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Die Wahl, die keine echte war

von Dr. Wolfgang Sender

Alexander Lukaschenko mit Rekordergebnis wiedergewählt

Bis zum Sonntag waren die Weißrussen zum Urnengang aufgerufen. Eine echte Wahl hatten sie im doppelten Sinne nicht: Einerseits bestand zu Alexander Lukaschenko aus Sicht vieler Weißrussen und mit Blick auf die Lage im Land keine Alternative. Andererseits verdiente der Prozess der Stimmabgabe allenfalls mit großen Einschränkungen die Bezeichnung „Wahl“.

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Kurz vor den Präsidentenwahlen erschütterte ein Paukenschlag Belarus: Mit Svetlana Alexijewitsch erhielt erstmals eine weißrussische Schriftstellerin den Literaturnobelpreis – gleichzeitig war das der erste Literaturnobelpreis an eine Schriftstellerin aus einem postsowjetischen Staat seit dem Zerfall der Sowjetunion. Politisch unbequem war dies vor allem für den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko, schließlich unterdrückt das von ihm gesteuerte politische System Weißrusslands Frau Alexijewitsch seit Jahren. Nicht nur ihre Bücher waren bislang im Land verboten oder unerwünscht, da sich die Schriftstellerin kritisch mit der Geschichte der Sowjetunion und der Roten Armee sowie dem Umgang mit den Opfern von Tschernobyl auseinandersetzte. Auch öffentliche Auftritte wurden durch die Behörden unterbunden. Die Verleihung des Preises hatte damit und so kurz vor den Wahlen in Belarus auch eine klare politische Botschaft: Trotz der auch in Schweden diskutierten Möglichkeit einer Annäherung zwischen der EU und Belarus unterstützt der Westen weiter prominent die Meinungsfreiheit im Nachbarstaat zur EU.

Die Bekanntgabe der Preisverleihung an Frau Alexijewitsch reflektiert jedoch auch symbolisch die inneren Zwiespälte, mit denen sich viele Weißrussen kurz vor der Wahl konfrontiert sahen: So setzt sich Svetlana Alexijewitsch zwar mit der Vergangenheit der Sowjetunion und der Gegenwart von Belarus kritisch auseinander, die Weißrussin schreibt jedoch in ihrer Muttersprache Russisch. Für viele pro-nationale Intellektuelle war dies in der Vergangenheit ein starker Kritikpunkt, obschon nur etwa zehn bis 15 Prozent der Weißrussen tatsächlich Weißrussisch sprechen. Im Grunde genommen symbolisiert Svetlana Alexijewitsch damit die wohl in Belarus weiter währende Frage der eigenen Identität im Spannungsfeld zwischen einer massiven sprachlichen, wirtschaftlichen und politischen Überformung durch Russland und dem zunehmenden Wunsch der Mehrheit der Weißrussen nach Eigenständigkeit auch durch Abgrenzung zu Russland.

Souveränität und Unabhängigkeit

In dieser politischen und gesellschaftlichen Debatte einer Abgrenzung zum großen Bruder im Osten und der damit zwingend verbundenen Folgefrage einer Annäherung an die EU befindet sich Belarus insbesondere seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation. Weder Lukaschenko noch andere Politiker in Belarus konnten in den vergangenen Monaten ignorieren, dass zwischen ihrem Land und dem östlichen Nachbarn auch sicherheitspolitisch mindestens unterschiedliche Auffassungen bestehen. In eine klare Abgrenzung zu Russland ist dies bislang noch nicht gemündet – zu überragend ist die Abhängigkeit von Rohstoffen und finanziellen Hilfen aus Moskau und zu groß die Sorge, dass eine Abnabelung zu Reaktionen Moskaus führen könnte. Im gesamten Wahlkampf und zuletzt am Wahltag hat Lukaschenko daher auch mehrfach deutlich gemacht, dass er Belarus unverbrüchlich an der Seite Russlands sehe. Die Bevölkerung konnte sich bei diesen Wahlen kaum anders als für seine Unterstützung oder einen Boykott der Wahlen entscheiden. Schließlich stellte sich kein einziger Oppositionsvertreter mit einem klaren Alternativprogramm auf dem Wahlzettel zur Abstimmung. Die 38-jährige Tatjana Korotkewitsch verblieb zwar als einzige Oppositionskandidatin auf dem Wahlzettel, aber auch bei ihr standen die Ziele der Souveränität und der Unabhängigkeit des Landes und damit die Themen Lukaschenkos ganz oben auf der Agenda. Änderungen ja, aber langsam und im Dialog mit der Regierung – so lautete im Kern ihr Ansatz, der für die weißrussische Opposition allerdings neu ist. Konkrete wirtschaftliche Vorschläge – Belarus befindet sich in einer massiven Wirtschaftskrise – erhielten die Wähler nicht: Weder von Korotkewitsch noch von Lukaschenko oder den beiden anderen Kandidaten, die ihrerseits systemnah sind.

