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Länderberichte

Reaktionen der tschechischen Medien über die 53. Sudetendeutschen Tage

von Frank Spengler, Petr Blazek
Während die Wochenendauflagen der größten tschechischen Tageszeitungen: der liberalen "Mladá Fronta Dnes", der konservativen "Lidové Noviny" und der linksorientierten "Právo" über das alljährliche Treffen der Sudetendeutschen, das am vergangenen Wochenende in Nürnberg stattfand, nur kurze Mitteilungen druckten, dominierte die Thematik die Montagsausgaben.

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Gleich mehrere Seiten widmeten diese Zeitungen dem Treffen in Nürnberg. Sie berichteten nicht nur über den Verlauf der Veranstaltung (Rede von Ministerpräsident Stoiber und Minister Schily, Teilnahme des Vorsitzenden der Tschechischen Bischofskonferenz, Erzbischof Graubner, protestierende linke Gruppen usw.), sondern druckten auch viele Zitate aus den Reden der wichtigsten Akteure, die den größten Teil der Zeitungsberichte einnahmen. Darüber hinaus waren unzählige Kommentare sowie die am Wochenende abgegeben Reaktionen tschechischer Politiker nachzulesen. Am 21. Mai 2002 wurden noch einige Kommentare sowie die Stellungnahme des tschechischen Ministerpräsidenten Zeman veröffentlicht. Tschechische Politikern meldet sich in den Zeitungen zu dieser Thematik aber kaum zu Wort.

Das tschechische Fernsehen brachte am Sonntag einen kurzen Bericht über eine Gedenkveranstaltung für NS-Opfer in Theresienstadt. An der Kranzniederlegung nahm neben wichtigen tschechischen Politikern - u.a. der Präsident des Abgeordnetenhauses Prof. Václav Klaus, Ministerpräsident Zeman - auch die Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Laura Bush, teil, die für einige Tage Tschechien besucht. Vor dem Hintergrund des tschechischen Wahlkampfes kann der Gedenktag in Theresienstadt durchaus als eine Art Gegenveranstaltung zu den Sudetendeutschen Tagen interpretiert werden. Bemerkenswert ist ferner, dass Klaus und Zeman die Teilnahme von Erzbischof Graubner am Sudetendeutschen Tag heftig kritisierten.

Einige Pressestimmen:

Lidové Noviny, 20 Mai 2002

Auf die Frage, wie er die Einstellung von Ministerpräsident Stoiber zur "Abschiebung" einschätze, antwortete der Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten Vladimír pidla in einem Interview auf der ersten Seite der Montagsausgabe von "Lidové Noviny": "Ich denke, dass die Einstellung, die Herr Stoiber vertritt, den Rahmen der Deutsch-tschechischen Erklärung sprengt. Es ist in ihr und es bleibt in ihr der Druck auf die Eingriffe in unsere Rechtsordnung."

Zu der Möglichkeit einer humanitären Geste gegenüber den Sudetendeutschen äußerte sich Spidla in dem Interview: "Die ersten Opfer des Hitlerregimes waren die Sudetendeutschen selbst. Unter welcher Fahne, Uniform oder Widerstandsbewegung auch immer die Deutschen gegen das Nazi-Regime gekämpft haben, sind sie unserer Achtung würdig. Ich betrachte es als richtig, dass gerade diesen Menschen - den Widerstandskämpfern, den ehemaligen tschechoslowakischen Bürgern deutscher Nation - , die aktiv gegen den Nazismus gekämpft haben, von unserer Seite eine humanitäre Geste widerfährt. Der Kampf gegen den Faschismus kennt keine Nationalität."

Auf der zweiten Seite erschien ein Kurzinterview mit Ministerpräsident Stoiber, in dem er seine Position zu den Benes-Dekreten wiederholte und ein kurzer Artikel über von Teilnahme von Horst Übelacker, Vorsitzender des Witiko-Bundes, am Sudetendeutschen Tag. Auf den Seiten 11-12 wurde fast die komplette Stoiber-Rede und mehrere Kommentare zu dem Nürnberger Treffen abgedruckt.

