesur hat sich überlebt – vor allem, weil sich der Kontinent wandeln wollte. Nun verlässt Argentinien den Senderverbund.

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Für Telesur ist die aktuelle Lage klar: „Die Rechte“ in Brasilien, Bolivien, Ecuador und Venezuela versuche, „die Errungenschaften der dortigen Regierung zu verfälschen“; sie wolle wieder die Oberhand gewinnen. Dabei taumelt der multistaatliche Fernsehsender gerade selbst gewaltig. Argentinien hat seinen Austritt aus dem „chavistischen Kanal“ angekündigt, und auch Gründungsmitglied Uruguay betont, dass es weder Korrespondenten beschäftige noch in die Kasse des Senders einzahle. Es sind auch schwere Zeiten für Nicolás Maduro. Venezuelas autokratischer Präsident, Nachfolger des mal bewunderten, mal gefürchteten Sozialisten Hugo Chávez, hat neuerdings einen mächtigen Gegner auf dem Kontinent. Es ist Argentiniens Staatsoberhaupt Mauricio Macri, und verscherzt hat er es sich mit dem Kollegen aus Caracas schon vor längerer Zeit. Bereits im Wahlkampf Ende vorigen Jahres hatte sich Macri wieder und wieder für die politischen Gefangenen in der Bolivarischen Republik eingesetzt. Am Abend seines Triumphes tanzte er dann sogar mit der Frau von Maduros Erzfeind Leopoldo López, Harvard-Absolvent und einstiger Bürgermeister von Chacao, der im September 2015 wegen Anstachelung zur Gewalt und Verschwörung zu 13 Jahren, neun Monaten und sieben Tagen Haft verurteilt worden war. Macri schloss sich den Forderungen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch an, den Oppositionspolitiker freizulassen.

Im Staatenbündnis Mercosur, das den freien Handel zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und seit 2013 auch Venezuela verbessern soll, jedoch in den vergangenen Jahren zum großen linkspopulistischen Klassentreffen verkommen war, mahnte der neue starke Mann vom Río de la Plata mehr Demokratie und Menschenrechte an. Néstor und Cristina Kirchner, seine Amtsvorgänger in der Casa Rosada, hatten immer wieder auf Venezuela verwiesen und das vermeintliche Brudervolk als Vorbild gepriesen. Auch Macri zeigt mit dem Finger dorthin – er aber meint das Gegenteil: So nicht! Wir machen es anders!

Mit Petrodollar gegen die privaten Kanäle

Macri verspricht, seinen Landsleuten nach zwölfeinhalb Jahren Kirchnerismus und ebenso langer Gängelung regierungskritischer Medien zu Meinungsfreiheit und guter Regierungsführung zu verhelfen. Das eigene Land hat die Änderungen vom Tag der Amtsübernahme an erlebt, nun weht der frische Wind auch hinüber ins Ausland: Argentinien steigt aus der Neuen Television des Südens, kurz Telesur, aus.

Der multistaatliche Nachrichtensender war 2005 von Venezuela, Argentinien, Bolivien, Kuba und Uruguay gegründet worden, auf den Tag genau 222 Jahre nach der Geburt des südamerikanischen Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar; später stießen Nicaragua und Ecuador hinzu. Die Idee ist allerdings älter. Geboren wurde sie schon im November 2000, als sich in Havanna mehr als 400 Medienleute trafen und vom Gastgeber Fidel Castro gefragt wurden, warum ihnen noch nicht in den Sinn gekommen sei, eine Art „lateinamerikanisches CNN“ zu gründen. Zwar sendete CNN bereits auf Spanisch, allerdings von Atlanta aus, aus einem Land also, das linken Revolutionären nicht sonderlich sympathisch ist, wobei die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruht.

Es war schließlich Hugo Chávez, der venezolanische Präsident und Erfinder des sogenannten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der die Idee Castros aufgriff und umsetzte. Er bezahlte – damals verfügte das Land noch über ausreichend Petrodollar – und brachte Verbündete zusammen: In Buenos Aires regierte Néstor Kirchner, in Montevideo war mit Tabaré Vázquez erstmals ein Linker in den Präsidentenpalast eingezogen, und Fidel Castro dachte noch lange nicht an die Erbfolge in Havanna.

Telesur sollte als eine staatliche Stimme den privaten Nachrichtenkanälen entgegensenden. Oder wie es Maduro heute ausdrückt: Der Sender „verteidigt die wahre Meinungsfreiheit gegen die Angriffe der aufgeblasenen Ultrarechten“. Als Paten, Berater und anfangs auch Programmmacher fungierten Argentiniens Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, der spanische Chefredakteur der Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet, oder auch der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano. Auf dem Sendeplan stand „lateinamerikanische Integration“, kommerzielle Werbung war ausgeschlossen. Wie viel der Sendebetrieb kostet und woher das Geld genau kommt, ist bis heute ein gut gehütetes Geheimnis.

Bis zur Wahl Macris hatte Argentinien Telesur auch mit Inhalten beliefert – wobei die Nachrichtenlage stets recht eindeutig war: Linke Politik ist sehr gut, und linke Politiker sind es natürlich auch. Nun will das Land seinen Anteil von 16 Prozent an der Aktiengesellschaft abstoßen.

Verkündet hat den Ausstieg Medienminister Hernán Lombardi. Dessen Aufgabe gehört zu den schwierigsten, die das Macri-Kabinett zu vergeben hat. Der Kirchnerismus hatte über die Jahre den staatlichen Kommunikationsapparat mit immensen Summen zu einer Art privater Werbeagentur umgebaut, die nebenbei politische Widersacher desavouierte, und zwar ganz öffentlich, im Fernsehen und im Radio. Lombardi soll sparen, politischen Pluralismus sowie Meinungs- und Pressefreiheit garantieren und die Behörde davor bewahren, als Sprachrohr der Regierung aufzutreten.

