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Berlusconi zieht den Kopf aus der Schlinge

von Wilhelm Staudacher, Leonard Schoenberger

Misstrauensvotum im italiensichen Senat und der Abgeordnetenkammer

Silvio Berlusconi bleibt italienischer Ministerpräsident. Einen Misstrauensantrag in der Abgeordnetenkammer überstand der Regierungschef am 14. Dezember denkbar knapp mit 314 Ja-Stimmen bei 311 Gegenstimmen.

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Vor der Abstimmung im Abgeordnetenhaus hatte Berlusconi schon die Vertrauensfrage im Senat gestellt. Dabei wurde ihm, wie erwartet, das Vertrauen ausgesprochen, da seine Regierung in dieser Kammer über eine komfortable Mehrheit verfügt. 162 Senatoren hatten für den Ministerpräsident gestimmt, 135 gegen ihn.

Bei der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer kam es zu Tumulten, woraufhin die Sitzung unterbrochen werden musste. Auslöser waren die beiden Abgeordneten Catia Polidori und Maria Grazia Siliquini aus der Partei FLI („Zukunft und Freiheit für Italien“), der Partei von Parlamentspräsident Gianfranco Fini, der Berlusconi mit dem Misstrauensantrag stürzen wollte. Die beiden Abgeordneten ließen verlauten, dass sie doch nicht gegen Berlusconi stimmen würden, anders als im Vorfeld angenommen. Daraufhin kam es zu einem Handgemenge von mindestens zehn Abgeordneten.

Fini hatte bis unmittelbar vor der Vertrauensabstimmung Berlusconi zum Rücktritt aufgefordert. Der wiederum hatte am Tag vor der Vertrauensabstimmung noch einmal um die Gunst der Abgeordneten geworben und vor dem Sturz seiner Regierung gewarnt. Inmitten der Wirtschaftskrise brauche das Land politische Stabilität, sagte er vor dem Senat. "Das letzte, was Italien jetzt braucht, ist eine politische Krise." Unterstützung in dieser Ansicht erhielt der Ministerpräsident auch von den Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) im Parlament in Brüssel. Der EVP-Vorsitzende Joseph Daul hatte Berlusconi Unterstützung zugesagt, da Neuwahlen die Eurokrise weiter befeuern könnten.

Auch die katholische Kirche, in Person von Kardinal Camillo Ruini, die sich in den letzten Wochen sehr kritisch zu Berlusconi geäußert hatte, war von dem Argument der Gefahr, die durch eine zerrüttete europäische Währung ausgehen würde zu einer Änderung ihrer Meinung bereit. Kardinal Ruini unterstütze aufgrund dieses Arguments in letzter Minute Berlusconi.

Optionen für die weitere politische Entwicklung in Italien

Trotz der knapp gewonnenen Abstimmung bleibt es fraglich, ob die Regierung Berlusconi die notwendigen Reformen durchsetzen kann, die als entscheidend für die Überwindung der Rezession angesehen werden. Selbst Innenminister Roberto Maroni von der rechtskonservativen Lega Nord hatte deshalb vor der Abstimmung Neuwahlen ins Gespräch gebracht.

Doch Berlusconi hat mit dem gewonnenen Misstrauensvotum bewiesen, dass er in beiden Kammern über eine Mehrheit verfügt. Damit bleibt sein Kabinett offiziell regierungsfähig. Berlusconi könnte in den kommenden Wochen versuchen seine äußerst knappe Mehrheit durch einzelne Überläufer aus der UDC-Fraktion auszubauen. Für Parlamentspräsident Fini stellt das von Berlusconi gewonnene Misstrauensvotum nach seinem Bruch mit dem Ministerpräsidenten eine persönliche Niederlage dar.

Nicht auszuschließen ist, dass Berlusconi Pier Ferdinando Casini (UDC) den Eintritt ins Kabinett anbietet und gleichzeitig den öffentlichen Druck auf Casini verstärkt, weil nur so die gegenwärtige Krise beseitigt werden kann.

