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Länderberichte

Der "General der kleinen Leute" wird malischer Präsident

von Dr. Ute Gierczynski-Bocandé

Die Rückkehr von Amadou Toumani Touré

Erwartet wurde sein Wahlsieg, erhofft von vielen, denn Amadou Toumani Touré, ATT genannt, verkörpert die Hoffnung der "kleinen Leute" Malis auf die Wiederkehr der Euphorie des Tages vor mehr als zehn Jahren, als ATT den Diktator stürzte. Er symbolisiert den integren Politiker, den diskreten General, der das Land vom Joch der dreißig Jahre währenden Tyrannei befreit und dann in kürzester Zeit in die Demokratie geführt hat.

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Die Psychologie spielte eine große Rolle bei den malischen Präsidentschaftswahlen im Mai dieses Jahres. Mehr als 80 Parteien gibt es in Mali, 24 Kandidaten nahmen an den Wahlen teil, wobei sich im ersten Wahlgang nur drei mit mehr als 20% profilieren konnten: Amadou Toumani Touré (27,98%). Soumaila Cissé (22,74%) und Ibrahima Boubacar Keita (20,65%).

Cissé war Kandidat der Regierungspartei ADEMA, die seit 1992 das Land regiert und der vorgeworfen wird, sich immer mehr zu einer "Staatspartei" entwickelt zu haben. Ibrahima Boubacar Keita, genannt IBK, war bis Oktober 2000 Premierminister, trat dann aber zurück und aus der Partei aus, um im Frühjahr 2001 eine eigene Partei zu gründen (RPM: Rassemblement pour le Mali). Von den anderen Kandidaten erreichte keiner 4%, die meisten lagen unter der Einprozentgrenze.

Eine Wahlbeteiligung von 38,58 % im ersten Wahlgang am 28. April und 30,17% im zweiten Wahlgang am 12. Mai lässt allerdings auf eine tiefe Politikmüdigkeit der malischen Bevölkerung schließen. Schon im Vorjahr liefen zahlreiche Sensibilisierungs- und Mobilisierungsveranstaltungen, um eine gute Wahlbeteiligung zu bewirken, vielleicht wäre sonst die Beteiligung noch geringer gewesen. Sicher ist aber, dass das vor seit zehn Jahren eingesetzte demokratische System noch nicht zufriedenstellend funktioniert und die hohen Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt hat, nicht gänzlich erfüllen konnte.

Eine genauere Analyse der Wahlbeteiligungsstatistik zeigt, dass die Politikmüdigkeit insbesondere die städtischen Zentren betrifft: im Hauptstadtdistrikt Bamako gingen nur 23,59% der eingeschriebenen Wähler an die Urnen! In den Nordregionen hingegen war eine Wahlbeteiligung von 44,39% in Gao bis hin zu 59,16% in Kidal zu verzeichnen.

Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind selbstredend in der Hauptstadt unvergleichlich größer und akuter, das Unzufriedenheitspotential der Stadtbevölkerung wächst mit jedem neuen Zugezogenen, der vor der Armut aus den ländlichen Regionen in die Hauptstadt flüchtet und dort noch härtere Bedingungen findet. Kidal ist die Hauptstadt der Region der Tuaregs im Nordosten Malis. Der bisherige Staatspräsident, Alpha Oumar Konaré, hatte den Separatistenkonflikt der Tuaregs glücklich beigelegt und die Nordregion befriedet und sicher ist in diesem politischen Erfolg ein Indiz für die hohe Wahlbeteiligung in Kidal zu erkennen.

Der General der kleinen Leute, Amadou Toumani Touré, ist kein typischer Dritte Welt-General, er ist kein typischer Putschgeneral, obwohl er 1991 durch einen Umsturz an die Macht gekommen war. ATT gehört keiner Partei an, er hatte sich nach der demokratischen Wahl des Präsidenten Konaré im März 1992 diskret zurückgezogen, war militärisch nicht mehr aktiv und widmete sich der Vermittlung beim Zentralafrika-Kongo- und bei anderen innerafrikanischen Konflikten, vor allem aber der Landbevölkerung Malis. Mit Jimmy Carter kämpfte er gegen die Ausbreitung des Guineawurms und unterhielt weitreichende Beziehungen zu Freunden und Partnern in aller Welt.

