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Parlamentswahlen in der Republik Moldau

von Sven-Joachim Irmer

Eine geopolitsche Zäsur

Die Parlamentswahlen in der Republik Moldau am 30. November 2014 werden eine geopolitische Zäsur darstellen. Zum einen handelt es sich um den ersten Urnengang nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens des Landes mit der EU am 27. Juni 2014, zum anderen findet die Wahl im Kontext der Entwicklungen in der Ukraine statt, die in der moldauischen Bevölkerung Ängste hinsichtlich einer möglichen russischen Militärintervention ausgelöst haben.

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Letzteres belegt eine im September durchgeführte Umfrage, bei der sich 68 Prozent der Befragten „sehr besorgt” zeigten, dass Russland gegen die Republik Moldau militärisch vorgehen könnte. Gleichzeitig sind neben dem “eingefrorenen Konflikt” in Transnistrien auch in der südlich gelegenen autonomen Region Gagausien zunehmend separatistische Tendenzen zu vernehmen. Vor dieser in der Geschichte der Republik Moldau einmaligen geopolitischen Konstellation wird die Parlamentswahl wegweisend für die europäische Zukunft des Landes sein.

Die politischen Akteure im Vorfeld der Wahlen

Die pro-europäische Regierungskoalition, bestehend aus der Liberaldemokratischen Partei (PLDM), der Demokratischen Partei (PDM) und der Reformliberalen Partei (PLR), die als Splittergruppe aus der Liberalen Partei (PLR) hervorgegangen ist, steht am 30. November vor allem aus zwei Gründen vor einer Zerreißprobe. In erster Linie hat die Regierung unter Premierminister Iurie Leancă (PLDM) beachtliche Erfolge zu verzeichnen. Dazu gehören die Abschaffung der Visapflicht für moldauische Bürger für den Schengen-Raum, der Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union verbunden mit dem lange erwarteten und für die moldauische Wirtschaft wichtigen Freihandelsabkommen. Dennoch bleibt die sozioökonomische Situation vieler Moldauer desolat und macht sie anfällig für populistische und anti-europäische Parolen. Wie sehr die Armut als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen wird, zeigt u. a. eine Umfrage vom Oktober 2014, bei der 31 Prozent der Befragten angaben, dass arme Menschen die am meisten diskriminierte Schicht des Landes darstellten. Ein weiterer Indikator für den fragilen Zustand der moldauischen Gesellschaft bzw. Wirtschaft ist die Tatsache, dass die Geldüberweisungen moldauischer Gastarbeiter aus dem Ausland 2013 noch etwa 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrugen. Die größte Gruppe moldauischer Arbeitsmigranten befindet sich in Russland. Danach folgen Italien, Spanien, Portugal und Frankreich. In Deutschland arbeiten nur rund 12.000 Moldauer. Die Unzufriedenheit wird u. a. auch durch das geringe Vertrauen in führende Koalitionspolitiker beflügelt. So steht hinter der PDM ein Oligarch mit sehr zweifelhaftem Image. Der Vorsitzende der PLDM, seinerseits ein vermögender Geschäftsmann und früherer Premierminister, hat durch die politischen Krisen während seiner Regierungzeit und Korruptionsvorwürfe, die von seinen politischen Gegnern zusätzlich ausgeschlachtet werden, massiv an Vertrauen verloren.

Die Unzufriedenheit mit der Situation im Land bleibt hoch, auch wenn sich das Meinungsbild seit dem Amtsantritt von Premierminister Leanca im Juni 2014 kontinuierlich zugunsten der Regierung verbessert hat. Waren Anfang des Jahres noch 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung überzeugt, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt, hat sich dieser Wert mittlerweise halbiert. Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen hat sich etwas angehoben, bleibt aber auf niedrigem Niveau. Während etwa 70 Prozent der Bevölkerung angeben, kein Vertrauen in die Regierung als Institution allgemein zu haben, zeigen Meinungsumfragen zugleich, dass etwa 50 Prozent zumindest begrenztes Vertrauen in die konkrete Regierung Leanca haben, während der Premierminister historisch hohe Umfragewerte hat. Umso fragwürdiger erscheint, dass die pro-europäischen Parteien sich im Wahlkampf nicht auf die Politiker mit den höchsten Vertrauenswerten aus ihren Reihen konzentrieren. So hat sich die PLDM zwar zu Leanca als Kandidaten für ein neues Mandat als Premierminister bekannt, rückt jedoch stärker den Parteivorsitzenden Vlad Filat als Spitzenkandidaten auf Listenplatz eins in den Vordergrund. Dass Vlad Plahotniuc auf Platz zwei der PDM-Liste erscheint – und damit noch vor dem über hohe Vertrauenswerte genießendem Parlamentspräsidenten Corman – mag auch die Zustimmungswerte für die Demokraten beeinträchtigen. Schließlich wird die Liste der PL von deren Vorsitzendem Mihai Ghimpu angeführt, der für seine pro-rumänischen Positionen bekannt ist, bei anderen Wählern aber kaum Zustimmung findet, anstatt von dem gerade unter jüngeren Wählern wesentlich beliebteren Bürgermeister von Chişinău.

