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Länderberichte

Indien und die Bush-Administration

von Prof. Dr. Gert W. Kück
Nach Ansicht von Amitabh Mattoo, dem Direktor des "National Security Programme" an der Jawaharlal Nehru Universität, habe es im Verhältnis zwischen Indien und den USA nicht oft Gelegenheit gegeben, die wahrscheinliche Richtung ihrer weiteren Beziehungen schon nach den ersten hundert Tagen einer neuen US-Regierung beurteilen zu können. In den ersten Monaten ihrer Amtszeit sei Indien früher nur höchst selten auf dem Radarschirm amerikanischer Präsidenten erschienen. Wenn man sich jedoch Bushs überaus schnelles Reagieren gegenüber Indien schon zu Beginn seiner Präsidentschaft vergegenwärtige, würden die indisch-amerikanischen Beziehungen in Zukunft sicher nicht an mangelndem Interesse Washingtons leiden.

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Dies ist auch die vorherrschende Meinung der meisten politischen Beobachter in New Delhi. Beide Staaten hatten schon unter US-Präsident Clinton, besonders seit dessen Besuch in Indien im März 2000, und im Ergebnis des Gegenbesuches von Premier Vajpajee in den USA im September desselben Jahres für ihr Verhältnis ganz neue Akzente gesetzt. Damals kam es zur Unterzeichnung eines "Vision Statement", das als Hauptziel die Herbeiführung engerer Beziehungen zwischen den "beiden größten Demokratien der Welt" nennt, und mehrerer Absichtsabkommen zur Verstärkung der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit.

Nach dem Präsidentenwechsel war man sich in New Delhi zunächst nicht klar darüber, ob sich dieser Neubeginn fortsetzen und den angestrebten engeren Beziehungen zu den USA förderlich sein werde oder nicht. Immerhin hatte sich Clinton erst zum Ende seiner zweiten Amtszeit entschlossen, die Indienkarte voll zu spielen. Nunmehr ist es aber in der Tat beeindruckend, wie Präsident Bush und seine Administration von Beginn an auf Indien zugehen und mit welcher bisher nicht gekannten Intensität beide Seiten bestrebt sind, die gegenseitigen Kontakte zu verstärken und auszubauen. Alles deutet darauf hin, dass eine weit höhere Ebene in den Beziehungen erreicht werden soll und wird.

Als Ausdruck dessen werden in Indien, zweifellos zu Recht, eine Reihe vielversprechender bilateraler Kontaktinitiativen gesehen. Aufmerksamkeit erregten zunächst die Ergebnisse der Visite des indischen Außenministers Jaswant Singh in Washington. Er sprach nicht nur mit Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfield und Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice, sondern hatte am 6. April im Oval Office auch ein zunächst nicht vorgesehenes Zusammentreffen mit Präsident Bush. Besonders letzteres kann, obwohl als "spontan" zustande gekommen deklariert, nur verstanden werden als wohlkalkuliertes Signal der USA nach Südasien und weit darüber hinaus, sowie als betonte Absichtserklärung, daß die Beziehungen zu Indien für sehr bedeutsam gehalten werden.

Hervorgehoben in Indien wird weiterhin die Wahl New Delhis zusammen mit Tokio und Seoul als eines der drei Reiseziele in Asien während der Mission des stellvertretenden US-Außenministers Richard Armitage nach Bushs Ankündigung seiner "Ballistic Missile Defence"-Absichten in einer Rede vor der National Defence University in Washington. Signifikant sei auch die bereits nach drei Monaten Amtszeit und somit sehr schnell erfolgte Ernennung von Christina Rocca für das Portefeuille Südasien im US-State Department sowie die Nominierung von Robert D. Blackwill, einem Bush-Vertrauten, zum neuen US-Botschafter in Indien (die vor Entscheidungen über Botschafter in wichtigen Staaten Europas fiel und ganz im Gegensatz dazu steht, dass der Posten in New Delhi im ersten Jahr der Clinton-Regierung vakant blieb).

