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Länderberichte

Ein Jahr Regenbogen über Kenia

von Wolfgang Ahner-Tönnis
Am 12. Dezember 2003 feierte Kenia den größten Jamhuri-Tag seiner Geschichte. Vierzig Jahre Unabhängigkeit waren auch gewiss ein Grund zum Feiern. – Nicht weniger als ca.3 Millionen Euro sollen dafür ausgegeben worden sein - nach Meinung vieler Kenianer ein Betrag, der in der Höhe dem gegenwärtigen Zustand des Landes nicht angemessen war. Dabei besinnt sich das Land sogar seiner Geschichte - die Helden des Unabhängigkeitskampfes, allen voran Kimathi, bei den Feiern zur Unabhängigkeit 1963 schmählich vergessen, sollen nun ein ihnen würdiges Begräbnis finden – in der Hoffnung, man findet auch die Überreste der in den 50-er Jahren von den Briten umgebrachten Mau-Mau-Kämpfer.

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Historisch könnte ein Tag Ende Dezember fast genau so bedeutsam sein, wie der Unabhängigkeitstag: Am 28. Dezember 2002 wurde zum ersten Mal in der Geschichte Kenias in freien und geheimen Wahlen, die diese Bezeichnung auch verdienen, ein Regierungswechsel vollzogen. Nach 39 Jahren Kanu-Herrschaft und 24 Jahren Regierungszeit von Daniel arap Moi musste dieser am 30. Dezember 2002 die Verfügung über die politischen Geschicke des Landes an seinen Nachfolger Mwai Kibaki übergeben. Ob es allerdings nach einem Jahr schon viel zu feiern gibt, ist eine andere Frage, die einer näheren Betrachtung wert ist.

Ein Jahr ist nicht viel Zeit, um Entwicklungen zu korrigieren, die sich über 39 Jahre verfestigt hatten. In der Zeit unter Kenyatta von 1963 bis 1978 war immerhin noch ein wirtschaftliches Wachstum zu verzeichnen, das auch den breiten Bevölkerungsschichten zugute kam, doch seit dem Amtsantritt von Daniel T. arap Moi ging es langsam, aber stetig bergab. Zuletzt betrug die Kaufkraft des Durchschnittseinkommens der Kenianer nicht einmal mehr die Hälfte dessen, was sie zum Zeitpunkt des Amtsantrittes von Moi zur Verfügung hatten. Dafür belegte Kenia in der Rangliste der korruptesten Länder weltweit einen dritten Platz. Weltbank wie IWF hatten ihre Kredite immer mehr zurückgefahren, bis schließlich fast nichts mehr ging.

Die Kenianer waren in der Mehrheit schon lange gewillt, auf demokratischem Weg der Kanu-Herrschaft ein Ende zu setzen. Doch in den beiden vorangegangenen Wahlen 1992 und 1997 konnte dieser Wechsel nicht erreicht werden – es war nicht möglich, die Oppositionsparteien auf einen einzigen Gegenkandidaten einzuschwören, und auch im Parlament waren die Oppositionsparteien machtlos. Die Mehrheit der Stimmen brachte wenig, denn die Bildung von Koalitionen war im kenianischen Recht nicht vorgesehen – und so reichten der Regierungspartei Kanu knapp 30% der Stimmen, um eine beruhigende Mehrheit von über 50% der Sitze im Parlament zu erreichen – das direkte Wahlsystem in Verbindung mit einer geschickten Zuschneidung der Wahlkreise, die eindeutige Bevorzugung der Kanu in den Medien – Fernsehen und Rundfunk war den Oppositionsparteien verwehrt – und manipulierte Wahlurnen taten das ihrige dazu.

Erst im Vorfeld der Wahlen vor einem Jahr gelang das, was vorher nicht möglich schien: Die Opposition, zu Beginn des Wahljahres unter dem Namen „National Alliance for Change“ - der „Nationalen Allianz für den Wechsel“ - unter der Führung der Democratic Party zusammengeschlossen, einigte sich auf Mwai Kibaki als einzigem Präsidentschaftskandidaten. Als Präsident Moi und die regierende Kanu ein halbes Jahr vor den Wahlen ihren Kandidaten vorstellten, waren sich die Kenner der Szene schon einig, dass diesmal Kibaki als einziger Kandidat der Opposition die größeren Chancen hat.

