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Länderberichte

Kampf um slowakische Justiz in vollem Gang

von Dr. Hubert Gehring, Christoph Thanei
Zwist um Wahl des Generalstaatsanwalts bedroht Regierungskoalition

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Noch kein ganzes Jahr ist die slowakische Mitte-Rechts-Koalition der christlich-liberalen Ministerpräsidentin Iveta Radičová (SDKU-DS) im Amt und schon scheint ihr Schicksal zum wiederholten Mal auf Messers Schneide zu stehen. Die Premierministerin droht nicht zum ersten Mal offen mit ihrem Rücktritt, der laut Verfassung gleichbedeutend mit dem Ende der gesamten Regierung wäre. Wie schon Ende des vergangenen Jahres verknüpft Radičová ihren Verbleib an der Regierungsspitze mit dem Ausgang einer in Kürze anstehenden Parlamentsentscheidung: Sollte der von der sozialdemokratischen Opposition unterstützte Generalstaatsanwalt Dobroslav Trnka die Wahl gewinnen, werde sie zurücktreten, hatte die Regierungschefin schon im November gedroht. Nur um ein Haar musste sie damals ihre Drohung nicht wahr machen. Trnka verfehlte die nötige absolute Mehrheit in der geheimen Wahl um gerade eine Stimme.

Offensichtlich war, dass Trnka von mehreren Koalitionsabgeordneten unterstützt worden war, die damit offen den Sturz ihrer eigenen Regierung riskiert hatten. Die Koalition hat damit aber nur eine Atempause gewonnen. Noch im Mai, der genaue Tag der Abstimmung im Parlament steht noch nicht fest, steht die nächste Abstimmungsrunde an. Die jetzt so heftig umkämpfte Funktion des Generalstaatsanwalts (in der Slowakei eigentlich als Generalprokurator bezeichnet) ist eine der Schlüsselpositionen im gesamten slowakischen Rechtssystem.

Längerfristig will Radičová die Machtfülle dieser Funktion beschränken, kurzfristig geht es ihr darum, zumindest einmal die Wiederwahl des für sie nicht akzeptablen bisherigen Amtsträgers zu verhindern. (Offiziell ist Trnka seit kurzem nicht mehr im Amt, weil seine Funktionsperiode ohne gültige Neuwahl ausgelaufen ist, er hat aber weiterhin starken Einfluss auf seinen interimistischen Nachfolger.)

Prüfstein für den Kampf gegen Korruption und Seilschaften

Dass Radičová eine auf den ersten Blick reine Personalentscheidung zur Schicksalsfrage für ihre Regierung macht, während sie zum Jahresende ohne lauten Protest hinnahm, dass wichtige Elemente ihrer zuvor als Kompromiss von allen vier Koalitionsparteien abgesegneten Planungen für den Staatshaushalt von eigenen Abgeordneten im Parlament in Frage gestellt wurden, scheint nur auf den ersten Blick überraschend. Hinter ihrer Kompromisslosigkeit steht nämlich in Wahrheit eine weit über temporäre Finanzplanungen hinausreichende Grundsatzentscheidung, die das gesamte slowakische Justizsystem, ja sogar die gesamte slowakische Gesellschaft in eine neue Richtung führen soll: Der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft war nämlich von Anfang an ihr Herzensanliegen gewesen, mit dem sie schon in den Wahlkampf 2010 gegangen war. Und die Funktion des Generalstaatsanwalts ist eine der wichtigsten Schlüsselfiguren in dieser weitreichenden Reform.

Auch ausländische Investoren, allen voran die Deutsch-Slowakische Industrie- und Handelskammer (DSIHK) hatten seit jeher als eine der größten Schwächen des Wirtschaftsstandorts Slowakei die Korruption und Intransparenz der Justiz und die auch damit zusammenhängende Mangelhaftigkeit der Einforderung von Rechtsansprüchen kritisiert.

Ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz ist bereits geschafft: Seit Beginn diesen Jahres müssen Geschäftsverträge, in denen es um staatliche Aufträge oder Verkäufe geht, vollständig im Internet veröffentlicht werden, wo sie von jedermann ohne Angabe von Gründen eingesehen werden können. Ohne Veröffentlichung im Internet werden Verträge, in denen es um Staatsgelder geht, gar nicht erst rechtskräftig. Auch wenn auf Korruptionsbekämpfung spezialisierte Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International und Aliancia Fair-play noch offene Wünsche bezüglich der technischen Verwendbarkeit der dafür neu geschaffenen Internetseite www.zmluvy.gov.sk (zmluvy bedeutet einfach Verträge) haben, sehen sie in dieser sogleich nach Regierungsantritt beschlossenen Maßnahme einen historischen Schritt in der Korruptionsbekämpfung.

Radičová und ihre ebenfalls zur größten Regierungspartei Slowakische Demokratische und Christliche Union (SDKÚ) gehörende Justizministerin Lucia Žitňanská wollen aber viel weiter gehen: Denn nur, wenn die Justiz auch konsequent gegen Korruption vorgeht, lassen sich vollständige Transparenz und Rechtssicherheit auch wirklich durchsetzen. Gerade der Justizapparat selbst gilt aber laut Umfragen unter der Bevölkerung als einer der undurchschaubarsten und korruptesten Bereiche der slowakischen Gesellschaft. Darin vermuten die Medien seit langem einen der wichtigsten Gründe dafür, dass immer wieder eine Vielzahl vermeintlich offenkundiger Korruptionsfälle und anderer in die Staatswirtschaft und Politsphäre hineinreichender Vergehen unaufgeklärt bleibt oder aus "Mangel an Beweisen" mit Freisprüchen endet.

Symbolfiguren einer intransparenten Justiz

Als unausweichliche Voraussetzung für eine effiziente Korruptionsbekämpfung sehen Radičová und Žitňanská daher den grundlegenden auch personellen Umbau des (nicht nur) ihrer Meinung nach von Verwandschafts- und Freundeskreis-Seilschaften unterwanderten Justizapparats. Wichtigste Symbolfigur für den Widerstand gegen solche Reformpläne ist der ehemalige Justizminister und seit Juni 2009 Präsident des Obersten Gerichts, Štefan Harabin. Ihm wirft die Regierung vor, das Justizsystem quasi "privatisiert" (Zitat Innenminister Daniel Lipšic) und eigenen Cliquen-Interessen untergeordnet zu haben.

Doch auch Generalstaatsanwalt Dobroslav Trnka habe sich in den vergangenen Jahren als Bremser statt als treibender Motor bei der Aufarbeitung politischer Skandale benutzen lassen, meinen Radičová und die meisten Medien. Die Funktion des Generalstaatsanwalts ist - noch als Relikt kommunistischer Zeit mit einer außergewöhnlich großen Machtfülle ausgestattet. Er persönlich kann im Extremfall darüber entscheiden, dass schwerwiegende Anklagen fallen gelassen oder gar nicht erst erhoben werden. Entscheidet er sich für die Niederschlagung von Ermittlungen, dürfen auch andere Staatsanwälte sie nicht mehr aufnehmen. Und Trnka habe sich gerade in politisch besonders heiklen Verdachtsfällen für die Einstellung weiterer Ermittlungen entschieden, sagen seine Gegner aus dem Regierungslager.

Trnka trage deshalb persönlich die Verantwortung dafür, dass der von den Medien aufgedeckte dringende Verdacht illegaler Parteienfinanzierung ausgerechnet gegenüber den beiden größten Parteien des Landes nicht weiterverfolgt wurde. Aber auch in anderen politisch sensiblen Fällen sei Trnka aus politischen Rücksichtnahmen untätig geblieben - etwa in der Aufarbeitung der Affäre um die mutmaßlich von Rechtsextremisten attackierte ungarische Studentin Hedviga Malinova. Dabei wird dem sozialdemokratischen Ex-Innenminister Robert Kaliňák und der Polizei vorgeworfen, aus politischen Gründen die Wahrheit unterschlagen zu haben. Trnka hat dafür aber trotz anfänglich gezeigter Entschlossenheit keine ausreichenden Nachweise finden wollen und die Ermittlungen einschlafen lassen.