Der Koalitionspartner Lega Nord, der bisher stets konsequent eine Beteiligung von Casini im Kabinett abgelehnt hat, wird voraussichtlich diese Position aufgeben, wenn sie dann ihre Forderung eine Föderalismusreform durchzuführen durchsetzen kann. Zwar wäre die Lega voraussichtlich auch jetzt noch die einzige Partei, die Neuwahlen nicht zu scheuen gehabt hätte, weil sie mit großer Sicherheit einen deutlichen Zuwachs zu verzeichnen gehabt hätte. Dies kann sich allerdings durch den Sieg Berlusconis geändert haben. Berlusconis Popularitätskurve wird voraussichtlich in den nächsten Wochen wieder ansteigen, was Bossis Neigung zu Neuwahlen dämpfen sollte.

Die von Berlusconi gewonnene Misstrauensabstimmung war gleichzeitig eine Misstrauensabstimmung gegen Fini. Es ist offensichtlich geworden, dass er nicht die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat. Als logische Konsequenz nehmen Experten an, dass Fini eigentlich von seinem Amt als Parlamentspräsident zurücktreten müsste. Er müsste dann als Führer seiner Partei FLI in die Opposition gehen. Dies würde bedeuten, dass es drei Oppositionsparteien gibt, die sehr unterschiedliche und kaum vereinbare Positionen vertreten.

Es würde deshalb einen Streit um die Führung in der Opposition geben. Fini muss befürchten, dass er aus seiner bisherigen Mitte verdrängt werden und wieder auf eine rechts-nationale Position festgelegt werden würde. Anders wäre es nur, wenn Casini und die UDC nicht in die Regierung eintreten. In diesem Falle könnte Fini weiterhin am „dritten Pol“ (FLI, UDC und API) teilnehmen. In diesem Falle eines „dritten Pols“ gibt es entweder die Möglichkeit, dass sich PD und „dritter Pol“ (Mitte-Links-Bündnis) zusammentun oder dass PD und IDV unabhängig von einander auftreten. Die Folge wäre allerdings für Pierluigi Bersani (PD) gefährlich, weil in dieser Konstellation Di Pietro der Führer der Opposition würde. Es könnte sogar Bersanis Ende einläuten, weil der Zukunftsstar der PD, Nicola Vendola, (Vertreter des linken Flügels) als der chancenreichere Oppositionsführer angesehen wird.

Da in Italien zuverlässige Prognosen in der Politik, vor allem wenn es um Koalitionen geht, schwer zu stellen sind, ist nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, wie sich das Kräfteverhältnis in nächster Zeit entwickeln wird.

Nach wie vor wird Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti als möglicher Nachfolger für den Ministerpräsidentenposten im Spiel bleiben. In den letzten beiden Wochen wurde von Berlusconi (vielleicht als Manipuliermasse) auch der Justizminister Angelino Alfano ins Spiel gebracht. Auch er könnte in der weiteren Debatte noch eine Rolle spielen. Die Veröffentlichungen von Wikileaks haben ans Licht gebracht, dass offenbar auch der bisherige Vertraute Berlusconis, Enrico Letta, sich gegenüber Vertrauten kritisch über den geistigen Zustand des Ministerpräsidenten geäußert hat. Da Berlusconi in solchen Dingen nur ohne Unterschied jeden, der auch nur andeutungsweise kritisch zu ihm steht, als sein Feind betrachtet und ihn mit „Liebesentzug“ bestraft, ist sehr fraglich, wie sich das Verhältnis zwischen Berlusconi und Letta entwickelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Letta bisher eigentlich ausschließlich die Regierungsgeschäfte für Berlusconi betrieben hat, der sich um solche „Kleinarbeit“ ungerne selbst kümmert. Eine Entmachtung Lettas ist deshalb nicht auszuschließen, wäre aber für Berlusconi eine erhebliche Schwächung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Parlamentspräsident Fini politisch in den Hintergrund tritt, ist gegeben. Er hat nicht zuletzt bei seinen früheren Parteifreunden Giovanni Alemanno und Ignazio La Russa keine Unterstützung mehr zu erwarten, da diese selbst hoffen, die politische Führung Mitte-Rechts zu erlangen. Außerdem ist Fini innerhalb der katholischen Kirche wegen seiner Haltung zur aktiven Sterbehilfe als „persona non grata“ angesehen. Fini hatte sich 2009 gegen einen Gesetzesvorschlag ausgesprochen, der den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei Komapatienten unter Strafe stellt. Dieses Vorhaben erinnere „an einen Kirchenstaat“ und nicht „an eine laizistische Demokratie“, so Fini damals. Man kann auch heute noch in Italien Wahlen zwar ohne, aber nicht gegen die Kirche gewinnen.