Beide werden als ausgesprochene Befürworter verbesserter und neu strukturierter Beziehungen zwischen den USA und Indien angesehen und als Insider, die auf Grund ihrer Erfahrung und ihrer Kontakte die Politik der Bush-Regierung nachhaltig beeinflussen können. Als indienfreundlicher Schritt wird auch die Ernennung von Richard Haas zum neuen Direktor für Politikplanung verbucht, der in den letzten Jahren als Leiter der "Foreign Policy Studies" der Brooking Institution Indien mehrfach besucht hat und als Befürworter engerer Beziehungen der USA zu Indien angesehen wird.

Der Christina Rocca, einer früheren CIA-Mitarbeiterin und außenpolitischen Beraterin des republikanischen Senators Sam Brownback, vor anderen Mitbewerbern gegebene Vorzug wird als unmissverständlicher Beweis für die Bereitschaft der Bush-Regierung gewertet, die im Gefolge der Kerntests vom Mai 1998 ausgesprochenen Sanktionen gegen diese beiden Staaten aufzuheben, Indien dabei aber wegen der undemokratischen Verhältnisse in Pakistan vorzuziehen und ihm nunmehr eine primäre Bedeutung in Südasien zuzuerkennen. Rocca gilt nicht als Südasienexpertin, setzte sich aber dafür ein, dass Pakistan auf die Liste der terroristische Aktionen unterstützenden Staaten gesetzt wurde, und war maßgeblich am Zustandekommen des auf die Aufhebung der US-Sanktionen gegen Indien und Pakistan gerichteten Brownback Amendments beteiligt.

An hervorragender Stelle in den indischen Medien erschien die Nachricht, dass Botschafter Blackwille Ende Juni bei seiner Anhörung im Kongress in Vorbereitung seiner vorgesehenen Entsendung erklärte, dass die Aufhebung der Sanktionen gegen Indien "unverzüglich" erfolgen sollte und zur Durchsetzung einer nachhaltigen Politik der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen aus strategischen Gründen für die USA geraten sei.

Es wurde daran erinnert, dass auch Außenminister Powell bereits früher in seiner Anhörung Sanktionen nicht als geeignetes Instrument amerikanischer Politik bezeichnet hatte, und dass Finanzminister Paul O'Neill gegenüber seinem indischen Kollegen Yaswant Sinha am Rande der jüngsten Tagung des Entwicklungskomitees von Weltbank und IWF seine Unterstützung für die baldige Aufhebung der Sanktionen in Aussicht gestellt habe.

Von indischen Politikern und Beobachtern naturgemäß positiv registriert wurde der Bericht "Patterns of Global Terrorism-2000" des State Department und besonders Außenminister Powells einführende Bemerkungen, in denen auf die Bedeutung engerer internationaler Zusammenarbeit, darunter mit Indien, bei der Bekämpfung des Terrorismus hingewiesen wird. Andere Ansichten, nach denen Pakistan in diesem Bericht zu unkritisch behandelt worden sei, fanden vielfachen Widerspruch, verurteilte der Bericht doch unmissverständlich die verstärkte Unterstützung der pakistanischen Regierung für die Taliban in Afghanistan sowie für die Anwerbung und Ausbildung von Mitgliedern der im indischen Teil von Kaschmir aktiven militanten Gruppen und für deren subversive Aktionen.

Große Bedeutung wird auch den Gesprächen im Juni beigemessen, die fast zur selben Zeit sowohl Brajesh Mishra, der äußerst einflussreiche Chef des Büros des indischen Premierministers und zugleich Nationaler Sicherheitsberater, im Auftrage der indischen Regierung, als auch Sonia Gandhi, in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der größten indischen Oppositionspartei Congress(I), in den USA führten.

Dabei wurden Kontakte auf höchster Ebene nicht nur vom Emissär der Regierung, sondern auch von Frau Gandhi wahrgenommen bzw. gepflegt. Unter anderem traf sie mit Vizepräsident Cheney, Richard Armitage und Condoleeza Rice sowie mit führenden Wirtschaftsvertretern zusammen.

