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Schwere Regierungskrise in Argentinien

von Frank Priess
Blitz und Donner eines schweren Gewitters, das gegen 20.30 Uhr am 17. März über der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires niederging, hatten Symbolcharakter für die heftigen Erschütterungen, die die zeitgleich gehaltene Rede des neuen argentinischen Wirtschaftsminister Ricardo López Murphy auslöste: Die Sparmaßnahmen, die hier angekündigt und live in verschiedenen TV-Kanälen übertragen wurden, trieben unmittelbar verschiedene Minister der Regierung de la Rúa in den Rücktritt, sämtliche nach früheren Umbildungen überhaupt noch im Kabinett verbliebenen Vertreter des kleineren Koalitionspartners FREPASO gehörten dazu.

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Da wirkte es fast schon grotesk, dass deren Parteiführung ankündigte, man verlasse nur die Regierung, nicht aber die "Allianz" als solche. Richtig ist vielmehr die Einschätzung von Joaquín Morales Solá, eines einflussreichen Leitartiklers der Hauptstadtzeitung "La Nación": "Die argentinische Politik ist in einen Zyklus intensiver Machtatomisierung eingetreten, was immer auch deren Ursprünge und deren Legimität sein mögen ... de la Rúa bleibt dabei mit dem `De la Ruismus´ allein."

Besonders schwer wiegt nämlich für den Präsidenten, dass ihm längst auch seine eigene Partei, die "Radikale Bürgerunion" (UCR) die Gefolgschaft aufkündigt: Dramatisch manifest wurde dies jetzt mit dem Rücktritt von Innenminister Federico Storani. Begleitet wurde er bei diesem Schritt von Erziehungsminister Hugo Juri und den jeweiligen Stellvertretern.

Vor allem Sparmaßnahmen im Hochschulbereich sind es, die bei beiden das Fass zum überlaufen brachte, gilt doch gerade die UCR dort als besonders verankert, nicht zuletzt in der Studentenorganisation "Franja Morada", in der verschiedene Minister und auch Storani lange sich betätigen. Die Kostenfreiheit für den Besuch der staatlichen Bildungsstätten ist folgerichtig ein zentraler Bestandteil des Partei- und auch des "Allianz"-Programms. "Mein ganzes Leben," so Storani, "habe ich das staatliche Erziehungssystem verteidigt. Ich kann diesen Kürzungen nicht zustimmen. Das ist mein politisches Limit."

Dass López Murphy gerade hier den Rotstift ansetzte, um sein ambitioniertes und auf rund zwei Milliarden Dollar beziffertes Sparprogramm für 2001 zu realisieren, zeigt aber auch die Dramatik der Lage. Sozialen Sprengstoff birgt es zudem im Erziehungsbereich, dass der Minister Sonderzuwendungen an die Lehrerschaft ganz streichen oder zumindest auf die Provinzen abwälzen will. Unmittelbar nach seiner Rede kündigte die Lehrergewerkschaft CTE-RA für den 20. und 21. März einen Streik an, zeitgleich besetzten Studenten verschiedene Fakultäten der Universität von Buenos Aires.

Aber auch andere der angekündigten Maßnahmen haben es in sich: So sollen etwa alle Ausnahmen vom kompletten Mehrwertsteuersatz, etwa beim Kabelfernsehen, Kino, Sport- und Kulturveranstaltungen gestrichen werden, ebenso die Subventionen für Kraftstoff und Gas in der kalten Südprovinz Patagonien oder die Unterstützungen für den Tabakanbau im Norden und Nordwesten Argentiniens. Ebenso wie die Kostenumverteilungen im Erziehungsbereich eine glatte Kriegserklärung nicht nur für die direkt betroffenen Provinzen, mit denen gerade erst vor drei Monaten ein Fiskalpakt zur Ausgabenstabilisierung abgeschlossen worden war. Bei den Rentenkassen hält sich die Regierung schadlos, indem sie laufende Verrentungsverfahren vorrübergend aussetzen will, Rentenhöhen begrenzt und verschiedene Sonderrenten ganz abschaffen will. Kleinere Positionen sollen weitere Privatisierung, etwa bei der Nationalen Lotterie, und Einsparungen bei den Häfen, dem Geheimdienst.

