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Länderberichte

Die Benes-Dekrete und die Slowakei

von Christoph Thanei

Das Justizministerium erklärt die slowakische Position

Die so genannten "Benes-Dekrete" sind nicht nur in Tschechien, sondern auch in der Slowakei ein "gültiger, wenn auch nicht mehr wirksamer Bestandteil der Rechtsordnung".

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Dies betont das slowakische Justizministerium in einer offiziellen Erklärung, die Anfang Juni von der Regierung ohne Debatte "zur Kenntnis genommen" und auf ihrer Internet-Seite veröffentlicht wurde. Wie Justizminister Ján Carnogurský (KDH) gegenüber den Medien erklärte, soll diese Stellungnahme unter anderem auch Spekulationen der vergangenen Monate entgegen treten, es gäbe zwischen Tschechien und der Slowakei unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Gültigkeit der Präsidialdekrete. Vor allem der ehemalige Ministerpräsident Vladimír Meciar, aber auch die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (Österreichische Volkspartei - ÖVP), hatten mit diesbezüglichen Spekulationen für Aufsehen in den slowakischen Medien gesorgt und sich den Vorwurf eingehandelt, zwei durch gemeinsame Interessen verbundene Länder auseinanderdividieren zu wollen. Ganz allgemein reagiert die ausführliche Erklärung des slowakischen Justizministeriums laut eigener Begründung auch darauf, dass das Thema in den nächsten Monaten vermutlich in der Diskussion bleiben wird. Eine ausdrückliche Nennung des wohl auch als möglicher Anlass gemeinten deutschen Bundestagswahlkampfes und der Forderungen von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber vermeidet die vorangestellte Begründung der Erklärung allerdings.

Bisher hat sich der kleinere der beiden Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei aus der in Deutschland, Österreich und Tschechien seit Jahren mit wechselnder Intensität geführten Debatte um die Benes-Dekrete weitgehend herausgehalten. Das hat einerseits verhindert, dass das Land ähnlich wie Tschechien angegriffen wurde, aber es hat auch manche Missverständnisse erleichtert, denen die Studie des Ministeriums nun entgegen treten will.

Neben dem generellen Ziel, die offizielle politische und rechtliche Position der Slowakei zu diesem umstrittenen Thema darzulegen, will das Papier auch auf unkorrekte Vermischungen und Vereinfachungen hinweisen, die es aus slowakischer Sicht in der bisherigen Debatte gab. Explizit kritisiert wird in der Analyse, dass speziell deutschsprachige und ungarische Medien den Eindruck erwecken, die Benes-Dekrete legitimierten die Vertreibung von Deutschen und Ungarn aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Stellungnahme des Justizministeriums betont demgegenüber: "Keines der Benes-Dekrete betraf Fragen der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung. Politische Grundlage der Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung war die Potsdamer Vereinbarung der Siegermächte." Diese habe auch Aussiedlungen aus anderen vom nationalsozialistischen Deutschland mit Krieg überzogenen Ländern legitimiert.

Der entscheidende Unterschied wurde auch schon in früheren Äußerungen wichtiger slowakischer Regierungspolitiker übereinstimmend hervorgehoben: Für die Vertreibungen der Karpatendeutschen und damit zusammenhängendes Unrecht hat sich die Slowakei im Unterschied zu Tschechien schon 1991 offiziell entschuldigt. Die Benes-Dekrete will sie aber ebenso wie Tschechien keinesfalls aufheben. Letztere verfügten neben einer Reihe von politisch nicht umstrittenen Regelungen zum Wiederaufbau der von NS-Deutschland zerstörten Tschechoslowakei auch die kollektive Enteignung all jener Deutschen, die nicht nachweislich Antifaschisten waren.

