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Proteste gegen Regierung eskalieren

von Dr. Martin Sieg

Zusammenstöße bei Demonstrationen in Bukarest

In Rumänien sind am Freitagabend Proteste gegen die von der Partei der Sozialdemokraten (PSD) geführte Regierung eskaliert. Etwa 100.000 Demonstranten waren in Bukarest u.a. gegen Eingriffe in die Korruptionsbekämpfung und die Unabhängigkeit der Justiz auf die Straße gegangen. Ähnliche Kundgebungen hatte es auch in anderen rumänischen Städten gegeben.

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Protest in Bukarest © Albert Dobrin / Flickr / CC BY-ND 2.0 © Albert Dobrin / Flickr / CC BY-ND 2.0
Protest in Bukarest © Albert Dobrin / Flickr / CC BY-ND 2.0

Nachdem es zu Gewaltakten aus der Demonstration gegen die Sicherheitskräfte gekommen war, räumte die rumänische Gendarmerie am späten Abend gewaltsam den Platz des Sieges vor dem Regierungsgebäude, wo die Kundgebung stattfand. Dies geschah u.a. unter dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Gendarmerie und Regierung rechtfertigten den Polizeieinsatz mit der von Demonstranten ausgehenden Gewalt. Die Oppositionsparteien beschuldigten die Regierung, die Gewalt durch Provokateure selbst herbeigeführt zu haben. Präsident Klaus Iohannis verurteilte den Polizeieinsatz scharf als unverhältnismäßige Einschränkung demokratischer Rechte. Bilanz des Abends: 450 Verletzte, davon 24 Gendarmen. Die Demonstration ist ein Zeichen für die zunehmende Polarisierung der politischen Auseinandersetzung in Rumänien.

Stattgefunden hatte die Kundgebungen als Protest vor allem der rumänischen Diaspora, die der PSD traditionell ganz überwiegend kritisch gegenübersteht. Dabei wurden aus dem Kreis der Demonstranten u.a. der Rücktritt der Regierung und vorgezogene Neuwahlen gefordert. Einer der unmittelbaren Anlässe dafür waren Schritte der Regierung zur Einschränkung der Korruptionsbekämpfung und der Unabhängigkeit der Justiz. Innerhalb der Diaspora wird die PSD als dominierende politische Kraft des Landes besonders für die wahrgenommenen Entwicklungsrückstände Rumäniens im Vergleich zu großen Teilen der EU verantwortlich gemacht. Seit der Befreiung vom Kommunismus ist die Bevölkerung Rumäniens durch starke Auswanderung von etwa 23 auf unter 20 Millionen Menschen zurückgegangen. Allein in anderen Ländern der EU leben und arbeiten mehr als drei Millionen Rumänen. Im Sommerurlaub kehren viele Angehörige der Diaspora in die Heimat zurück. Gleichzeitig sind aber auch große Teile der bürgerlichen Schichten Rumäniens und besonders Bukarests, die sich in der Vergangenheit an ähnliche Demonstrationen beteiligt haben, ebenfalls auf Reisen. Mit 100.000 Teilnehmern allein in Bukarest bezeugte die Demonstration einen für die Jahreszeit hohen Mobilisierungsgrad.

Bereits in den frühen Abendstunden kann es zu Gewalttaten einzelner Gruppen, die Sicherheitskräfte im Laufe des Abends wiederholt attackierten. Die Gendarmen reagierten darauf zunächst mit dem punktuellen Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Gegen 23 Uhr soll dann die Präfektin von Bukarest die Räumung des Platzes angeordnet haben, wobei die Gendarmerie gewaltsam vorging und in größerem Umfang auch Tränengas einsetzte, was zu der großen Zahl von Verletzten führte. Die Einsatzleitung sprach von einer Reaktion auf Angriffe gegen Gendarmen. Die Bilder vom Vorgehen der Gendarmerie wie das Verhältnis der Verletzten sprechen allerdings deutlich für ein unverhältnismäßiges Vorgehen der Ordnungskräfte. Dabei sprach auch die Gendarmerie in ihrer späteren Bewertung von organisierten Provokateuren innerhalb einer sonst friedlichen Demonstration, warf den Demonstranten aber vor, sich von den Gewalttätern nicht klar abgesondert zu haben, um einen Zugriff zu ermöglichen.