Bilanz nach zehn Jahren: ein Nischensender

Als Telesur am 24. Juli des vergangenen Jahres sein zehnjähriges Bestehen feierte, war die Berichterstattung in den tonangebenden privaten Medien des Kontinents äußerst spärlich. Auch sonst findet der Sender wenig Beachtung. Offizielle Zahlen gab und gibt es zwar nicht, allerdings gehen Schätzungen von 500.000 Zuschauern in Lateinamerika pro Tag aus, was angesichts von 635 Millionen Einwohnern nicht unbedingt üppig ist. Von den 40 Millionen Argentiniern sollen 100.000 ab und an bei Telesur reingeschaut haben, sagt einer, der sich in der neuen Regierung damit beschäftigt hat, bevor die Austrittsentscheidung getroffen wurde.

Dabei erreicht der Sender derzeit sogar die Haushalte in 123 Ländern und strahlt auch auf Englisch aus. Auf Facebook geben immerhin eine Million Nutzer an, Telesur zu mögen. Programm ist schon das Titelbild des Senders: Es grüßen die vertrauten Helden der Linken, Wladimir Putin, Hugo Chávez, Evo Morales und Fidel Castro, nur Papst Franziskus passt nicht ganz in die Galerie.

Mediale Dekolonisierung und eine echte Revolution

Der erste Sender-Chef, der Uruguayer Aram Aharonian, sagt heute, Telesur sei entstanden, um „der hegemonischen Botschaft des Nordens über einen mehrstaatlichen lateinamerikanischen Kanal entgegenzuwirken“. Man habe den jahrelangen Traum von Reportern und Kulturschaffenden der Region verwirklichen wollen: „das eigene Bild und die Stimme Lateinamerika in der ganzen Welt bekannt zu machen und gleichzeitig die Welt aus der eigenen Perspektive zu beobachten“. Es ging demnach um „audiovisuelle Befreiung und mediale Dekolonisierung“, keineswegs habe man ein lateinamerikanisches oder linkes CNN erfinden wollen. Eine Revolution wollte man indes schon, und zwar die des Fernsehens insgesamt: guter Journalismus, gute Inhalte, hohe Qualität und, ja, auch die Bildung.

Aharonian sieht das Erreichte ziemlich kritisch. Telesur hätte sich nie in einen Regierungskanal verwandelt, wäre an den Ursprungsideen festgehalten worden.

Telesur, das war immer auch Schwarz-Weiß-Fernsehen im 21. Jahrhundert, politischer Gesinnungsjournalismus statt unabhängiger und überparteilicher Berichterstattung. Heute wirkt er fast wie ein Relikt, ein buchstäblich überholter Sender. Denn Lateinamerika erlebt eine erstaunliche demokratische Wiedergeburt. Seine Bürger verlangen, dass der Staat endlich funktioniert, und Politiker, die sich diesem Willen in den Weg stellen, bekommen ernsthafte Probleme. Auch die Bereitschaft, Korruption gewissermaßen als Erbkrankheit des Kontinents zu akzeptieren, ist gesunken. Zudem verfängt das Freund-Feind-Denken kaum noch, weil man gelernt hat, selbst zu denken.

Wer sich über Telesur informiert, der bekommt Helden ohne Kratzer geliefert: Die linken Präsidenten Boliviens und Venezuelas, Morales und Maduro, verteidigen mal wieder Großes, nämlich nicht weniger als die Demokratie. Und Amtskollegin Dilma Rousseff tut es ihnen nach. Für Telesur sind die Millionen, die in brasilianischen Megastädten gegen Korruption und Machtmissbrauch auf die Straße gehen, vom Parlament und der Rechten geschickt worden. Die Präsidentin und ihre Regierung sollen diffamiert werde, “die Errungenschaften für das Wohl des Volkes” mithilfe von Korruptionsvorwürfen kleingeredet werden. Als die Bolvianer Ende Februar in einem Referendum dagegen stimmten, dass sich der in zahlreiche Skandale verwickelte Präsident Morales ein viertes Mal zur Wahl stellen kann, erklärte Telesur: „Bolivien ist das Ziel eines von der internationalen Rechten geschmiedeten Planes, dass Mandat von Morales zu begrenzen und so den Traum eines vereinten Lateinamerikas progressiver Länder (…) zu verhindern.“

Die Wahl des Argentiniers Macri zum Nachfolger der linkspopulistischen Cristina Kirchner gehört laut Telesur ebenfalls zum Komplott des „Imperiums“ und der „internationalen Rechten“, die danach streben, die Völker Lateinamerikas zu unterdrücken und den „Neokolonialismus“ zu etablieren.

Der Niedergang von Telesur offenbart eben auch den Bedeutungsverlust derer, die ihn einst erfunden haben: Die Linkspopulisten haben nicht mitbekommen, wie sich der Kontinent, den sie verändern wollten, selber wandelt. Lateinamerikaner haben kaum noch Identitätskonflikte, sie wissen, wer sie sind und woher sie kommen. Sie kennen ihre Rechte, und dazu gehört eben auch, sich Meinungen selbst zu bilden. Damit machen sie jedoch dem Populismus das Leben schwer, denn der verfängt nur, wenn man die Leute kleinhält. Telesur hat sich als Feindbildgenerator für schwächelnde Protagonisten des lateinamerikanischen Befreiungsprojektes überlebt.

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Ein Koordinator gibt der Moderatorin von Telesur Zeichen. | Foto: dpa/AP Photo/Leslie Mazoch

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