Wahlumfragen im September zufolge kann die PLDM mit einem Ergebnis zwischen 15 und 18 Prozent rechnen, die PDM zwischen 7 und 11 Prozent, die PL schwankt um die 7 Prozent (hinzu kommen 20 bis 30 Prozent unentschiedene Wähler). Die PLR wird aller Voraussicht nach die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen. Die meisten Stimmen wird voraussichtlich die von Altpräsident Vladimir Voronin geführte Partei der Kommunisten (PCRM) gewinnen. Knapp ein Viertel der Wähler, insbesondere ältere Menschen sowie Angehörige russischsprachiger nationaler Minderheiten, scheinen fest entschlossen für die PCRM zu stimmen. In den vergangenen Jahren hatte die PCRM für einen Beitritt zur Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan plädiert. Mittlerweile hat sich die Parteiführung für einen neutralen Kurs entschieden, der u. a. eine Fortsetzung der vom EU-Assoziierungsabkommen vorgesehenen Reformen, jedoch auch gute Beziehungen zu Russland in Aussicht stellt. Hiermit versucht die PCRM wohl, nach der Parlamentswahl für alle möglichen Partner koalitionsfähig zu sein. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass Moskau in der PCRM keinen Partner für eine geopolitische Umkehr des Landes sieht. Darauf deuten u. a. die offenkundige Unterstützung Russlands für andere Parteien sowie der scheinbar fehlgeschlagene Versuch, innerhalb der PCRM einen Aufstand gegen Voronin zu unterstützen. Die PCRM ihrerseits hat an der Abstimmung zur der Ratifizierung des Assoziierungsabkommens mit der EU nicht teilgenommen und nimmt mittlerweile eine ambivalente Haltung zur europäischen Integration ein.

Als Gegner der europäischen Integration profiliert sich zunehmend ein „Geschäftsmann“ mit zweifelhaftem Hintergrund namens Renato Usatîi, der neben der moldauischen auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt. Seine Versuche, eine eigene Partei registrieren zu lassen, sind gescheitert, er konnte jedoch wählbare Plätze auf der Liste der bislang bedeutungslosen, aber zur Wahl zugelassenen Partei „Partidul Patria” (Heimatspartei) ergattern. Usatîi war an der Finanzierung eines – nach moldauischem Recht illegalen – Referendums in Gagausien im Februar 2014 über die geopolitische Ausrichtung des Landes und über eine mögliche Unabhängigkeit im Falle einer Wiedervereinigung der Republik Moldau mit Rumänien beteiligt. Unter dem Motto „Nu Mafia“ schlachtet Usatîi vor allem die Unzufriedenheit vieler Menschen mit der latenten Korruption im Lande aus und konzentriert seine Angriffe dabei auf Vlad Filat von der PLDM. Bei seiner bereits seit Monaten laufenden Kampagne kann er offenbar auf massive finanzielle Mittel zurückgreifen, die eine Fremdfinanzierung seines Wahlkampfes nahelegen. Usatîi ist in den vergangenen Wochen mit zunehmend ausgefallenen, medienwirksamen Aussagen aufgefallen. Erst kürzlich erklärte er, dass er in der Republik Moldau „ein Führungsmodell wie in Belarus” einführen wolle. Vor einigen Tagen drohte er den in Chişinău akkreditierten Diplomaten, dass er in den Botschaften Karaoke-Clubs eröffnen werde, wenn sich die Diplomaten „nicht anständig benehmen” würden. Diese offensichtlich populistische Linie wird flankiert von einem vor allem in den russischsprachigen Medien verbreiteten Image Usatîis als Philanthrop sowie als vermeintliches Opfer der ihm und seinen Anhängern gegenüber repressiven Regierungskoalition. In diesen zumeist russisch finanzierten Medien wird über seine Tätigkeit ausführlich und ausschließlich positiv berichtet. Usatîi bedient in seinem Diskurs auch Ängste – vor allem unter den nationalen Minderheiten – bezüglich einer Annäherung an Rumänien und erklärte unlängst, an der Grenze zum Nachbarland eine Kopie der Großen Chinesischen Mauer errichten zu wollen. Auch wenn solche Aussagen aus Sicht westlicher Beobachter skurril erscheinen mögen, zeigen Umfragen, dass Usatîi mit aller Wahrscheinlichkeit die Fünf-Prozent-Hürde überwinden wird. Da Usatîi unzufriedene Wähler aus allen politischen Richtungen mobilisiert und mit seiner radikalen Rhetorik vielen Erstwählern imponiert, ist es vor allem seine Partei, die einen Wahlsieg der pro-europäischen Parteien verhindern könnte. Usatîi hat angegeben, einer Regierungskoalition mit den Kommunisten oder mit der pro-russischen Partei der Sozialisten (PSRM) von Igor Dodon beitreten zu wollen.

