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Vaclav Klaus unterschreibt Lissabonner Vertrag

von Dr. Hubert Gehring, Tomislav Delinić, Mathias Paul

Ratifizierung in Tschechien damit abgeschlossen

Nach monatelangem Hin- und Her hielt Vaclav Klaus zumindest sein Wort: Nur wenige Stunden nach dem Urteil des tschechischen Verfassungsgericht, dass der Lissabonner Vertrag in Einklang mit der tschechischen Verfassung stehe, unterschrieb der Staatspräsident den Vertrag und schloss somit den Ratifizierungsprozess in Tschechien ab.

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„Ich habe das Urteil erwartet und werde es respektieren“, äußerte sich Klaus im Rahmen einer heutigen Pressekonferenz auf der Prager Burg. Er selbst stimme allerdings nicht mit der Argumentation des Verfassungsgerichts überein und sehe das Urteil eher als politische Entscheidung denn als Sachentscheidung. Der Ratifizierung werde er allerdings nicht mehr im Wege stehen. Damit endete eine lange Odyssee, die zunächst in Tschechien, dann aber auch in allen europäischen Staaten für Aufruhr sorgte. Nach mehreren Verfassungsklagen, dem Sturz der tschechischen Regierung während der eigenen Ratspräsidentschaft und stark Europa-kritischen Auftritten des Staatspräsidenten hat die Tschechische Republik als letztes EU-Mitgliedsland den Lissabonner Vertrag ratifiziert. Der Vertrag kann somit zum 1. Dezember in Kraft treten.

Lissabonner Vertrag in Einklang mit tschechischer Verfassung

Nachdem das tschechische Verfassungsgericht am 6. Oktober bereits die erste Verfassungsbeschwerde der 17 überwiegend bürgerdemokratischen Senatoren, unter Führung von Jiri Oberpfalzer, gegen das tschechischen Begleitgesetz zum Vertrag von Lissabon, als unbegründet zurückgewiesen hatte, entschied es heute am Morgen in Bezug auf eine zweite Klage, dass der europäische Reformvertrag im Grundsatz verfassungskonform ist. Oberpfalzer sprach davon, dass die Urteile beider Klagen einer Erodierung der tschechischen Souveränität gleich käme und, dass den Senatoren ein fairer Prozess verwehrt wurde. Er kündigte eine Klage beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an. Beobachter hingegen zeigten sich von der Entscheidung der Verfassungsrichter nur wenig überrascht. Sie verwiesen auf den Umstand, dass das Gericht bereits bei der ersten Prüfung befunden hatte, dass die wesentlichen Aspekte des Lisabonner Vertrags mit der tschechischen Verfassung in Einklang stehen. Dementsprechend hatten Kritiker beide Klagen der Senatorengruppe bereits im Vorfeld als Verzögerungstaktik bewertet, um dem als euroskeptisch bekannten Staatspräsidenten Vaclav Klaus Gründe zu liefern, die Unterzeichnung des Vertrags aufzuschieben. Klaus hatte jedoch mehrfach betont, dass er seine zur Ratifizierung notwendige Unterschrift dann leisten wolle, wenn alle juristische Bedenken ausgeräumt wären, sprich, wenn die Urteile des Verfassungsgerichts vorlägen. Nach der heutigen Entscheidung war dies der Fall. Zudem ist die EU Klaus Forderungen nach einer Ausnahmeklausel hinsichtlich der EU-Grundrechtscharta nachgekommen.

Reaktionen – Demokratische Parteinen begrüßen heutige Entwicklungen

Die demokratischen Parteien Tschechiens zeigen sich nach den Brünner Entscheidungen erleichtert. Dass Klaus sich am Ende gegen sämtliche Institutionen der Tschechischen Republik sowie 26 Mitgliedsstaaten mit einer halben Milliarde Einwohner stellen würde, war nunmehr eigentlich ausgeschlossen. Dahingehend äußerte sich auch Karel Schwarzenberg, Parteivorsitzender der TOP 09. Wie bei vielen Politikern spiele die eigene Bedeutung eine mit dem Alter zunehmende Rolle so Schwarzenberg über Klaus. Allerdings sei Klaus auch immer Realist gewesen und habe bisher immer noch die Kurve bekommen und so scheint es auch dieses Mal zu sein, so Schwarzenberg. Vom Urteil aus Brünn zeigte sich der ODS-Parteivorsitzende Mirek Topolánek dann auch nur ‚wenig überrascht’. Auch die Spitzen der anderen Parteien begrüßten das Urteil.

