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Länderberichte

Nigeria im Dilemma des Klimawandels

von Dr. habil Klaus Paehler
„Klimawandel in Nigeria ist eine tickende Zeitbombe und es gibt wenig oder nichts, was zur Milderung seiner Folgen getan wird!“ Nnimmo Bassey, Nigeria

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Einige Fakten

Häufig wird argumentiert, Afrika brauche sich um den Klimawandel nicht weiter zu kümmern, da von ihm nur global vernachlässigbare Treibhausgase ausgehen. Da der Klimawandel primär von den entwickelten Länder verursacht werde, sollten diese sich auch darum kümmern. Bittere Ironie des Schicksals: Von allen Kontinenten trägt Afrika am wenigsten zum Klimawandel bei, wird darunter aber wohl am meisten leiden. Ein typischer Fall von negativen externen Effekten, einer Externalisierung von Kosten, würden Ökonomen sagen: Ein Unbeteiligter trägt die Kosten der Handlungen anderer.

Afrika produziert nach amerikanischen Angaben pro Jahr etwa eine Tonne CO2 pro Person. Südafrika, das mit Abstand industrialisierteste Land des Kontinents, produziert 8,44t, während Mali am anderen Ende der Industrialisierungsskala weniger als eine zehntel Tonne pro Person und Jahr produziert.

Die USA generieren im Vergleich etwa 16t/Jahr und Person, insgesamt also 5,7 Mrd.t oder 23 % der Weltproduktion. Damit sind sie der größte Produzent. Der neue Stern am CO2 – Himmel, China, wird die USA aber bald übertreffen. Diese Angaben stammen zwar aus 2002, dürften sich aber in den Proportionen nicht wesentlich geändert haben. Sie dienen hier nur der groben Einordnung Afrikas in die Problematik: Ganz Afrika produziert danach nur etwa 920.000t/Jahr, also weniger als 4% der Weltproduktion. Hier hat die Rückständigkeit des Kontinents einmal einen positiven Aspekt.

Da Afrika einer Anzahl von ressourcenverzehrenden Stressoren ausgesetzt ist (von HIV über Korruption bis zu dauernden blutigen Konflikten), bleiben ihm vergleichsweise wenig Ressourcen, auf den Klimawandel proaktiv zu reagieren. Wenn er, wie dargelegt, für den Kontinent ein externer Schock ist, verursacht durch die Externalisierung von Kosten durch Dritte, liegt hier aus Sicht vieler Ökonomen ein vertretbarer Grund für Kompensationszahlungen und/oder Hilfeleistungen.

Auf dem vom deutschen Bundespräsidenten initiierten deutsch-afrikanischen Gipfel im Januar des Jahres in Accra rief der damalige nigerianische Präsident Obasanjo dann auch zu internationaler Hilfe zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels auf und forderte, alle Länder sollten die entsprechenden internationalen Vereinbarungen einhalten.

Mögliche Folgen

Da etwa 40% des afrikanischen Bruttosozialproduktes in der Landwirtschaft erzielt werden, und wiederum etwa 70% aller afrikanischen Arbeitskräfte auf oft marginalen Böden beschäftigt sind, wird sofort deutlich, welche verheerenden sozio-ökonomischen Folgen schon geringe klimatische Verschlechterungen haben können.

Fischbestände an den Küsten – Ghana verlor seit 1970 etwa 50% - oder in langsam ganz austrocknenden Seen nehmen ab, wie etwa im Tschad–See, der bereits auf ein Zehntel geschrumpft ist und von dem die Wasserversorgung von über 10 Mio. Menschen in den Anrainerstaaten abhängt. (Nigeria ist wie Niger, Tschad und Kamerun Mitglied der „Lake Chad Basin Commission“, aber durch durch das rapide Austrocknen des Sees möglicherweise nicht einmal mehr Anrainer.) Dies wiederum führt zu Überweidung der Bestände an Wild („bushmeat“) oder zum Überspringen von Krankheiten etwa von verzehrten Schakalen oder Affen auf den Menschen. Ökosysteme, deren Teil wir sind, sind eben höchst komplexe Syteme mit unerwarteten Nebenwirkungen an allen möglichen Stellen, die näher zu diskutieren hier nicht der Ort ist.