In der Moldau ist die Ansicht verbreitet, dass es sich bei der PSRM ebenfalls um ein von Moskau finanziertes politisches Projekt, das explizit auf den Beitritt der Republik Moldau zur Zollunion und auf die Ablehnung des europäischen Kurses ausgerichtet ist, handelt. Während Usatîi mit einer vermeintlichen Anti-Mafia und Anti-Korruptionskampagne offenbar die Unzufriedenheit vieler Wähler mit den innenpolitischen Verhältnissen ansprechen soll, scheint es die Aufgabe Dodons, die eurasische Integration zu propagieren, insbesondere nachdem die Kommunisten, auch unter dem Eindruck der Krise in der Ukraine und der Annexion der Krim, von einer entschiedenen Unterstützung Russlands abgerückt sind. Auch die PSRM erfreute sich einer großen Aufmerksamkeit vor allem seitens russischer Medien. Auch warben u. a. russische Spitzenpolitiker wie Sergej Naryschkin (Vorsitzender der Staatsduma) und Sergej Mironow (ehemaliger Vorsitzender des Oberhauses des russischen Parlaments) explizit für die PSRM. Parteivorsitzender Igor Dodon, der früher der PCRM angehörte, forderte ein Referendum über das Assoziierungsabkommen mit der EU und gab der Zentralregierung in Kiew die Verantwortung für die Ereignisse auf der Krim. Dennoch schwanken die Umfragewerte der PSRM, sodass ihr Einzug ins Parlament noch nicht sicher scheint.

Vor allem der Zulauf, den Usatîi erfährt, lässt es derzeit offen erscheinen, ob die pro-europäischen Parteien wieder eine Mehrheit erlangen. Zugleich lässt es die Distanzierung, die die PCRM gegenüber der eurasischen Integration erkennen lässt und deren ambivalente Haltung zur europäischen Integration, jedoch zweifelhaft erscheinen, ob diese eine Koalition mit Usatîi und Dodon eingehen würde. Dies würde Voronin nicht nur in eine Abhängigkeit von Russland bringen, die er kaum anstreben dürfte. Der damit verbundene Ausstieg aus der europäischen Integration könnte – analog zur Ukraine – auch massive Proteste vieler, vor allem jüngerer Moldauer zur Folge haben, die sich dadurch um ihre Zukunftschancen betrogen sehen würden. Der Zulauf Usatîis und die gleichzeitigen Verluste der Kommunisten dürften aber auch eine Koaltion zwischen der PCRM und der PDM unmöglich machen – eine Option mit der Plahotniuc und Voronin in der Vergangenheit gespielt haben. Nach der Wahl durfte es daher vermutlich entweder zu einer knappen Mehrheit oder zu einer schwierigen Regierungsbildung mit entsprechender Instabilität kommen. Dass die Republik Moldau sich von dem Assoziierungsabkommen mit der EU wieder verabschiedet, ist angesichts der Haltung der PCRM zwar unwahrscheinlich, fraglich ist jedoch, ob die Implementierung und die erforderlichen Reformen gerade auch im Justizbereich mit dem erforderlichen Nachdruck erfolgen werden.