Die Gendarmerie rechtfertigte ihr Vorgehen mit den fortgesetzten Angriffen aus der Demonstration, die ihr keine andere Wahl gelassen hätten als die Demonstration zu beenden, um die öffentliche Sicherheit wieder her zu stellen. Die Innenministerin Carmen Dan lehnte die operative Verantwortung für den Einsatz ab, rechtfertigte ihn aber als rechtmäßig und erforderlich. Vertreter der Regierungsparteien PSD und der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) verteidigten das Vorgehen der Gendarmerie und warfen Präsident Iohannis und den Oppositionsparteien vor, durch eine Kampagne gegen die Regierung für die Gewalt verantwortlich zu sein. Schon im Vorfeld der Demonstration hatte Liviu Dragnea, der Vorsitzende der PSD und stärkste Politiker in Rumänien, Präsident Iohannis beschuldigt, die Regierung auch mit Gewalt stürzen zu wollen. In dieses Narrativ fügen sich auch andere Stellungnahmen von Vertretern der Regierungskoalition, die implizit oder explizit vor Gewalt bei Protesten gegen die Regierung gewarnt hatten. Das Szenario einer gewaltsam eskalierenden Demonstration, bei der die Regierung die Ordnung wiederherstellen müsse, war von Seiten der Koalition bereits vor der Kundgebung an die Wand gemalt worden, ohne dass es dafür andere Hinweise gegeben hätte.

Aus Kreisen der Demonstranten und von der Opposition wird der PSD vorgeworfen, die Provokationen gezielt organisiert und dafür u.a. mit der Partei verbundene Fußballhooligans oder andere gewaltbereite Gruppen herbeigerufen zu haben. Der Vorsitzende der Nationalliberalen Partei (PNL), Ludovic Orban, stellte Dragnea dabei in eine Linie mit den Repressionen Ceausescus und den berüchtigten „Mineriaden“ unter Präsident Iliescu, als in den neunziger Jahren regierungskritische Demonstranten durch gewalttätige Bergleute angegriffen wurden. Der Vorsitzende der Union Rettet Rumänien (USR), Dan Barna, forderte den Rücktritt der Innenministerin und die Entlassung des Kommandeurs der Gendarmerie und der Präfektin von Bukarest. Präsident Iohannis verurteilte noch in der Nacht die „brutale Intervention der Gendarmerie“ die in „in hohem Maße unverhältnismäßig“ zu dem Verhalten der großen Mehrheit der Demonstranten gestanden habe. Dabei sprach er von einem Versuch, „den Willen der Menschen durch die Ordnungskräfte zu unterdrücken“. Am Samstagmorgen forderte der Präsident den Generalstaatsanwalt auf, das Vorgehen der Gendarmerie und seine Rechtmäßigkeit zu untersuchen.

Rumänien hat eine ausgeprägte Demonstrationskultur. Die Kundgebung vom vergangenen Freitag ordnet sich in eine lange Reihe ähnlicher Protestveranstaltungen seit dem Antritt der gegenwärtigen Regierungskoalition Anfang 2017 wie bereits unter der letzten von der PSD geführten Vorgängerregierung 2014 und 2015. Gewalt gehörte nie zum Stil oder zur Intention dieser Proteste. Entsprechende Unterstellungen an die Adresse von Iohannis oder die Opposition entbehren jeder auch nur entfernt erkennbaren Grundlage. Tatsächlich kann kaum ein Zweifel bestehen, dass die Intention der Demonstration auch diesmal friedlich war, die Gewalt vielmehr von anderen Gruppen gezielt provoziert wurde, um die Kundgebung zu stören. Noch für Samstagabend hatten die Initiatoren zu einer weiteren Großdemonstration aufgerufen, die störungsfrei verlief. Auch am Sonntag protestierten wieder über 10.000 Menschen friedlich auf dem Platz des Sieges. Auch das spricht für eine gezielte Provokation am Freitag.