Nach den Worten von Botschafter Dennis Kux vom Woodrow Wilson Center hat ein indischer Oppositionsführer damit erstmalig derart allseitige Aufmerksamkeit erfahren, was als Anerkennung der indischen Demokratie und des funktionierenden indientypischen Zweiparteiensystems zu werten sei (vgl. Outlook, New Delhi, 9. Juli 2001, S. 36). Beide Politiker konnten sich der Unterstützung der in den USA lebenden und vor allem wirtschaftlich (sowohl absolut als auch im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen) überdurchschnittlich sehr erfolgreichen Inder gewiss sein, die unterdessen im Senat und im Repräsentantenhaus eine einflussreiche Lobby aufgebaut haben und diese wirkungsvoll zu nutzen wissen.

Aus offizieller indischer Sicht erscheint nunmehr eindeutig klar, dass zwischen Indien und den USA - trotz einiger noch nicht ausgeräumter Ressentiments - eine rasche Annäherung der jeweiligen Interessenlage in substantiellen Fragen erfolgt und zum Teil sogar schon eine offensichtliche Interessenidentität besteht. Als diesbezüglich primär eingestuft werden

  • die beiderseits vorhandene, übergreifende Besorgnis im Hinblick auf die Stabilität in Asien, die Proliferationsfrage,
  • das Verhältnis zu Pakistan,
  • die Kaschmirproblematik,
  • der Kampf gegen den grenzüberschreitenden Terrorismus und natürlich
  • Wirtschaftsfragen (letztes sei hier nur erwähnt, wobei Indien vor allem an Direktinvestitionen im Energie- und Transportsektor und im Umweltbereich sowie an technischem Know-how liegt und die USA besonders die IT-Kapazitäten und den riesigen Markt Indiens besser für sich erschließen wollen).
Dabei wird das zunehmende Interesse der USA an Indien vom offiziellen New Delhi als Triumph konsequent an den nationalen Interessen orientierter außen- und sicherheitspolitischer Grundsätze und als Beweis der Richtigkeit der Politik der BJP-geführten Koalitionsregierung unter Premier Vajpayee gewertet. Möglich geworden sei dies infolge des durch die Nukleartests vom Mai 1998 international und besonders bei den USA ausgelösten Wahrnehmungseffektes zugunsten Indiens, mehr jedoch noch als Folge der Anerkennung der besonnenen indischen Politik im Kargil-Konflikt, vor allem der Entscheidung, die "Line of Control" nicht zu überschreiten.

Den USA sei nunmehr bewusst, welche Rolle das demokratische Indien bei der Aufrechterhaltung eines Kräftegleichgewichtes auf diesem Kontinent spiele und noch verstärkt spielen werde. Vor allem unter den Republikanern Amerikas sei die Befürchtung gewachsen, dass China - sich langsam aber sicher zu einer militärischen und wirtschaftlichen Großmacht entwickelnd - langfristig die Interessen der USA in Asien bedrohen könnte und daher ein Gegengewicht geschaffen werden müsse.

Unübersehbar ist also, dass bei indischen Entscheidungsträgern nach wie vor China als die eigentliche und dazu noch unberechenbare Gefahr für Indien angesehen wird (vgl. dazu Ministry of Defence, Government of India, Annual Report 2000-2001, S. 3) und dass man hofft, den in den USA vorhandenen Trend zur Schaffung einer Balance in Asien im Interesse der Stärkung der eigenen Position nutzen zu können. Die Partnerschaft der USA mit einem militärisch starken und wirtschaftlich prosperierenden, zugleich aber pluralistischen und säkularen sowie berechenbaren Indien erhält aus indischer Sicht somit mehr und mehr den angemessenen Stellenwert.