Umstrittene Parteienfinanzierungen als politischer Sprengstoff

Den größten politischen Sprengstoff in Zusammenhang mit Trnkas möglicher Wiederwahl haben aber die beiden Parteienfinanzierungsaffären. Im einen Fall geht es dabei um die 2006 bis 2010 regierende Partei Smer-Sozialdemokratie von Ex-Premier Robert Fico. Ficos Partei unterstützt offen Trnka, der die gegen sie erhobenen Vorwürfe trotz heftiger Medienkritik als nicht ausreichend für strafrechtliche Ermittlungen eingestuft hatte.

Und im anderen Fall geht es um die bis 2006 erstmals und nun seit Sommer 2010 neuerlich regierende SDKU-DS, zu der auch Radičová gehört. Parteichef der SDKU-DS ist weiterhin der frühere Ministerpräsident Mikuláš Dzurinda. Dass er kurz vor der Parlamentswahl 2010 auf seine Spitzenkandidatur verzichten musste, hing unmittelbar damit zusammen, dass er die Verantwortung für die in der Vergangenheit unklare Parteienfinanzierung von SDKU übernommen hatte. Dzurinda bestreitet weiterhin, dass über ein kompliziertes Netzwerk von Firmen in Europa und Übersee aus Staatsgeschäften abgezweigte Summen in die Parteikasse umgeleitet wurden. Er hat aber eingeräumt, dass die Finanzierung seiner Partei nicht ausreichend transparent sei.

Erst durch den unter Druck erzwungenen politischen Rückzug Dzurindas konnte Radičová Spitzenkandidatin der SDKU-DS und schließlich Premierministerin werden. Gerade weil sie als Quereinsteigerin über keine eigene Machtbasis in der Partei verfügt, konnte auf sie kein Schatten des Finanzierungsskandals fallen. So gelang es ihr als Spitzenkandidatin einer im Zwielicht des Betrugs- und Korruptionsverdachts stehenden Partei glaubwürdig mit dem Versprechen der Korruptionsbekämpfung Wählerstimmen zu gewinnen.

Damit steht Radičová ihren Wählern aber in der Pflicht und ihre politische Glaubwürdigkeit ist von kaum einem anderen Faktor stärker abhängig als von ihrer Konsequenz bei der Aufarbeitung von intransparenten Geschäften u.a. auch ihrer eigenen Partei.

Wie schwer sie es dabei hat, zeigt sich auch daran, dass Parlamentarier ihrer eigenen Partei zunächst Trnka nicht nur unterstützten, sondern sogar formell zur Wiederwahl vorschlugen. Als Konsequenz ihrer wiederholten Rücktrittsdrohungen tritt die SDKU-DS mittlerweile aber ebenso wie die drei anderen bürgerlichen Regierungsparteien geschlossen gegen eine Wiederwahl Trnkas auf. Wenig überraschend fiel aber gerade auf Mitglieder der SDKÚ sofort der Verdacht des "Verrats", als sich Ende 2010 zeigte, dass in der geheimen Parlamentsabstimmung auch Koalitionsabgeordnete für Trnka gestimmt haben mussten. Zwar mag die Angst vor einer genaueren Untersuchung der Finanzaffäre durch einen weniger passiven Trnka-Nachfolger ein Motiv dafür sein. Ebenso möglich wäre aber auch, dass Abgeordnete der teils inhomogenen anderen Koalitionsparteien gegen die Regierungslinie gestimmt haben könnten. Auch dafür wurden von Medien und Politikern jede Menge Motive genannt. Sie reichen von offener Korruption bis hin zur Absicht, Radičová stürzen zu wollen, um eigene politische Ambitionen besser verfolgen zu können. Der einzig sichere Sieger einer Niederlage Radičovás wäre aber nach übereinstimmender Ansicht aller Beobachter der Ex-Premier und nunmehrige sozialdemokratische Oppositionsführer Robert Fico als Chef der noch immer mit Abstand stärksten Partei.

