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Tschechien: ODS bereit zur Regierungsübernahme

von Frank Spengler, PhDr. Pavlína Bartoňová
Vom 22. bis 23. November 2003 fand im südmährischen Kurort Luhačovice der 14. Parteitag der Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS) statt. Da es kein Wahlparteitag war, standen keine Personalentscheidungen an. Die zunächst vorgesehene Aufstellung der Kandidatenliste für die Europawahlen wurde auf Dezember 2003 vertagt.

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Es war der erste Parteitag der ODS ohne ihren Gründer und Ehrenvorsitzenden, Staatspräsident Václav Klaus. Über das erste Jahr „nach Klaus“ wurde von dem Parteivorsitzenden Miroslav Topolánek Rechenschaft abgelegt. Er und andere ODS-Vertreter sendeten ein eindeutiges Signal an die politischen Konkurrenten: Falls diese Regierung scheitert, ist die ODS bereit Regierungsverantwortung zu übernehmen. Egal ob durch vorzeitige oder reguläre Wahlen, die Partei will führen.

Eine klare Koalitionsaussage wurde jedoch von der „Partei der Mitte“ nicht getroffen. Allerdings spricht die Tatsache für sich, dass nur der neue Vorsitzende der christlich-demokratischen KDU-ČSL, Miroslav Kalousek, als Vertreter einer anderen tschechischen Partei an dem Treffen teilnahm. Dies war das erste Mal, dass ein Vertreter einer Regierungspartei bei einem Kongress der oppositionellen ODS redete.

Zu Beginn des Parteitages wurde eine Grußbotschaft des Vorsitzenden der britischen Konservativen, Michael Howard, verteilt und verlesen. Es folgte eine Videobotschaft des Fraktionsvorsitzenden der EVP/ED im Europäischen Parlament, Prof. Hans-Gert Pöttering. Neben einigen in Tschechien akkreditierten Botschaftern waren nur wenige ausländische Gäste anwesend, darunter auch ein Vertreter der polnischen PiS (Recht und Gerechtigkeit).

In der Parteitagsrede von Topolánek war von Europa keine Rede. Der 1. stellv. ODS-Vorsitzende Jan Zahradil sprach sich für ein Referendum über den EU-Verfassungstext aus, da die EU-Mitgliedschaft des Landes auf eine neue Grundlage gestellt würde. Ferner erklärte er, dass die EU-Abgeordneten das nationale und nicht das supranationalen Interesse einer europäischen Institution vertreten sollten.

In Luhačovice wurde ein möglichst schneller Sturz der Regierung gefordert, da das „Špidla-Kabinett“ - besonders ihre sog. Finanzreform - der Republik schade, so Topolánek. Noch kurz vor dem Parteitag hatte sich die ODS-Führung darauf verständigt, gegebenenfalls im Rahmen eines provisorischen „Technokraten-Kabinetts“ mit den Sozialdemokraten (ČSSD) zusammenzuarbeiten. Nachdem jedoch der Abtrünnige Josef Hojdar in die ČSSD–Fraktion zurückkehrte, haben die Regierungsparteien im Abgeordnetenhaus wieder eine Mehrheit von einer Stimme. Die Chancen für vorzeitige Wahlen sind damit eher gering. Ein weiteres erfolgloses Misstrauensvotum, wie im September 2003, kann sich die ODS so schnell nicht mehr leisten.

Tatsache ist, dass die Wählerpräferenzen der ODS zunehmen: Sie führt momentan mit mehr als einem Drittel Stimmenanteil die Parteipräferenzen an. Zwar hatte überraschend der ODS-Kandidat Pavel Pavel bei Nachwahlen zum Senat in Strakonice verloren, doch in Brünn gewann der ODS-Kandidat Karel Jarůšek. Die Delegierten zogen daher eine positive Bilanz der Parteiarbeit unter dem einjährigen Vorsitz von Topolánek. Die so nach außen hin deklarierte Einheit wurde jedoch bei den Gesprächen in der Lobby nicht bestätigt.

Der Einfluss von Topoláneks Konkurrenten wächst. Der Kampf um den ODS-Vorsitz, der bei dem nächsten Parteitag ansteht, hat begonnen. Gute Chancen werden dabei dem ODS-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Vlastimil Tlustý, eingeräumt.

So wurde in der liberal-konservativen „Lidové Noviny“ eine Regierungskoalition von Tlustý und Kalousek vorgeschlagen, denn beide hätten vieles gemeinsam.

Die tschechischen Medien kritisierten die scharfen verbalen Attacken gegen die Regierung, die von dem Parteitreffen der ODS ausgingen. Die auflagenstärkste Tageszeitung „Mladá Fronta Dnes“ schrieb in diesem Sinne von dem „Wettbewerb von Luhačovice“. Dabei sei es darum gegangen, so die links-orientierte Tageszeitung „Právo“, die Regierungsmitglieder möglichst massiv zu beleidigen, um das Selbstbewusstsein der Partei aufzubauen.

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