Die USA müssten an einer solchen Partnerschaft rein schon aus Gründen des internationalen Sicherheitsgleichgewichtes ein Interesse haben, zusätzlich aber wegen des in Indien seit der Unabhängigkeit fest etablierten, in China aber nicht gegebenen demokratischen Systems. Zu denken geben müsste den USA die chinesische Expansionspolitik gegenüber Indien, die seit geraumer Zeit nicht mehr nur den gesamten Nordwesten, Norden und Nordosten Indiens berühre (Pakistan, Kaschmir, Tibet, Unterwanderung der kleinen nordöstlichen indischen Unionsstaaten), sondern auch von der chinesischen Infiltration Myanmars und den dort unterhaltenen Marine- und Radarstützpunkten ausgehe.

In diesem Zusammenhang fanden Berichte großes Interesse, nach denen Senator Brownback in einer (wie verlautet von Christina Rocca vorbereiteten) Rede vor der Brookings Institution im Februar gesagt hat (vgl. Outlook, New Delhi, 7. Mai 2001): "Die Barrieren des kalten Krieges sind Vergangenheit und es ist an der Zeit, dass sich die beiden größten Demokratien der Welt auf allen Ebenen zusammenfinden. Unsere beiden Nationen haben sich viel zu geben ... Indien sieht eine von China ausgehende Bedrohung, einem Kernwaffen besitzenden Staat, mit dem es zwei Kriege ausgefochten hat und der seinen Einfluss an alle indischen Grenzen ausgedehnt hat. Die USA haben ebenfalls Probleme mit China und es ist deutlich, dass engere Beziehungen mit Indien ein strategisches Gleichgewicht in Südasien begünstigen und helfen würden, die regionale Stabilität dort aufrechtzuerhalten."

Demgegenüber formulierte Condoleeza Rice in ganz anderer Tonart, dass die USA gute Beziehungen zwischen allen wichtigen Mächten in Asien anstreben, gute Beziehungen zwischen Indien und China wünschen und seine Bemühungen um verstärkte Beziehungen mit Indien nicht als gegen China gerichtet sehen möchten (siehe The Hindu, New Delhi, 20. Juni 2001).

Wie bereits angedeutet ist China für Indien natürlich nicht der alleinige Bestimmungsfaktor seiner Beziehungen zu den USA. Befürchtet wird in führenden Regierungskreisen und von der Mehrheit der Experten für internationale Sicherheitsfragen in Indien, dass der Bush-Linie entgegenarbeitende Bürokraten im State Department, im Pentagon und in Langley die "Proliferationsfalle" offenhalten und die USA in die Rolle eines "Friedensmachers" in Kaschmir drängen wollen.

Damit ist gemeint, dass es aus indischer Sicht völlig aussichtslos geworden ist, bessere Beziehungen der USA zu Indien vom Drängen zum Verzicht Indiens auf Kernwaffen abhängig machen zu wollen - zumal die USA gerade wegen der Ablehnung der Republikaner im vorherigen Senat den CTBT nicht ratifiziert haben. Auch ist die von New Delhi strikt abgelehnte, von Pakistan aber befürwortete Einschaltung Dritter in die Lösung des Kaschmirkonfliktes für Indien nach wie vor absolut unakzeptabel.

In diesem Zusammenhang wird für wichtig gehalten, nachdrücklich immer wieder auf die traditionell aktive Haltung Indiens zugunsten der Nichtweitervergabe und schliesslichen Beseitigung von Nuklearwaffen und auf die Notwendigkeit der stärkeren Kooperation zwischen den USA und Indien zur Verhinderung des Erwerbs von Kernwaffen durch "unberechenbare Staaten" zu verweisen. Weiterhin zeigt man sich Hinweisen von amerikanischer Seite offen, daß es im Interesse regionaler und internationaler Sicherheitsaspekte notwendig ist, eine möglichst baldige und nachhaltige friedliche Lösung des Kaschmirkonfliktes zu erreichen.