Zwar wurde mit Uhuru Kenyatta, dem Sohn des Gründerpräsidenten Yomo Kenyatta, ein Kikuyu präsentiert, der immerhin einen Teil der wichtigen Stimmen aus der Zentralprovinz und Nairobi holen würde, doch war dies der Anlass, weshalb das erst sechs Monate alte Bündnis von Kanu und Teilen der ehemaligen Opposition, vor allem den ebenfalls nicht unbedeutenden Luos aus dem Westen Kenias, auseinander fiel.

Nicht nur, dass deren Anführer, Raila Odinga, wieder die Fronten wechselte, er nahm auch noch einige der bekanntesten Kanu-Politiker mit, die alle aus der Enttäuschung über die Nominierung von Uhuru keinen Hehl machten. Aus der bereits bestehenden Partei National Alliance for Kenya – NAK - wurde mit den Dissidenten die Nationale Rainbow-Coalition – NARC - die nationale Regenbogen-Koalition. Nach kenianischem Recht eine Partei, die allerdings nicht weniger als sechzehn unterschiedliche Gruppierungen unter einem Dach vereinigt.

Der Sieg für Kibaki war damit vorprogrammiert, mit über 60% der Stimmen schien er noch deutlicher auszufallen als erwartet. Doch schon ein vorläufiger Vergleich mit den früheren Ergebnissen zeigte, dass es nicht so überwältigend war: In der Summe hatte die Opposition auch bei den beiden vorangegangenen Wahlen ähnlich hohe Ergebnisse erzielt. Immerhin hatte Moi in den vorausgegangenen Wahlen lediglich mit 37% (1992) bzw. 40 % der Stimmen gewonnen.

Was neu war – und daher schon die Bezeichnung „historisch“ verdient : die früher miteinander konkurrierenden Anführer der Oppositionsparteien verzichteten auf eine eigene Kandidatur und machten damit den Sieg erst möglich. Dies verdient um so mehr Beachtung, als von vornherein nicht klar war, wie sich die Wähler in dieser Situation verhalten würden. Bislang wurde angenommen, dass nur Kandidaten der eigenen Ethnie Aussicht auf eine Zustimmung bei Wahlen finden - auch wenn bei etwas Nachdenken klar wäre, dass so keine Mehrheit zusammen kommen kann. Doch entspricht dies nichts anderem als nüchternem Kalkül: Man wählt eben am ehesten den Politiker, dem zugetraut werden kann, am besten für sein Klientel zu sorgen, etwa für den Bau von Straßen oder Schulen. Die Erfahrung lehrte eben, dass dafür eher ein Kandidat der eigenen als der einer anderen ethnischen Zugehörigkeit bereit ist.

Doch die Wähler zeigten sich reifer als von ihren Führern eingeschätzt: Der Leidensdruck war wohl groß genug, sie honorierten das Bündnis unter dem Dach von NARC und gaben ihm mit überwältigender Mehrheit ihre Stimme. Die Freude im überwiegenden Teil des Volkes war groß, fast allen Teilen Kenias herrschte Volkfeststimmung.

Es muss an dieser Stelle aber auch erwähnt werden, dass die Zivilgesellschaft in Kenia ganz sicher ihren Anteil an diesem Erfolg hatte – und es ist sicher folgerichtig, dass ihr ein eigener Platz im Parlament mit Professor Kibvana zuerkannt wurde. Die Proteste gegen die Regierung Moi und seiner Helfer gingen in erster Linie von Organisationen der Zivilgesellschaft und nicht von den politischen Parteien aus, die Aufklärung der Wähler wurde zum überwiegenden Teil von dieser Seite geleistet – und der von ihr organisierten politischen Bildung.

