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Länderberichte

Ungarn nur sehr verhalten für den EU-Beitritt

von Klaus Weigelt
Die meisten stimmberechtigten Ungarn, 54,38%, blieben dem Referendum am 12. April 2003 fern. Damit hatte wohl keiner gerechnet. In der letzten Woche vor dem Referendum wurde mit einer Beteiligung von 60 bis 70% gerechnet.

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Wieder einmal hat sich, wie schon vor einem Jahr bei den Parlamentswahlen, eine „Schweigespirale“ bemerkbar gemacht. Offenbar ist vielen Ungarn die EU nicht mehr das erstrebte Ziel wie noch Anfang der 90er Jahre. Von den 45,62% der Bürger, die am Referendum teilnahmen, stimmten 83,76% (= 3.056.027 Personen) mit Ja und 16,24% (= 592.690 Personen) mit Nein. Bezogen auf die wahlberechtigten Bürger stimmten 38,00% mit Ja und 7,37% mit Nein, ein eher bescheidenes Ergebnis. Die Volksabstimmung ist gültig, der EU-Beitritt kann nunmehr erfolgen.

Das Ergebnis ist eine deutliche Schlappe für die Regierung Medgyessy, die in den letzten Wochen einen beispiellosen Europafeldzug mit einem hohen Kostenaufwand durchgeführt hatte. Man erreichte aber allenfalls die Bürger in Budapest, wo die Beteiligung 56,25% erreichte und 46,15% der Wahlberechtigten den Beitritt befürworteten (82,50% der Wähler). Ansonsten lag die Durchschnittsbeteiligung in den Städten bei 48,42%, in den Dörfern bei 40,32%, am niedrigsten in den Dörfern von Hajdú-Bihár im Osten des Landes mit 30,94%. Aber auch die im Parlament vertretenen Parteien, einschließlich der Opposition, können mit dem Ergebnis nicht unbedingt zufrieden sein, hatten sich doch alle einmütig für den Beitritt ausgesprochen, gegen Ende der Kampagne auch der Fidesz.

Der heimliche „Sieger“ des Referendums ist Viktor Orbán. Er kann mit diesem Ergebnis sehr gut leben: der Beitritt kann erfolgen, aber die Regierung hat ihre Quittung erhalten. Neuwahlen, von denen im Vorfeld des Referendums hier und da gemunkelt wurde, wird es mit einem solchen Ergebnis sicher nicht geben. József Szájer, einer der wichtigsten Vertrauten Orbáns und Mitglied im EU-Konvent, kritisierte die Kampagne der Regierung und machte sie für die geringe Wahlbeteiligung verantwortlich. Orbán hat jetzt die von ihm gewünschte Ausgangsbasis für die innenpolitische Auseinandersetzung um die Konsequenzen der seiner Ansicht nach „schlechten Ergebnisse“, die von der Regierung Medgyessy in Kopenhagen erzielt wurden.

Der Verlauf der EU-Kampagne

Während der letzten Wochen vor dem Referendum hatte es landesweit zahlreiche Aktionen, Diskussionen und auch Informationskampagnen gegeben, die sehr unterschiedlich besucht waren und auch sehr unterschiedlich bewertet wurden. Insgesamt wurde von vielen Beobachtern bemängelt, dass die Kampagne für den Beitritt im wesentlichen inhaltslos war, also kaum die Beantwortung der zahlreichen Fragen zum Ziel hatte, die in einer groß angelegten Briefaktion der EU-Kommunikations-Stiftung (EUKK) von der Bevölkerung erhoben worden waren. Im Endeffekt war das deswegen nicht so problematisch, weil die Aktionen der wenigen Gegner, z. B. die der rechtsradikalen MIÉP und der Bewegung Jobbik, so übertrieben und schlecht waren, dass sie eher den Befürwortern zugute kamen, als die Gegner stärkten.

Die Arbeit der EUKK

Die EUKK fördere die EU-skeptische Propaganda nicht, da es in Ungarn keine legitimen EU-Gegner-Organisationen gebe, die eine entsprechende gesellschaftliche und politische Unterstützung hinter sich hätten – sagte Attila Ágh, Politologe und Kuratoriumsmitglied der EUKK. Am 12. April werden seiner Ansicht nach die EU-Gegner passiver sein als die Befürworter. Bis zum Referendum habe die EUKK darum das Mobilisieren, danach die Vorbereitung der Bevölkerung auf den EU-Beitritt als Aufgabe.