Sicherlich falsch wäre es, die von Premierminister Vajpayee an den ehemaligen "Chief Executive" und inzwischen selbsternannten Präsidenten Pakistans, General Musharraf (der nunmehr automatisch zum Staatsgast des indischen Präsidenten Narayanan avanciert ist) ausgesprochene Einladung zum Besuch Indiens und zu Gesprächen über das gegenseitige Verhältnis auf US-amerikanische Intervention zurückzuführen. Unzweifelhaft ist jedoch, dass sowohl Indien als auch Pakistan damit eine atmosphärische Lage berücksichtigen, die stark vom Drängen Washingtons auf eine Minderung der Spannungen in Südasien bestimmt ist.

Das für den 14. und 15. Juli terminierte Zusammentreffen wird - zumal angesichts des enormen Pro- und Kontradrucks, unter dem beide Repräsentanten innenpolitisch in ihren jeweiligen Staaten stehen - hochgespannte Erwartungen wohl kaum erfüllen können.

Eine Bereitschaft zur Bewegung auf beiden Seiten wurde im Vorfeld zwar verbal signalisiert Pakistan beharrt jedoch nach wie vor auf seiner Position, dass eine Lösung des Kaschmir-Problems die conditio sine qua non für jedwede Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen sei, während Indien die Kaschmirfrage nur als Teil der Gesamtbeziehungen sieht und deren Lösung schrittweise durch Verbesserungen z. B. auf den Gebieten der Ausdünnung der Militärpräsenz, des Handels, der industriellen und wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit oder durch humanitäre Erleichterungen im Besucherverkehr usw. erreichen wi ll.

Dabei ist Indien bereit, in seinen internen (sprich innerindischen) Bemühungen um den Friedensprozess in Jammu und Kaschmir fortzufahren, gleichzeitig Washington aber nicht im Zweifel zu lassen, dass der Kaschmirkonflikt begründet sei in Pakistans bisherigem und immer noch gültigem Selbstverständnis als theokratisch-muslimischer Staat und in den ungelösten inneren Problemen dieses Landes.

Gehofft wird, die USA zwar nicht zur Abkehr von Pakistan, wohl aber zu einer modifizierten Haltung ihm gegenüber bewegen zu können. Sich dem aufgeschlossen zu zeigen, gibt es angesichts des seit Anfang der 90er Jahre deutlich zugenommenen regionalen und internationalen Gewichts Indiens und der, vor allem infolge der Beendigung des Kalten Krieges, verminderten strategischen Bedeutung Pakistans für die USA zumindest eine Reihe guter Gründe.

Nur in diesem Kontext ist die rasche Zustimmung Indiens zum "National Missile Defence"-Projekt der Bush-Administration zu verstehen. Allen offiziellen Verlautbarungen zufolge wurden die Vorstellungen der USA zur Schaffung eines Raketenabwehrsystems schnell und weitgehend ohne Vorbehalte begrüßt, weil einerseits der damit letztlich einhergehen sollende internationale Abbau der Atomwaffenarsenale der traditionellen indischen Haltung in der Abrüstungspolitik entspreche. Andererseits hofft Indien offensichtlich dadurch zu erreichen, dass die USA die indische Politik der minimalen nuklearen Abschreckung tolerieren und parallel dazu die wirtschaftlichen Sanktionen vollständig zurücknehmen.

Indien hat das Bedürfnis, die ihm - im eigenen Selbstverständnis - im südasiatischen Raum und weltweit zustehende Rolle auch einnehmen zu können. Als wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang wird die eigene Fähigkeit zur atomaren Abschreckung betrachtet (vgl. Ministry of Defence, Annual Report 2000-2001, a.a.O., S, 9-11). Eine solche Abschreckung wird wegen der Bedrohung der Sicherheit Indiens und seiner nationalen Integrität, die von Pakistan und China ausgehen würde, und angesichts des Beharrens der etablierten Atommächte auf ihrem Atomwaffenbestand auch für moralisch gerechtfertigt gehalten.