Er gründete1992 die Stiftung für die Kindheit (Fondation pour l'Enfance), eine Nichtregierungsorganisation, die ausschließlich karitative und humanitäre Aufgaben erfüllt: Brunnen und Schulen bauen, Krankenstationen und Entbindungsstationen einrichten - ATT war zehn Jahre lang als konvertierter Militär, als reiner Philantrop bekannt und hielt sich gänzlich aus der Politik heraus.

Amadou Toumani Touré war und ist der Mann der Zivilgesellschaft, er unterstützte zahlreiche Initiativen, Assoziationen, Vereine, Freundeskreise und kannte auch den entferntesten Winkel des Landes. Dieses unermüdliche Engagement für die "kleinen Leute", für Bauern, Frauen, arbeitslose Jugendliche machte ihn immer mehr zu einem Wunschkandidaten: Der General, sei er auch General, der das Land von der Diktatur befreit hatte, müsste doch auch in der Lage sein, es aus dem wirtschaftlichen Schlamassels und dem Politfilz der letzten Jahre zu befreien.

Schließlich wurde seine Kandidatur von zahlreichen Vereinen und Bewegungen der Zivilgesellschaft und von insgesamt 27 Parteien unterstützt. Am 9. Mai entstand kurz vor dem 2. Wahlgang eine Wahlallianz für ATT, bestehend aus 16 Parteien, die sich "Hoffnung für 2002" (Espoir 2002) nennt und seit dem Wahlerfolg daran arbeitet, auch bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit zu erlangen. ATT ist jedoch weiterhin parteilos.

Erst im Spätjahr 2001, als Amadou Toumani Touré die militärische Rente antrat, wurde deutlich, dass er sehr wohl politische Ambitionen hegte. Wurde er dazu gedrängt, wie seine Freunde sagen, oder war sein ganzes Engagement der neunziger Jahre nur langfristig angelegter Wahlkampf, wie seine Widersacher behaupten? Tatsache ist, dass seine im Februar bekannt gegebenen Kandidatur eine Begeisterungswelle in Mali hervorrief. Und das kalte Grausen bei den rivalisierenden Kandidaten, von denen keiner das Charisma eines Konaré oder eben eines ATT hat.

Soumaila Cissé, der ehemalige Financier der ADEMA, gilt als integrer und leistungsfähiger Politiker, nur leider entbehrt er schmerzlich jeder Ausstrahlung, ein Technokrat eben. Ibrahima Boubacar Keita, der Dissident der ADEMA, hatte zunächst einen guten Teil der ADEMA-Anhänger für sich gewinnen können, aber für einen Wahlsieg war das zu wenig. Erstens hatte die ADEMA ohnehin sehr viel an Glaubwürdigkeit verloren, und zweitens war IBK als Premierminister mit der eisernen Hand berühmt und berüchtigt. Als Konaré ihn 1993 ernannte, gelang es ihm in kürzester Zeit, wirtschaftliche Reformen durchzuführen und die von den internationalen Geldgebern auferlegten Programme zur Restrukturierung durchzusetzen. Aber der soziale Preis war hoch und die Abwertung des FCFA verschärfte dann noch die fortschreitende Verarmung der Bevölkerung.

Staatschef Konaré war bei allen internationalen Partner äußerst beliebt, nur im eigenen Land sank seine Beliebtheitsrate in den zehn Jahren seiner Regierungszeit von 80 auf 20%. Natürlich hätte kein Staatschef das Wunder vollbringen können, das Land binnen eines Jahrzehnts in eine blühende Wirtschaft zu verwandeln. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können nicht in derart kurzer Zeit verändert werden, und ein Land mit von Weltmarktpreisen abhängigen Baumwollmonokulturen, wenig und unregelmäßigen Regenfällen und drei Viertel Wüste wird nicht durch eine neue Regierung zum Garten Eden.

Allerdings musste Konaré sich in den letzten Jahren immer öfter Kritik bezüglich seines Regierungsstils gefallen lassen: Die ADEMA wurde immer mehr zur Staatspartei, ihre Repräsentanten waren in zahlreiche Skandale verwickelt (Politfilz) und schließlich führte die Abspaltung Keitas zu einer Schwächung der Basis.

Außerdem stand im November 2001 noch nicht fest, wer kandidieren würde, es gab vier potentielle Kandidaten. Zwei traten dann freiwillig zurück, einer wurde zum Kandidaten gewählt und der Premierminister, Mandé Sidibé, kündigte sein Amt und seine Mitgliedschaft in der ADEMA, um als unabhängiger Kandidat zu den Wahlen anzutreten.