Vor dem Referendum sind 4 Bände der „Europäischen Hefte“ des Ministerpräsidenten-Amtes und des Außenministeriums veröffentlicht worden. Die etwa 30seitigen Hefte stellen die Kapitel des Beitrittsvertrags vor, und sie haben das Ziel, Experten und Fachgruppen aufgeschlüsselte Informationen über den Inhalt der Vertrags-Kapitel und den Verlauf des Beitritts zu geben. Außenminister László Kovács betonte, dass es bis zum 12. April um die Darstellung der Vorteile des Beitritts gehe, danach müssen die Menschen darauf vorbereitet werden, wie sie diese nutzen können. Die Themen der erschienenen Hefte waren die folgenden: Sozialpolitik und Arbeit, Steuerpolitik, Landwirtschaft und Unternehmensrecht. Die Hefte wurden von der EUKK verbreitet.

Statt Europessimismus: „EU-phorie“.

Der Vorsitzende der EUKK, Dr. Tibor Palánkai, sagte in einem Vortrag über die EU, dass die am meisten gestellten Fragen aus der Bevölkerung den Ausgleich der Vor- und Nachteile des EU-Beitritts erhoffen. Ein bedeutender Teil der Vorteile sei politischer Art (Zunehmen der Sicherheit, Garantie der Demokratie), ein anderer Teil sei persönlicher Art (größere Bewegungsfreiheit, Möglichkeit der Auslandsstudien). Die Menschen fürchten sich im Allgemeinen vor dem immer schärfer werdenden Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt, dessen Verlierer die Kleinunternehmen der Beitrittsländer sein könnten. Die globalen Wirkungen wären aber auch dann zu spüren, wenn Ungarn nicht in die EU eintreten würde.

Nach der Umfrage der EUKK waren die wichtigsten Fragen, die die ungarische Bevölkerung in Bezug auf den EU-Beitritt interessieren, die folgenden:

  • Was ist die EU und wer sind ihre Mitglieder?
  • Kann Ungarn in der EU selbständig und unabhängig bleiben?
  • Wie kann Ungarn seine Kultur bewahren?
  • Welche Veränderungen sind für die Schule zu erwarten?
  • Wie steht es mit der Arbeitsplatzsicherheit?
  • Was wird aus meinem Unternehmen?
  • Was wird aus dem Grund und Boden in Ungarn?
  • Was ist für meinen Wohnort zu erwarten?
  • Wie kann ich innerhalb der EU reisen?
  • Was wird aus dem Forint? Wird sich das Steuersystem verändern?
  • Wird sich die soziale Sicherheit verbessern?

Es wurden den Bürgern Informationshefte der EUKK per Post zugesandt. Die Hefte enthalten Antworten auf die Fragen, die von den Bürgern in den im Januar zurückgeschickten Briefen gestellt worden waren. Bis zum 4. April sollten alle Hefte den Bürgern zugestellt werden, das Programm kostete die Stiftung 95 Millionen HUF (ca. 400.000 Euro).

Die EUKK hatte ihr Medienzentrum im Millenniums-Park eröffnet. Die Aufgaben des Zentrums bestanden vor allem in der Informationsunterstützung für die Medien.

Die Haltung der Parteien und gesellschaftlicher Gruppen

Die EU ist nach dem MDF kein Ziel, sondern ein Mittel, ein Rahmen und ein Ort für Ungarns Entwicklung. Die Sendung des MDF sei der Beitritt, und zwar so, dass die Interessen der ungarischen Nation und ihrer Bürger nachhaltig und mit Erfolg zur Geltung kommen.

Das MDF als drittstärkste Parlamentspartei fühlt sich verantwortlich dafür, sich nicht nur mit den eigenen Problemen zu beschäftigen, sondern dem Land auch Antworten auf alle Fragen des EU-Beitritts zu geben, die in Hinsicht auf die Zukunft des Landes und der Nation derzeit am wichtigsten sind.