Eine Begründung für die Notwendigkeit des eigenen Einsatzes im Sinne einer Abwägung, dass nur durch die Auflösung der Demonstration größerer Schaden abgewendet werden konnte, gab die Gendarmerie nicht. Vielmehr kommt in deren Stellungnahmen zum Ausdruck, dass sie sich ihrem Selbstverständnis nach mehr dem Schutz von Staat und öffentlicher Ordnung vor tatsächlichem oder vermeintlichem Aufruhr als dem Schutz der Demonstrationsrechte der Bürger verpflichtet gesehen hat. Die dabei eingesetzten Kräfte stammten offenbar nicht aus Bukarest, sondern waren für diesen Einsatz aus anderen Teilen des Landes in die Hauptstadt beordert worden. Bedenklich ist auch, dass die Gendarmerie vor einer Beteiligung an weiteren Demonstrationen unter Hinweis auf bestehende Risiken warnte. Offen ist noch die Frage, welche Wirkung der Einsatz der Gendarmerie entfaltet, ob er von der Teilnahme an weiteren Demonstrationen eher abschreckt oder für weitere Proteste gegen die PSD mobilisiert. Am Samstag forderten erneut etwa 50.000 Demonstranten auf dem Platz des Sieges den Rücktritt der Regierung.

Die Eskalation vom Freitag und die fortgesetzten Demonstrationen bedeuten nicht, dass sich die rumänische Gesellschaft insgesamt von der Regierungskoalition aus PSD und ALDE abwenden würde. Insbesondere die Wählerklientel der PSD dürfte davon weitgehend unberührt bleiben und anderen, vor allem sozialpolitischen Prioritäten folgen. Die Proteste sind vielmehr ein Zeichen dafür, dass sich die politische Polarisierung in Rumänien zwischen der von der PSD dominierten Regierung und der Opposition weiter vertieft. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei die Justiz. Seitdem sie Anfang 2017 die Regierung übernommen hat, zielt das Bestreben der Koalition von PSD und ALDE auf Änderungen des in Rumänien insbesondere in Korruptionsfällen sehr strikten Strafrechts sowie auf Einschränkungen der Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden, die offenkundig einer stärkeren politischen Kontrolle unterworfen werden sollen. Gerechtfertigt wird das durch das Narrativ vom sogenannten „parallelen Staat“ – womit im Kern der Präsident und die Geheimdienste gemeint sind -, der angeblich die Justiz gegen die Regierungskoalition instrumentalisiere.

Tatsächlich erfolgt die Korruptionsbekämpfung in Rumänien sehr durchgreifend. Im Juni wurde Dragnea selbst in erster Instanz zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er daran mitgewirkt haben soll, dass die Sozialbehörde in seinem Heimatkreis zwei Mitarbeiter eingestellt hat, die in Wirklichkeit für die PSD gearbeitet haben. Da er bereits eine Bewährungsstrafe in einem früheren Verfahren erhalten hat, müsste er die Strafe antreten, sollte das Urteil im Berufungsverfahren bestätigt werden. Beabsichtigte Änderungen des Straf- und des Strafprozessrechts könnten aber verzögern oder verhindern, dass seine Verurteilung rechtskräftig wird. Im Juli war die Leiterin der Antikorruptionsbehörde DNA, Laura Codruta Kövesi, eine Symbolfigur für den Kampf gegen die Korruption, auf Betreiben des Justizministers infolge einer umstrittenen Entscheidung des Verfassungsgerichts entlassen worden. Im Verfahren um die Neubesetzung ihrer Stelle hat Justizminister Toader inzwischen alle Bewerber als unqualifiziert abgelehnt und einen erneuten Auswahlprozess angekündigt – was Vorwürfe aus Opposition und Zivilgesellschaft nährt, dass eine politische Besetzung der Funktion beabsichtigt sei. Vom Parlament beschlossene Gesetzesänderungen, über die nach Klagen von Opposition und Präsident das Verfassungsgericht noch befinden muss, sollen zugleich das Ernennungsrecht des Präsidenten einschränken. Er könnte danach nur noch einmal einen Vorschlag des Justizministers ablehnen. Mittlerweile positioniert sich Präsident Iohannis, der bislang einem betont überparteilichen Amtsverständnis gefolgt war, nicht nur gegen die Bestrebungen zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz und der Korruptionsbekämpfung, sondern auch parteipolitisch stärker gegen die PSD. Anfang August trat er mit einer kämpferischen Rede auf dem kleinen Parteitag der PNL auf, die ihn für die Präsidentschaftswahl 2019 bereits erneut als Kandidaten nominiert hat.