Bei dieser Konstellation war es voraussehbar, dass ATT beste Chancen hatte. Und so entschloss er sich zu kandidieren, kam, sah und siegte mit 64,53% der abgegebenen Stimmen. Sein Programm und seine Zukunftsperspektiven lassen sich in einigen Worten zusammenfassen: Bis zu den Parlamentswahlen wird er voraussichtlich mit der alten Regierung weiter arbeiten. Die erste Herausforderung ist die korrekte und erfolgreiche Durchführung der für den 14. und 28. Juli vorgesehenen Parlamentswahlen. Diese werden entscheiden, wie die Regierung von ATT aussehen wird, denn er versprach, dass er auf jeden Fall mit der Mehrheit regieren wolle.

Mit der Allianz Espoir 2002 und mit der gesamten politischen Klasse Malis will er einen Konsens über durchzuführende Reformen im Bereich der Institutionen und des Wahlrechts erreichen und vor allem das öffentliche Leben "moralisieren", was bedeutet, aktiver als sein Vorgänger gegen die allgegenwärtige Korruption zu kämpfen. Eine Priorität ist die Sanierung des Baumwollsektors, da für die staatliche Baumwollgesellschaft dringend nach praktikablen Lösungen gesucht werden muss.

Ansonsten eher bescheiden und zurückhaltend, betont Amadou Toumani Touré stolz seine Rolle als "rassembleur" (Versammler). Tatsächlich befinden sich in der Allianz Espoir 2002 Parteien, die noch vor Jahren so verfeindet waren, dass ihre Vertreter nicht einmal miteinander sprachen. Die harmonische Konsensfindung und die friedliche Suche nach Lösungen haben in Mali eine lange Tradition, die nur von der Zeit der Diktatur zwischen 1964 und 1991 unterbrochen wurde. Zwar boykottierte die radikale Opposition 1997 die Parlaments- und Lokalwahlen, jedoch wurde die demokratische Funktionsweise Malis nicht in Frage gestellt.

Amadou Toumani Touré hat es also geschafft, die verschiedensten politischen Färbungen in einer Allianz zu versammeln und mit ihnen realistische Zukunftspläne zu schmieden. Dies ist um so wichtiger, als die astronomische Zahl von 86 politischen Parteien nicht dazu beitragen wird, politische Konzepte zu entwickeln, es geht häufig vielmehr um persönliche Interessen. Dagegen scheint die Initiative von ATT eine wirkliche Alternative zu sein, und ihr Motto ist dann auch: "Convergence pour l'alternance et le changement" (Zusammen für Wechsel und Wandel). Wo die ADEMA ihre Glaubwürdigkeit teilweise eingebüßt hat und die anderen Parteien mit weniger als 1 % erst gar keine Glaubwürdigkeit erlangen konnten, ist für viele Malier der Weg des parteilosen, aber von Mitgliedern vieler Parteien unterstützten Generals die große Hoffnung auf einen wirklichen Wandel.

Schon einmal hatte ATT den Wandel gebracht, was seine Symbolwirkung natürlich potenziert: am 26. März 1991. Dieses Datum vergisst kein Malier und dieser Tag ist für immer in die Annalen der malischen Geschichte eingeprägt - der Sturz des Diktators Moussa Traoré. Nach beinahe dreißig Jahre währender Unterdrückung kam es zum Ausbruch einer Schüler- und Studentenrevolte, die 200 Opfer forderte. Die Entscheidung von Amadou Toumani Touré gab den Ausschlag: Die Armee solidarisierte sich mit dem Volk und setzte den Diktator ab. Dieser sitzt seither im Gefängnis, wurde schon zweimal zum Tode verurteilt und zweimal von Alpha Oumar Konaré begnadigt.

Eine der ersten Amtshandlungen Tourés sollte die endgültige Begnadigung des Ex-Dikators sein, schließlich war es aber eine der letzten Amtshandlungen Konarés, der sich schon vor Wochen für die Entlassung Traorésaus dem Gefängnis ausgesprochen hatte. Was in den Augen vieler europäischer Beobachter völlig unverständlich erscheint, ist ein Zeichen der malischen Demokratie, und sicher auch ein Hoffnungszeichen: Vergebung ist möglich und ein Neuanfang denkbar, außer natürlich eine neuerliche Militärherrschaft.

Aber dieses Riskiko besteht am wenigsten bei ATT, denn der General der kleinen Leute ist ein überzeugter Demokrat und Verfechter der bürgerlichen Freiheiten und des Rechtsstaates - wie auch immer die zukünftige Regierung und das neue Parlament aussehen werden.

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