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Länderberichte

Waffenstillstand in Kolumbien

von Dr. Hubert Gehring, Margarita Cuervo

Neue Rolle von Militär und Polizei: Statt Krieg führen, Sicherheit garantieren?

Nach über 50 Jahren des bewaffneten, internen Konflikts zwischen dem kolumbianischen Staat und der FARC-Guerilla, hat die Regierung von Präsidenten Juan Manuel Santos bedeutende Fortschritte auf dem Weg zu einem Friedensabkommen gemacht. Die Verhandlungen, die im Oktober 2012 aufgenommen wurden, scheinen sich nun auf der Zielgeraden zu befinden. Am Donnerstag, dem 23.Juni 2016, ist Präsident Santos nach Havanna gereist um zusammen mit der FARC-Führung einen bilateralen Waffenstillstand zu verkünden.

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Dieser Text ist die Kurzfassung des Länderberichts. Die Langfassung inkl. Fußnoten können Sie als PDF herunterladen.

Zwar ist das, wie u.a. in Europa stellenweise vermutet wird, noch nicht das endgültige Friedensabkommen, aber ein wichtiger, vorletzter Schritt. Für Optimisten ist es nur noch eine Frage weniger Wochen, für Pessimisten noch die Frage einiger Monate, bis das endgültige Friedensabkommen unterzeichnet werden wird.

Angesichts der bevorstehenden möglichen Unterzeichnung des Friedensabkommens, gewinnen einige für die Postkonflikt-Phase grundsätzliche Fragen immer mehr an Bedeutung. Eine davon betrifft die Diskussion über die zukünftige Rolle der kolumbianischen Streitkräfte, die immerhin circa 300.000 Soldaten und circa 160.000 Mitglieder der Nationalen Polizei umfassen. So kommt zum Beispiel die Frage auf, ob nach der Unterzeichnung des Friedenabkommens mit der FARC-Guerilla die Stärke der Streitkräfte und das für Sicherheit und Verteidigung vorgesehene Budget nicht reduziert werden können. Einige Kommentatoren sehen solche Schritte durch das vermutliche Verschwinden der „internen Bedrohung” als gerechtfertigt an.

Entgegen mancher Vermutung, wird es jedoch aller Voraussicht nach für die Sicherheitskräfte in Kolumbien in der Phase nach dem Friedensabkommen mit der FARC nicht weniger Herausforderungen geben, als während des jahrzehntelangen Konflikts selbst. Einige sehr komplexe Bedrohungen (z.B. Organisierte Kriminalität in den Bereichen Drogenhandel und illegalem Bergbau) werden auch weiterhin bestehen. Denen müssen sich die Sicherheitskräfte des Staates konsequent entgegenstellen, um ihr legitimes Machtmonopol im gesamten Staatsgebiet aufrechtzuerhalten bzw. sicherstellen zu können. Parallel dazu wird das Militär für die Umsetzung der Vereinbarungen von Havanna zuständig sein – zum Beispiel was die Sicherheit der ehemaligen FARC-Kämpfer während der Phase der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung sowie die Begleitung der Rückkehr von Binnenflüchtlingen auf ihr Land betrifft. Und obwohl es eine Möglichkeit für Kolumbien ist, als „Exporteur” von Sicherheit durch die Teilnahme an internationalen Friedensmissionen aufzutreten, sollte das Hauptaugenmerk doch zunächst auf der Erfüllung der Aufgaben im eigenen Land liegen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Lehren aus dem jahrzehntelangen Konflikt in die künftige Struktur und die neue Doktrin der kolumbianischen Streitkräfte miteinbezogen werden.

Die Schwierigkeiten des Übergangs

In Zeiten der Transition (Übergang) von einem bewaffneten internen Konflikt zum Frieden sind in der Regel zwei entscheidende Entwicklungen zu beobachten: einerseits der Prozess des “peacemaking“ und „peacebuilding“ (Festlegung und Konstruktion von Frieden) und auf der anderen Seite das „peacekeeping“ (Erhaltung und Konsolidierung des Friedens). Das heißt auf Kolumbien übertragen, dass obwohl es im Plan der Friedensverhandlungen in Havanna so festgeschrieben ist, die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC noch nicht automatisch ein „Ende des bewaffneten Konflikts“ bedeutet. Es ist vielmehr der Beginn eines wichtigen Transitionsprozesses mit der größten und wichtigsten der verschiedenen illegalen bewaffneten Gruppierungen, die in Kolumbien existieren.