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Tschad-See, Satellitenbild 2001, der kleine blaue Fleck ist der See heute, die grüne Fläche ist Vegetation auf dem Boden des ehemaligen Sees, ganz oben: der Schrumpfungsprozeß, Quelle: WIKIPEDIA

„Die Wüste wächst. Weh’ dem, der Wüsten birgt!“ wußte schon Nietzsche. Die Ernährung immer noch dramatisch wachsender Bevölkerungen – Nigerias Bevölkerung wuchs in den letzten 15 Jahren von 89 Mio. auf 140 Mio. Menschen – wird gefährdet, weil mit zunehmender Verwüstung oder Sahelisierung die natürlichen Ressourcen abnehmen, etwa im Norden Nigerias, während gleichzeitig der Meeresspiegel an seiner tropischen Küste im Süden steigt (s. Karte). Dies könnte langfristig zu Binnenmigration und resultierenden Konflikten um die schrumpfenden Ressourcen (bebaubare Böden, Wasser) führen.

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Quelle: ECONOMIST

Auch internationale Konflikte sind zu erwarten, da Klimaflüchtlinge sich kaum durch die innerafrikanischen Grenzen aufhalten lassen werden. Einige Quellen sprechen bereits jetzt von einem Anteil illegaler Immigranten in Südafrika oder Nigeria von ca. 30%. Um eine Vorstellung zu geben: Steigt der Meeresspiegel um 20cm, werden in Nigeria 740.000 Menschen verdrängt, steigt er um 1m, sind es 3.7Mio., bei 2m wären es 10 Mio. Von der UNCCC in Nairobi war zu hören, Lagos (zwischen 7-14 Mio. Einwohner) könne eines Tages ganz einfach im Meer versinken. Vor dieser Hintergrundfolie müssen die Bemühungen oder genauer: Nicht-Bemühungen Nigerias, mit den absehbaren Problemen umzugehen, gesehen werden.

Kyoto und seine wirtschaftlichen Auswirkungen auf Nigeria

Politiken, die dem Klimawandel durch Senkung des Verbrauches fossiler Brennstoffe wie Öl, Gas oder Kohle Einhalt gebieten wollen, haben natürlich erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die Produzenten oder besser: Lieferanten dieser Brennstoffe. Nigeria ist achtgrößter Öllieferant der Welt. Die neuntgrößten Gasvorräte lagern hier. Von einer nachhaltigen Senkung des Verbrauches dieser Energieträger wäre die nigerianische Volkswirtschaft massiv betroffen. Sie ist praktisch eine Monokultur: Etwa 80% der Einnahmen der Regierung, 90-95% der Exporterlöse und über 90% der Deviseneinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Von 1970-1990 wurden insgesamt etwa 200 Mrd. US-Dollar aus dem Erdölgeschäft erlöst.

In den letzten Jahren versucht Nigeria daher zu diversifizieren. In Kuppelproduktion mit dem Öl fällt auch Gas an, das bisher ganz überwiegend (ca. 75%) einfach abgefackelt wird, weil es an technischen Anlagen zu seiner Nutzung fehlt. Dieses Gas wird nicht etwa von hohen Türmen aus verbrannt sondern oft direkt auf der Erde, da, wo es aus dem Boden austritt.

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Im ölreichen Nigerdelta, Quelle: Friends of the Earth International
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dto.

Die dadurch entstehenden Dioxine und anderen Karzinogene schädigen Einwohner und Umwelt. Das Land fackelt mehr Gas ab als irgendein anderes Land: 2,5 Mio. Kubikfuß pro Tag. Das entspricht 40% des gesamten in Afrika genutzten (!) Gases und trägt durch das enthaltene Methan und CO2 mehr zur globalen Erwärmung bei als die Emissionen ganz Sub-Sahara-Afrikas zusammen. Das weltweite Abfackeln von Gas führt zu jährlich 400 Mio. Tonnen CO2, gemäß einer aktuellen Studie der Weltbank. Nigeria ist für rund ein Sechstel des weltweiten "gas flarings" verantwortlich. Allerdings gehört Nigeria laut Weltbankstudie mit 15 weiteren ölproduzierenden Staaten zu den Ländern, die das Abfackeln von Gas zwischen 1995 und 2006 stufenweise reduziert haben. Bis 2008 will Nigeria das Abfackeln vollständig beenden.

Die Befolgung des Kyoto-Protokolls ist für das Land also ein zweischneidiges Schwert: Auf den Klimawandel dürfte sie sich langfristig positiv auswirken, auf seine wirtschaftliche Ent¬wick¬lung aber kurzfristig negativ. Die Einhaltung des Kyoto-Protokolls würde die Einnahmen der OPEC-Staaten, zu denen Nigeria gehört, bis 2010 um 25% reduzieren. Für die nigerianische Entwicklungsplanung wäre dies eine Katastrophe: Dringend nötige Investitionen in Bildung oder Infrastruktur könnten allenfalls zum Teil vorgenommen werden, mit dauerhaft negativen Folgen für den Entwicklungspfad des Landes.