Die Aussagen führender Politiker bestätigen einmal mehr, dass es verfehlt wäre, davon zu sprechen, dass Tschechien als Ganzes die Ratifizierung blockieren würde. Tatsächlich scheinen es vor allem der Staatspräsident und sein näheres Umfeld zu sein, denen eine Blockade gelegen kam. Parlament und Regierung hatten den Vertrag bereits vor langem ratifiziert und nun hat mit dem Verfassungsgericht auch die dritte Staatsgewalt die Konformität des Vertrags mit der tschechischen Verfassung bestätigt. Somit blieb Klaus als einziger „Verbündeter“ in dieser Sache die unreformierte kommunistische Partei Tschechiens, die KSCM, welche die europäische Integration und somit auch den Vertrag von Lissabon von Anfang an ablehnte. Politisch war das tschechische Staatsoberhaupt damit im In- und Ausland weitestgehend isoliert. Gut informierte Kreise berichten von einem zunehmend leeren Terminkalender des Präsidenten. Während Vaclav Havel als Repräsentant Tschechiens großes internationales Ansehen genießt und zahlreiche Auszeichnungen und Preise entgegennimmt, bleiben Staatsempfänge für Klaus mehr und mehr aus.

Ein letztes Störfeuer des Präsidenten

Wer in Tschechien und Europa zuvor auf eine relativ geräuschlose Unterzeichnung gehofft hatte, sah sich getäuscht. Am 9. Oktober, eine Woche nach der irischen Zustimmung, sorgte Klaus mit der überraschenden Forderung nach einer „Fußnote“ für neue Verunsicherung in der Europäischen Union. Vor einer Ratifizierung des Lissabon-Vertrags – so der Staatspräsident – müsse bei der Grundrechtscharta der EU für Tschechien eine Ausnahme vereinbart werden, wie sie bereits für Polen und Großbritannien gelte. Ansonsten könne der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg die tschechische Gesetzgebung und sogar zeitlich zurückliegende Urteile überprüfen, so der Präsident. Konkret ging es Klaus darum, Tschechien gegen mögliche Eigentumsansprüche im ehemaligen Sudetenland abzusichern und die Gültigkeit der Beneš-Dekrete nicht zu gefährden. Das damalige Bedauern Fischers, dass sich Klaus im Vorfeld nicht mit der Regierung über sein Vorgehen abgesprochen hätte, verdeutlicht einmal mehr, dass es die Person Klaus und nicht das Parlament oder die Regierung ist, die Bedingungen stellt und den europäischen Integrationsprozess blockierte. Der Zeitpunkt der Forderung sowie auch die Tatsache, dass weder die tschechische Regierung noch Rechtsexperten Klaus Befürchtungen auch nur ansatzweise für berechtigt halten, sorgte kurzzeitig erneut für Spekulationen, dass es zwischen Klaus und dem Tory-Vorsitzenden David Cameron zu einer ‚Koalition der Unwilligen’ kommen könnte. Ein solches Szenario wurde aber jüngst von Klaus selbst in einem Interview zurückgewiesen. Er könne und werde die Unterhauswahlen in Großbritannien nicht abwarten. In der Debatte der letzten Wochen wurde jedoch auch offenbar, dass keine innenpolitischen Mittel zur Verfügung stehen, um den Präsidenten letztlich zu einer Unterschrift zu zwingen.

An keiner Stelle schreibt die tschechische Verfassungsnorm dem Präsidenten vor, ein Gesetz oder eben einen internationalen Vertrag unterschreiben zu müssen. Die verschiedenen Erwägungen der demokratischen Parteien, wie man den Staatspräsidenten letztlich doch in die Enge hätte treiben können, zeigen erneut, dass die tschechischen Politiker das Verhalten von Klaus nicht einfach hingenommen hätten. Die angedachten Sanktionen reichten dabei von einer Klage wegen ‚Untätigkeit’ über Streichung seiner Auslandsreisen bis zur Kürzung des präsidialen Budgets. Bei den tschechischen Grünen und TOP 09 gab es die Überlegung, ein Verfassungsgesetz zu initiieren, das die Ratifizierung des Dokuments auch ohne die Zustimmung Klaus ermöglicht hätte und nur einmalig zur Anwendung gekommen wäre. Im Gespräch war auch der Vorschlag einer sozialdemokratischen Senatorin, Klaus über eine Hochverratsklage zur Abdankung zu zwingen. Nicht zuletzt diese Überlegungen verdeutlichen, dass eine Ratifizierung nun auch aus innenpolitischen Erwägungen unausweichlich war. Zwischen den demokratischen Parteien des Landes herrscht Einigkeit – und das allein ist schon sehr ungewöhnlich – und die beschriebenen Maßnahmen gegen den Präsidenten lassen die Schwere des innenpolitischen Bebens, dass bei einer Nichtratifizierung erfolgt wäre, wahrscheinlich nur erahnen.