Dabei muss jedoch in Betracht gezogen werden, dass in der Phase nach der Niederlegung der Waffen und der Demobilisierung ehemaliger FARC Kämpfer immer das Risiko besteht, dass andere Gewaltfaktoren verstärkt werden. So ist z.B. schon jetzt die Besetzung und „Rückeroberung“ von Gebieten, die von den demobilisierten Guerillagruppen verlassen wurden, zu beobachten. Außer der FARC existieren nämlich noch weitere Guerillagruppen – die ELN und die EPL – sowie kriminelle Vereinigungen, die sich nach der Demobilisierung der Paramilitärs AUC vor fast einem Jahrzehnt gebildet haben. Daraus folgt, dass es wahrscheinlich einen Streit zwischen verschiedenen illegalen bewaffneten Organisationen geben wird, die sich der Bevölkerung und der legalen und illegalen finanziellen Ressourcen in den ehemals von der FARC besetzten Zonen bemächtigen wollen. Insofern wird in solchen Fällen der kolumbianische Staat mit Hilfe seiner Streitkräfte eingreifen müssen, um sein legitimes Machtmonopol im Land zu festigen.

Zusätzlich gibt es aber auch noch andere Probleme, die sich in den letzten Jahren verschärft haben: Kokaanbau, Transportwege für Waffen- und Drogenschmuggel und illegaler Abbau von Bodenschätzen sind nur einige davon. Es wird geschätzt, dass sich mindestens ein Drittel der kolumbianischen Gemeinden in den letzten zehn Jahren mit dem Problem des illegalen Abbaus von Bodenschätzen konfrontiert sahen. Auch der Drogenhandel, als Haupteinnahmequelle der FARC, wächst ständig an: von 2013 bis 2015 verdoppelte sich die Anbaufläche der Koka-Pflanze von 48.000 auf 101.000 Hektar und es wird geschätzt, dass sie in 2016 auf 150.000 Hektar anwächst, was eine Rückkehr zu den Höchstwerten von 2002 bedeuten würde. Beide illegalen Geschäfte, der illegale Abbau von Bodenschätzen sowie der Drogenhandel, stellen also auch ohne die FARC in den kommenden Jahren große Herausforderungen für die Sicherheit des kolumbianischen Staates dar.

Ein weiteres Problem ist das Risiko der Wiederbewaffnung ehemaliger FARC-Kämpfer, die in die Illegalität zurückfallen, entweder weil sie sich anderen bereits bestehenden illegalen Organisationen anschließen oder selbst neue Gruppen (sogenannte „Bacrim“) bilden. Diese Entwicklung war bereits nach der Demobilisierung der paramilitärischen Gruppe AUC im Jahr 2006 zu beobachten. Es wird angenommen, dass die heute existierenden kriminellen Banden größtenteils das Ergebnis einer Wiederbewaffnung von Splittergruppen und der mittleren Befehlsebene der Paramilitärs sind, die sich vor zehn Jahren demobilisiert haben. Daher muss der kolumbianische Staat nach einem Friedensabkommen mit der FARC versuchen, das entstandene Machtvakuum zu füllen, welches die FARC in ihren Einflussgebieten hinterlassen werden. Gleichzeitig müssen auch die Aktionen in Regionen und hinsichtlich strategischer Transportrouten für den Drogenhandel verstärkt werden, die noch von illegalen Organisationen kontrolliert werden.

Die Rückkehr des Rechtsstaats in die Regionen

Eine besondere Herausforderung bei der Konsolidierung des Friedens wird die Schaffung eines sicheren Lebensumfelds in den Konfliktregionen sein. So werden Militär und Polizei zuständig sein für den Schutz von Leitern und Mitgliedern sozialer Einrichtungen zur Rehabilitierung der Opfer des Konflikts und zur Rückgabe illegal besetzten Grundbesitzes. Allein in den letzten neun Monaten sind 16 führende Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen in den Regionen ermordet worden, vermutlich weil sie mit der Guerilla in Verbindung gebracht wurden. Mehr noch: der Staat muss auch die Sicherheit der ehemaligen FARC-Kämpfer garantieren, sobald sie sich demobilisieren, weil Vergeltungsschläge und Angriffe verschiedener Banden gegen die Ex-Guerilleros zu erwarten sind. Die Nachhaltigkeit der Vereinbarungen mit der FARC und des Prozesses der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger FARC-Guerilleros wird davon abhängen, wie effizient diese Aufgabe von den Sicherheitskräften erfüllt wird.