Das einzige, worauf die Kritik gegen die Benes-Dekrete tatsächlich zielen kann, sind daher Eigentumsrückgaben bzw. materielle Entschädigungen. Dass auch die Vertreibung und anderes Unrecht, das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschah, in der Polemik unter das gemeinsame Schlagwort Benes-Dekrete summiert wird, sehen slowakische Politiker als politische Strategie: Je mehr Unrecht in der öffentlichen Diskussion mit den Dekreten identifiziert wird, desto weniger sind sie politisch haltbar und müssen eines Tages doch aufgehoben werden. Rein juristisch seien sie nämlich nicht wirklich angreifbar, lautet die herrschende Rechtsmeinung in der Slowakei.

Den wiederholt von österreichischen und deutschen Politikern in die Öffentlichkeit getragenen Vorschlag, den strittigsten Teil der Benes-Dekrete (also die Enteignung der Deutschen und Ungarn) aufzuheben, ohne dass daraus zugleich Restitutionsforderungen resultieren sollten, sieht man in der Slowakei eher als Täuschungsmanöver. Eine Enteignung für ungültig zu erklären und dennoch zu glauben, dass die ehemaligen Eigentümer keine Rückgaben oder zumindest Ersatzzahlungen fordern, sei unlogisch und unrealistisch, argumentieren slowakische Experten. Und auch Justizminister Ján Carnogurský fürchtet, eine formelle Aufhebung der Benes-Dekrete würde unüberschaubare Restitionsforderungen enteigneter Deutscher und Ungarn nach sich ziehen.

Dass aber schon allein die Enteignung der Deutschen und Ungarn auf Grundlage einer Kollektivschuld-Annahme ein aus heutiger Sicht nicht mehr vorstellbares Unrecht war, bestreitet die Slowakei nicht. In der Stellungnahme des slowakischen Justizministeriums wird aber wie in früheren Äußerungen einzelner Regierungspolitiker gefordert, die Benes-Dekrete nicht losgelöst von ihrem historischen Kontext nach heutigen Maßstäben zu beurteilen: "Sie entstanden zu einer Zeit, die voll von menschlichen Verwerflichkeiten waren. Es war eine Zeit der Massenmorde, der massenhaften Eigentumsverschiebungen, der schwersten Verbrechen und der Eskalation des Hasses zwischen den Völkern."

Das Justizministerium weist die Forderung nach einer Aufhebung der Benes-Dekrete aber auch mit Berufung auf den internationalen Kontext zurück: Prinzipiell ähnliche Sanktionen wie die Benes-Dekrete habe es zur selben Zeit auch gegen Deutsche in Polen, Jugoslawien, den Niederlanden und anderen Staaten gegeben, die von Deutschland mit Krieg überzogen worden waren. Doch keines dieser Länder sei bisher zu einer "formellen Aufhebung dieser Rechtsnormen" genötigt worden. Sollte dennoch die Aufhebung der Benes-Dekrete durch "politischen Druck" erzwungen werden, zum Beispiel indem daraus eine Bedingung für den EU-Beitritt gemacht werde, dann hieße das, dass für Tschechien und die Slowakei "andere Kriterien angewendet werden als für andere Mitglieds- und Kandidatenländer der EU".

Wie Tschechien betrachtet auch die Slowakei die Benes-Dekrete als "in ihrer Wirksamkeit erloschen". Der Begriff "erloschen" wird dabei in dem Sinn verstanden, dass sie keine neuen Rechtsverhältnisse mehr schaffen. Vereinfacht gesagt: Es gibt keine Enteignungen von Deutschen mehr. Nicht gemeint ist damit aber, dass die nach dem Krieg aufgrund der Dekrete erfolgten Enteignungen unwirksam werden, wie dies bei einer formellen "Aufhebung" der Dekrete zu erwarten wäre.

Im Gegensatz zur prinzipiellen Übereinstimmung zwischen den Regierungen Tschechiens und der Slowakei in der juristischen Einschätzung der Benes-Dekrete sind die beiden Länder in politisch unterschiedlicher Position: In der Slowakei richtet sich das Augenmerk nämlich viel mehr auf die von den Benes-Dekreten betroffenen Ungarn als auf die Karpatendeutschen.

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