Auch wäre vor dem Hintergrund der beschlossenen Aufschiebung der Umsetzung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine die Möglichkeit eines ähnlichen Vorgehens im Falle Moldaus nicht gänzlich ausgeschlossen.

Einflussfaktor Russland

Russland hat die europäische Integration Moldaus und insbesondere das Freihandelsabkommen immer wieder kritisiert und auf die Unterzeichnung des Abkommens mit einem weitgehenden Handelsembargo reagiert. Neben den von Moskau unterstützten Parteien verfügt die russische Regierung auch über andere weitreichende Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die geopolitischen Entwicklungen in der Republik Moldau. Der „eingefrorene Konflikt” in Transnistrien stellt weiterhin eine Bedrohung für die Sicherheit des Landes dar. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Ukraine ist nicht auszuschließen, dass die russische Regierung auf eine Änderung des Status Quo hinwirken könnte. Am 20. Oktober sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow, dass Transnistrien das Recht habe, über die eigene Zukunft selbstständig zu entscheiden, wenn die Republik Moldau ihre Neutralität aufgeben würde. Auch der Moskauer Sonderbeauftragte für Transnistrien, Vizepremierminister Dmitrij Rogosin, warnte, dass Russland die in der Region lebenden russischen Bürger „verteidigen” werde. Dennoch haben sich bislang Befürchtungen, dass in Transnistrien stationierte russische Militärangehörige sich an den Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligen könnten, nicht bewahrheitet. Mittlerweile hat die Ukraine die Kontrolle am transnistrischen Abschnitt der Grenze zur Republik Moldau verschärft und zudem beschlossen, sich den EU-Sanktionen gegen Transnistrien anzuschließen.

Auch in der südlichen Region Gagausien hat Moskau seinen Einfluss gezielt eingesetzt, um die Zentralregierung in Chişinău zu schwächen. So wurden gagausische Weine von dem Embargo gegen moldauische Weine ausgeklammert und auch die Befreiung landwirtschaftlicher Produkte aus der Region soll von Moskau in Aussicht gestellt worden sein. Der Ende des Jahres aus dem Amt scheidende Gouverneur von Gagausien, Mihail Formuzal, hat mehrfach Kritik am EU-Assoziierungsabkommen und seine Präferenz für einen Beitritt zur Zollunion geäußert. Bei einem Referendum zur geopolitischen Ausrichtung der Republik Moldau, das die gagausische Führung im Februar 2014 ohne Rechtsgrundlage in der Region durchführte, sollen 98 Prozent der Wahlbeteiligten für einen Beitritt zur Zollunion gestimmt haben. Dieses Meinungsbild ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die fast ausschließlich russischsprachige Bevölkerung in Gagausien fast nur über russische Medien als Informationsquelle verfügt, die gezielt Fehlinformationen über die europäische Integration verbreiten und historische Ängste der Gagausen – u. a. bezüglich einer Wiedervereinigung mit Rumänien – geschürt haben.

Neben dem bereits erwähnten russischen Embargo gegen moldauische Weine und unterschiedliche landwirtschaftliche Produkte verfügt Moskau über zwei weitere wichtige Hebel in den Beziehungen zur Republik Moldau. Sämtliche Gasimporte des Landes werden aus Russland bezogen, der Liefervertrag läuft zum 31. Dezember 2014 aus. Zwar strebt die Republik Moldau eine Reduzierung des Preises von gegenwärtig 374 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter auf 369 US-Dollar an, aber die Aussichten darauf dürften von den politischen Entwicklungen abhängen. Außerdem hat Russland die Einreise- und Arbeitsbedingungen für moldauische Bürger verschärft. Da, saisonal abhängig, einige hunderttausend Moldauer in Russland als Gastarbeiter die Hauptverdienstquelle für ihre Familien darstellen, könnten weitere Hürden viele Existenz gefährden.

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Dr. Martin Sieg

martin.sieg@kas.de
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4. Juli 2014
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Zwei Wählerinnen registrieren sich für ihre Wahlunterlagen im Wahllokal bei den Parlamentswahlen 2009. | Foto: UNDP in Europe and CIS/Flickr UNDP in Europe and CIS/Flickr

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Chisinau Moldawien