Der Wahlkampf stand so vor allem unter zwei Paradigmen: Erstens betonten alle vier Präsidentschaftskandidaten das Primat der Stabilität von Belarus. Zweitens jedoch war es offenkundig Ansinnen Lukaschenkos, die Wahlen in einer Weise durchzuführen, dass er nach Innen als weiterhin starker Führer wahrgenommen wurde und im Äußeren möglichst kaum Kritik an den Umständen seiner Wahl laut wurden.

Dies ist ihm – nach den bisher vorliegenden Einschätzungen und Zahlen – weitgehend gelungen. In ihrem ersten Zwischenbericht im September übte die OSZE nur verhaltene Kritik an den Umständen in der Vorwahlzeit. Zu größeren Unruhen, Ausschreitungen, Verhaftungen oder Ähnlichem kam es bis zum Wahltag nicht. Selbst eine Demonstration gegen einen geplanten russischen Militärflughafen in Belarus, eine nicht genehmigte Demonstration der Opposition am Wahlvortag und eine kleinere Demonstration am Wahlabend verleitete die Staatsmacht nicht zum Eingreifen. Natürlich darf nicht übersehen werden, dass es in Belarus sowohl mit Blick auf die Lage der politischen Freiheiten wie auch der Medienfreiheit weiterhin massive Unzulänglichkeiten gibt. Für weißrussische Verhältnisse verlief der Wahlkampf aber genauso wie von Lukaschenko gewünscht: Weitgehend leise und unauffällig.

Wahlergebnisse

Alexander Lukaschenko erhielt sodann am Wahltag nach vorläufigen offiziellen Ergebnissen ein Rekordergebnis von 83,5 Prozent . Dies war der höchste Wert seit 1994 und nochmals um 3,8 Prozentpunkte besser als 2010. Er kann das Land für mindestens fünf weitere Jahre regieren. Die einzige an der Wahl teilnehmende echte Oppositionspolitikerin, Tatjana Korotkewitsch, erreichte mit 4,4 Prozent wider Erwarten nicht einmal einen Achtungserfolg: Sie kam – die offiziellen Zahlen zugrunde gelegt – auf deutlich weniger Prozente als die 2010 angetretenen sieben Kandidaten der Oppositionsparteien zusammen. Damit verpasste sie überraschend das lang erwartete Signal, dass auch Oppositionspolitiker in Belarus zweistellige Ergebnisse erzielen können. Ihr neuer Ansatz, ihr Engagement und ihr moderner Wahlkampf hinterließen in den offiziellen Zahlen keinen Widerhall. Selbst die Zählkandidaten Sergej Gaidukewitsch (3,3 Prozent) und Nikolaj Ulachowitsch (1,7 Prozent) schnitten etwa auf ihrem Niveau ab, obschon diese kaum einen Wahlkampf geführt hatten und nicht für Änderungen im Land stehen. Der Anteil der Wähler, die nach der offiziellen Statistik „gegen alle Kandidaten“ stimmte, fiel von angegebenen 6,5 Prozent (2010) auf 6 Prozent.