Eine wichtige Rolle dürfte hier auch Chinas Energiesicherungspolitik mit ihrem stark wachsenden Engagement in den extraktiven Industrien Afrikas spielen, und am Rande sei erwähnt, daß Nigeria plant, in mittlerer Zukunft ca. 4000 MW aus eigenen Kernkraftwerken zu beziehen. Die Frage nach der Reaktorsicherheit mag man in einem Land, in dem es keine stabile herkömmliche Stromversorgung gibt und dessen Luftraum vom Präsidenten als unsicher bezeichnet wurde, gar nicht erst stellen. Das ökologische Szenario des Landes könnte sich über Nacht grundlegend verändern.

Nigeria hat das Kyoto-Protokoll zwar unterschrieben (es gehört zu den Nicht-Anhang-1-Staaten und ist also nicht zu Maßnahmen verpflichtet), aber IPPA (Institute for Public Policy Analysis), Mitbegründer der „Global Coalition on Climate Change“ aus 26 NRO aus 23 Ländern glaubt, Nigeria käme mit eigenen Initiativen besser mit dem Klimawandel zurecht. Interessant ist, daß IPPA den Klimawandel für den Alarmismus von Interessenten hält. Viele vorgeschlagene Politiken würden Nigeria eher schaden als nützen.

Nigeria solle stattdessen seine Anpassungskräfte stärken, zum Beispiel durch den Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen. Dadurch würden ausländische und inländische Investitionen, Handel und Wohlstand angeregt. Die Fähigkeit des Landes, mit Herausforderungen spontan umzugehen, werde dadurch ebenfalls gestärkt. Das ist im Prinzip ein völlig richtiger Ansatz. Aber so sehr der Verfasser mit marktwirtschaftlichen Strukturen sympathisiert - sie verbinden ja die Desiderate Freiheit und Wohlstand – so skeptisch ist er hinsichtlich deren Realisierung in Nigeria. Wie in so vielen Entwicklungsländern auch wird hier „Kapitalismus für die Armen“ mit „Sozialismus für die Reichen“ kombiniert.

„Was tun?“ fragt Nigeria sich nicht

Die nigerianische Politik oder auch die öffentliche Diskussion befassen sich mit den angesprochenen Problemen so gut wie gar nicht. Zu sehr waren die beiden letzten Jahren von der innenpolitischen Machtfrage beherrscht, ob der gegenwärtige Präsident durch eine Verfassungsänderung die Chance auf eine dritte Amtszeit bekommen würde, als daß inhaltlich politische oder erst recht dem Bewußtsein des Landes so ferne Fragen wie der Klimawandel außerhalb der Zirkel von Fachleuten oder Umwelt-NRO wirklich Aufmerksamkeit gefunden hätten. Entwicklungspolitisch hat man kurzfristig viel dringendere Sorgen und strategische Weitsicht ist hier nicht unbedingt fester Bestandteil der Politik. Zudem entziehen sich die mit dem Klimawandel verbundenen Probleme und Lösungsstrategien in ihrer Komplexität oberflächlichem Politgerede.

Die Entwicklungsplanung des Landes erkennt die wirtschaftliche Bedrohung durch den Klimawandel und die Gefahr durch verringerten Verbrauch fossiler Energieträger sinkender Öleinnahmen nicht einmal, geschweige denn, daß sie Konzepte dafür vorlegt. In der dafür zuständigen National Planning Commission soll das Thema allerdings künftig stärker beachtet werden. Hier hat der soeben gewählte Präsident eine weitere wichtige Aufgabe: Diversifizierung der Volkswirtschaft, Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen (in diesem Falle Unabhängigkeit vom Verkauf dieser Brennstoffe), Wiederbelebung der darniederliegenden Landwirtschaft, Industrialisierung (der Anteil der Industrieproduktion am BSP ist hier im Lauf der Jahre auf etwa 6% zurückgegangen) und Entwicklung des kaum existierenden Dienstleistungssektors sind einige Stichworte.

In jedem Falle ist dem neuen Präsidenten Weitsicht zu wünschen, sonst könnte das Land von einem der beiden Hörner des Dilemmas aufgespießt werden: Klimawandel oder sinkende Ölerlöse.

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