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Überraschend klares Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen in Kirgistan

von Dr. Thomas Kunze, Lina Gronau
Kirgistan hat gewählt. Ein offizielles Endergebnis gibt es noch nicht, aber am Morgen nach der Wahl, die am 30. Oktober stattfand, führt Premierminister Almasbek Atambajew mit 62,88 Prozent der Stimmen.

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Bis dato sind 95,43 Prozent der Wahlkreise ausgezählt worden. Seine schärfsten Konkurrenten, Adachan Madumarow und Kamtschibek Taschijew, kommen bisher auf jeweils gut 14 Prozent . Sollte sich dieses Ergebnis bestätigen, wäre das durchaus eine Überraschung: Vor den Wahlen rechnete man mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen der drei Kandidaten und einer anschließenden Stichwahl. Dass Atambajew so deutlich siegen könnte, hat wohl niemand erwartet. Die Wahlbeteiligung lag nach bisherigen Erkenntnissen bei ca. 60 Prozent.

Nach Beginn des offiziellen Wahlkampfes am 25. September kristallisierten sich schnell Premierminister Almasbek Atambajew, dessen Unterstützer vor allem im Norden des Landes und bei den Minderheiten zu finden sind, sowie Adachan Madumarow und Kamtschibek Taschijew, die bei den Südkirgisen besonders beliebt sind, als aussichtsreichste Kandidaten heraus. Atambajew gehört der Sozialdemokratischen Partei Kirgistans an, die zur parlamentarischen Opposition gehört. Madumarows Partei „Butun Kyrgyzstan“ ist nicht im Parlament vertreten, Taschijews Partei „Ata-Dschurt“ hingegen ist stärkste Fraktion im Parlament und an der Regierungskoalition beteiligt. Alle drei sind schon lange in der kirgisischen Politik, unter anderem auch unter dem 2010 geschassten Präsidenten Bakijew. Mit Atambajew hat ein gemäßigter Politiker die Wahl gewonnen, er steht für enge Kontakte zu Russland und für eine Beibehaltung des parlamentarischen Regierungssystems. Madumarow und Taschijew hingegen sind dem konservativen Lager zuzuordnen. Beide versuchten sich im Wahlkampf mit eher nationalen Parolen zu profilieren und befürworten eine Rückkehr zum präsidialen Regierungssystem. Sie beklagten bereits vor Schließung der Wahllokale, dass Atambajew seine Position als Premierminister dazu genutzt habe, die Wahlen zu beeinflussen. Außerdem soll er Wahlfälschungen veranlasst haben. Tatsächlich räumte die Zentrale Wahlkommission inzwischen kleinere Unregelmäßigkeiten ein, die aber das Endergebnis nicht beeinflussen werden. Internationale Wahlbeobachter hatten sich beim Redaktionsschluss für diesen Bericht noch nicht zum Ablauf der Wahl geäußert.

Ursprünglich hatten sich 83 Personen für eine Kandidatur beworben, darunter nicht nur namhafte Politiker wie Premierminister Atambajew oder der langjährige Parlamentsabgeordnete Omurbek Tekebajew, sondern auch Lehrer, Ärzte, Arbeitslose und Hausfrauen. Schließlich erfüllten aber nur 16 Bewerber alle Bedingungen: Jeder Kandidat musste eine Gebühr von umgerechnet ca. 2200 US-Dollar entrichten, 30.000 Unterschriften sammeln und einen live im Fernsehen übertragenen Sprachtest in Kirgisisch absolvieren. Rosa Otunbajewa, die nach dem Sturz Bakijews als Übergangspräsidentin amtierte, hatte bereits bei der Annahme des Amtes der Übergangspräsidentin angekündigt, nicht zur Wahl anzutreten.