Gerade das Ergebnis von Lukaschenko überrascht dabei einerseits nicht. Noch kurz vor den Wahlen hatte er angegeben, dass sich ein guter Präsident mit mindestens 80 Prozent der Stimmen bestätigen lassen müsse. Andererseits wies eine unabhängige Umfrage im September nur eine Zustimmung um die 45 Prozent für ihn aus. Woraus sich dieses deutliche Delta erklären lässt, muss Gegenstand von weiteren Analysen bleiben. Diese müssten ebenfalls klären, weshalb Tatjana Korotkewitsch in der genannten Umfrage auf 17,9% Prozent Zustimmung taxiert wurde und in den Wahlen deutlich schlechter abschnitt. Schwer erklärbar ist zudem auch die hohe Wahlbeteiligung von 86,8 Prozent. Sie reflektiert weder die Daten der Vorwahlumfragen noch die in Gesprächen in Belarus häufig anzutreffende Resignation und politische Passivität.

Abstimmungsverlauf

Wie verlässlich die am Wahltag bekannt gegebenen Stimmen sind, ist damit insgesamt offen. Nach mehreren Wahlen mit teils selbst von Lukaschenko zugegebenen Fälschungen sitzt das Misstrauen in die Gültigkeit der Stimmen tief. Bestärkt wurde dieses durch Berichte auch zu diesen Präsidentenwahlen: Bereits seit dem 6. Oktober waren die Belarussen zur vorfristigen Stimmabgabe aufgerufen. Rekordverdächtige 36 Prozent der Stimmberechtigten sollen diese Möglichkeit genutzt haben – gegenüber der letzten Wahl 2010 eine Steigerung um 13 Prozentpunkte, 2006 lag der Wert bei 31 Prozent. Gerade diese vorfristige Stimmabgabe steht in Belarus traditionell in starker Kritik der Wahlbeobachter, da sie die Kontrollmöglichkeiten der korrekten Stimmabgabe und Stimmenauszählung stark einschränkt. Auch bei dieser Wahl wurden dahingehend Manipulationsvorwürfe laut. Die oppositionsnahe Wahlbeobachtungsorganisation „Right to Choose“ verwies unter anderem darauf, dass in Protokollen von Wahllokalen mehr abgegebene Stimmen dokumentiert wurden, als Wähler durch die Wahlbeobachter bei der Stimmabgabe beobachtet wurden. Die Unterschiede beliefen sich allein am ersten Abstimmungstag allein auf 3,75 Prozent. In den fünf Tagen der vorfristigen Stimmabgabe belief sich dieser Unterschied im Durchschnitt bereits auf 6,2 Prozent und bei manchen Wahllokalen nach vorliegenden Berichten auf 70 Prozent. Alle einschlägigen Erklärungen und Beschwerden der Wahlbeobachter tat die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission als Provokation ab. Berichtet wurden auch Platzverweise, Verbote der Verwendung von Fotokameras und Smartphones sowie auch die Androhung von Kündigungen der Arbeitsplätze der Wahlbeobachter. Über 230.000 Personen im Minsker Stadtbezirk Frunsenskij sollen sich zudem nicht in den Wählerlisten gefunden haben. Vielfach sollen Wahlbeobachter zudem keinen direkten Blick auf die Stimmauszählung am Wahltag erhalten haben.

Ausblick

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Präsidentschaftswahlen sowie den Umgang mit den politischen Gefangenen im Mai als wichtige Gradmesser bezeichnet, die über bessere Beziehungen mit Belarus entscheiden. Nach der Freilassung aller politischen Gefangenen am 22. August durch Lukaschenko war zumindest eine der Bedingungen erfüllt. Inwieweit nun auch die Präsidentenwahlen positiv bewertet werden können, hängt u. a. von der Klärung der Wahlumstände durch die finale Wahlanalyse der OSZE sowie den politischen Bewertungen im Nachgang der Wahl ab.