In seinem Kommentar "Zwischen Prag und der Grenze" deutet Martin Zverina auf das zwiespältige Verhalten der ODS gegenüber den Sudetendeutschen hin. Auf nationaler Ebene meide sie alle Kontakte, während sie auf regionaler bzw. lokaler Ebene, aus welchen Gründen auch immer, zu Kontakten bereit sei: "Die Vertreter der südböhmischen Gemeinden und Städte, unter ihnen nicht wenige Mitglieder der ODS, arbeiten schon längere Zeit mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft zusammen... Die ODS kritisierte Erzbischof Graubner wegen seiner Teilnahme an den Sudetendeutschen Tagen in Nürnberg. Dabei erhielten die südböhmischen Vertreter für ihr Verhalten grünes Licht vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Benes... Mit seiner Direktive, auf lokaler Ebene sei alles in Ordnung, auf der höheren jedoch nicht, setzt er die ODS einem hässlichen Verdacht aus: das Geld - wie Václav Klaus einmal sagte - hat keine Marke, das seinen Ursprung kennzeichnen würde, und deshalb stinken die Mittel der Deutschen der Partei der nationalen Interessen keineswegs. Erzbischof Graubner bringt aus Nürnberg keinen Euro mit, und so ist sein Besuch für die Parteispitzen der ODS nicht wünschenswert..."

In seinem Kommentar "Dem Chef der Landsmannschaft Bernd Posselt macht der sudetendeutsche Nationalismus nichts aus..." schreibt Jirí X. Dolesal: "Der Vorsitzende der CSSD Vladimír pidla teilte der Welt am Sonntag mit, dass die Deutschen, die gegen das faschistische Deutschland gekämpft haben und nach dem Weltkrieg unrechtmäßig verschoben wurden, eine Entschädigung seitens unserer Republik erhalten könnten... Ein entscheidender Schritt, eigene Fehler und Schulden anzuerkennen... Es ist wichtig, sie zu entschädigen, sich bei ihnen zu entschuldigen, denn es ist ihnen großes Unrecht widerfahren... Ich habe mir die Internetseite "sudetengermans.freeyellow.com" angesehen und es steht dort geschrieben: "Im Jahr 1938, nach dem berühmten Münchener Abkommen, wurde Sudetenland mit Deutschland verbunden.. Für die Sudetendeutschen bedeutete dies die Verwirklichung ihrer Forderungen aus den Jahren 1918 und 1919..." Ich habe zu Ende gelesen und den Eindruck erhalten, dass Herr Posselt mit der Kritik des Nationalismus unter die seinen gehen sollte."

"Spidlas Formulierung, dass die Abschiebung Quelle des zukünftigen Friedens war, ist einer der Versuche, Heterogenes zusammenzubinden. Und außerdem ist es erwiesener Maßen nicht wahr...", so Jaroslav Sonka in seinem Kommentar "Die Katholiken haben ein Vorsprung vor den Politikern". "Die tausendjährige Sitte der Christen, während des Gottesdienstes die eigenen Schulden zu bekennen, ein Gebrauch ausgeliehen vom jüdischen Fest Jom Kipur, ist hoffentlich ein Modell. Nach so einem Schritt verlieren die Vorwürfe und die Aufzählung von Ungerechtigkeiten ihren Sinn. Darin besteht die Bedeutung des symbolischen Schrittes von Erzbischof Graubner, der so hoffen wir, nach seiner Rückkehr in die Heimat nicht von den tschechischen Heiden gebraten wird."

Mladá Fronta Dnes, 20. Mai 2002

Auf der ersten Seite der "Mladá Fronta Dnes" betonte Ministerpräsident Stoiber in einem Interview, dass für ihn der EU-Beitritt Tschechiens nicht an die Aufhebung der Bene-Dekrete gebunden sei. Zugleich kritisierte er die Forderung von Klaus nach einer Bestandsklausel im EU-Beitrittsabkommen: "Das, was Václav Klaus formulierte, dass die Dekrete Teil der neuen europäischen Rechtsordnung sein sollen, das kann nur jemand behaupten, der Europa gar nicht begriffen hat." Auf das Interview folgte auf der dritten Seite eine Zusammenfassung der Ereignisse von Nürnberg, u. a. mit Zitaten aus der Rede von Schily und den Reaktionen der Zuhörer. Auf der gleichen Seite wurde auch Erzbischof Graubner zitiert, der auf Zemans Kritik, er würde durch seinen Besuch der Sudetendeutschen Tage nur Öl ins Feuer gießen, entsprechend reagierte: "Von unserer Nation wird gesagt, dass sie entfernt von Gott, von der Religion sei. Deshalb wundert es mich, dass gerade die Vertreter dieser Nation, der Kirche diktieren wollen, mit wem sie beten darf und mit wem nicht."

Die Zeitung veröffentlichte ferner ein Interview mit dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Böhm sowie mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Sudentendeutschen Landsmannschaft Franz Neubauer.

Pravó, 20. Mai 2002

"Právo" veröffentlichte auf der ersten Seite außer einer Zusammenfassung der Nürnberger Ereignisse auch das am Samstag in der Süddeutschen Zeitung (SZ) veröffentlichte Interview mit Vladimír Spidla unter dem Titel "Spidla: die Vertreibung war die Quelle des Friedens".