Aber der Wahlerfolg war auch ein Ergebnis des zuvor erfolgten wirtschaftlichen Niedergangs, der Enttäuschung weiter Wählerschichten, gerade aus den in Kenia durchaus vorhandenen afrikanischen Mittelschichten. Entsprechend groß waren aber auch die Erwartungen nach Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs – und entsprechend lastet der Druck auf der neuen Regierung.

In einigen Dingen zeigte die Regierung Kibaki sehr schnell ihre Handlungsfähigkeit: Erst wurde in die Tat umgesetzt, was laut Gesetz eigentlich schon jahrzehntelang sein sollte: Der Grundschulbesuch wurde für alle Kinder kostenlos. Der Andrang auf die Schulen war so enorm, dass die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten – an vielen Schulen wurde Schichtbetrieb eingeführt.

Auch wurde bald ein Tribunal eingesetzt, das die Menschenrechtsverletzungen der Moi-Ära aufarbeiten sollte – und es wurde Ernst mit der Korruptionsbekämpfung gemacht. Richter etwa, denen nachgewiesen wurde, dass sie Recht gebeugt hatten, wurden suspendiert.

Konflikte in der Koalition und ihre Ursachen

Die Geschwindigkeit, in der andere Änderungen eingeführt wurden, ließ bald vermuten, dass Kibaki in erster Linie Wahlgeschenke verteilen will: So genehmigten sich die Abgeordneten im Parlament gleich nach den Wahlen eine Erhöhung der Diäten. Der Nachholbedarf schien enorm: Rund 200% betrug die Steigerung. Die Signalwirkung blieb nicht aus: Immer mehr Gruppen im Öffentlichen Dienst setzten die Regierung unter Druck. Seit Oktober 2003 etwa streikte das Personal an den Universitäten und Hochschulen des Landes für Gehaltserhöhungen, die sich an den Diäten der Parlamentsabgeordneten orientieren. Damit ist weiterem Ungemach nicht mehr auszuweichen. Die Gewerkschaften – noch unter Moi zu Gehorsam verpflichtet – kündigten schon die nächsten Streikwellen an.

Auch innerhalb des Kabinetts zeigen sich schon nach wenigen Wochen die ersten Risse: Die Skeptiker, dass sich früher oder später Spannungen innerhalb der Regierungspartei NARC zeigen werden, hatten schneller Recht bekommen, als den Kenianern lieb sein kann. Die Frage, wie lange die neue regierende Koalition aus ehemaligen Oppositionellen, mehrfach gewendeten Politikern und ehemaligen Falken der Kanu-Regierung halten würde, ist wohl eher eine Frage der Zeit. Zugespitzt hat sich dieser Konflikt vor allem zwischen zwei Politikern, die sich noch vor acht Jahren in derselben Oppositionspartei FORD-Kenya zusammen fanden: Raila Odinga, heute Minister für Öffentliche Arbeiten und Bau (entspricht etwa dem Minister für Verkehr und Bauwesen) auf der einen Seite, und Kiraitu Murungi, dem Minister für Justiz und Verfassungsfragen auf der anderen.

Während Murungi wohl zu den eher besonnen Politikern gehört, die für Aufrichtigkeit stehen – er war schon früh FORD-Kenya beigetreten und wechselte erst kurz vor den Wahlen 1997 zur Democratic Party, weil er, wie er sich ausdrückte, der „Regionalisierung der Parteien“ (gemeint war dabei in erster Linie die Auflösung von FORD-Kenya durch Raila Odinga) keine Alternative mehr entgegensetzen konnte.

Raila Odinga auf der anderen Seite gehört wohl zu den schillerndsten Figuren im Kabinett von Mwai Kibaki. Als Sohn des fast legendären Oginga Odinga - zunächst Weggefährte und später Gegner von Yomo Kenyatta - hatte er selbst schon früh damit begonnen, seine Karriere zunächst im Windschatten seines Vaters aufzubauen. Er ging mit ihm ins Gefängnis, und als dieser Anfang 1994 verstarb, wollte er ihn im Vorsitz von FORD-Kenya beerben. Doch gab es innerparteilich zu viel Widerstand, er unterlag1996 in den immer wieder hinausgeschobenen Wahlen zum Vorsitzenden.