Wie die Beziehungen zwischen der EU und Belarus darauf aufbauend künftig konkret ausgestaltet werden, bestimmen darüber hinaus vor allem die weiteren Signale, die Alexander Lukaschenko sendet. Sein leichter Öffnungskurs in den letzten Monaten, seine Rolle bei den Friedensverhandlungen in Minsk, sowie ein gemeinsamer Fototermin mit US-Präsident Barack Obama im September und die ersten Vorschläge eines CDU-Bundespolitikers, einen möglichen Weg Weißrusslands in den Europarat zu prüfen, sind gute Voraussetzungen für eine weitere Entspannung. Fraglich ist, ob Lukaschenko dem folgen möchte oder ob sein etwas liberalerer Kurs der letzten Monate vielleicht doch nur innenpolitisches Taktieren für einen Wahlerfolg war.

Möchten die EU-Mitgliedsstaaten den möglichen Weg einer Annäherung weiter gehen, muss zunächst insbesondere die Aussetzung oder Abschaffung der bestehenden Sanktionen gegen die weißrussische Führung diskutiert werden, da diese ein wesentliches Hemmnis für einen tieferen Austausch mit Belarus sind. In mehreren EU-Mitgliedsstaaten scheint sich hierzu mindestens eine Diskussionsbereitschaft abzuzeichnen. Auch wenn Beobachter die aktuellen Wahlergebnisse in Belarus anzweifeln: Zumindest gab es im Umfeld dieser Wahlen bislang keine Verhaftungen von politisch Andersdenkenden, die ja ein Grund für die Sanktionen nach 2010 waren.

Alle Überlegungen für die stärkere Ermöglichung von mehr Gesprächen mit Minsk beantworten jedoch noch nicht eine nach wie vor bestehende Hauptfrage: Gelingt es den pro-europäischen Kräften in Belarus, die verhaltene Öffnung zu stabilisieren und welche Angebote kann der Westen machen, um dies zu fördern. Solange Lukaschenko alternativlos und fast ausschließlich auf russische Unterstützung angewiesen ist und dies auch nicht ändern will, bleibt das Ziel jeglicher verbesserter Beziehungen mit dem Westen unklar. Diese und weitere Aspekte müssen geklärt werden, möchte Europa gegenüber Belarus nicht zuletzt aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus auch stärker strategisch handeln. Eines muss jedoch bei allem im Kopfe behalten werden: Annäherungen zwischen Minsk und der EU gab es bereits viele – Bestand hatten sie nie.

Die bisherige Opposition dürfte bei diesen Prozessen einer eventuellen Annäherung immer weniger eine Rolle spielen: Durch ihr internes Taktieren und ihre mehrheitliche Boykottierung der Wahl hat sie es erneut verpasst, der Bevölkerung bei diesen Wahlen eine echte Alternative zu bieten. Damit hat sie ihre Rolle als Träger von Änderungsgedanken im Land und als Ansprechpartner für das Ausland weiter geschmälert. Immerhin steht mit Tatjana Korotkewitsch nun eine neue moderate Ansprechpartnerin für Gespräche mit dem Westen zur Verfügung – sie dürfte künftig auch stärker international wahrgenommen werden. Korotkewitsch hat angekündigt, auch nach ihrer Wahlniederlage politisch aktiv zu bleiben. Hierbei steht ihr viel Arbeit bevor: Sie benötigt ein noch stärkeres politisches Profil und wird sich vor allem gegen die anderen Oppositionskräfte behaupten müssen, die fast ausnahmslos für einen Wahlboykott eintreten und sie für ihre jetzige Teilnahme kritisieren. Nicht zuletzt wird sich Korotkewitsch die Frage ihrer innerparteilichen Rolle stellen: Sie hat einen ambitionierten Parteichef über ihr und beiden fehlt noch eine schlagkräftige und mitgliederstarke Großorganisation zur Unterstützung der möglichen neuen Hoffnungsträgerin – unter anderem mit Blick auf die für 2016 anstehenden Parlamentswahlen in Belarus. Immerhin hat Korotkewitsch kurz vor der Wahl einen wesentlichen Ritterschlag erhalten. Svetlana Alexijewitsch werde zwar nicht an der Wahl teilnehmen, da das Ergebnis schon vorher feststehe. Wenn sie aber wählen würde, dann Korotkewitsch, so die Trägerin des Literaturnobelpreises.

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23. September 2015
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