Deutlich trägt das gesamte Paket die Handschrift des ultraliberalen Wirtschafts-Think Tanks FIEL, aus dessen Führungskräften sich die engere Mannschaft um López Murphy rekrutiert, namentlich die von Daniel Artana, lange Chefökonom von FIEL und jetzt López Murphys Stellvertreter. Allerdings wurden Beobachter der Szenerie den Eindruck nicht los, hier seien zwar exzellente Wirtschaftsfachleute am Werk, Technokraten im besseren Sinne des Wortes, von Politik, dem politischen Kompromiss und vor allem den möglichen Auswirkungen ihrer Pläne aber verstünden sie möglicherweise weit weniger.

Die Ablehnungsfront formierte sich unmittelbar: Neben heftigen Reaktionen der Gouverneure aller Parteien waren es insbesondere die Gewerkschaften, die nicht nur verbal mobil machten: "Die Maßnahmen, die wir ergreifen, werden sich nicht bloß mit einem einfachen Streik oder ein paar Demonstrationen erschöpfen", kündigte etwa Hugo Moyano, Boss des abtrünnigen Flügels des Gewerkschaftsdachverbandes CGT an und fuhr fort: "Dies wäre nicht ausreichend. Schließlich schlagen wir hier die letzte Schlacht des Sein oder Nichtsseins als Argentinier. In wenigen Tagen werden wir dieses Land paralysieren!"

Ausgemacht scheint bereits ein Generalstreik am 5. und 6. April, an dem sich auch die offizielle CGT, der Dachverband CTA, die Sektorgewerkschaften und zahlreiche andere Organisationen beteiligen dürften. Da fällt es wenig ins Gewicht, dass López Murphy zu-mindest lautstarken Beifall aus dem Unternehmersektor erhält und man dort dem Ausscheiden der FREPASO aus der Regierung positive Seiten abgewinnt: Damit könnte der Regierungskurs, so wichtige Exponenten etwa des Bankenverbandes, durchaus an Kohärenz gewinnen.

Für den Gouverneur der Provinz Buenos Aires hingegen, Carlos Ruckauf (PJ), stellt die Ankündigung der Maßnahmen eine "schallende Ohrfeige" für die Provinzen dar. Bis zuletzt hatte er versucht, den Präsidenten in eine andere Richtung zu drängen und ihm Alternativen mit Unterstützung der oppositionellen Peronisten anzubieten. Augenscheinlich vergeblich. Die Dialogbereitschaft des Präsidenten, die dieser immer wieder öffentlich betont, klingt in den Ohren der Gouverneure hohl: "Erst kündigen sie alles ganz allein an und anschließend wollen sie mit uns verhandeln", beschwert man sich etwa aus der Umgebung des Gouverneurs der Provinz Córdoba, José Manuel de la Sota. Und auch der Sektor des Ex-Präsidenten Carlos Menem, auf den de la Rúa wohl zuförderst gehofft hatte, hält sich bedeckt und gleichzeitig alle Optionen offen. Menem: "Die Intentionen von López Murphy mögen noch so gut sein, wenn sie keine solide politische Unterstützung erfahren, werden sie nicht realisierbar sein."

So fragt sich denn, woher die politische Unterstützung kommen soll, längst nicht mehr nur für den Wirtschaftskurs López Murphys, sondern insgesamt für den weiteren Regie-rungsweg Fernando de la Rúas? Der Präsident, von den heftigen Reaktionen auf López Murphys Ankündigungen offenbar selbst erschreckt, bemühte sich das gesamte Wochenende über um Schadensbegrenzung. Sogar die Möglichkeit einer Zurücknahme bestimmter Vorhaben und eine damit verbundene Desautorisierung des Ministers ist dabei nicht auszuschliessen.