Das MDF ist FÜR den Beitritt, und es bittet die Bevölkerung zugunsten der EU-Integration mit einem Ja zu stimmen. Károly Herényi (Fraktionsvorsitzender des MDF): Die Partei beteiligt sich an der Kampagne vor dem Referendum im April, und sie hat das Ziel, ihre politische Botschaft allen Gesellschaftsschichten verständlich zu machen. Das MDF hat als erste Partei mit einer Webseite zum Thema EU-Integration begonnen. Auf dem MDF-Parteitag im Februar wurde das Dokument „Europa auf Ungarisch“ präsentiert, das Antworten auf die den Alltag betreffenden Fragen des Beitritts auf allgemeinverständliche Weise gibt. Laut MDF ist die Partei die erste, die ein solches Buch als praktischen Ratgeber vorlegt.

Die Lakitelek-Volkshochschul-Stiftung organisierte Ende März ein Treffen junger Politologen zum Thema: „Die Zukunft Ungarns in der Europäischen Union – Die Europäische Union in der Zukunft“. Das Treffen wurde von Sándor Lezsák eröffnet. Unter den Vortragenden waren Ferenc Glatz, früherer Vorsitzender der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, der Juraprofessor Tamás Sárközy sowie die Politologen Béla Pokol und Tibor Navracsics. Es kam auch zu einem „Diplomatenrundtisch“ mit der Teilnahme von früheren Botschaftern.

Der Fidesz startete Ende Februar mit Programmen zum Thema EU mit dem Ziel, die Bürger zu informieren. Statt einer leeren Kampagne sollten Dialoge mit den Menschen geführt werden. Die Integration bedeute nicht nur eine Chance, sondern auch eine Verantwortung, sie dürfe deshalb keine parteipolitische Frage sein – betonte József Szájer.

Folgende Programme wurden geplant:

  • Ab März: Rundtisch-Fachgespräche, zusammen mit dem „Institut 21. Jahrhundert“ und der Europäischen Volkspartei
  • Konferenzreihe in mehreren Städten – mit Teilnahme von Regierungsbeamten
  • Ab März: Volkhochschule über die EU
  • Eigene Webseite über die EU

Nach Auffassung des Fidesz gebe die EU-Kampagne der Regierung keine wahrheitsgetreuen Informationen über den Beitritt für die verschiedenen Gesellschaftsgruppen – stellte László Kövér, der Vorsitzende des Fidesz-Landesausschusses fest, nachdem er eine Besprechung mit Antonio Lopez Isturiz, dem Generalsekretär der Europäischen Volkspartei gehabt hatte.

Isturiz hatte sich auch mit Viktor Orbán getroffen. Obwohl ihm Orbán erklärte, er sei mit der Kampagne der Regierung nicht einverstanden, halte der Generalsekretär Orbán nicht für einen EU-Gegner; vielmehr habe Orbán gute Arbeit für den Zusammenhalt der Mitte-Rechts-Parteien geleistet.

Der Fidesz-Politiker, Béla Glattfelder, sagte auf einer Konferenz zum Thema: „Die Landwirtschaft und die von der Landwirtschaft Lebenden in der Europäischen Union“, die Integration werde am meisten die Landwirtschaft berühren. Der Agrarbereich werde nämlich aus dem gemeinsamen EU-Budget finanziert, und die nationalen Förderungen der Mitgliedstaaten seien entweder verboten oder auf einen kleinen Kreis beschränkt.

Die EU-Mitgliedschaft sei mit einigen Schwierigkeiten verbunden, bringe aber keine Nachteile – sagte László Kovács bei der Eröffnung der EU-Kampagne „Ja zu Europa“ der MSZP. Der Beitritt sichere nicht nur eine Erhöhung des Lebensniveaus, sondern bedeute auch, dass keine Entscheidungen in Bezug auf Ungarn ohne Ungarn getroffen werden können.

