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Russland übernimmt Vorsitz im Europarat

Am 19. Mai hat der russische Außenminister Sergej Lawrow in Straßburg den Vorsitz im Ministerrat des Europarates von seinem rumänischen Kollegen übernommen.

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Der Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, René van der Linden, wünschte Russland, den Vorsitz als „Chance zur Festigung seiner Rolle auf der europäischen Szene“ zu nutzen.

Russland ist seit zehn Jahren Mitglied in dem Gremium. Die Geschichte der russischen Mitgliedschaft im Europarat war bisher keine Liebesbeziehung. Vor allem die Menschenrechtssituation, hier besonders die Lage in Tschetschenien, aber auch die Frage der Todesstrafe in Russland, sorgten im Rat immer wieder für Kritik.

Noch vor sechs Jahren, im April 2000, beschloss die Parlamentarische Versammlung des Europarates, auf Grund des Tschetschenienkrieges sogar, das Stimmrecht der russischen Parlamentarier auszusetzen und die Außenminister der Mitgliedsstaaten aufzufordern, ein Ausschlussverfahren gegen Russland einzuleiten.

Für neuen Unfrieden sorgte kurz darauf die Forderung einiger russischer Parlamentarier nach Aufhebung des Moratoriums für die Todesstrafe in Russland. Dieser Punkt ist mittlerweile weitestgehend vom Tisch. Der russische Menschenrechtsbeauftragte, Wladimir Lukin, setzt sich seit 2004 für die endgültige Abschaffung der Todesstrafe ein, die zwar noch existiert, aber seit zehn Jahren nicht mehr vollstreckt wird. Möglicherweise wird sie von der Staats-Duma noch in diesem Jahr endgültig beseitigt werden.

In der Tschetschenien-Frage blieb die Mehrheit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates kritisch. Im Oktober 2004 verurteilte sie die „fortdauernde grobe Gewalt, die leider zum bestimmenden Faktor einer ganzen Generation von Einwohnern dieser Republik geworden ist“.

Im Juni 2005 setzte sich der Europarat für eine stärkere Gewaltenteilung in Russland ein. Zwar habe Russland unbestreitbare Fortschritte auf dem Weg zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gemacht, doch habe das Land in den letzten drei Jahren praktisch nichts unternommen, um den vom Europarat geforderten Verpflichtungen nachzukommen. Gefordert wurde unter anderem der Abzug der russischen Truppen aus Moldawien. Auf Antrag Georgiens forderte der Europarat Russland weiterhin auf, keine weitere finanzielle und politische Hilfe an Weißrussland zu geben. Besonders schmerzhaft war für Russland die vom Europarat konstatierte Okkupation des Baltikums. In einer Ergänzung zu einem bereits 1996 beschlossenen Text forderte die Versammlung Russland auf, schnellstens alle Kompensations-Fragen für Personen, die aus den baltischen Staaten deportiert wurden, zu regeln.

Ende vergangenen Jahres kritisierte der Rat schließlich das neue russische Vereinsgesetz.

Die Übernahme des Europarats-Vorsitzes durch Russland erfolgt nach dem Länderrotationsverfahren. Zumindest in dem halben Jahr, in dem Russland den Vorsitz führt, dürfte es nichts von seinen Drohungen wahr machen, seine finanziellen Beiträge für den Rat zu reduzieren. Konstantin Kosatschow, russischer Delegationsleiter, hatte sich aber noch vor kurzem tief enttäuscht über das „Schüren antirussischer Stimmungen“ geäußert.

Die Übernahme des Vorsitzes im Europarat fällt in die gleiche Zeit, in der Russland außerdem den Vorsitz der „Gruppe der Acht“ inne hält.

Der russische Präsident machte in den letzten Monaten deutlich, dass sein Land gewillt ist, seine Weltmachtposition zurückzuerlangen. Die Europa-Politik Russland ist Bestandteil dieses Zieles und ordnet sich ihm letztlich unter. Wesentlich wichtiger aber waren für Russland in den vergangenen Monaten:

  • seine Vermittlerrolle im Atomstreit mit dem Iran,
  • das Gestalten einer eigenen Nahost-Politik (Empfang einer Hamas-Delegation in Moskau bei gleichzeitigem Nutzen des Einflusses, den Russland durch das millionenfache Auswandern russischer Juden in Israel gewonnen hat),
  • das Zurückgewinnen von verloren gegangenem Einflusses in Zentralasien bei gleichzeitiger Stärkung des Einflusses der von Russland und China dominierten Schanghai-Kooperations-Organisation (neue Mitglieder mit Beobachterstatus: Indien, Pakistan, Iran, Mongolei)
  • die deutliche Verbesserung der russisch-chinesischen Beziehungen (Besuch einer 900 Mitgleider umfassenden Putin-Delegation im März 2006 in Peking)
  • Stärkung der Kontakte zur Islamischen Weltkonferenz (Teilnahme Putins am Gipfeltreffen in Kuala Lumpur, Dezember 2005)
  • Stärkung des Einflusses auf dem indischen Subkontinent (Lieferung von Uranbrennstoffen an indische Atomkraftwerke)
Als Devise seines Vorsitzes im Europarat hat Russland das Motto „Auf dem Weg zu einem geeinten Europa ohne Grenzlinien“ gewählt. Diese Devise soll deutlich machen, dass sich Russland seiner europäischen Identität bewusst ist. Aber das neu gewonnene russische Selbstbewusstsein einerseits und die unterschiedlichen Vorstellungen der Mitglieder der „alten“ und der „neuen“ europäischen Familie über die Zukunft der Europäischen Union und deren Verhältnis zu Russland andererseits könnte in den kommenden Jahren eine einheitliche „europäische“ Russland-Politik deutlich erschweren.

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Claudia Crawford

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Sankt Augustin Deutschland