Als Gegenreaktion ließ er 1997 die mehr oder weniger schlafende National Development Party – NDP – wieder aufleben, gewann mit ihr Ende 1997 bei den zweiten freien Wahlen in Kenias Geschichte die Stimmen der meisten Luos, blieb aber hinter den Ergebnissen von 1992 zurück, als FORD-Kenya unter der Führung seines Vaters nicht nur Stimmen von den Luos, sondern auch anderer Volksgruppen bekam. Raila verfehlte vor allem das Ziel, bei den Präsidentschaftswahlen einen Achtungserfolg zu erreichen , was er bei seiner gezielten Instrumentalisierung der Luo-Wählergemeinschaft auch gar nicht zu schaffen war.

Die Oppositionsbank war ihm wohl zu hart, er sah sich weiterhin intern zu großem Widerstand ausgesetzt und so wechselte er nach zwei Jahren die Fronten, um mit der Kanu zusammenzuarbeiten. Seine NDP wurde schließlich mit der Kanu verschmolzen zur „New Kanu“, er selbst deren Generalsekretär. Doch sein Ziel war höher gesteckt: Er wollte bei den nächsten Wahlen 2002, bei denen Amtsinhaber Moi nicht mehr antreten durfte, der nächste Präsidentschaftskandidat der Kanu werden.

Raila Odinga blieb als Reaktion auf die Nominierung von Uhuru im Wahljahr kein anderer Weg als eine erneute Kehrwendung - raus aus der Regierung, wieder zurück zur Opposition. Dies kam diesmal einem Erdrutsch gleich: Er kam auch nicht mit leeren Händen, sondern brachte gleich eine Reihe namhafter Kanu-Politiker mit. Auffallend war indes, dass es sich dabei nicht gerade um die reformfreudigsten handelte, und ob Raila das „trojanische Pferd“ spielte oder ob er doch seinen inneren Überzeugungen nachgab, kann von außen schlecht beantwortet werden. Vielleicht erinnerte er sich auch an die Jahre von 1994 bis 1996, als mehrere FORD-K Angeordneten aus dem Luo-Land zur KANU wechselten, aber ausnahmslos die Nachwahlen, die in einem solchen Fall vorgeschrieben sind, verloren haben. Auf jeden Fall waren so die besten Voraussetzungen gegeben, ihn von einer eigenen Kandidatur abzubringen – zumal ihm bei dem zu erwartenden Reform der kenianischen Verfassung der Posten des Ministerpräsidenten versprochen wurde.

Spannungen in der neuen Regierung, die Kibaki nach wenigen Tagen Anfang 2003 vorstellte, gab es gleich zu Beginn: Kibaki war nach Auffassung vieler nicht in der Lage, ein ethnisch ausgeglichenes Kabinett zusammenzustellen – was allerdings auch in etwa der Quadratur des Kreises gleich käme. Doch zeigte sich bald, dass er nicht nur dabei, sondern auch bei der Besetzung vieler wichtiger Positionen – im öffentlichen Dienst, bei Botschaften etc., die alte afrikanische Krankheit zeigte. Er berücksichtigte in erster Linie Leute aus seiner ihm vertrauten Umgebung – inzwischen die „Mount Kenya – Mafia“ genannt. Es handelt sich dabei nicht nur um Kikuyus aus der Region um Nyerei – Kibakis Heimat, sondern auch um namhafte Politiker aus den Reihen der Meru – wie Finanzminister Mwiraria oder Justizminister Murungi und Embu – alles Regionen rings um den Mount Kenya gelegen.

Hinter den Spannungen zwischen Raila Odinga und Kiraitu Murungi verbirgt sich mehr als der Streit um Sachfragen: Seit Bestehen des jungen Staates Kenia hatten vor allem Kikuyu auf der einen und Luo auf der anderen Seite ein wechselhaftes, mal gemeinsames, mal feindliches Verhältnis zueinander: Zuerst waren Odinga und Kenyatta Kampfgefährten, Odinga sogar in der Anfangsphase Vizepräsident, bevor sie sich entzweiten und Odinga nicht nur von den Schalthebeln der Macht entfernt, sogar ins Gefängnis gebracht wurde.