Die 8 Argumente der MSZP für den Beitritt sind:

  • Für die Durchsetzung der Interessen Ungarns gibt es bessere Chancen, wenn Ungarn Teil einer Großmacht ist, die aus 25 Mitgliedstaaten besteht
  • Für Ungarn ist es vorteilhafter, wenn Ungarn selbst über die Angelegenheiten des Landes entscheiden (und nicht andere, ohne Ungarn)
  • Chancen für ein Wachstum der ungarischen Wirtschaft
  • Erhöhung des Lebenshaltungsniveaus. Die Lohnerhöhungen bringen auch höhere Renten mit sich
  • Verbesserung der Lebensqualität im Umweltbereich
  • Aufschließen des Agrarbereichs
  • Die Union kann wirkungsvoller gegen die Kriminalität, den internationalen Terrorismus und die Verbreitung der Drogen kämpfen
  • Nach dem Beitritt können Ungarn sich in 24 EU-Ländern problemlos ansiedeln

Am 15. Februar startete der SZDSZ mit seiner EU-Popularisierungskampagne. Die Partei soll dafür etwa 20-25 Million HUF ausgegeben haben (ca. 100.000 Euro). Slogans waren u. a.: Hasse nicht das Anderssein! Schlage nicht dein Kind/deine Frau! Quält nicht die Tiere! Stiehl nicht! Nach István Szentiványi-Szabó (stellvertretender Fraktionsvorsitzender des SZDSZ) seien negative Aussagen deshalb wichtig, weil auf diese Weise leichter zu formulieren sei, was Ungarn NICHT mit sich in die Union tragen soll.

Die Pázmány Péter Katholische Universität organisierte eine Volkshochschule im Thema Europa. In der Frage des Beitritts hielten bedeutende Persönlichkeiten Vorträge.

Die Mitglieder (bedeutende konservative Intellektuelle) des Nationalkreises (Nemzeti Kör) gaben eine Erklärung ab, in der sie eindeutig Ja zur Union sagen. Die Erklärung wurde in verschiedenen Tageszeitungen abgedruckt. Einige Aussagen aus dem Text:

  • Dieses bedeutende Kapitel der ungarischen Geschichte wurde 1990 von József Antall vorbereitet. 1994 habe Péter Boross den Aufnahmeantrag eingereicht. Zwischen 1998 und 2002 habe dann die Orbán-Regierung von den 31 Kapiteln 24 abgeschlossen.
  • Die Christliche Demokratie, der nationale Liberalismus und die konservativen Kräfte waren und seien weiterhin entscheidende Faktoren in Ungarn.
  • „Unsere Antwort auf die Frage des Referendums ist ein eindeutiges und entschlossenes Ja.“
  • Für das Ergebnis des Referendums „sind wir alle - sowohl als Einzelne wie
auch als Gemeinschaft - verantwortlich“.

  • Die Ergebnisse der Verhandlungen seien zwar geringer, als es man erwartet hatte, die Herausforderungen des Beitritts und die Anforderungen eine Verbesserung der Wettbewerbfähigkeit seien aber größer geworden. Die Beantwortung dieser Herausforderungen sei vor allem die Aufgabe der ungarischen Regierung sowie der ungarischen Gesellschaft.
  • Es werden einige Vorteile des Beitritts aufgezählt:

    - die „Abrechnung“ mit einem Teil der ungarischen Geschichte (Trianon, Jalta);

    - Entwicklung und Aufschließen der Wirtschaft;

    - Verbesserung der ungarischen geopolitischen Lage;

    - Verstärkung der Durchsetzungsfähigkeit der nationalen Interessen;

- das europäische Rechts- und Friedenssystem sowie die europäische Staats- und Gesellschaftsordnung garantieren die Sicherheit des ungarischen Rechtssystem und der ungarischen Demokratie.

  • Das einheitliche und grenzenlose Europa sei die Zukunft der ungarischen Nation sowie der einzige mögliche Weg der Vereinigung der Nation über die Grenzen hinweg. Kein einziger Ungar habe das Recht darauf zu verzichten.
  • Vor Ungarn stehe noch ein langer Weg bis zur Anerkennung seiner nationalen Verbundenheit, Ungarn dürfen aber auf diesem Weg weder stehen bleiben, noch davon abweichen. „Dieser Weg führt ins einheitliche Europa“.

Die Unterzeichner sind: László Dobos, György Granasztói, Béla Jávor, Béla Kádár, János Martonyi (Außenminister der Orbán-Regierung), István Nemeskürty, György O´sváth, József Pálinkás (früherer Minister für Unterrichtswesen), Frigyes Solymosi (Akademiker), Pál Tar, Ernö Taxner und József Tornai.