Seit nunmehr anderthalb Jahren hat Kirgistan eine parlamentarische Demokratie als Regierungssystem. Damit steht es nun vor einer ähnlichen Situation wie vor 20 Jahren, als sich die Sowjetunion auflöste und Kirgistan unabhängig wurde. Damals, zu Beginn der 90er Jahre, entschied man sich dafür, es mit einem offenen, demokratischen Staat zu versuchen. Jahrelang wurde Kirgistan als die „Schweiz Zentralasiens“ gelobt, Präsident Askar Akajew, der erste kirgisische Präsident nach der Unanhängigkeit des Landes, galt als Hoffnungsträger und Vorbild für die ganze Region. Doch bereits gegen Ende der 90er Jahre unterschied sich Kirgistan kaum noch von seinen Nachbarn. Akajew hatte sich, dem Vorbild der anderen zentralasiatischen Staatschefs folgend, zum Autokraten entwickelt. Das Projekt Demokratie war gescheitert und Akajew und sein Nachfolger Bakijew schafften es, die ohnehin schwache kirgisische Wirtschaft völlig zu ruinieren. Vetternwirtschaft, persönliche Bereicherung und Korruption standen auf der Tagesordnung.

Das hat sich bis heute nicht nennenswert geändert. Zwar liefen die Parlamentswahlen, im Oktober 2010, weitgehend frei und fair ab. Doch von Arbeitsroutine und Selbstbewusstsein ist im kirgisischen Parlament noch nicht viel zu spüren. Zu stark sind die Nachwirkungen alter Seilschaften, die immer noch bestehende Konkurrenz zwischen den großen Clans und die Unsicherheit der einzelnen Abgeordneten bezüglich ihrer Rechte und Pflichten. Hinzu kommen die Bemühungen der reaktionären, vor allem Bakijew-treuen Kräfte, die im Parlament sowie in den meisten Behörden und Ämtern auf allen Ebenen immer noch anzutreffen sind. Sie sind gegen das neue System und setzen sich für eine Re-Reform ein, durch die aus dem parlamentarischen wieder ein präsidentielles System werden soll. Bei den Parlamentswahlen im letzten Oktober haben einige Parteien das offen propagiert. Allein die Partei Ata-Dschurt, in der sich viele Weggefährten und Anhänger des Ex-Präsidenten Bakijew versammelt haben, konnte damit 9 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen und wurde stärkste Kraft im Parlament. Ein seltsames Wählerverhalten, wenn man bedenkt, dass nur wenige Monate zuvor eine überwältigende Mehrheit von 91 Prozent für die neue Verfassung gestimmt hatte, die aus der autokratisch gewordenen Präsidialdemokratie eine parlamentarische Demokratie machte.

Kirgistan ist ein Land voller Widersprüche und in vielerlei Hinsicht ein tief gespaltenes Land. Da wäre zunächst ein breiter ethnischer Graben, dessen volles Ausmaß sich bei den Pogromen im Juni 2010 gezeigt hat: Die mehrere Tage andauernden Unruhen forderten eine nach wie vor unbekannte Zahl von Todesopfern. Die Schätzungen schwanken zwischen einigen Hundert und bis zu 2000. Tausende Menschen wurden verletzt, Hunderttausende flohen vor der Gewaltwelle. Relativ klar ist inzwischen, dass die Aggressoren mehrheitlich ethnische Kirgisen waren und die Opfer hauptsächlich der usbekischen Minderheit entstammten. Doch in diesem Konflikt zeigte sich nicht nur das tiefe Misstrauen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die Unruhen hatten durchaus auch tagesaktuelle Bedeutung. Unter Bakijew war die Lage der verschiedenen Minderheiten, besonders der Usbeken, zunehmend schlechter geworden. Mit nationalistischen Ressentiments versuchte Bakijew, die schlechte Stimmung im Lande aufzufangen – auf Kosten des interethnischen Friedens. Als Bakijew stürzte, stellte sich die Mehrheit der Usbeken – vertreten durch öffentliche Repräsentanten wie etwa den prominenten Ex-Parlamentsabgeordneten Kadirschan Batirow – schnell hinter die neue Übergangsregierung. Diese konnte ihre anfangs sehr wackelige Machtposition nur mühsam über die ersten Monate retten und nahm die Unterstützung der Usbeken gern an. Vor allem im Süden des Landes gab es jedoch immer noch viele Anhänger Bakijews, denen die neue Regierung verhasst war. Durch das öffentliche Eintreten der Usbeken für die Übergangsregierung wurden nun Usbeken und die neue Regierung direkt miteinander assoziiert. Die usbekische Minderheit gehörte damit endgültig zum Feindbild vieler konservativer Kirgisen.