Eine Kenianische Besonderheit: Odinga musste dennoch kaum hungern – trotz seiner Proklamierung des sozialistischen Weges für Afrika wurde er mit Unterstützung von Kenyatta ein einigermaßen erfolgreicher Unternehmer.

Als Kenyatta starb, änderte sich die Stellung der Kikuyus: Von den inneren Zentren der politischen Macht langsam von Moi verdrängt, fanden sie sich immer mehr in der Opposition – allerdings nicht unbedingt an der Seite der Luos. Erst als 1991 die Gründung von Parteien wieder möglich wurde und Odinga das Oppositionsbündnis FORD, das unter seiner Führung stand, zur ersten Oppositionspartei FORD-Kenya umformte, fanden sich auch prominente Vertreter der Kikuyus und anderer Ethnien darunter. Jedoch nicht Mwai Kibaki: Er gründete – wenn auch erst 1992 – seine eigene Partei, die Democratic Party.

Erst die Rückbesinnung Raila Odingas im Wahljahr 2002 machte wieder möglich, was 1992 nicht zuletzt durch die Kikuyus verhindert wurde: Die Einigung der Oppositionsparteien unter einem gemeinsamen Dach. Luos waren neben den anderen wichtigen Ethnien wieder vereint mit Kikuyus – allerdings waren letztere wiederum gespalten. Mit der Nominierung von Uhuru Kenyatta sollte zumindest ein Teil der Stimmen der Kikuyus, der weitaus zahlreichsten Ethnie Kenias, für die Kanu geholt werden.

Doch jenseits aller Wahl-Arithmetik: So erfreulich das Ergebnis auch war, allen Beteiligte n war schon zum Zeitpunkt der Schmiedung des Wahlbündnisses klar, dass Konflikte vorprogrammiert waren. Einem Teil sollte dadurch entgangen werden, indem Raila Odinga für das neu zu schaffende Amt des Prime-Minister vorgeschlagen wird – und zwar in Verbindung mit der längst notwendigen Reform der kenianischen Verfassung. Neben mehr Gewaltenteilung sollte darin vor allem Neutralität und Unabhängigkeit der Gerichte wieder hergestellt– und schrittweise eine Dezentralisierung vorbereitet werden, die den Distrikten und Provinzen wenigstens etwas Autonomie zubilligt.

Die Perspektiven

Es ist nicht zu unterschätzen, dass das politische Klima in Kenia besser geworden ist – hier zeigen sich auf jeden Fall Fortschritte. Doch dürfte dies in vier Jahren nicht mehr Wahl entscheidend sein. Es kommt dann sicher eher darauf an, wieweit Kibaki Erfolge vorzuweisen hat.

Ärgerlich ist zunächst, dass der Prozess der Verfassungsreform unverständlicherweise lange hingehalten wird. Schon werden Mitglieder des Kabinetts zitiert, die meinen, dass die Diskussion um die Verfassungsreform nun, da Moi nicht mehr an der Macht sei, ja wohl hinfällig geworden ist. Das ist allein schon deshalb gefährlich, weil angesichts des Alters von Kibaki – er ist jenseits der achtzig – jederzeit die gleich Situation wie 1978 auftreten könnte. Der als Nachfolger des im August verstorbenen Michael Wamalwa ernannte Vize-Präsident Moody Awori würde dann laut geltender Verfassung zum Präsidenten ernannt, mit immer noch erheblichem Machtumfang.

Awori kam im Gefolge von Raila zur NARC und war davor in den Reihen der KANU nicht gerade bei den fortschrittlichen Kräften zu suchen. Die Folgen sind nicht auszudenken. Das Hinhalten der Verfassungsreform wäre aber die falsche Strategie, will man Raila Odinga aus den zentralen politischen Entscheidungen weiter fern halten. Vor allem ist die Reform der Verfassung die notwendige Grundlage dafür, dass auch wirtschaftlich Erfolge möglich werden.