Umstrittene Strategien für den Koalitionserfolg

Nach den ersten "Abstimmungspannen" der Koalition zum Jahresende 2010, als im Parlament kein Kandidat die geheime Wahl des Generalstaatsanwalts gewinnen konnte, aber Trnka jeweils stärker als seine von einer Abstimmung zur anderen wechselnden Gegner aus dem Regierungslager abschnitt, verfolgten die Medien hauptsächlich die von den Koalitionsparteien inszenierte Suche nach "Verrätern" im eigenen Lager. Abgesehen von Oppositionspolitikern hinterfragte aber anfangs kaum jemand die verschiedenen Methoden, die die Regierungsparteien anwendeten, um ihren Erfolg in der geheimen Wahl sicher zu stellen: Manche Abgeordnete gingen zu zweit und zu dritt hinter den Abstimmungsvorhang, andere wiederum fotografierten ihre Stimmzettel vor der Stimmabgabe, um ihr "richtiges" Wahlverhalten beweisen zu können. Dies alles geschah trotz der unmissverständlich in der Geschäftsordnung des Parlaments vorgeschriebenen Geheimhaltungspflicht der Stimmabgabe (die wie jedes normale Gesetz nur durch eine entsprechende Parlamentsmehrheit aufgehoben werden kann, aber nicht durch Absprachen umgangen werden darf).

Gegen diesen Bruch der Geschäftsordnung erhob nicht nur die Oppositionspartei Smer-Sozialdemokratie Klage vor dem Verfassungsgericht, sondern auch der unter dem Druck der koalitionären Kritik immer unverhüllter vom parteiunabhängigen Kandidaten zum alleinigen Nominanten der Opposition mutierte Trnka. Und prompt gab nun Ende April das Verfassungsgericht Trnkas Klage Recht: Sein Recht auf eine geheime Abstimmung über seine Kandidatur sei durch die Manipulationen der Regierungsabgeordneten verletzt worden. Die geheime Abstimmung sei daher zu wiederholen. "Die Koalition legt neuerlich ihren Kopf auf´s Schafott", kommentierte dies umgehend die oppositionsnahe Tageszeitung Pravda nicht ohne Häme.

Auf Bedenken stößt aber auch die Absicht der Koalition, den Wahlmodus für die Wahl des Generalstaatsanwalts von geheimer auf öffentliche Abstimmung zu ändern. Den diesbezüglichen Gesetzesbeschluss von Anfang April dieses Jahres hob Staatspräsident Ivan Gasparovic sogleich am Ende desselben Monats wieder auf. Auch ein erwartbarer Versuch der Koalition, dieses Präsidentenveto durch eine neuerliche Abstimmung, für die die absolute Mehrheit der stimmberechtigten Abgeordneten nötig ist, zu überwinden, dürfte noch im Mai anstehen - in der selben Sitzung, in der zum voraussichtlich letzten Mal geheim über die Trnka-Nachfolge abgestimmt wird.

Gegner der Änderung des Wahlmodus argumentieren vor allem damit, dass dies die einzige Chance sei, eine freie Entscheidung der einzelnen Abgeordneten ohne Rücksicht auf Koalitionsdisziplin zu ermöglichen und damit der Funktion des Generalstaatsanwalts eine gewisse Parteiunabhängigkeit zu gewährleisten. Wenn schon eine einfache Parlamentsmehrheit ausreiche, müsse wenigstens die Geheimhaltung dafür sorgen, dass die Besetzung einer so wichtigen Funktion im Rechtssystem nicht einfach von der jeweils gerade amtierenden Regierungskoalition aus politischen Motiven gegen die Opposition durchgesetzt werden könne. Wenig überraschend hatte sogleich nach dem Parlamentsbeschluss zur Abschaffung der geheimen Wahl Oppositionschef Fico gewettert: Die Koalition habe damit "der slowakischen Demokratie das Genick gebrochen". Sie wolle mit allen Mitteln dafür sorgen, dass alle wichtigen Kontrollfunktionen durch ihre Kandidaten besetzt würden.

Mit einer ganz anderen Argumentation trat nun hingegen Zuzana Wienk von der NGO Aliancia Fair-play an die Öffentlichkeit: Die ganze Diskussion um die Wahl des Generalstaatsanwalts sei allzu politisiert und verdränge das grundsätzlichere Problem, dass endlich das ganze Justizsystem von Korruption gesäubert werden müsse. Ein Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz sei nicht erwartbar, solange es möglich sei, dass Richter strafversetzt würden, weil sie sich nicht korrumpieren ließen. - Solche Fälle seien aber derzeit noch Realität, beklagte Wienk.

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