Die Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei: BJP), der wichtigste Partner der von der "National Democratic Alliance" gebildeten Koalitionsregierung, hat sich von jeher gegen "nukleare Apartheid" ausgesprochen und eine "minimale atomare Abschreckungskapazität" für Indien befürwortet. Das wird damit begründet, dass Indien geographisch in einer sehr volatilen Region mit alten Konflikten gelegen sei. Die ganze Nachbarschaft Indiens, von Nordkorea und China bis in den Westen, sei voller Atomwaffen und Raketen. Als besonders gefährlich anzusehen wäre, dass nahezu alle größeren indischen Städte seit 1998 in der Reichweite der neuen pakistanischen Raketengeneration lägen und chinesische Raketen in Tibet stationiert seien.

Indischerseits aufgenommen wird der in der internationalen Diskussion verschiedentlich geäußerte Gedanke, von einer "National Missile Defence" (NMD) zu einer international vereinbarten und abgesicherten "Ballistic Missile Defence (BMD)" überzugehen. Indien will dazu seinen Beitrag leisten, wobei es davon ausgeht, dass die totale weltweite atomare Abrüstung das erklärte Ziel bleibt. Unter den gegebenen Umständen, in denen die Erreichung dieses Ziels jedoch in weiter Ferne liege, müsse aber ein Land, welches eine autonome Rolle in der Welt spielen will, auch eine autonome Verteidigungspolitik betreiben.

Immer wieder betont New Delhi, dass Atomwaffen für Indien eine rein defensive Funktion hätten, wie der einseitig ausgesprochene Verzicht auf einen atomaren Erstschlag zeige. Insgesamt hätten sich die zunächst gestörten Beziehungen zu vielen Ländern nach den Atomwaffentests vom Mai 1998 wieder deutlich verbessert. Als Beispiele hierfür werden Südostasien und Australien genannt. Auch das Ansehen, das sich Indien mit seiner Entscheidung erworben habe, im Kargilkonflikt 1999 die "Line of Control" zum pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs nicht zu überschreiten, habe einen wichtigen Beitrag zur Rehabilitierung Indiens auf internationaler Bühne geleistet.

Eine Mitwirkung bzw. Einbeziehung Russlands in die von den USA ausgelöste Diskussion über ein Raketenabwehrsystem ist nach indischer Meinung unabdingbar, da im Zusammenhang mit der geplanten NATO-Osterweiterung, aber auch als Folge der EU-Erweiterung - beides ohne Russland - eine Tendenz dieses Landes verstärkt würde, sich stärker nach China zu orientieren (und somit "Russland in die Arme Chinas" getrieben werde). Man meint zwar, dass Russland zu groß für eine EU-Mitgliedschaft ist, hofft aber einerseits, dass eine weitere Annäherung an die NATO helfen kann, hier einen gewissen Ausgleich zu erreichen sowie eine "Achse China-Russland" zu verhindern. Andererseits könne Indien ein dadurch geschaffenes "Übergewicht im Norden und Westen" allerdings nur mit Sorge betrachten.

Indien sucht auch den Problemen, die aus dem Gefährdungspotential des islamischen Nationalismus in Zentralasien resultieren, nicht zuletzt durch eine Partnerschaft mit den USA zu begegnen. Dabei wird wiederum auf Pakistan verwiesen, das in der Regel als das Hauptzentrum des Terrorismus in der Welt bezeichnet wird. Der wahrscheinlich langfristig gegebene Ausschluss der Türkei aus der EU-Erweiterung wird beifällig kommentiert, weil damit eine weitere Stärkung (die türkische NATO-Mitgliedschaft sei schon problematisch genug) des islamischen Faktors in zwar weiterer, aber immerhin vorhandener geographischer Nachbarschaft verhindert werde.

Generell wird deutlich, dass Indien es als notwendig, gewissermaßen als lebenswichtig für die Aufrechterhaltung der gegenwärtig gegebenen Dynamik in der Weiterentwicklung des Verhältnisses zu den USA ansieht, auf den hierorts - wohl durchaus richtig - als Bushs "neue Indienpolitik" charakterisierten Bestandteil weltweiter Initiativen der neuen amerikanischen Regierung nicht nur schlechthin mit einer positiven und aufgeschlossenen Haltung, sondern mit aktiven Beiträgen zu reagieren.

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