Im Laufe des Sonntags gaben sich prominente Mitglieder aller Parteien in der Präsidentenresidenz die Klinke in die Hand, allen voran der Ex-Wirtschaftsminister der Menem-Regierung und "Vater der Konvertibilität", Domingo Cavallo. Um den Vorsitzenden der "Acción por la República" ranken sich entsprechend die heftigsten Spekulationen. Sein Regierungseintritt - im Gespräch sind sowohl die Position des Kabinettschefs als auch die des Wirtschaftsministers mit weitreichenden Vollmachten, die unter anderem der Kongress freiwillig für eine gewisse Zeit an die Exekutive abtreten soll - könnte der Auftakt für eine "Regierung der nationalen Einheit" sein, von der immer mehr die Rede ist. Zu den Spekulationen gehört darüber hinaus eine Rückkehr des FREPASO-Vorsitzenden Carlos Alvarez in eine Kabinettsfunktion und die Beteiligung von Kabinettsmitgliedern aus unterschiedlichen sozialen Sektoren.

An der Zerstrittenheit innerhalb de la Rúas UCR und der Distanz, auf die der Koalitionspartner FREPASO mittlerweile gegangen ist, ändert all dies allerdings einstweilen wenig, es sei denn, ein grundlegender Kurswechsel stünde bevor. Der könnte nach früheren Äußerungen Cavallos den Versuch beinhalten, die drückenden Auslandsschulden neu zu verhandeln, aber auch auf Distanz zur bisherigen Konvertibilitätspolitik (1:1-Bindung des argentinischen Pesos an den US-Dollar) zu gehen.

Cavallo selbst hatte zu einem früheren Zeitpunkt etwa den Ersatz der Dollarbindung durch eine an einen Währungskorb in Erwägung gezogen. Ihm allein jedenfalls wird immer wieder das nötige "standing" in der internationalen Finanzwelt für einen solchen Schritt bescheinigt. Dies alles und eine öffentliche Meinung, die von allen politischen Kräften entschlossenes Handeln und vor allem einen Verzicht auf Parteienstreit fordert, könnte auch die oppositionellen Peronisten unter Zugzwang setzen. Sie sind mit den nötigen Mandaten für eine "Hilfsaktion" und nicht zuletzt mit einer soliden Mehrheit in der zweiten Kammer, dem Senat, ausgestattet und regieren in zwei Dritteln der argentinischen Provinzen. Sie wollen derzeit zwar nicht diejenigen sein, die de la Rúa in den Abgrund treiben, allerdings bisher auch zum Mitregieren wenig Neigung verspüren. Gleichzeitig hat der Ruf nach vorgezogenen Neuwahlen bisher noch kein vernehmliches Echo gefunden.

Die bisherige Regierungsallianz allerdings hat seit ihrem Amtsantritt nachhaltig bewiesen, dass sie zum Regieren nicht in der Lage ist. Die Gemeinsamkeiten der beteiligten Parteien erschöpften sich im Willen zum Machterwerb, für Regierungspolitik war der Vorrat an Gemeinsamkeiten aber offenbar zu gering. Zu zusätzlichen Blockaden führten die Verwerfungen innerhalb der Parteien, vor allem beim größeren Partner UCR, dessen Führungsfiguren, allen voran Ex-Präsident Raúl Alfonsín, eine wenig konstruktive Rolle spielten. Über dieser Entwicklung wurde Präsident de la Rúa selbst immer mehr zur "traurigen Gestalt", dem zunächst der Vizepräsident, dann immer mehr Minister und inzwischen auch das Gesetz des Handelns abhanden kamen. Nun einen Prozess der "nationalen Einheit" moderieren zu wollen, stellt seine politische Bankrotterklärung dar. Gleichwohl muss Argentinien hoffen, dass ihm wenigstens dabei ein gewisser Erfolg beschieden ist.

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