Deutliche Warnungen aus Brüssel

Mit seiner Forderung nach Nachbesserungen am Vertragstext sorgte der tschechische Präsident aber auch für heftige Kritik aus Kreisen der EU – Der Ton aus Brüssel wurde rauer. So ließ Reinfeldt verlauten, dass die Forderung von Klaus die falsche Botschaft zur falschen Zeit wäre. Es hätte in der Vergangenheit viele Gelegenheiten und jede Menge Zeit gegeben, um andere Ansichten vorzutragen. Offen wurde von einigen europäischen Parlamentsabgeordneten zudem ein Amtsenthebungsverfahren gegen Klaus gefordert, sollte dieser sich nach der jetzt erfolgten positiven Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts weiter weigern, den Lissabonner Vertrag zu unterzeichnen. Abseits dieses politischen Drucks waren es wohl aber am ehesten wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen seitens der EU, die der studierte Ökonom Klaus fürchtete.

Entgegenkommen der EU – Klaus wird unterschreiben

Letzte Zweifel wurden auf dem EU-Gipfel Ende letzter Woche in Brüssel beseitigt. Dort haben sich die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, Klaus mit der geforderten Ausnahmeklausel entgegenzukommen. Die Charta der Grundrechte der EU wird nun, neben Großbritannien und Polen, auch in Tschechien keine Anwendung finden. Im Gegenzug versicherte Klaus, dass er – nach dem nun erfolgten positiven Bescheid aus Brünn – vor der Ratifizierung keine weiteren Bedingungen stellen werde. Er sehe das Ergebnis als das maximal erreichbare an, äußerte sich Klaus. Bereits im Vorfeld des Gipfels hatte der Präsident in einem Interview das Ende seiner Verweigerungshaltung angekündigt und betont, dass der Zug auf dem der Vertrag unterwegs sei, nicht mehr gestoppt oder zur Umkehr gebracht werden könne.

Letztendlich wird mehr und mehr deutlich, dass Klaus’ Instrumentalisierung der emotional aufgeladenen Sudetenlandthematik vor allem der eigenen Gesichtswahrung diente und der Präsident der Bevölkerung signalisieren wollte, bis zuletzt in ihrem Interesse gehandelt zu haben. Der Staatspräsident hatte schlussendlich keine Wahl. Die innen- und europapolitischen Konsequenzen, die sich für Tschechien und Klaus bei einer weiteren Weigerung ergeben hätten, wären von einer einzelnen Person, die zudem ihre politischen Kompetenzen überschreitet, nicht zu verantworten gewesen.

Nach Lissabon – Tschechiens Rolle in der EU

Doch was nun? Wie verhält und orientiert sich Tschechien in der europäischen post-Lissabon Ära? Ist man in Tschechien überhaupt auf die neue europäische Realität vorbereitet? Wie wird sich das Land zukünftig in die Arbeit der EU einbringen? Die Ausgangslage ist nicht einfacher geworden: Tschechien hat sich durch die Querelen der letzten Monate selbst isoliert. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich Tschechien in Zukunft nicht mehr mit Grundsatzdebatten aufhält, sondern nach der Ratifizierung des Lissabonner Vertrags den Fokus auf wichtige inhaltliche Fragen und praktische Herausforderungen legt, sich konstruktiv in die Arbeit der Union einbringt und Vorteile, die sich aus der Mitgliedschaft ergeben, aktiv nutzt. Während der ersten Monate der eigenen Ratspräsidentschaft hat die Tschechische Republik viele Skeptiker überrascht und bewiesen, dass sie auch auf europäischer Ebene Verantwortung übernehmen und initiativ sein kann. Hieran sollte angeknüpft werden. Auch nach der Ratspräsidentschaft gilt es, sich mit eigenen Vorschlägen und Initiativen einzubringen oder mit diesen voranzugehen. Durch Tschechiens Lage im ‚Herzen Europas’, die Partnerschaft mit den Visegrad-Staaten aber auch mit den anderen Anrainern, bieten sich dem ‚Größtem der kleineren’ Staaten in der EU sehr gute Vorraussetzungen, um mit seinen Partnern gemeinsame Positionen zu entwickeln und den europäischen Integrationsprozess aktiv mit zu gestalten. Mit Blick auf die Einführung des doppelten Mehrheitsbeschlusses durch den Lissabonner Vertrag wird dies umso essentieller: Mehrheiten suchen, vor allem in der Region – Das ist auch für Deutschland interessant.

Weiterhin ist es von besonderer Bedeutung, die mediale Berichterstattung über die EU zu intensivieren und objektiver zu gestalten. Nur, wenn die Zivilgesellschaft besser über die EU, ihre Mechanismen und Inhalte informiert wird, kann es zu einem differenzierten gesellschaftspolitischen Diskurs kommen. Die aktuelle Debatte um die Ratifizierung des Lissabonner Vertrags hat letztlich verdeutlicht, wie empfänglich und anfällig die tschechische Bevölkerung für populistische und pauschalisierende Aussagen über Europa ist. Das wird nicht besser, sollte sich Tschechien auch in Zukunft weiter selbst in die Ecke drängen.

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5. Oktober 2009
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