Die Haltung der Ungarischen Nationalbank

Ungarns Wirtschaft sei noch nicht genug vorbereitet, all die möglichen Vorteile des Beitritts auszunutzen – teilte Zsigmond Járai, der Vorsitzende der Ungarischen Nationalbank, im Vorfeld des Referendums mit. Die Wirksamkeit des Staatssektors sei niedrig, verschwenderisch, manchmal korrupt, teuer und zu personalintensiv. Die Steuern seien ziemlich hoch, die Infrastruktur und der Umweltschutz unterentwickelt. Die Arbeitslosigkeit wächst, die Struktur des Unterrichtswesens sei auch nicht angemessen. Es sei auch ein Problem, dass es in Ungarn nur wenige wettbewerbfähige Klein- und Mittelunternehmen gibt. Ein Durchbruch für die ungarische Wirtschaft könnte die Einführung des Euro bedeuten, und das frühestens zwei Jahre nach dem Beitritt.

Die Haltung der EU-Gegner

Es wurde eine Erklärung von einigen internationalen Bewegungen angenommen, in der die Gründe dargestellt werden, warum diese Bewegungen gegen die EU sind. Die staatliche Unabhängigkeit und die politischen Freiheitsrechte könnten in der EU nicht erhalten bleiben – steht in der Erklärung. Statt der Union sollte man eine freiwillige Assoziation der mittel-osteuropäischen Staaten ins Leben rufen, die eine Freihandelsgemeinschaft sein sollte. Das Dokument wurde in der Konferenz „EU-Erweiterung 2004. Die ehrlosen Methoden der Kolonisation“ angenommen, an der Vertreter polnischer, österreichischer, finnischer und ungarischer Organisationen teilnahmen. Die ungarischen Bewegungen waren die folgenden: Magyar Földvédö Mozgalom (Bewegung Ungarischer Verteidiger des Eigentums an Grund und Boden), Szabad Magyarországért Mozgalom (Bewegung für ein Freies Ungarn) und Jobbik Magyarországért Mozgalom (Bewegung der Jobbik für Ungarn). (Jobbik = Jobboldali Ifjúsági Közösség (Gemeinschaft Rechtsorientierter Jugendlicher))

Die Erweiterung sei das wirtschaftliche Interesse der EU, nicht das der Beitrittsländer – so der Standpunkt der Bewegung Jobbik für Ungarn. Die Wirtschaft der EU entwickle sich nämlich immer langsamer, und der billige Arbeitsmarkt sowie die Investitionsmöglichkeiten in den Kandidatenländern sollen einen Aufschwung für die EU bringen.

Die Bewegung Freies Ungarn, die Blauer-Bund-Gesellschaft (Kék Szalag Társaság/KSZT), sowie weitere 19 Organisationen gründeten eine Bewegung und nahmen die Erklärung „EU-Beitritt: Nein“ an. Ihre Kampagne wurde deshalb aus Privatgeldern finanziert, weil die SZMM von der EUKK keine Unterstützung bekam. Der Vorsitzende der KSZT, András Takács (Journalist) meinte, die korrekte Information sollte auch das Nein enthalten.

Bei den jetzigen Bedingungen sei die MIÉP weiterhin gegen den EU-Beitritt und fordere die Bevölkerung auf, Nein am 12. April zu sagen – äußerte sich István Csurka, der Vorsitzende der Partei. Die Gegner der EU hätten keine Möglichkeit zur Meinungsäußerung. Die MIÉP sei die einzige Partei, die sowohl politisch als auch wissenschaftlich ihre Gegenmeinung darstelle. Die Union halte nicht einmal ihre eigenen Grundsätze in Bezug auf die 10 Kandidaten ein – meinte der Parteivorsitzende. Ungarn werde als „zweitrangige Kolonie“ der EU beitreten.

Der Werbefeldzug der Regierung und des Parlaments

Sehr erfolgreich war sicher die Forum-Reihe „Zusammen für das einheitliche Europa“, in der jeweils Abgeordnete aller im Parlament vertretenen Parteien landesweit und auch im Fernsehen für den Beitritt warben. Bei diesen Diskussionen wurden auch Argumente und Informationen vermittelt.