Die Auseinandersetzung um die Justiz hat sich auch deshalb so zugespitzt, weil sie zugleich auf einer Spaltung der rumänischen Gesellschaft beruht, die diesem Konflikt Züge eines Kulturkampfes verleiht, dessen Protagonisten sich weitgehend kompromisslos gegenüberstehen. Für viele Intellektuelle und Bürgerliche in Rumänien ist die Korruptionsbekämpfung nahezu synonym mit dem Kampf gegen die PSD. Dabei verbindet sich eine grundsätzliche Ablehnung der PSD, die als postkommunistische Partei einer bildungsfernen, sozial abhängigen und rückwärtsgewandten Klientel wahrgenommen wird, mit einer tiefen Frustration über die dominierende Rolle der Sozialdemokraten, die bei Parlamentswahlen bislang ihrer Wähler sehr viel effektiver zu mobilisieren vermochte als die bürgerlichen Parteien. Das Ergebnis ist ein in den bürgerlichen Schichten oft erschüttertes Vertrauen in Politik und Demokratie insgesamt. Die Unterstützung für die Justiz gründet so auch darin, dass ihr die Rolle eines Korrektiv gegenüber den Parteien in Allgemeinen und der PSD im Besonderen zugeschrieben wird. Der Rechtstaat wird dabei von vielen primär weniger in seiner Schutzfunktion für den Bürger, sondern als Instrument zur Bestrafung und Unschädlichmachung tatsächlich oder vermeintlich Schuldiger gesehen. Bei den Protesten gegen die Regierungskoalition sind daher politische und rechtstaatliche Forderungen kaum zu unterscheiden. Charakterisierungen der PSD als „Diebe“ und „Analphabeten“ verbinden sich dabei mit Forderungen nach Neuwahlen und „Gefängnis für Dragnea“.

Diese Gemengelage an Motiven erschwert die Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien und der Unabhängigkeit der Justiz eher. Denn sie schreibt der Strafverfolgung und Justiz zum Teil eine Rolle zu, die sie in einem Rechtsstaat nicht erfüllen kann. Umgekehrt trägt sie dazu bei, dass das Narrativ vom „parallelen Staat“ innerhalb der Anhängerschaft der PSD überhaupt Glaubwürdigkeit erlangen kann. Zugleich dürfte das sehr restriktive Strafrecht – und dabei auch die Anklage gegen Dragnea als paradigmatischer Fall, unabhängig von Tatbestand und Gesetzeslage – teilweise zur einer subjektiven Verunsicherung vieler Politiker innerhalb der PSD, aber auch darüber hinaus beigetragen haben. Das erklärt auch die weitgehende Geschlossenheit, mit der die PSD und ihre Koalitionspartner die Änderungen des Strafrechts und der Justizverfassung vorantreiben.

Dabei sollten die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Korruptionsbekämpfung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Korruptionsbekämpfung in Rumänien bislang sehr effektiv erfolgt ist. Gerade im rechtstaatlichen Bereich hat Rumänien große Reformfortschritte erzielt. Justiz- und Strafverfolgungsbehörden sind tatsächlich in hohem Maße unabhängig und arbeiten professionell. Aufgrund von Korruptionsvorwürfen sind zahlreiche Amts- und Mandatsträger angeklagt und verurteilt worden. Das Beispiel Dragnea hat nicht zum ersten Mal gezeigt, dass niemand mehr sakrosankt ist, auch nicht die mächtigsten Politiker und die Inhaber höchster Ämter. Das Vertrauen, das große Teile der bürgerlichen Schichten in die Justiz setzen, ist ebenso eine Reaktion auf diese Effektivität der Justiz und der Korruptionsbekämpfung wie, in entgegengesetzter Richtung, die Bestrebungen der Regierungskoalition zu Änderungen des Strafrechts und der Justizverfassung. Die politische Auseinandersetzung hat sich mittlerweile so verschärft, dass eine Verständigung oder auch nur eine Deeskalation dieses Konfliktes derzeit nicht abzusehen ist.

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