So kam es zur Regierungskrise

Im April 2008 hatte Berlusconi einen überwältigen Wahlsieg errungen. Seine Partei Popolo della Liberta (Volk der Freiheit), die zwei Monate zuvor aus der Fusion seiner ehemaligen Partei Forza Italia und Gianfranco Finis Alleanza Nazionale entstanden war, errang knapp 40 Prozent. Zusammen mit der rechtspopulistischen Lega Nord konnte Berlusconi mehr als 45 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und sich die Mehrheiten im Abgeordnetenhaus als auch im Senat sichern.

Nach dem Wahlsieg 2008, gestaltete sich die Zusammenarbeit der beiden Politiker, die 16 Jahre lang als Verbündete aufgetreten waren, jedoch schwierig. Der ehemaligen „Forza“-Bewegung mangelte es an Struktur und die ehemalige Alleanza Nazionale war als neofaschistische Partei entstanden und wurde von Fini in einem gewaltigen Kraftakt näher zur Mitte gerückt. Rechtsradikale Kräfte wurden von Fini aus der Partei gedrängt.

Fachleute waren von Anfang an skeptisch, dass dieses Bündnis funktionieren könnte. Fini wollte sich als zweiter starker Mann etablieren und im Windschatten Berlusconis zu dessen Nachfolger aufsteigen. Zudem erhoffte er sich, innerhalb der neuen Partei gegenüber dem weniger substanziellen „Forza“-Flügel durchzusetzen. Wenn Fini diese Erwartung hatte, wurde relativ schnell offensichtlich, dass es Berlusconi gelang Teile der ehemaligen Allianza Nazionale an sich zu binden. Durch Privilegien und Ämter sicherte sich Berlusconi die Gefolgschaft ehemaliger Allianza-Leute. So wurde Fini bei wichtigen Entscheidungen ausgebootet.

Fini trat dieser Entwicklung aggressiv entgegen und ging gegenüber Berlusconi in die Offensive. Der Präsident des Abgeordnetenhauses wagte als erster Politiker ein öffentliches Zerwürfnis mit Berlusconi. Er warf dem Ministerpräsidenten vor, sich als Alleinherrscher aufzuführen und nicht die Interessen Italiens zu vertreten.

Der Streit der beiden wurde in der Öffentlichkeit ausgetragen. Berlusconis Autorität begann zu bröckeln, da es offensichtlich wurde, dass er es nicht wagte, seine Drohungen, Fini mit „in den Abgrund“ zu stürzen, sollte seine eigene politische Karriere enden, wahrzumachen.

Ende Juli 2010 eskalierte die Situation. Fini gründete mit 33 Anhängern seine eigene Fraktionsgruppe, was dazu führte, dass Berlusconi im Abgeordnetenhause die Mehrheit verlor. Berlusconi schmiss Fini daraufhin aus seiner Partei (PDL). Fini rief mit seinen Gefolgsleuten eine eigene Partei „Futoro e Liberta per l’Italia (Zukunft und Freiheit für Italien) ins Leben, die laut einer vom Institut Crespi durchgeführten Umfrage bei Neuwahlen auf acht Prozent der Stimmen bringe könnte.

Berlusconi konnte seit dem Austritt der Finianer aus der Regierungskoalition fast keine Abstimmung mehr im Parlament gewinnen. Am 30.11. brachte er zwar die Hochschulreform durch, die drastische Kürzungen vorsieht, dies brachte ihm aber massiven Protest von Studenten in zahlreichen italienischen Städten ein.

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