Hinzu kommt eine bereits ältere Konfliktlinie, die ebenfalls im Juni 2010 sichtbar wurde: Die Spaltung des Landes in einen tendenziell reicheren, liberalen Norden mit einer größeren russischen Minderheit und einen bäuerlichen, verarmten Süden, der unter dem Zusammenbruch der Sowjetunion besonders zu leiden hatte. Die bedrückende Armut großer Bevölkerungsteile betrifft vor allem den Süden und vor allem ethnische Kirgisen . Dazu kommt ferner eine voranschreitende politische Spaltung Kirgistans in eine große Gruppe von Bürgern, die sich einen „starken Führer“ zurückwünschen und diejenigen, die den Weg der Demokratie weiter beschreiten wollen – auch wenn er noch lange steinig bleiben wird. Dass der Präsident nach wie vor als der eigentliche Machthaber angesehen wird, auch wenn er das laut Verfassung gar nicht mehr ist, zeigt unter anderem das öffentliche Interesse, das diesen Wahlen bezeugt wird. Kirgistan befindet sich medial im Ausnahmezustand. Für die Zeit des Wahlkampfes, vom 25. September bis zum 30. Oktober, wurden sämtliche ausländischen Fernsehsender verbannt, um eine Einflussnahme auf den Wahlkampf von außen zu verhindern. Auch die Kandidatur von Premierminister Atambajew war in dieser Hinsicht nicht eindeutig: Stuft er das Amt des Regierungschefs im Vergleich zum Amt des Präsidenten als weniger bedeutsam ein?

Entgegen den Befürchtungen vieler Beobachter und auch vieler Einheimischer verliefen aber sowohl der Wahlkampf als auch die Wahl selbst friedlich. Eine gewisse Anspannung war dennoch spürbar, die ethnischen Differenzen liegen weiterhin wie ein Schatten über dem Land. So sollen beispielsweise in einigen Wahlbezirken in Südkirgistan ethnische Usbeken von ihren kirgisischen Mitbürgern eingeschüchtert worden sein, um sie vom Wählen abzuhalten. Dass Atambajew bereits nach dem ersten Wahlgang als Sieger feststeht, kann als positiv gewertet werden. Im Vorfeld deutete alles darauf hin, dass es zu einer Stichwahl zwischen Atambajew und einem seiner südkirgisischen Herausforderer kommen würde. Dies hätte vermutlich zu einer weiteren Vertiefung der eben erwähnten Konfliktlinien geführt: Atambajew als Hoffnungsträger des wohlhabenderen, liberalen Nordens und der ethnischen Minderheiten gegen Madumarow oder Taschijew als Repräsentanten des ärmeren, konservativen Südens, die Rückkehr zum Präsidialsystem und eine Erhöhung der kirgisischen Leitkultur fordernd.

Wie es im Moment aussieht, hat sich jedoch eine deutliche Mehrheit aller kirgisischen Wähler für eine Weiterführung des „Projektes Demokratie“ ausgesprochen. Die Erwartungen an Atambajew sind hoch: Es muss ihm gelingen, die Spaltung des Landes zu überwinden und Kirgistan auch außenpolitisch in ein stabiles Umfeld zu führen. Es kann als wahrscheinlich gelten, dass in dieser Hinsicht eine weitere Annäherung an Russland stattfinden wird, das ja gerade versucht, ein eurasisches Bündnis zu schmieden. Als wichtigste Voraussetzung für das weitere Bestehen der kirgisischen Demokratie gilt jedoch weiterhin der Aufbau der Wirtschaft und damit einhergehend die Beseitigung der großflächigen Armut.

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