Bei einer Bewertung der Lage in Kolumbien muss berücksichtigt werden, dass in vielen der Regionen, in denen die FARC oder andere illegale bewaffnete Gruppierungen traditionell präsent waren und sind, sich Freiräume gebildet haben, in denen praktisch eine Koexistenz mit dem Staat bestand bzw. besteht. Diese Gebiete werden von einigen Akademikern als „Para-Staaten” bezeichnet, wo illegale Gruppen staatliche Funktionen ausüben, wie z.B. das Erheben von Steuern, die Organisation des sozialen Lebens, Vermittlung bei Streitigkeiten und oft sogar das Führen des Personenregisters. Daher ist in der Phase nach der Unterzeichnung des Abkommens mit der FARC eine Art „Übergangssicherheit” in den ehemaligen FARC-Gebieten erforderlich, um damit alles, was sich dort heute in der Illegalität befindet, nun in die Legalität überführen zu können. Schlussendlich sollte der Staat der Inklusion und dem Schutz der betroffenen Bevölkerung in solchen Gebieten Priorität einräumen und die Regionen in die Legalität führen, statt Zwang und Überwachung auszuüben.

Die Reform des Sicherheitssektors

Im Ergebnis der geschilderten Rahmenbedingungen benötigt der Sicherheits- und Verteidigungssektor in Kolumbien auf jeden Fall eine Reihe struktureller Reformen. Das Verteidigungsministerium arbeitet bereits seit 2010 an einem Konzept für eine neue Strategie zur Transformation von Militär und Polizei für die nächsten 20 Jahre. Im Moment scheinen diese Bemühungen konkrete Formen anzunehmen. Viele Experten stimmen darin überein, dass eine Reform auf eine „Demokratisierung” der Sicherheit ausgerichtet sein müsse. Das heißt, die Sicherheit aller Bürger des Landes muss garantiert und die entsprechenden Institutionen gestärkt werden. Bei diesem neuen Konzept liegt der Schwerpunkt des Sektors Sicherheit und Verteidigung mehr auf dem friedlichen Zusammenleben, der Sicherheit der Bürger und auf der Friedenskonstruktion, ohne dabei die Verteidigung des Landes gegen Bedrohungen von außen zu vernachlässigen. In Regionen, wo nicht der Rechtsstaat herrscht, sondern mehr die illegalen Gruppierungen oder, wie bereits ausgeführt, ein „Para-Staat”, wäre der Eintritt der Militärs nicht effizient oder nachhaltig, wenn er nicht gleichzeitig von einer effektiven und nachhaltigen Präsenz ziviler staatlicher Einrichtungen begleitet wird.

Fazit

Zweifellos muss die Friedenskonstruktion in Kolumbien nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den Guerilla-Gruppen mit der Konsolidierung des Landes, insbesondere mit der Integration des gesamten Landes in den Rechtsstaat einhergehen. In diesem Zusammenhang müssen umfassende Sicherheitsstrategien und das legitime Gewaltmonopol des Staates sowie die reale und effiziente staatliche Präsenz als Garant der Rechte der Bevölkerung durchgesetzt werden. Erst dadurch können die Voraussetzungen für eine soziale, wirtschaftliche und regionale Inklusion von benachteiligten Bevölkerungsgruppen in einigen Regionen geschaffen werden. Notwendig ist letztendlich eine integrale Strategie zur Sicherstellung des staatlichen Gewaltmonopols in Verbindung mit der zivilen Präsenz des Staates und seiner vollen Funktionsfähigkeit auf den Gebieten der Verwaltung, der Rechtsprechung, der Ausbildung und der Infrastruktur.

Außerdem sollte die Politik, das heißt Verteidigungsministerium und Innenministerium seitens der Exekutive sowie der Kongress, die strategischen Themen für Streitkräfte und Polizei definieren, weil es sich dabei zunächst um die Verantwortung und Kompetenz der Politik handelt. Was die internen Reformen zum Selbstverständnis der Sicherheitskräfte anbetrifft, sollte u.a. am Konzept des „Bürgers in Uniform“ gearbeitet werden.

Es ist offensichtlich, dass zunächst weder die Truppenstärke noch die finanziellen Ressourcen der verschiedenen Einheiten des Militärs und der Polizei in Kolumbien gekürzt werden sollten. Wie es Humberto de la Calle, der Sprecher der Verhandlungsdelegation der Regierung in Havanna kürzlich in einem Forum ausdrückte, werde alles was bisher in den Krieg investiert wurde, jetzt in die Sicherheit investiert werden. „Es existiert ein großes Potential an menschlichen und finanziellen Ressourcen, das nach Beendigung des Krieges zur Erlangung der Sicherheit für die Bürger eingesetzt werden kann”. Auf jeden Fall, wird die Vertrauensbildung in der Zivilbevölkerung eine fundamentale Voraussetzung aber auch eine Herausforderung für Streitkräfte und Polizei in den Regionen sein, wo der Staat bis dato nicht als Autorität empfunden wird. Dies trifft vor allem für die Polizei zu, die per Definition über mehr Bürgernähe verfügt bzw. verfügen sollte.

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