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Polen hat eine neue Regierung und steuert in eine politische Krise

Minderheitsregierung der PiS vereidigt

Bericht zur politischen Situation in Polen

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Nach dem Scheitern eines durch die Erzbischöfe Gocłowski (Danzig) und Dziwisz (Krakau) vermittelten Koalitionsgespräches am gestrigen Sonntag zwischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Bürgerplattform (PO) wurde heute eine 18-köpfige Minderheitsregierung von Politikern und Fachleuten unter Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz (PiS) vorgestellt und vom scheidenden polnischen Präsidenten Kwaśniewski vereidigt. Sie wird voraussichtlich am 10. November um das Vertrauen des Parlamentes bitten. Ihr gehören je zur Hälfte PiS-Politiker und Fachleute an. Zu den Politikern der PiS zählen:

  1. Ludwik Dorn, 51, Vize-Premier, Inneres/Verwaltung, bisher Fraktionsvorsitzender
  2. Zbigniew Ziobro, 35, Justiz, stellv. Justizminister in der Regierung Buzek
  3. Zbigniew Wassermann, 56, Geheimdienste, ehemals Generalstaatsanwalt
  4. Senator Radosław Sikorski, 42, Verteidigung, britischer Staatsbürger mit guten Ver-bindungen in die USA, ehemals stellv. Verteidigungs- und Außenminister
  5. Krzystof Jurgiel, 52, Landwirtschaft, früher Bürgermeister in Białystok und Senator
  6. Jerzy Polaczek, 44, Transport- und Bauwesen, Jurist
  7. Jan Szyszko, 61, Umwelt, Umweltminister unter Buzek 1997-99
  8. Kazimierz Ujazdowski, 42, Kultur, stellvertretender PiS-Vorsitzender, Kulturminister unter Buzek, seit 2004 stellv. Sejmpräsident
Hinzu kommen als Fachleute die Minister:

  1. Stefan Meller, 62, Außenpolitik und Europa, bisher Botschafter in Moskau (Paris), ge-boren in Frankreich, Prof. der Geschichte, einer der führenden polnischen Diplomaten
  2. Teresa Lubińska, 52, Finanzen, Ökonomieprofessorin aus Stettin
  3. Andrzej Mikosz, 40, Schatz, Jurist in einer internationalen Kanzlei in Posen
  4. Piotr Woźniak, 49, Wirtschaft, bisher stellv. Chef des Ölkonzerns PGNiG, Experte im Orlen-Untersuchungsausschuss, Berater der Regierung Buzek
  5. Krzysztof Michałkiewicz, 50, Arbeit und Soziales, Soziologe aus Lublin, lebte in den 80er Jahren in Australien
  6. Zbigniew Religa, 67, Gesundheit, vorher unabhängiger Präsidentschaftskandidat, be-kannter Herzchirurg, ehemals Senator
  7. Grażyna Gęsicka, 54, neues Ressort Regionalentwicklung/EU-Mittel, gilt als PO-nahe Fachfrau, promovierte Soziologin, stellv. Ministerin in der Regierung Buzek
  8. Michał Seweryński, 66, Bildung und Wissenschaften, Prof. für Arbeitsrecht und Euro-päische Recht aus Lodz
  9. Tomasz Lipiec, 34, Sport, aktiver Sportler (Geher), Sportjournalist.
In den Verhandlungen am Sonntag hatten der PO-Vorsitzende Donald Tusk und Jan Rokita gefordert, dass der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński als Regierungschef antreten und der Vorsitzende der populistischen Selbstverteidigungs-Partei, Andrzej Lepper, aus dem Präsidium des Parlaments gewählt werden müsse. Das hatten die Vertreter der PiS, Jarosław Kaczyński, Parlamentspräsident Marek Jurek und der nominierte Premierminister Marcinkiewicz abgelehnt. Jarosław Kaczyński hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, nicht Premierminister werden zu wollen, wenn sein Zwillingsbruder Lech als Präsident gewählt würde. Andrzej Lepper schlug zwischenzeitlich vor, das Amt des Ministerpräsidenten der PO zu überlassen, worauf die PiS ebenfalls nicht einging. Nach dem Scheitern des Vermittlungsgespräches stellte die PiS wie angekündigt am Montag eine Regierungsmannschaft vor. Die der PO zugedachten Ministerposten gehen nun an Fachleute. Sie hätten die Gelegenheit geboten, zentrale Bereiche der Politik zu gestalten, hätte man sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Erhält diese Regierung im Parlament das Vertrauen der Mehrheit, wird sie versuchen, als Minderheitenregierung zu regieren. Erhält sie kein Vertrauen, muss erneut versucht werden, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Gelingt dies nicht, kommt es zu Neuwahlen.