In Baja wurde das Bewohnerforum „Vielfarbiges Europa“ veranstaltet, zu dem sowohl Ibolya Dávid (MDF) wie auch die Innenministerin Mónika Lamperth (MSZP) eingeladen wurden. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem EU-Beitritt sei erschreckend – sagte Dávid, und stellte gleichzeitig die Frage an die Euroskeptiker: Wo haben sie in den letzten 50 Jahren gelebt? Sie nannte das Referendum den letzten Schritt für die Vollendung des Systemwechsels. Die kritischen Gedanken werden gebraucht, um zu wissen, was in den dem Beitritt folgenden Jahren getan werden muss. Es sei nicht zufällig, dass es keine Drehbücher für ein Nein gebe, die EU-Gegner hätten nämlich kein Zukunftsbild.

„Der EU-Beitritt Ungarns bietet die Chance zur inneren nationalen Zusammenarbeit. Die EU-Mitgliedschaft ist Ungarns nationales Interesse, die Zukunft des Landes kann nur dadurch gesichert werden, nur so kann Ungarn dazu fähig sein, seine nationalen Werte und zugleich seine Gebundenheit an Europa in seiner Kultur zu zeigen“ – unterstrich der Staatspräsident, Ferenc Mádl, in der feierlichen Veranstaltung der Forum-Reihe „Zusammen für das einheitliche Europa“ im Parlament am 9. April. In dieser Sitzung war (endlich) eine politische Einheit zu beobachten: die Vorsitzenden der Parlamentsparteien forderten die am Referendum Teilnehmenden dazu auf, mit Ja zu stimmen.

János Áder, der geschäftsführende Vorsitzende des Fidesz sagte, der Beitritt sei keine Frage der Politik. Er wies auch darauf hin, dass das Schwerste des Beitrittprozesses, nämlich das letzte Jahr der Vorbereitung, erst nach dem Referendum komme. Er werde als Vater und als ungarischer Staatsbürger mit Ja stimmen.

Ibolya Dávid (MDF) stellte fest, Ungarn dürfe den Beitritt nicht verfehlen. Sie erinnerte daran, dass die Vereinigung des Ungarntums im Karpatenbecken Ungarns Verantwortung in der Union sei.

Vergleichbare Beachtung erfuhr auch eine Reihe von Veranstaltungen der Parteien und der Regierung, so z. B. die Veranstaltung „Europäischer Dialog“, die im Fernsehen übertragen wurde, mit Ministerpräsident Medgyessy, Außenminister Kovács (beide MSZP) und dem SZDSZ-Vorsitzenden Kuncze. Europa sei heute noch schwach im Verhältnis zu Amerika, Ungarn könne aber nach seinem Beitritt zu einer einheitlichen Außen- und Sicherheitspolitik innerhalb der Union aktiv beitragen – sagte Medgyessy bei dieser Veranstaltung in der Konditorei Gerbaud am 6. April. Kuncze erwarte ein erfolgreiches Referendum und er wünsche, dass der Beitritt ein Freudenfest wäre, aber viele handeln dagegen – meinte er.

Es werde das Ja jedes ungarischen Staatsbürgers zur EU gebraucht – sagte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi in Budapest. Dieser Besuch sei ein Beweis dafür, dass nicht nur die EU für Ungarn, sondern auch Ungarn für die EU wichtig ist – äußerte sich Ministerpräsident Medgyessy zu diesem Ereignis. Prodi nahm an einer Spitzenveranstaltung der Selbstverwaltungen teil, wo er die Freiheit, die Solidarität und den Minderheitenschutz als die wichtigsten Werte des gemeinsamen Europa charakterisierte. Prodi hatte eine Besprechung mit dem Staatspräsidenten Mádl und mit Außenminister Kovács. Mit Vertretern der Opposition traf er sich nicht.

Das Ministerium für Jugend und Sport, das Innenministerium, das Ministerium für Gesundheitswesen sowie das MP-Amt starteten mit einer Programmreihe „Dein Weg“ (ung. „A te utad“) in Pécs. Das Ziel der Veranstaltung war es, den Jugendlichen, die noch vor dem Abitur stehen, die EU und ihre Herausforderungen vorzustellen. Die erste Phase der Programmreihe dauert bis Mai 2004, während dieser Zeit werde das ganze Land bereist.

