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Die kolumbianische FARC: Vom Leben in und mit der ältesten Guerilla der Welt im 21.Jahrhundert

von Dr. Hubert Gehring, Margarita Cuervo

Gespräche mit zwei ehemaligen FARC-Guerilleros

Nach 50 Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen mit der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) unternimmt Staatspräsident Juan Manuel Santos einen neuen Anlauf zur Lösung des Konflikts in Kolumbien, der bisher Tausende von Menschenleben gefordert, eine Vielzahl von Entführungen sowie einen sprunghaften Anstieg des Drogenanbaus und -handels mit sich gebracht hat. Zwischen 1997 und 2010 haben in Kolumbien fast 3.500.000 Menschen durch Binnenvertreibungen ihre Heimat verloren.

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Die Guerilla-Organisation FARC-EP entstand am 27. Mai 1964, also vor knapp 50 Jahren, als sie sich erstmals landesweit organisierte. Seitdem sind die FARC-EP die wichtigste Guerillagruppe in der Geschichte des bewaffneten internen Konflikts Kolumbiens und die älteste Guerilla weltweit. Die ursprünglich kommunistisch ausgerichteten FARC organisierten sich anfänglich mit dem Ziel, autonome Gebiete und die darin lebende Agrarbevölkerung gegen Militärs und Übergriffe der Großgrundbesitzer zu verteidigen. Die in den 80er Jahren zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes angewandten Methoden wie Mord, Entführungen und Erpressungen sowie die Änderung der Kampf-Strategie haben jedoch dazu geführt, dass diese Guerilla-Gruppe ihren ursprünglichen Sinn verlor. Mit der Zeit entwickelten sie sich immer mehr zu einer „Narco-Guerilla“, die von den Einnahmen aus dem Drogengeschäft lebt.

Es gab bereits in der Vergangenheit zahlreiche Versuche, Friedensverhandlungen mit den verschiedenen Gruppierungen einzuleiten; einige wenige können als erfolgreich bezeichnet werden, z.B. bei der Umwandlung der Guerilla M-19 (1990) in eine politische Partei. Auch haben sich die Paramilitärs nach Verhandlungen mit der Regierung Uribe (2002-2010) offiziell aufgelöst. Die Mehrzahl der Verhandlungsversuche ist jedoch fehlgeschlagen, z.B. weil die friedenswilligen Kämpfer von ihren Kameraden oder anderen Gruppierungen als Verräter angesehen und gezielt ermordet wurden. Für die Friedensgespräche unter Andrés Pastrana (1998-2002) wurde eine entmilitarisierte Zone geschaffen, wo sich die Guerilla frei bewegen konnte, was sie nutzte, um sich neu zu organisieren, so dass sie sogar gestärkt aus diesem Prozess hervorging.

Für die momentanen Verhandlungen mit der FARC gibt es keinen festen Zeitplan, aber Staatspräsident Santos hat klargemacht, dass er bis Ende 2013 Ergebnisse erwartet. Dies dürfte für die Regierung in der Tat eine Art Deadline sein, finden doch im Jahr 2014 die nächsten Präsidentschaftswahlen statt, bei denen sich Santos zur Wiederwahl stellt. Es bleibt abzuwarten, ob der aktuelle Verhandlungsprozess Erfolg hat. Ein politischer Friedensschluss wäre dem traumatisierten Kolumbien nach mehr als 50 Jahren von Morden, Entführungen und Drogenhandel aber zu wünschen. In Europa hört man in unregelmäßigen Abständen vom kolumbianischen Konflikt, wie z.B. im Rahmen der Befreiung der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt oder bei Tötungen von FARC-Führern. Aber nur wenige wissen, was dieses Kürzel bedeutet, welches die Hintergründe des Konflikts und vor allem wer die Akteure sind.

Dr. Hubert Gehring, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kolumbien, hat dies zum Anlass genommen, Zeitzeugengespräche mit zwei Ex-Guerilleros - einer Frau und einem Mann - zu führen. Beide haben die Waffen niedergelegt, wurden zu Gefängnisstrafen auf Bewährung verurteilt und leben heute in Bogotá. Die Gesprächspartner wurden uns von der für die Reintegration von Ex-Guerilleros zuständigen Regierungseinheit „Agencia Colombiana para la Reintegración“ vermittelt, bei der wir uns für die Hilfe herzlich bedanken.

Die Gespräche geben einen guten Einblick in das Leben in der FARC-Guerilla insgesamt, d.h. aus welchen Gründen und wie man ihr beitritt, wie sich das Leben in der Guerilla gestaltet und wie schwierig es sich ggf. gestaltet, ihr den Rücken zu kehren. Die Fragestellung orientierte sich bewusst weniger auf den politischen Hintergrund der FARC (da gibt es so gut wie keinen mehr) noch auf eine politische Rechtfertigung der Taten. Beide Gesprächspartner waren mehr oder weniger einfache Guerilla-Soldaten, zumindest aber keine Mitglieder der Führungsriege.

Ursprünglich war auch gedacht, die jeweils eineinhalbstündigen Gespräche auf Interviewformat zu kürzen. Die Gesprächsinhalte waren jedoch so interessant, dass wir uns entschlossen haben, das Gesprächsprotokoll möglichst ungekürzt zu veröffentlichen. Zu aufschlussreich sind für Kolumbien-Interessierte einige Bemerkungen zur Wirksamkeit des sog. Plan Colombia von Ex-Präsident Uribe oder zu den Verhandlungen von Caguán, bei dem die Guerilla offenbar von Anfang an kein Interesse an seriösen Verhandlungen hatte.

Was bleibt, sind ungewöhnliche Einblicke in das Leben einer Guerilla und selbst für den sog. Lateinamerika-Kenner Unverständnis bzgl. einiger Äußerungen, wie z.B. dem Bekenntnis des im Rollstuhl sitzenden Ex-Guerilleros, der offen und ehrlich zugibt, ohne seine von mehreren Schusswunden herrührende Querschnittslähmung wahrscheinlich heute tot zu sein, weil er ohne seine Verletzung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aus der FARC ausgetreten wäre. Und so muss man wohl das für den Europäer ohnehin nicht einfach zu verstehende Hauptwerk des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez, „Hundert Jahre Einsamkeit“, mehrere Male lesen, bevor man anfängt dieses faszinierende Kolumbien etwas zu verstehen – ein Land zwischen Gewalt, Liebe, Paradies und Hölle.

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