Die dritte Seite der Zeitung war den Sudetendeutschen Tagen gewidmet. In seinem Artikel kritisierte Jan Kovarík u.a. die Teilnahme von Siegfried Zoglmann an der Veranstaltung: "Der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Vorsitzender des Bayerischen Landtages Johann Böhm gab zu, dass unter den Sudetendeutschen auch Nazis waren. Einen von ihnen - Siegfried Zoglmann - begrüßte Stoiber persönlich, was auch für deutsche Verhältnisse eine unerhörte Geste ist. Zoglmann war nämlich während des Weltkriegs im Amt des Reichsprotektors in Prag zuständig für Jugendangelegenheiten und wurde nach dem Weltkrieg für seine Straftaten verfolgt." Auf der gleichen Seite befindet sich noch ein Artikel über den Witiko-Bund und die Rede von Übelacker mit dem Titel "Die Versammlung des Witiko-Bundes fordert die Rückgabe des geraubten Eigentums".

Auf der dritten Seite wird über die Kritik des stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokraten Stanislav Gross an den tschechischen Christdemokraten wegen ihrer nicht eindeutigen Distanzierung von den Forderungen nach Aufhebung der Benes-Dekrete berichtet. Ohne eine entsprechende klare Stellungnahme wäre eine gemeinsame Regierung problematisch. In einer Debatte in TV Nova sagte er: "Bevor sie in so eine Regierung gehen, müssten sie eindeutig sagen, dass sie die gleiche Einstellung wie die Sozialdemokraten hätten... Jede Zweideutigkeit werde als Schwäche gedeutet."

In seinem Kommentar unter dem Titel "Söldner" reagierte Jirí Hanák auf die Entwicklung in Nürnberg: "Die Nürnberger Mission des Erzbischofs Graubner war - sehr gemäßigt ausgedrückt - eine große Unbedachtheit..."

Mladá Fronta Dnes, 21. Mai 2002

In seinem Kommentar kritisiert Martin Komárek den Missbrauch der Gedenkveranstaltung von Theresienstadt durch Klaus und Zeman: "Die beiden mächtigsten Politiker nutzten die Feier in Theresienstadt aus, um auf die Forderung nach Aufhebung der Benes-Dekrete zu reagieren. Beide wiederholten 'niemals', ohne sich mit den Argumenten der Gegenseite zu beschäftigen. Das Maß an Geschmacklosigkeit ist den hiesigen Verhältnissen entsprechend - statt stillen Gedenkens und der Gewissenserforschung nach eigener Schuld und der Vergebung der Schuldigen eine aggressive politische Rede..."

Lidové Noviny, 21 Mai 2002

In einem Artikel "Bisher haben sie mich nicht verbrannt..." auf der Titelseite reagierte Erzbischof Graubner auf die Kritik seiner Teilnahme an den Sudetendeutschen Tagen: "Ich will keine Lösung vorwegnehmen, aber ich hoffe, dass unsere Blindheit, die es ablehnt manche Probleme wahrzunehmen,... enden wird. Falls wir den Mut finden, zur gemeinsamen Sprache mit denen, die etwas gegen uns haben, werden wir uns freier und selbstbewusster fühlen. Dann müssen wir den EU-Beitritt nicht fürchten..."

Auf der zweiten Seite wird erwähnt, wie sich Zeman zu der möglichen Wahl von Ministerpräsident Stoiber zum Bundeskanzler äußerte: "...seine Wahl würde für die Entwicklung der tschechisch-deutschen Beziehungen keinen großen Beitrag leisten..."

Právo, 21. Mai 2002

Auf der zweiten Seite unter dem Titel "Zeman: Die Wahl von Stoiber würde die gemeinsamen Beziehungen verschlechtern" wird die oben erwähnte Beurteilung von Zeman nochmals wiedergegeben. Zugleich bekennt sich der Premierminister zur möglichen Entschädigung von deutschen Antifaschisten, über die schon zuvor Spidla in seinem Interview für die SZ sprach.

In seinem Kommentar "Zu spät für runde Tische" schreibt Martin Hekrdla "Otto Schilly hat zur Aufhebung der Benes-Dekrete im Sinne der Deutsch-Tschechischen Erklärung aufgerufen, obwohl der Sinn der Erklärung gerade umgekehrt ist..." Und weiter: "Es war Edmund Stoiber, der wahrscheinlich nächste deutsche Bundeskanzler, der in Nürnberg, auf dem Platz der schreienden Reden von Adolf Hitler und der Annahme der rassistischen Gesetze des Dritten Reiches, persönlich Siegfried Zoglmann, einen während des Weltkriegs im Amt des Reichsprotektors in Prag wirkenden Nazis, begrüßte..."

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