Das MDF hatte sich während der ganzen Zeit klar für den Beitritt ausgesprochen, der Fidesz hatte zum Schluss seine eher zögerliche Haltung aufgegeben und auch deutlicher als vorher für den Beitritt optiert. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass Medgyessy in seinem Einladungsschreiben an Viktor Orbán zur Unterzeichnungsfeierlichkeit in Athen am 16. April 2003 eindeutig die Verdienste der Regierung Orbán um den Vertragsabschluss mit der EU hervorgehoben hatte. Die früheren Ministerpräsidenten, Péter Boross, Gyula Horn und Viktor Orbán, werden alle mit Medgyessy an der Unterschreibenszeremonie in Athen am 16. April teilnehmen.

Aktionen

Mit einer symbolischen Europabrücke hatte am 14. März die heiße Phase der EU-Kampagne begonnen. Es wurde eine sechs Meter breite Pontonbrücke in der Nähe des Parlaments errichtet, die die Fußgänger zum Schlendern über die Donau einlud. Unterstützung für die EU-Kampagne erhielt die Stiftung aus Straßburg: Pat Cox, der Präsident des EP, eröffnete die 132 Meter lange Europabrücke gemeinsam mit Ungarns Premier Péter Medgyessy. Geschmückt war die Donau-Querung mit Windrädern und Flaggen in den Farben Ungarns und Europas. Abends wurde die reine Fußgängerbrücke mit Fackeln erleuchtet. Anschließend wurde auf einer Bühne am Budaer Ufer bis in den späten Abend gefeiert. Während der zweitägigen Aktion benutzten über 400.000 Menschen die Pontonbrücke.

Während die Werbeaktionen samt Telefon-Hotline und Briefsendungen sich zunächst eher rational mit dem Thema EU auseinandersetzten und vor allem Informationen hatten bieten wollen, standen im weiteren Verlauf der Kampagne Emotionen im Vordergrund. Dies spiegelt sich auch in den Reklamefilmen und Postern wider, die die Kommunikationsstiftung in Auftrag gegeben hatte. „Die Filme und Poster zeigen bekannte Persönlichkeiten, die Gegensätze widerspiegeln, aber eines gemeinsam haben - sie werden im Beitrittsreferendum am 12. April mit Ja stimmen“, erklärte Anikó Lenkei, Marketingdirektorin der Stiftung. In den Filmen treten unter anderem auch Bewohner der beiden konkurrierenden Reality-Shows Big Brother und Való Világ (Real World) auf.

Am Nationalfeiertag, dem 15. März, wurde das kleine Europafestival ganztägig mit Musikern und Tänzern aus Paris, Athen, Madrid, Dublin und Budapest fortgesetzt. Am 16. März forderte EU-Botschafter Jürgen Köppen die Ungarn zu einem positiven Votum im Referendum auf, bevor um 16 Uhr die Brücke abgebaut wurde.

Weiter kann die Europa-Straßenbahn auf dem äußeren (großen) Ring in Budapest erwähnt werden. Der Budapester Oberbürgermeister, Gábor Demszky, hatte die Straßenbahn Linie 4 übergeben, die in ihrem äußeren Erscheinungsbild den Beitritt zu popularisieren hatte. Auf der Straßenbahn war die Aufschrift „Gerade nach Europa“ (ung. Egyenesen Európába) zu lesen, das Programm kostete den EU-Fonds der Hauptstadt 3 Millionen Forint (12.000 Euro). Die Straßenbahn fuhr bis zum 12. April.

Der sog. „Baumpark Europa“ in Debrecen. 300 Setzlinge wurden am 5. April bei Debrecen gepflanzt. Der sog. „Baumpark Europa“ soll die Einheit, das gemeinsame Denken und Willen symbolisieren.

EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hielt sich am 31. März und 1. April zu Gesprächen in Ungarn auf. Er nahm sich nicht nur für Treffen mit Premier Péter Medgyessy, dessen Amtsvorgänger Viktor Orbán und weiteren Politikern Zeit, sondern suchte während einer Reise mit einem Nostalgiezug nach Gyõr auch Kontakt zur Bevölkerung. Er zeigte sich überzeugt, dass der Beitritt nicht verzögert und das EU-Referendum in Ungarn positiv ausgehen werde. Da bei den Beitrittsverhandlungen mit Ungarn Verheugen zufolge alles nach Fahrplan verlief, betonte er besonders die Herausforderungen, denen Ungarn in der EU begegnen werde - in erster Linie die Reform der Agrar- und der Strukturpolitik und die Finanzen nach 2006. Der frühere Außenminister János Martonyi teilte dem Erweiterungsbeauftragten mit, dass der Fidesz eindeutig für den EU-Beitritt sei. "Ich hoffe auf 75% der Ja-Stimmen im Referendum", sagte Martonyi.

Woche des europäischen Festivals. Partystimmung für das Referendum

Unzählige Veranstaltungen begleiteten die Woche vor dem EU-Referendum am kommenden Samstag. Am 4. April begann eine so genannte Europa-Karawane mit sechs Lastwagen, sechs Kleinbussen und 70 Personen ihren Weg durch die Zentren der Komitate, wo verschiedene Informations- und Unterhaltungsveranstaltungen dargeboten wurden. Am 5. April wurde die –Andrássy-Straße zur kulturellen Achse Europas mit vielen kleineren Programmpunkten umfunktioniert.

Auch die Deutsche Schule Budapest beteiligte sich zum Beispiel mit Klavier- und Jazzkonzerten im Goethe-Institut. Generell spielten die verschiedenen Kulturinstitute in Budapest und diverse geladene Gäste aus dem Ausland eine große Rolle.

Am 9. April betraten zum Abschluss der Kampagne in der Budapester Sportarena rund 500 Künstler im Rahmen einer großen Gala die Bühne.

Am 12. April, dem Tag des Referendums, organisiert die EUKK nach 21 Uhr eine für jedermann offene Party. Um 23 Uhr wird der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, ein Grußwort an die Besucher richten. Das vorläufige Endergebnis des Referendums wird gegen Mitternacht erwartet. Am darauf folgenden Tag lockt am Felvonulási tér unmittelbar hinter der Kunsthalle ein Festival für Familien sowie ein Straßenfest im Tabán-Park nahe der Elisabeth-Brücke auf der Budaer Seite der Donau.

Webseiten

www.eu2004.hu, www.info@eu2004.hu, www.magyarorszag.hu, www.euroinfo.hu, www.valasztas.hu; www.eu-nepszavazas.hu; www.unioscsatlakozas.hu,

Alle diese Aktionen sollten vor allem die Aufmerksamkeit der Bevölkerung wecken, Ängste beseitigen und die schwindende Begeisterung wieder entfachen. Das schien gelungen zu sein. Gegen Ende der Kampagne wurde berichtet, dass die Zustimmung der Bevölkerung wieder zugenommen habe und wohl auch die Bereitschaft, zur Abstimmung zu gehen, gewachsen sei.

Nach einer Umfrage von Szonda Ipsos waren im Februar viele FÜR den Beitritt. Auf die Frage „Wofür würden Sie Ihre Stimme abgeben?“ antworteten die Befragten folgendermaßen:

  • 67% seien für den Beitritt
  • 21% wissen es nicht
  • 8% seien gegen den Beitritt
  • 4% beantworteten die Frage nicht
Der Verein für Gesellschaftsforschung „Tárki“ brachte den vorletzten Bericht über die Unterstützung des ungarischen Beitritts im März.

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Die letzten Ergebnisse des „Tárki“ zum Thema der Beurteilung des EU-Beitritts waren die folgenden:

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Nach einer Umfrage des Instituts „Gallup“ hat die Befürwortung der Union in Ungarn zugenommen.

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Ein Vergleich dieser Zahlen mit der am 12. April 2003 eingetretenen Realität zeigt deutlich, dass die Meinungsforschungsinstitute noch einen erheblichen Nachholbedarf haben bezüglich der Offensichtlichen „Schweigespirale“ in den Köpfen der Ungarn.

Es beginnt jetzt eine Zeit der „Aufarbeitung“ und „Interpretation“ des Ergebnisses des Referendums und sicher auch eine Zeit verschärfter innenpolitischer Auseinandersetzung, die sich bis zu den Europawahlen im Juni 2004 hinziehen wird. Dann erfolgt der nächste Test für das europäische Wahlverhalten der Ungarn.

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