Unverständlich ist auch, dass die Reform der Verfassung nicht nur wegen inhaltlich strittiger Fragen – etwa der Ausgestaltung von politischen Befugnissen für den Ministerpräsidenten oder der künftigen Parlamente in der Provinzen, sondern auch wegen Geschacher um die Posten der neu zu schaffenden Stellen für diverse Kommissionen auf der Stelle tritt. Dazu ist mehr Entschlossenheit als bislang notwendig, will diese Regierung der historischen Chance gerecht werden, die sie wahrnehmen sollte. Ihr Erfolg kann anderen demokratischen Kräften in Afrika Auftrieb geben – ihr Misserfolg folgerichtig der Gegenseite

Die Internationalen Geldgeber wie der IWF zeigen sich bislang noch kooperativ: Nachdem ein überzeugender Wirtschaftsplan vorgelegt wurde, wurden Ende des Jahres 2003 zusammen ca. 320 Milliarden Kenianische Schilling – immerhin über 3,5 Mrd. Euro - Kredite für Infrastrukturmaßnahmen in Aussicht gestellt. Voraussetzung allerdings: 24.000 Entlassungen aus dem Öffentlichen Dienst, keine weiteren Gehaltserhöhungen und die bereits genehmigten müssen wieder zurück genommen werden, die Privatisierung von Staatsbetrieben muss weiter gehen.

Finanzminister David Mwiraria hat alle Hände voll zu tun, diese Maßnahmen zu rechtfertigen. Die Öffentlichkeit schont ihn nicht - die Vorwürfe in der Presse gehen soweit, hier von einer Demütigung der Geldgeber zu sprechen, die die Kenianer wie Sklaven behandle. Dabei hätte Mwiraria schon viel früher – etwa bei der Diätenerhöhung - die Notbremse ziehen müssen. Die Wirtschaft Kenias befindet sich noch in einer schwierigen Situation. Wie sensibel der Tourismus-Bereich etwa, ehemals Kenias wichtigster Devisenbringer, nach wie vor ist, zeigte die Bombendrohung Anfang Dezember für Nairobi: Fast 50% der Buchungen in den Hotels an der Küste für das wichtige Weihnachtsgeschäft wurden storniert.

Man gewinnt den Eindruck, dass von Kibaki nicht die nötige Unterstützung kommt. Er scheint über alle Probleme erhaben zu sein, von einer zielgerichteten Reformpolitik weit entfernt. Der Respekt der Kenianer vor ihrem Präsidenten sitzt immer noch sehr tief, so dass es aus den eigenen Reihen zurzeit keinen zu geben scheint, der ihm entgegenhält.

%Präsident Mwai Kibaki muss hier über seinen eigenen Schatten springen und die Autorität seines Amtes dafür – und nicht für Vetternwirtschaft - einsetzen. Es war zuvor bekannt, dass er nicht zu den Entschlussfreudigsten gehört – er war im Grunde der „kleinste gemeinsame Nenner“ der Opposition, wohl aufgrund seiner Erfahrung, weil er 1997 wenigstens noch in die Nähe des Stimmenanteils von Moi kam – und er hatte ein Alter vorzuweisen, das zur berechtigten Annahme verhalf, dass er nur eine Amtsperiode bestreiten wird.

Zum Jahresende 2003 hatten die Minister Kiraitu und Raila einen Burgfrieden geschlossen, der Kampf um die Verfassungsreform ist noch nicht verloren – aber wohl ein wichtiges Jahr. Die Frage ist, ob die historische Aufgabe richtig verstanden wurde. Auch ein Erdrutschsieg aus dem Jahr 2002 hilft auf die Dauer nicht viel. Wenn die Wähler in vier Jahren wieder zur Urnen gerufen sind, ist Schlimmes zu erwarten bis hin zur Manipulation der Wahlen durch eine zuvor demokratisch gewählte Regierung. Dies passierte freilich in Afrika nicht zum ersten Mal.

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