Die mangelnde Kompromissfähigkeit der beiden bürgerlichen Parteien PiS und PO, die zusammen bei den Wahlen eine klare Mehrheit erhalten hatten, bringt Polen in eine instabile politische Lage. Die sowieso schon hochgradig über die Politik verdrossenen Wähler werden wahrscheinlich wenig Verständnis für die Winkelzüge der beiden Wahlsieger haben. Noch bevor sie überhaupt angefangen haben zu regieren, haben sie bereits viele Wähler enttäuscht und diejenigen bestätigt, die schon vorher Zweifel an der Regierungsfähigkeit von PiS und PO geäußert hatten. Die handelnden Personen sind untereinander seit langem bekannt, die Programme der Parteien ebenfalls, den Wählern hat man eine Koalition zur Reform Polens versprochen, scheint dazu aber offensichtlich nicht in der Lage. Käme es tatsächlich zu Neu-wahlen, könnte sich das leicht in einer noch schlechteren Wahlbeteiligung – sie lag bei den Parlamentswahlen bei 40,6 % - sowie in einer Stärkung der PiS als national-konservatives Sammlungsbecken oder gar der extremen Parteien „Selbstverteidigung“ und „Liga der polnischen Familien“ auswirken. Die Linke abgewählt, die bürgerliche Mitte regierungsunfähig: Polen steuert einer politischen Krise entgegen.

Auch für die liberal-konservative PO ist die Lage schwierig. Da sie bisher weder den Eindruck hinterlassen hat, ernsthaft inhaltlich verhandelt zu haben, noch hinreichend deutlich machen konnte, aufgrund welcher inhaltlicher Gegensätze eine Regierungsbeteiligung scheitern musste, steht sie als Verweigerin da, die nach der Wahlniederlage nicht willens ist, die Verantwortung zu übernehmen. PiS hatte sich nach außen hin verhandlungsbereit gezeigt und der PO die Hälfte der Regierungsressorts überlassen wollen. Allerdings war man bei der PiS nicht bereit, der PO bei der Besetzung des Parlamentspräsidenten oder bei dem Wunsch, dass Innen- oder Justizressort zu übernehmen, entgegen zu kommen. Mit dem Rückgriff auf eine rechts-populistische Mehrheit im Parlament, die jedoch kaum regierungsfähig ist, spielte man die eigene Stärke aus. In der PO interpretiert man das Vorgehen der Pis als Versuch, das rechtskonservative Lager zu vereinen und die PO als liberale Partei an den Rand zu drängen. Gerüchte über geheime Absprachen der Kaczyńskis mit Lepper kursieren. In der PO setzt man dagegen in einer Mischung aus verletztem Stolz und parteipolitischem Kalkül auf ein Scheitern der PiS-Regierung, um sich dann als bessere Alternative in Stellung bringen zu können. Andererseits droht ihr sowohl bei einem frühen Scheitern der Regierung, wofür die PO mitverantwortlich gemacht würde, wie auch bei einem relativen Erfolg der Regierung ebenfalls eine Marginalisierung. Das Verständnis der Bürger für das Verhalten der PO scheint bis jetzt sehr begrenzt. Erklärungsbedarf ist da. Dass der frühere Präsidentschaftskandidat und Herzchirurg Religa, der zuletzt Donald Tusk im Präsidentenwahlkampf unterstützt hatte, als Gesundheitsminister in die Regierung eingetreten ist, kann durchaus als ein Zeichen verstanden werden, dass ein schlechtes Licht auf das Verhalten der PO wirft.

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